Pfarrer Herbert Leuninger,
Bischöfliches Ordinariat Limburg

"Angst hat jeder" - Umgang mit der Angst

Die Angst vor dem Fremden


Kirche und Gesellschaft sind ratlos vor der grassierenden Fremdenangst in der Bundesrepublik. Die Antwort darauf ist schwer zu geben, weil man mit einem solchen Phänomen nicht mehr gerechnet hat, vor allem nicht in einer Form, daß es sich deutlich in Wahlen niederschlägt und zu einer völligen Verschiebung der Machtverhältnisse führen könnte.

Die Fremdenangst haben die anderen. Ich sage, Fremdenangst hat jeder. Es ist nämlich die Angst davor, dem anderen, dem eigenen tragischen Fragment zu begegnen. Der Fremde, so wie wir ihn in der Bundesrepublik kennengelernt haben, ist nämlich der Mensch, der nicht ganz dazugehört. Auch nach Jahrzehnten noch nicht. Das ist der Mensch, der mindere Rechte hat. Der Mensch, der sich nicht voll mitteilen kann. Der Mensch, der Angst haben muß, daß er abgedrängt wird. Das tragische Fragment Mensch, das ist der Fremde. Und wenn wir dem Fremden begegnen, dann bekommen wir es mit der Angst zu tun, weil wir ja selbst dieses tragische Fragment sind und mit der Daseinsangst leben, irgendwann einmal ohne Sinn dazustehen oder zu sterben, nicht dazuzugehören, abgeschoben zu werden, ausgewiesen zu werden aus unserer Lebenswelt. All das macht uns der Fremde deutlich.

Nun wäre es die große Möglichkeit des Christen, mit dieser Angst fertig zu werden. Denn vom Selbstverständnis der Kirche und des Christen her sind wir Fremde in dieser Welt, gehören wir nicht dazu; ja selbst wenn wir den Eindruck hätten, wir würden dazu gehören, dürften wir es gar nicht. Wir müßten aus dem Gefüge dieser Welt heraustreten, denn wenn uns diese Welt liebte, dann wäre das Kritik an unserem Glauben. Der Fremde, der uns begegnet, ist der, der wir selbst sind. Ich würde das Christentum als die versuchte Antwort verstehen, mit der Fremdheit, mit dem Nichtdazugehören in dieser Welt zurechtzukommen.

Was die Kirche bietet, ist Heimat. Und hier beginnt die Problematik. Wenn es nicht die Heimat ist als Verheißung dessen, was Reich Gottes bedeutet, sondern wenn diese Heimat, die die Kirche bietet, nur ein Stückchen Heimat ist, wie sie ein Folklore und Heimatverein bieten kann, dann ist es nicht das, was der Christ braucht, um als tragisches Fragment mit der Hoffnung leben zu können. Im Fremden begegnet uns die eigene christliche Existenz, und ich denke, es ist die Not der Kirchen in der Bundesrepublik, daß sie sich zu stark eingelassen haben auf diese Welt, ja daß sie sogar der Versuchung erlegen sind, sie könnten Entscheidendes dazu beitragen, durch ihre Teilnahme, durch ihre Aktivität, daß eine christliche Politik gemacht wird. Die Kirche kann sich nicht identifizieren, mit keiner Politik. Nicht, weil es nicht den Versuch geben müßte, die beste humane Politik zu machen, sondern deswegen, weil die Antwort Gottes immer bedeutet, daß das, was menschliche Politik zustande bringt, niemals ausreicht, um Menschen nicht mehr tragische Fragmente sein zu lassen.

Die Fremdheit des Christen in dieser Welt ist ein wesentliches Merkmal für das, was in dieser Welt Hoffnung geben kann. Wenn der Christ sich nicht mehr als der Fremde fühlt, wird er große Angst haben vor dem Fremden. Und meine Erfahrung der letzten 17, 18, 19 Jahre als Fremdenreferent im Bischöflichen Ordinariat ist die Erfahrung, daß viele in der Kirche Angst haben vor den Fremden. Das allerdings bedeutet letztlich die Angst vor Christus, denn er begegnet uns gerade im Fremden.


veröffentlicht in: Caritasverband für die Diözese Limburg e.V: Angst hat jeder, Umgang mit der Angst, Tag der Caritas 1989, Limburg, 1989, S. 21