In der Gemeinschaft
n der Landschaft und unter den Leuten von Mengerskirchen lebte
der Kleinbauer und Nagelschmied Weinand Leuninger mit seiner Familie.
In beengten wirtschaftlichen Verhältnissen, wie die meisten
anderen. Im Jahre 1894 wurde die Familie gegründet. Gering
war Hab und Gut, das beide Elternteile in die Ehe einbrachten.
Ursprünglich dienten als Wohnung zwei kleine gemietete Zimmer,
mit einer bescheidenen Ausstattung. Aber die Eltern waren strebsam.
Der Vater arbeitete als Nagelschmied und bebaute gemeinsam mit
der Mutter zunächst einige Äcker. Noch in Miete wohnend,
brachten sie es zu einem kleinen Viehbestand. Indessen reichte
die Wohnung für die größer werdende Familie nicht mehr aus. Durch den Erwerb des recht geräumigen ehemaligen
jüdischen Gemeindehauses auf dem Damm war dem abgeholfen.
Als das Haus bezogen wurde - es war kurz nach Auflösung der
kleinen jüdischen Gemeinde - befanden sich an den Türpfosten
noch Kapseln, ,,Mezuza" genannt, in denen von den Juden winzige
Schriftrollen mit Bibelstellen und dem Namen Gottes aufbewahrt
wurden. Zunächst war noch das große Zimmer im oberen
Stockwerk, das ehedem der jüdischen Gemeinde als Bet- und
Versammlungsraum diente, für fünf Mark im Monat an einen
Schneider vermietet, der gleichzeitig Nachtwächter des Ortes
war.
Das Hausgrundstück, im Schatten von Schloßburg und
Kirche liegend, bot räumlich gute Ausdehnungsmöglichkeiten.
Der Vater konnte eine Nagelschmiede für mehrere Nagler einrichten,
und es ermöglichte auch die Vergrößerung des landwirtschaftlichen
Betriebes. Mittlerweile wuchs die Zahl der Kinder. Franz, das
drittälteste Kind von insgesamt neun, wurde im Jahre 1898
geboren.
Mit alledem wuchsen auch die Arbeitslast und die Sorgen der Eltern.
Neben der Arbeit in der nun größeren Landwirtschaft
übte der Vater noch immer sein Handwerk aus, und die Mutter
versorgte das große Hauswesen. Es war so unumgänglich,
daß die älteren Kinder, auch wenn sie noch die Schule
besuchten, ihnen gemäße Arbeiten im Haushalt und in
der Landwirtschaft verrichteten. An dem hierzu nötigen guten
Willen und Fleiß ließen sie es nicht fehlen. Sie trugen
so die Verantwortung für die Existenz der Familie mit, soweit
es von ihnen zu erwarten war.
Schulprobleme gab es in der Familie nicht, denn die Begabung reichte
bei allen Kindern so weit, um solche nicht aufkommen zu lassen.
Es fehlte aber an den materiellen Voraussetzungen, um einem der
Kinder den Besuch einer höheren Schule zu ermöglichen.
So unkompliziert wie das Verhältnis zur Schule war auch das
Verhältnis zu Religion und Kirche. Alle fügten sich
gut in die Ordnung, die vom Elternhaus her gesetzt war. Hier herrschten
feste religiöse Grundsätze. Das gemeinsame Tischgebet
wurde nie versäumt, und der Besuch der Gottesdienste war
durch unumstößliche Regeln geordnet. Zu Kirche und
Schule waren es nur wenige Schritte über eine primitive Treppe,
welche über die Reste der alten Stadtmauer führte. Die
sechs Buben der Familie waren alle Meßdiener und führten
dieses Amt gewissenhaft aus. Über all dies hinaus respektierte
man religiöses Brauchtum. Da war das gemeinsame Gebet zum
Angelusläuten und in der Fastenzeit das allabendliche Beten
des Rosenkranzes im Wohnzimmer - an der Bank und an den Stühlen
knieend. Diese Haltung entsprach nicht nur der religiösen
Einstellung, sondern auch dem Begehren, durch das Gebet Sorgen
und Not von der Familie abzuwenden oder sie doch meistern zu können.
Und ihrer waren gar oft nicht wenige.
In späteren Jahren führte Franz einmal ein Gespräch
mit einer jungen Frau, die dem Wert des Gebetes keine Bedeutung
beimessen wollte. Er widersprach ihr und schilderte dabei, wie
er als ganz junger Mensch am Bau Steinträger gewesen und
wie schwer ihm diese Arbeit mitunter geworden sei. Wenn ihm dabei
die Kräfte zu versagen drohten, habe er manchmal auf einer
Sprosse der Leiter, die er mit den schweren Steinen zu ersteigen
hatte, angehalten und ein kurzes Gebet verrichtet, dann sei es
wieder weitergegangen.
Christentum wurde indessen nicht nur im Gebet, sondern auch anders
praktiziert. Vor allem an den in Not befindlichen Mitmenschen.
Zwar standen hierfür nur beschränkt materielle Mittel
zur Verfügung. Aber für die, welche noch weniger hatten,
reichte es immer noch zu einer bescheidenen Gabe. Es waren dies
nicht nur Bettler und die Menschen, die in Kriegszeiten besonderen
Mangel an Nahrung litten, sondern auch viele andere.
Die Autorität der Eltern galt viel in der Familie. Das beeinträchtigte
jedoch nicht die tiefe Zuneigung zwischen ihnen und den Kindern.
Man begegnete sich in uneingeschränktem Vertrauen zueinander.
Dementsprechend war die familiäre Atmosphäre. Alle mühten
sich, einander zu erfreuen. Am Weihnachtsfest sorgte der Vater
für den Christbaum, der noch nicht in allen Familien selbstverständlich
war. Die Mutter war darauf bedacht, für jedes Kind ein kleines
Geschenk zum Fest zu haben; eine bunte Tasse, ein bebildertes
Taschentuch, ein Wollschal und ähnliches. Einmal erstand
der Vater ein ungewöhnlich großes Schaukelpferd in
Hachenburg, das er viele Kilometer weit auf den Schultern nach
Hause brachte.
Indessen war das Bedürfnis, durch Geschenke Freude zu bereiten,
in der Familie nicht einseitig auf die Eltern beschränkt.
Eine besondere Gelegenheit hierzu bot sich den Kindern jeweils
am Namenstag der Mutter. Einmal sprengten hierbei die drei ältesten,
aber noch schulpflichtigen Kinder - zu denen auch Franz gehörte
- den Rahmen. Sie sammelten Schwarzdornschlehen, die sie an den
Apotheker verkauften. Mit dem Erlös erstanden sie für
die Mutter ein Paar warme Schuhe für den Winter, zu dem damals
ungewöhnlich hohen Preis von 13,50 Mark. Aber die Leistung
der Kinder war auch ungewöhnlich, denn sie hatten dreieinhalb
Zentner Schlehen gesammelt.
Im Ablauf des Familiengeschehens ereignete sich im Grunde genommen
nichts Außergewöhnliches. Aber alle Bereiche wurden
sorgfältig gepflegt. Das traf auf das Bemühen der Eltern
um eine ausreichende materielle Existenz der Familie zu, ebenso
wie auf die Erziehung der Kinder und das Zusammenleben. Von nachhaltigem
Einfluß ist dabei sicherlich das religiöse Klima gewesen.
Dieses war nicht gezeichnet durch enge puritanische Strenge, sondern
es bestand in einer aufgeschlossenen christlichen Lebensauffassung.
Franz war ein geistig sehr aufnahmefähiger und aufnahmebereiter
Junge. Aber er betrachtete seine Umwelt schon frühzeitig
kritisch. Daraus entwickelte sich ein gutes Verhältnis zu
seinen Eltern und Geschwistern. Er nahm inneren und äußeren
Anteil an dem Leben eines jeden einzelnen Familienmitgliedes.
Zahlreich sind die Sorgen und oft schwer das Leid in einer großen
Familie. Er konnte gar nicht anders, als tragen helfen, ganz gleich,
wen es traf und wie es traf. In unvergleichlicher Weise trug schon
der Knabe auf seinen schwachen Schultern mit an den Sorgen der
Eltern, denen er Stütze bis zu deren Lebensende war. Beim
Heimgang der Mutter richtete er den Vater in seinem Schmerze mit
folgenden Worten auf: ,,Nun ist unsere gute Mutter tot. Das darf
Dich nicht niederdrücken. Wir wollen an die Verstorbene so
lieb und gut denken, wie sie zu Lebzeiten zu uns war, aber Du
mußt leben... Wir brauchen Dich, unseren Vater, noch sehr
lange." Mit Dankbarkeit und Freude erfüllte ihn aber
auch die Liebe, die seine Eltern und Geschwister ihm entgegenbrachten.
Allen ist er gut gewesen, und keines hat auf seinen Rat und seine
Unterstützung verzichten müssen. Ein jedes war seiner
Anteilnahme gewiß, ganz gleich, ob es sich um das schwerkranke
Kind des Bruders handelte oder um das Leid der Schwester um den
im Krieg vermißten Sohn. Gerade der letzte Krieg brachte
viel Sorgen in die Familie.