Herbert Leuninger

ARCHIV 2007

Ein Bericht von Jürgen Eigenbrod

Das Labyrinth – seine Geschichte und Aktualität


Am 21. November 2007 hatte der Verein für Geschichte, Denkmal- und Landschaftspflege Bad Ems e.V. zu einem Vortrag zum Labyrinth in das Gästezentrum des Kurhauses geladen. Der 1. Vorsitzende des VGDL, Theo Pötz, begrüßte zunächst das jüngste Mitglied des Vereins, Florian Froede aus Kemmenau, besonders herzlich und als Referenten Herbert Leuninger aus Limburg. Dieser war kurzfristig eingesprungen; er erfreute die Zuhörer mit einem sehr gut recherchierten, frei gesprochenen und durch die geschickte Nutzung von Laptop und Beamer besonders anschaulichen Vortrag. Freimütig bekannte er, dass er sich mit diesem Thema auch erst kurze Zeit beschäftige, das machte die Zuhörer zusätzlich gespannt auf das Ergebnis. Seine erste Begegnung habe er mit einem Labyrinth in Wetzlar gehabt, einem „Überbleibsel" des 3. Internationalen Labyrinth-Kongresses, der dort in 2005 stattfand. Dabei wurde ihm bewusst, dass das Labyrinth eine besondere Bedeutung als Symbol und Deutungsphänomen in der Frauenbewegung hat. Neugierig fragte er sich, wie das Labyrinth in diese Rolle komme und so begab er sich auf die Suche nach dem Labyrinth-Kult –vorwiegend im Internet. An Beispielen aus dem Altertum, dem Mittelalter und von heute stellte er anschließend die Spiritualität als nur einen der Gesichtspunkte des Labyrinthes vor.

Ein Menschheitssymbol, in Stein, Fels und Ton eingeritzt, auf Keramik aufgemalt, mit Steinen auf dem Boden ausgelegt und körperlich begehbar, so begegne uns das Labyrinth seit über 3.000 Jahren. Herbert Leuninger zeigte ein Labyrinth auf einem Fundstück aus dem Palast von Pylos in Griechenland, der auf 1.200 v. Chr. datiert wird. Es gibt Anlass anzunehmen, dass das Labyrinth als Symbol des Lebens wohl im Mittelmeerraum entstand. Die Römer hätten es mehr als Dekoration ihrer Bäder und Villen übernommen und es in prachtvollen Mosaiken dargestellt, häufig mit Theseus in der Mitte, der auf Knossos den Minotaurus erschlug.

Interessant sei, dass sich das Labyrinth auch nach Persien, Afghanistan, Pakistan und Indien ausgebreitet habe. Auch bei mindestens vier Indianervölkern, z.B. den Hopi und Navajo, könne es nachgewiesen werden. Bei den seefahrenden Völkern des Nordens sei das Labyrinth ebenfalls angekommen. Bezeichnend seien dafür die sog. Trojaburgen, Steinsetzungen von Labyrinthen aus faust- bis kopfgroßen Steinen, mit bis zu 20 Metern Durchmesser. Davon gäbe es noch 200 in Schweden, 140 in Finnland und rund 60 in Norwegen und Russland.

Am Beispiel des Labyrinthes auf der unbewohnten schwedischen Insel „Blaue Jungfrau", der die Seefahrer ausgewichen seien, erläuterte Herbert Leuninger, dass die Bedeutung jener Insel im dortigen Hexenglauben hier der des Brocken entspräche. Die Frauenbewegung stelle heute die positive Bedeutung der Hexen heraus und bereite auf, was diesen Frauen an Unrecht widerfahren sei. In Schweden sei der Gründonnerstag der Tanztag der Hexen.

Die Trojaburgen haben auch als farbige Darstellungen Eingang in nordische Kirchen gefunden. So erwähnte der Vortragende die Kirche von Sibbo in Finnland, in der eine weibliche Figur mit erhobenem Arm im Zentrum des Labyrinthes dargestellt ist. Am Beispiel einer nachgebauten Trojaburg in deren Zentrum eine junge Frau/ Jungfrau sitzt und durch einen „Jungfrudanser" befreit wird, erläuterte er diesen Frühjahrsritus. Der Mann, der sich auf verschlungenen Pfaden der Jungfrau nähert und diese aus einer Festung befreit. Auch im sächsischen Steigra habe es ein solches Frühlingsfest am 23. April, dem St. Georgstag, gegeben. Daran würde deutlich, wie sich ein vorchristlicher Brauch auf das Christentum übertragen habe. St. Georg sei ausgezogen, um sich dem Drachen zu nähern, ihn zu töten und um die Jungfrau zu befreien, dazu zeigte Herbert Leuninger eines seiner trefflich gewählten Bildbeispiele. Bereits 324 n.Chr. habe es in einer christlichen Basilika in der Nähe des heutigen Algier eine Labyrinthdarstellung gegeben. Nahezu folgerichtig gibt es in der heutigen katholischen Kathedrale von Algier eine Labyrinthdarstellung in deren Zentrum die ecclesia sancta, die heilige Kirche, hineingeschrieben sei. Hier zeige sich die Umdeutung des Labyrinthes. In der sog. Fahri-Bibel, der Jericho–Bibel aus 1325, sei ein Rundlabyrinth mit einem Ariadnefaden dargestellt, das auf die Geschichte des Labyrinthes auch in der Bibel hinweise. Die zentrale Bedeutung sei, dass man sich bei der Bewegung im Labyrinth – wie in seinem Leben – stets dem Zentrum nähere, sich anschließend wieder entferne, jedoch sicher im Zentrum ankomme. Die Bibel spreche bei der Eroberung Jerichos durch Josua davon, wie dieser sich verhalten solle. Er solle mit seinen Kriegern sechs Tage lang um die Stadt ziehen, am 7. Tage solle er dies jedoch sieben Mal tun. Hier liege das Symbol, denn das klassische Labyrinth ist durch seine 7 Umgänge charakterisiert.

So kann Jericho das erste Labyrinth sein, das begangen wurde. Chartres in Frankreich war schon in vorchristlicher Zeit ein Wallfahrtsort, an dem die „virgo paritura", eine Jungfrau, die den Sohn Gottes gebären sollte, verehrt wurde. 1220 wurde in der gotischen Kathedrale von Chartres ein Labyrinth dargestellt, das die Pilger, wenn sie diese durch das Königsportal betraten, begehen konnten. So näherten sie sich in pendelnder Bewegung dem Zentrum. Mal näher dran, mal weiter entfernt, erreichten sie schließlich sicher das Zentrum, eine sechsblättrige Blüte. Die Rosette auf der Westseite der Kathedrale korrespondiert mit dem Labyrinth. Da gotische Kathedralen, in ihrer Symbolik dem himmlischen Jerusalem gleichgesetzt waren, zu dem den Christen durch die Muslime der Zugang verwehrt war, so entspricht der Weg durch das Labyrinth einer Pilgerreise nach Jerusalem. Andere Beispiele des Labyrinths, als Zeichen der gotischen Spiritualität finden sich in Amiens, Toulouse und in Nôtre Dame in Paris. In der Basilika San Vitale in Ravenna wurde im 16. Jahrhundert ein 7-gängiges Boden-Labyrinth eingerichtet, dessen Ausgang zur Jacobsmuschel führt, dem Beginn der Pilgerreise nach Santiago de Compostela.

Heute gibt es in Deutschland eine Vielzahl von Labyrinthen, vorwiegend in Westen und im Süden. Der angesprochene 3. Internationale Labyrinth-Kongress hatte angeregt, den 13.Oktober als Internationalen-Labyrinth-Tag zu begehen. Um 18 Uhr Ortszeit sollten sich Menschen weltweit in einem Labyrinth versammeln, um mit anderen verbunden, gute Wünsche und Energien für das Zusammenleben zu bündeln. Damit verbindet man die Hoffnung, dass sich diese positiven Kräfte auf die ganze Welt übertragen.

Heute ist die zentrale Figur im Labyrinth die Frau. Bezogen auf die Darstellung des Labyrinthes in der finnischen Kirche in Sibbo stellte Herbert Leuninger fest, dass die Frau mit ihrem Körper zur Orientierung diene. So sei in der esoterischen Betrachtung ihr Herz in der Mitte, darin seien alle Kräfte im Gleichgewicht. Die dadurch senkrecht verlaufende Achse verbände Himmel und Erde, die waagerechte zeige das Handlungsspiel beider Seiten und die Fähigkeit zur Umarmung. Durch das Verbinden von Kopf, Fuß, Armen und Beinen sei die Frau – das sei die spirituelle Botschaft – das Maß aller Dinge. Da durfte die Darstellung Leonardo da Vincis mit dem im Kreis eingeschlossenen Mann, als das Maß aller Dinge, nicht fehlen. Abschließend zeigte er eine Vielzahl aktueller Labyrinthe, auch im Mais, in Sonnenblumen oder im Schnee.

Schließlich stellte der Vortragende dem Labyrinth den Irrgarten gegenüber. Letzterer, ein Netz verschlungener Wege, das nach immer neuen Wahlmöglichkeiten die Gefahr des Verirrens beinhaltet. Das Labyrinth hingegen, der Vergleich mit dem eigenen Lebensweg, ließe als Wahlmöglichkeit lediglich, sich vor- oder rückwärts zu bewegen; dabei sei man mal dichter heran oder mal weiter entfernt vom Zentrum, dem man sich zuversichtlich nähern könne. So bleibt die Frage an jeden Menschen, was er selbst ins Zentrum seines Lebens stellt. Herbert Leuninger fragte sich, warum das Labyrinth bei unterschiedlichen Ansätzen, heute eine so große Bedeutung habe. Er sieht darin die Suche der Menschen nach Orientierung in einer Werte- und Sinnkrise. Er hofft, dass das Symbol Labyrinth dabei helfen kann, das Leben zu verstehen und das Sinnhafte zu finden, was wir ins Zentrum unseres Lebens stellen wollen. Herbert Leuninger erhielt sehr herzlichen Beifall für seine Ausführungen und entließ viele berührte und nachdenkliche Zuhörer je.