Herbert Leuninger ARCHIV KIRCHE
1972

FREUDENTANZ IM ZIRKUSZELT
Ökumenisches Ostertreffen der Jugend in Taizé

Sendung im HESSISCHEN RUNDFUNK Frankfurt/M - Kirchenfunk,
am 10. 4. 1972, Redaktion Norbert Kutschki

INHALT
Herbert Leuninger berichtet von einer Begegnung mit Prior Roger Schutz in Taizé. Er war als Jugendpfarrer im Main-Taunus-Kreis mit einer Gruppe Jugendlicher 1972 zum Osterfest nach Burgund gereist.

Ein ähnliches Jugendtreffen wie an Ostern kann sich Taizé nicht mehr ohne die Gefahr leisten, im Massentourismus zu versinken. Die Brüdergemeinschaft des kleinen Ortes in Burgund hatte sich auf einen Ansturm aus aller Welt eingerichtet. Vorsorglich war an die herausgebrochene Rückwand der Versöhnungskirche ein Zirkuszelt mit drei Masten angebaut worden. Als aber der Zustrom junger Leute über alle Erwartungen hinaus weiter anschwoll, sah man sich gezwungen, am Karsamstag ein weiteres großes Zelt anzufügen. Am Ostersonntag zählte die offizielle Statistik 16.000 Jugendliche aus 80 Nationen. Damit war die Zahl des Vorjahres um mehr als das Doppelte übertroffen.

Die gesamte Organisation geriet an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit. Nur dem bewunderungswürdigen Einsatz der jungen Helfer ist es zu verdanken, daß die Versorgung nicht zusammenbrach. Anerkennung verdienen aber auch die Teilnehmer des Treffens selbst; in dem ständigen Hin- und Herwogen behielten sie eine erstaunliche Geduld und Toleranz. Mit aller Gelassenheit standen sie stundenlang in riesigen Schlangen an, bis sie ihr Essen in Empfang nehmen konnten. Kopf an Kopf nahmen sie aufmerksam an den Gottesdiensten teil.

Wenn man sich fragt, was diese Jugend nach Taizé zieht, so ist es nicht nur der Wunsch, das Konzil der Jugend vorzubereiten. Viele wissen gar nicht genau, was es damit genau auf sich hat. Ihnen genügt es vollauf, diese friedliche Atmosphäre erleben zu dürfen, in der jeder sich so geben kann, wie er es möchte. "Ich habe hier", so ein Siebzehnjähriger aus einer Taunusgemeinde, "das erste Mal wirklich Gemeinschaft erlebt". Wieso die Gottesdienste eine so große Anziehungskraft ausüben, bleibt schwer erklärlich. "Wenn wir solche konservativen Gottesdienste zuhause halten würden", meint ein belgischer Pfarrer, "käme kein Jugendlicher." Offiziell sieht man in Taizé die Gottesdienste als zentral an; vielleicht sind aber die formellen und informellen Gespräche, die hier über die Zukunft der Kirche und der Menschheit geführt werden, wesentlich entscheidender.

Der Höhepunkt der Tage war die Ankündigung des Priors Roger Schutz, daß das seit 1970 vorbereitete Konzil der Jugend im Jahre 1974 stattfinden soll. Daraufhin brach in der riesigen Zirkusarena ein Sturm der Begeisterung los. Das minutenlange Klatschen ging nach einigen zusätzlichen Informationen in den spontanen Gesang eines rhythmischen Kehrverses über. Die Ersten faßten sich an den Händen und begannen zu tanzen. Im Nu war das Zelt und die Kirche eine tanzende, singende, jubelnde und springende Menge. Endlich konnte sich nach den ziemlich langatmigen Gottesdiensten der vergangenen Tage die Osterfreude der Jugend artikulieren. Die Geister, die Taizé rief, offenbarten etwas von ihrem dynamischen Schwung. Auch an diesem Ort wird sich noch einiges ändern müssen, wenn die Jugend als Erneuerungspotential ganz ernst genommen wird.

Roger Schutz und Kardinal Ratzinger

Roger Schutz (i. Rollstuhl) empfängt als protestantischer Mönch beim Requiem für Papst Johannes Paul II. 2005 auf dem Petersplatz aus der Hand von Kardinal Josef Ratzinger, dem späteren Papst Benedikt VI., die hl. Kommunion. Schutz wurde am 16. August 2005 - in Köln fand gerade der Weltjugendtag statt - in Taizé bei einem Gottesdienst ermordet. Papst Johannes Paul II dürfte entscheidende Anregungen für die Einführung der Weltjugendtage von den großen ökumenischen Jugendtreffen erhalten haben, zu denen Roger Schutz seit Jahren eingeladen hatte.