Herbert Leuninger | ARCHIV
BIOGRAFIE 1985 | |
20.
Juli 1985
FRANKFURTER RUNDSCHAU Region Main-Taunus-Kreis FR-Porträt
Nicht im „Expertengetto"
bleiben
Herbert Leuninger ist
für die einen Vorbild, für die
anderen Ärgernis
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HOFHEIM. Er ist aufmüpfig und mutig, konservativen Kirchenkreisen suspekt und ein Ärgernis, für progressive Christen dagegen Vorbild und Motor: Pfarrer Herbert Leuninger, seit 1972 Ausländerreferent im Bischöflichen Ordinariat Limburg und ab 1.August dieses Jahres Asylpfarrer. Sein Werdegang als Seelsorger und Katholik ist geprägt von Auseinandersetzungen, Diskussionen und dem Ringen um den richtigen Weg. Das begann schon in seinem ersten Pfarramt in Kriftel, wo seine fortschrittliche, am II. Vatikanischen Konzil orientierte Arbeit die Kluft zwischen denen vertiefte, die die neue Entwicklung begrüßten, und jenen, die am Althergebrachten festhalten wollten. Als Jugendpfarrer sorgte er dann in Hofheim mit seinem Mess-Festival in der Bonifatiusgemeinde für Aufsehen, als Hunderte von jungen Katholiken mit Gottesdienst und Tanz in der Kirche feierten, sich über liturgische Regeln hinwegsetzten und „eine Fülle von Tabus verletzten", wie Pfarrer Leuninger einräumt. Als Ausländerreferent bemüht er sich um eine schrittweise Integration von „Katholiken anderer Muttersprachen". (Der Begriff „Ausländer" ist bei ihm und seinen Mitarbeitern verpönt: Die Vorsilbe „Aus" bedeutet „nicht zugehörig" und widerspricht dem Ziel ihres Engagements.) Freilich vermag sich Herbert Leuninger über den Erfolg dieser Arbeit nicht uneingeschränkt zu freuen. Denn eine „Wende der Ausländerpolitik", im Dezember 1981 eingeleitet mit der Empfehlung der Bundesregierung an die Länder, den Zuzug ausländischer Familienangehöriger zu stoppen, hatte einen Meinungsumschwung in der Bevölkerung zur Folge. Zunehmende Fremdenfeindlichkeit offenbarte ihm, „was in unserer Gesellschaft eigentlich abläuft": Die Ausländerfrage sei exemplarisch für alle anderen Gruppierungen. „Was heute den Ausländern geschieht, geschieht morgen den anderen." Das Schicksal der Asylbewerber im Schwalbacher Durchgangslager, die „Abschreckungspolitik", mit der versucht wird, sich die Flüchtlinge vom Leib zu halten, brachten Herbert Leuninger die Erkenntnis: „Jetzt weiß ich, wie 1933 möglich war und wie jene an der Wand stehen, die sich für solche einsetzen, die als Sündenböcke gelten." Und noch eines wurde ihm klar: Bei der Aufrüstung geht es letztlich nicht um den Ost-West-, sondern den Nord-Süd-Konflikt. Anders ausgedrückt: Die reichen Nationen wehren „Ansprüche der Dritten Welt an uns" ab, sie werden ihre Waffen gegen die richten, die ihre Einfluß-Sphäre und ihre Privilegien bedrohen. Aus dieser Einsicht zog Herbert Leuninger die Konsequenzen. Nur die Friedensbewegung ist derzeit „zukunftsträchtig in der Lage, die Frage der Flüchtlinge als Teil ihrer gesamten Weltsicht einzuordnen". Herbert Leuninger schloß sich der Hofheimer Gruppe Pax Christi an und gründete mit anderen engagierten Katholiken der Kreisstadt einen Solidaritätskreis „Asyl". Sein Leitsatz: „Denke global und handele lokal". Bischof Dr. Franz Kamphaus bat er, ihn von einem Teil seiner Tätigkeit als Ausländerreferent zu entlasten, um sich als Priester Asylbewerbern und anerkannten Flüchtlingen widmen zu können. Pfarrer Leuninger ist mittlerweile in Ausländerfragen versiert, hat eine Fülle von Informationen gespeichert und ist in Diskussionen argumentativ kaum zu schlagen. Gleichwohl will er nicht im „Expertengetto" bleiben, sondern an der Basis für die arbeiten, „deren Lobby mit am schwächsten ist". Als Asylpfarrer will Herbert
Leuninger in der kirchlichen Friedensbewegung
Pax Christi die Bildung neuer christlicher,
ökumenischer und offener Gruppen fördern,
ihre Zusammenarbeit verstärken und
ihren Einfluß auf eine allmähliche
Bewußtseinsänderung in Kirche
und Gesellschaft erhöhen. Und dabei
wird Herbert Leuninger das Anliegen der
Flüchtlinge in den Zusammenhang der
Friedensarbeit stellen. (Lesen
Sie auch das FR-Interview mit Pfarrer Leuninger
auf dieser Seite.) „Es ist schwer,
Vorurteile abzubauen" FR:
LEUNINGER: FR:
LEUNINGER: FR:: LEUNINGER:
FR:: LEUNINGER: 22. 1. 1986 FRANKFURTER RUNDSCHAU Lokal-Rundschau "Wir wollen keine Afrikaner"
Viele Asylbewerber stoßen bei der Wohnungssuche oft auf schroffe Ablehnung "Unsere Erfahrungen sind deprimierend"
Solidaritätskreis
bittet FR-Leser um Mithilfe
HOFHEIM. Almas B. fühlt sich wie auf dem Abstellgleis. Seit fast einem Jahr ist die junge Frau aus Eritrea in der Bundesrepublik als politischer Flüchtling anerkannt. Doch noch immer wohnt sie mit ihren beiden kleinen Kindern in der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in Diedenbergen. Das bedeutet Leben auf engstem Raum, ein Zimmer ohne fließendes Wasser für sie und ihre Kinder, Kochgelegenheit nur in der Gemeinschaftsküche, die Waschmaschine mit 40 anderen Bewohnern teilen. Lieber heute als morgen würde Almas B. in eine eigene Wohnung ziehen. Aber sie findet keine, obwohl die regelmäßige Mietzahlung durch das Sozialamt garantiert wäre. Ihr „Fehler": sie ist dunkelhäutig. Dabei hat die junge Frau noch Glück. Denn ihre deutschen Freunde vom "Solidaritätskreis Asyl" helfen, soviel sie können. Sie suchen in Zeitungen nach Wohnungsangeboten, telefonieren mit Vermietern und verhandeln mit Wohnungsbaugesellschaften. Ihre Erfahrungen sind freilich deprimierend. "In vier von fünf Fällen ist der Vermieter nicht mehr interessiert, wenn er hört, daß die Wohnung für Ausländer gesucht wird", berichtete Katharina Malerczyk, die im „Solidaritätskreis" mitarbeitet. "Aber auch bei denen, die sich grundsätzlich ausländerfreundlich geben, ist meist nichts mehr zu machen, wenn sie erfahren, daß es sich um Afrikaner, Mütter mit kleinen Kindern und Sozialempfänger handelt." Negisti G. kann das aus leidvoller Erfahrung nur bestätigen. Mit ihrem jetzt dreijährigen Sohn sucht sie seit fast drei Jahren vergeblich eine Wohnung, nachdem ihr Anerkennungsverfahren nur wenige Monate dauerte. Mehrfach hatte sie, die gut deutsch spricht, per Telefon schon fast Erfolg gehabt. Aber wenn sie zu Vermietern kam, hieß es: "Wir wollen keine Afrikaner." Ein Vermieter versicherte, sein Haus sei doch "kein Asylantenwohnheim", ein Hausverwalter beteuerte, er müsse „auf den Ruf des Hauses achten". Ein anderer fand, mit "nur 35 Quadratmetern" sei die Wohnung für eine Frau mit Kind doch "viel zu klein" (im Wohnheim stehen jeder Person nur sechs Quadratmeter zu). Überhaupt nicht komisch fanden die Wohnungssuchenden auch die Absage eines Vermieters, der befürchtete,„ "daß auf dem Balkon Schafe geschlachtet werden". Von den 40 Bewohnern des Diedenbergener Wohnheims hat fast die Hälfte das Anerkennungsverfahren bereits erfolgreich abgeschlossen. In Hessen dürfen auch Asylbewerber, die noch nicht anerkannt sind, privat wohnen, wenn es sich um Familien mit Kindern handelt und sie ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können oder nahe Verwandte ihnen Unterkunft gewähren. Doch für die meisten stehen diese Rechte nur auf dem Papier. So waren die Mitglieder des „Solidaritätskreises" seit 1984 erst sechsmal erfolgreich bei ihrer Wohnungssuche, und das, obwohl sie sich nicht nur im Main-Taunus-Kreis, sondern auch im Raum Frankfurt bemüht hatten. Viermal konnte Flüchtlingen aus Iran geholfen werden - bei ihnen ist es leichter, da sie als Hellhäutige „wenigstens" nicht auf rassistisch motivierte Ablehnung stoßen -, nur in zwei Fällen konnte Eritreern eine Wohnung vermittelt werden. Damit sind allerdings noch nicht alle Probleme gelöst. Wenn endlich ein Vermieter gefunden ist, der Verständnis zeigt, machen oft Nachbarn ihren neuen Mitbewohnern das Leben schwer. „Das geht bis zur offenen Diskriminierung", erzählt Christel Ivo-Moravitz, ebenfalls Mitglied im "Solidaritätskreis". "Da werden in Beschwerdebriefen absurde Beschuldigungen gegen die angeblichen ‚Wilden aus dem Busch' erhoben, oder jemand fühlt sich durch ,afrikanische Gerüche belästigt', was auch immer das heißen soll." Die Flüchtlinge, die zu Hause um ihr Leben fürchten mußten und ihre Kinder in Sicherheit bringen wollten, hatten nicht erwartet, hierzulande auf solche Ablehnung zu stoßen. Oft handelt es sich um junge Frauen, deren Ehemänner im Gefängnis sind oder in der eritreischen Befreiungsbewegung gegen die äthiopische Zentralregierung kämpfen, die sie als Besatzungsmacht ansehen. Die Flüchtlinge sind bereit, sich hier zu integrieren. Als Bewohnern der ehemaligen italienischen Kolonie Eritrea ist ihnen auch die europäische Lebensweise nicht völlig fremd. Aber wie sollen sie sich "integrieren", fragen sie sich, solange sie im Wohnheim draußen vor der Stadt leben? Der „Solidaritätskreis" hat trotz bisheriger Erfahrungen die Hoffnung noch nicht ganz aufgegeben, daß es noch Haus- und Wohnungsbesitzer gibt, die keine Vorurteile gegenüber Flüchtlingen, auch mit anderer Hautfarbe, haben. Aber private Initiativen reichen nach Ansicht der "Solidaritätskreis"-Mitglieder nicht aus, um alle Flüchtlinge mit Wohnungen zu versorgen. "Die Landesregierung muß im Rahmen ihrer Wohnungsbaupolitik und im Rahmen der Sonderprogramme für benachteiligte Bevölkerungsgruppen endlich ein spezielles Programm für die Flüchtlinge auflegen" - so lautet eine Schlußfolgerung, die der „Solidaritätskreis" aus seinen Erfahrungen zieht. Dies sei um so dringlicher, als viele neuangekommene Asylbewerber nicht in den Gemeinschaftsunterkünften untergebracht werden könnten, weil zahlreiche anerkannte Flüchtlinge ihre Plätze blockierten. Das wiederum schaffe im Aufnahmelager Schwalbach große Probleme. Der „Solidaritätskreis" bittet die Leser der FR um Mithilfe bei der Wohnungssuche. Wer bereit ist, den jungen Müttern oder anderen Flüchtlingen eine Wohnung zu vermieten oder zu vermitteln, kann sich bei den Mitgliedern des "Solidaritätskreises Asyl" melden (Katharina Malerczyk, Telefon ----; Christel Ivo-Moravitz, Telefon ----). NORBERT ZONKER |