Herbert Leuninger ARCHIV MIGRATION
1987

Feindbilder
Die Ideologie des Volksfeinds
Beitrag auf dem Deutsch-Französischen Seminar
der Katholischen Friedensbewegung PAX CHRISTI
über Feindbilder am 31. August 1987 in Prüm

INHALT
gleichbleibende Grundmuster bei der Definition des "Volksfeindes": hier Türken und Flüchtlinge


1969 hat Hermann Bott in seinem Buch 'Die Volksfeindideologie' festgestellt, daß sich seit dem Ende des Ersten Weltkrieges die konkreten Vorwürfe gegen die Fremdgruppe aus den immer gleichen Stereotypien zusammensetzen. Die Fremdgruppe sei kommunistisch infiziert, weise eine überproportionale Kriminalität auf, führe eine parasitäre Lebensweise, verbreite ansteckende Krankheiten, gefährde die biologische Substanz des Volkes und entziehe dem deutschen Volksvermögen ungeheure Summen.

Die Türken

Ein Schlüsseltext der Volksfeindideologie, der die Türkenfeindlichkeit und die späteren restriktiven Regierungsmaßnahmen gegen sie legitimieren half, war ein Artikel des ehemaligen Generalsekretärs des Deutschen Roten Kreuzes, Jürgen Schilling, in „Die Zeit' vom 21.11.1980: „Die Überschwemmung der Bundesrepublik hat stattgefunden, ohne daß die Nation jemals bewusst dazu ja gesagt hat". „Die Deutsche Bevölkerung ist mit großer Mehrheit nicht bereit, sich mit Massen von Menschen häuslich einzurichten, die sie als ausgeprägt andersartig und nicht anpassungsfähig empfindet und von der sie zu spüren meint, daß ihre massenhafte Präsenz den deutschen Lebensstil nachhaltig verändern könnte". In dem Abschnitt "Die andere Welt der Türken", hält es Schilling für geboten, „die Ausländerpolitik zu differenzieren und die Integration, bzw. Assimilierung nur von solchen Volksgruppen ins Auge zu fassen, von denen aufgrund historischer Erfahrungen angenommen werden darf, daß die deutsche Bevölkerung sie letztlich annehmen wird. Ohne Umschweife bedeutet dies: Es muß die Repatriierung des größten Teils der Gastarbeiter aus den europäischen Randgebieten bzw. außereuropäischen Ländern erwogen werden. °

Ein Mannheimer Institut, offensichtlich auf Befragungen vor Wahlen spezialisiert, legte im Dezember 1983 eine Übersicht verschiedener Umfragen vor. Es kommt zu der Feststellung, „daß es in der Bundesrepublik aus der Sicht der Bevölkerung keine großen Aversionen gegen Ausländer im allgemeinen gibt, aber es gibt ein Türkenproblem." Dieser Halbsatz zählte zu den plausibelsten Vorurteilen. Gegen dieses Klischee waren und sind rationale und aufklärerische Bekundungen erwiesenermaßen machtlos. Dieses Vorurteil prägte die paranoiden, wahnhaften Vorstellungen aller Gesellschaftsschichten, aller gesellschaftlichen Gruppen, der Medien, der Wissenschaft und der Politik

Die Türken standen nicht mehr bedrohlich vor Wien, sie hatten Berlin, Frankfurt und Köln erobert. Sie beherrschten zwar noch nicht die ganze Bundesrepublik, waren aber nahe daran, die Deutschen zur Minderheit im eigenen Land werden zu lassen und dem Christentum in Europa den Garaus zu machen. Widerstand tat not. Alle Kräfte der Abwehr wurden mobilisiert: denn Millionen Türken saßen überdies bereits in der übervölkerten Türkei auf den gepackten Koffern, um die Bundesrepublik zu überschwemmen. Nahezu jede politische Maßnahme gegen sie erschien gerechtfertigt. Worum es politisch wirklich ging, war die Absicht der Bundesregierungen, der Bevölkerung die Bewältigung der Arbeitslosigkeit wenigstens an einer Stelle vorzuzeigen und die sozialen Kosten der Arbeitslosigkeit zu exportieren. .

Die Flüchtlinge

Als klassischen Text des Volksfeind. Syndroms, das sich auf die Flüchtlinge bezieht, erwähne ich die Vorschläge zum Asylrecht, die der Vorsitzende der CDU/ CSU.- Bundestagsfraktion Dr. Alfred Dregger unter dem 25.8. 1986 der Fraktion zugeleitet hat. Nachdem Dregger die "alarmierende Zunahme von Asylbewerberzahlen" und die dramatische Entwicklung der Kosten für die ausländischen Flüchtlinge erwähnt hat, geht er auf dem Hintergrund eines Berichts des Bundesinnenministeriums vom 29.7.1986 zur Asylproblematik auf die innere Sicherheit ein: "Der unkontrollierte Zustrom von Asylbewerbern führt neben den Schwierigkeiten hinsichtlich Aufnahme, Versorgung und Unterbringung zunehmend auch zu Sicherheitsproblemen. Bei einzelnen Gruppen ist die Kriminalitätsrate rd. 8-mal so hoch wie die allgemeine Ausländerkriminalität. Bei Ausländern, die über die DDR einreisen, wird in verstärktem Maße Rauschgift gefunden. Dabei kommt es zu auffälligen Konzentrationen bei Asylbewerbern aus einer Reihe bestimmter Länder." Für Dregger bedeutet das Grundrecht auf Asyl, "daß jeder Mensch der Erde mit dem Zauberwort ‚’Asyl’ sich einen mehrjährigen Aufenthalt in unserem Land sichern, kann" (In einem anderen Zusammenhang spricht er von 6 Milliarden Menschen, die auf diese Weise in die Bundesrepublik kommen könnten (Frankfurter Rundschau vom 8.9.1986).

Die Bundestagsfraktion der CDU/ CSU betrachtet unser Asylrecht als exzeptionell. "Es macht die Bundesrepublik Deutschland zum Magneten für alle Menschen der Erde, die glauben, bei uns besser leben zu können als zuhause."

Ein halbes Jahr lang war die Asylpolitik das Spitzenthema der Politik und der Medien. Für die Fixierung einer wehrlosen Minderheit als Volksfeind hat dies eine durch nichts mehr aufhebbare, verheerende Wirkung.

Die Asylbewerber werden als Sündenböcke benutzt. Damit wird von den schweren Problemen der Atomgefahren, des Wald- und Flußsterbens, der Arbeitslosigkeit, des Hungers in der Dritten Welt und der Kriegsgefahren abgelenkt. Die Gesellschaft soll ihre wirklich bedrohlichen Probleme vergessen. Deshalb dieser Wahn.