Herbert Leuninger

ARCHIV ASYL 1987

EUROPÄISCHE UND DEUTSCHE ASYLPOLITIK
DER SCHUTZWALL WIRD HÖHER

INHALT
In der Kritik an den immer restriktiveren Maßnahmen der EG-Länder kommt die Bundesrepublik besonders schlecht weg.

Anders sieht es die CDU.

Ein Schlaglicht auf die Asylpolitik wirft die 30-Minuten-Debatte vom 21. Mai im Bundestag. Zur Diskussion steht die Entschließung des Europäischen Parlaments zu den Fragen des Asylrechts vom März. Der Beschluß ist wegweisend. In eindeutiger Weise tritt das Parlament für eine insgesamt großzügigere Haltung der Mitgliedstaaten gegenüber Asylsuchenden ein.

In der Kritik an den immer restriktiveren Maßnahmen der EG-Länder kommt die Bundesrepublik besonders schlecht weg. Fortdauernde erzwungene Unterbringung in Sammelunterkünften, längerfristiges Arbeitsverbot, längere Beschränkung der Bewegungsfreiheit seien zu vermeiden, dürften jedoch sechs Monate nicht überschreiten. Andernfalls verstießen sie gegen die Menschenwürde. Die kritischen Instanzen in der Bundesrepublik fühlen sich von der EG bestärkt. Das Dokument könnte und müßte Grundlage einer neuen, europäischen Asylpolitik sein.

Anders sieht es die CDU. Ihr Debattensprecher Olderog kritisiert in ungenierter Form den Beschluß des Europäischen Parlaments. Das Dokument sei ausgesprochen einseitig. Die Kritik an der Bundesrepublik sucht Olderog mit der kühnen Behauptung zu entkräften, unter Flüchtlingen dieser Welt sei bekannt, daß sie in keinem anderen Land so gute Bedingungen fänden wie in der Bundesrepublik. Aus diesem nationaldeutschen Glauben heraus wagt es der Abgeordnete, das Europäische Parlament aufzufordern, „'das Asylrecht auf dem hohen deutschen Niveau einheitlich zu regeln."

Die SPD unterstellt der CDU, sie wolle das Grundgesetz aushebeln und habe dazu einen wunderbaren Trick ausgedacht: eine Harmonisierung des Asylrechts auf europäischer Ebene; das hieße für die SPD: ein Asylrecht auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Der Beschluß aus Brüssel liege im Gegensatz dazu „auf dem höchsten gemeinsamen Niveau“. Eine ähnliche Auffassung vertritt die FDP, für die die Entschließung ein wichtiges Dokument ist. Wer zu einer Harmonisierung des europäischen Asylrechts kommen wolle, dürfe und könne daran nicht vorbeigehen.

Für die Grünen sind die Weichen auf der EG-Ebene aber längst gestellt und zwar in einer anderen Richtung, als es das Brüsseler Parlament beschlossen hat. „Harmonisierung des Asylrechts“ sei der neue, zynische Begriff für den „Befestigungswall in Europa“ gegen Menschen, die vor Verfolgung, Repression und Elend fliehen. (An ihm hat auch der SPD-Europaabgeordnete Heinz-Oskar Vetter als Berichterstatter des Parlaments in Straßburg kräftig mitgebaut, d.Red.) Und dieser Befestigungswall solle unüberwindbar gemacht werden. Beweis hierfür: die Beschlüsse der sogenannten Trevi-Gruppe.

Hierbei handelt es sich um eine ad-hoc-Gruppe der Innen- und Justizminister der EG, die nach dem Ort des erstmaligen Zusammentreffens vor 12 Jahren benannt ist.

Sechs Wochen nach der Entschließung des Europäischen Parlaments einigt sie sich, ebenfalls in Brüssel, auf Maßnahmen, die den Zielen des Parlaments diametral zuwiderlaufen.

Hatte es in der Entschließung vom März z.B. geheißen, daß Visabestimmungen keine Fluchtmöglichkeiten verhindern und einschränken dürften, einigen sich die Minister darauf, Asylbewerber, die nicht über die erforderlichen Papiere verfügen, automatisch zurückzuschicken. Fluggesellschaften, die solche als Passagiere befördern, müssen mit Sanktionen rechnen. Zur beschleunigten Abweisung von unbefugten' Asylbewerbern wollen die EG-Länder ein vereinfachtes Verfahren anwenden. Außerdem soll die Ausreise eines abgewiesenen Bewerbers in ein anderes Mitgliedsland verhindert werden.

Eigentlich wäre der Konflikt in der EG damit vorprogrammiert. Eine ministerielle Arbeitsgruppe faßt entgegen den Forderungen und Zielen des Europäischen Parlaments und ohne dessen Anhörung wichtige Beschlüsse zur Visa- und Asylpolitik.

Brüssel steht gegen Brüssel. Europa zeigt wieder einmal sein Janusgesicht. Moral und Politik klaffen dabei soweit auseinander, daß dies nicht einmal mehr als ernster Konflikt begriffen und bearbeitet werden kann. Man lebt in der EG schizophren.

Burkhart Hirsch, innenpolitischer Sprecher der FDP, hatte in der Bundestagsdebatte reflektiert, daß der Beschluß des Europäischen Parlaments immerhin mit einer Mehrheit von Vierfünftel der Mandatsträger aller politischen Richtungen angenommen worden sei. Und dies sei nicht losgelöst von den politischen Kräften zu sehen, die sie entsandt hatten. Daran knüpft Hirsch die Hoffnung, daß sich auch in unserem Verhältnis zu den Flüchtlingen ein christliches, ein humanes, ein liberaleres Verständnis durchzusetzen beginne.

Hirsch versäumt es an dieser Stelle, konkreter zu werden und auf das Asylpapier der „Viererbande" vom Januar zu verweisen. Vier Bundestagsabgeordnete der CDU hatten im April zusammen mit dem Vorsitzenden der Jungen Union „christlich-soziale Positionen für eine rationale und ethisch verantwortbare Asylpolitik" veröffentlicht. Dies hatte innerhalb der CDU und vor allem der CSU für Aufregung und in der Öffentlichkeit für ein überwiegend zustimmendes Echo gesorgt.

Hirsch selbst bezeichnete das Papier damals als eine der wichtigsten Stellungnahmen zur Asylpolitik in den letzten Monaten. Die SPD-Bundestagsfraktion begrüßte ebenfalls den Vorstoß der CDU-Kollegen und sah sich in der Zielsetzung eins mit ihnen. Ein Aufstand des Gewissens innerhalb der CDU! Das Interesse an diesem Papier war überraschend groß. Mehr als 5.000 Exemplare wurden angefordert. Wichtiger noch: die Diskussion im Lager der CDU und ihr nahestehender kirchlicher Kreise kam in Gang.

Das Papier ist kein Signal für eine Wende in der Asylpolitik. Eine kurzfristige Umstimmung in der CDU ist sicher nicht zu erwarten. Ob es dort längerfristige Auswirkungen hat, hängt sicher von der Funktion der in der CDU und CSU umstrittenen Strategie Geißlers ab, neue Wähler nicht rechts, sondern eher links der Mitte anzusprechen.

Inzwischen läuft alles aber noch in den Gleisen, die längst eingefahren sind und mit europäischen Schwellen unterlegt wurden. Restriktionen, koste es humanitär, was es wolle! Dies bedeutet nach wie vor:

1. Menschen mit allen Mitteln daran zu hindern, überhaupt in die Bundesrepublik zu gelangen.

2. Asylbewerbern, die es dennoch geschafft haben, die Bundesrepublik zu erreichen, möglichst die Anerkennung als Flüchtlinge zu versagen.

3. Die Lebensbedingungen der Asylbewerber weiter zu verschlechtern. (Ein besonderes Gesetz soll es Ländern und Kommunen gestatten, für Flüchtlinge den Sozialhilfesatz deutlich zu unterschreiten.)

4. Abgelehnte Asylbewerber verstärkt auch in Krisen- und Kriegsgebiete abzuschieben.

Der Widerstand gegen diese Asylpolitik und -praxis ist, wenn auch noch nicht mehrheitsfähig, beachtlich. Die Solidarisierung mit den Flüchtlingen wächst. Hunderte Initiativen sind entstanden. Dabei kommt es zu einer Kooperation von Organisationen und Gruppen über alle ideologischen Gräben hinweg wie nicht einmal in der Friedensbewegung. In dieser allerdings wächst das Bewußtsein, daß der Schutz der Flüchtlinge integraler Bestandteil eines umfassenden Engagements für den Frieden ist

veröffentlicht in:
SOZIAL EXTRA
Magazin für soziale Arbeit
September 1987, S.27