Das Grundrecht auf Asyl als Menschenrecht
Zur Geschichte seines Aus- und Abbaus
Artikel
für eine Publikation von WEED: World Economy,
Ecology & Development (Weltwirtschaft,
Ökologie & Entwicklung). Weed ist eine nichtstaatliche
Organisation aus Deutschland, die 1990
gegründet wurde und sich seitdem für eine
aus ihrer Sicht sozial gerechte und ökologisch
zukunftsfähig gestaltete Globalisierung
einsetzt.
Eine übersehene Aufgabe
Das Grundrecht auf Asyl, wie es ursprünglich
als Art. 16 in die Verfassung der
Bundesrepublik Deutschland aufgenommen
wurde, steht in einem ganz bestimmten
rechtsgeschichtlichen Zusammenhang
mit der Entwicklung des Menschenrechtskanons.
Sich dies zu vergegenwärtigen,
heißt die besondere Bedeutung
des deutschen Asylrechts innerhalb
des Rahmens der gesamten Menschenrechtsdebatte
und dabei des Menschenrechs auf
Asyl zu erkennen und zu würdigen.
Dabei soll der Frage nachgegangen
werden, inwieweit die menschenrechtliche
Dimension des Grundrechts auf Asyl
einen Fortschritt in der internationalen
Rechtsentwicklung bedeutet hat
und was sich durch das neue deutsche
Asylrecht daran geändert haben
könnte.
Die Frage nach den menschenrechtlichen Implikationen hat bei
der Diskussion um die 1993 erfolgte Änderung des Asylrechts
keine - zumindest keine in der Öffentlichkeit wahrnehmbare
- Rolle gespielt. Zwar hat es immer wieder den Bezug auf die
Entstehung dieses Grundrechts im Rahmen der prinzipiellen Debatten
im Parlamentarischen Rat gegeben, nicht aber den Versuch das Asylrecht
als Menschenrecht zu verstehen und und jeder Diskussion darüber
eine Verantwortung für die Fundierung der Menschenrechte
zuzuweisen. Vielleicht wäre dabei deutlich geworden, daß
die Bundesrepublik Deutschland nicht nur vor der deutschen Vergangenheit
mit Art. 16 eine besondere Verantwortung übernommen hat,
sondern daß diese Verantwortung sehr viel weiter reicht.
Sie wäre nämlich der im Völkerrecht bisher nicht
vollzogene, aber überfällige Schritt auf eine individualrechtliche
Ausgestaltung des Asyls. Dies entspräche dem Wesensgehalt
des Asyls als Menschenrecht und wäre aus diesem Verständnis
heraus niemals in der Weise einschränkbar gewesen, wie dies
nun mit Art. 16a GG vorgenommen und vom Bundesverfassungsgericht
1996 als verfassungskonform bestätigt wurde. Vorweg gesagt:
Das neue bundesdeutsche Asylrecht ist nicht nur ein deutlicher
Rückschritt für die nationale Verfassung sondern auch
für die internationale Ausgestaltung des Menschenrechts auf
Asyl, wenigstens in dem Sinn, daß der mit der bundesdeutschen
Verfassung erreichte menschenrechtliche Standard in seinen faktischen
Auswirkungen unterschritten wurde.
Welche Folgen dies über die Europa-Ebene für die Menschenrechtsdebatten
auf internationaler oder gar auf der Ebene der Vereinten Nationen
haben könnte, ist nicht abzuschätzen, zumal sich bei
den Vereinten Nationen kaum jemand für die deutsche Auseinandersetzung
interessiert haben dürfte. Wenn das Thema international überhaupt
zur Debatte stand, dann eher im Sinne einer allgemeinen Tendenz,
den Rechtsschutz für Flüchtlinge abzubauen und zwar
bei gleichzeitigem Ausbau der Strukturen zur Versorgung anwachsender
Flüchtlingspopulationen. Man könnte auch sagen, der
Flüchtlingsschutz verliert immer mehr seine rechtliche, vor
allem seine individualrechtliche Dimension. In den Vordergrund
getreten ist gerade auch für das UN-Hochkommissariat für
Flüchtlinge (UNHCR) und andere UN-Hilfsorganisationen die
Frage, wie Fluchtbewegungen verhindert werden können, was
getan werden muß, um die weltweit wachsende Flüchtlingspopulation
mit dem Nötigsten zum Überleben zu versorgen und wie
sich möglichst viele Flüchtlinge wieder repatriieren
lassen.
Vom Menschenrecht zum Recht auf Asyl
Das internationale Asylrecht hat in der Vergangenheit bedeutsame
Veränderungen erfahren. Die moderne Asylgewährung galt
von ihrem ursprünglichen Verständnis her und diese Vorstellung
ist immer noch die vorherrschende, als Recht des Staates. Sie
gehört zu seinen Souveränitätsrechten, die er im
Rahmen seiner staatlichen Gesetzgebung oder zwischenstaatlicher
Abkommen ausübt. Der Asylsuchende hat keinen Rechtsanspruch
auf die Gewährung des Asyls. Mittlerweile - und das hängt
sicher mit dem emanzipatorischen Trend der Individualisierung
zusammen, geht es aber längst darum, das Asylrecht als Individualrecht
auszugestalten. Damit ändert sich das Asylrecht vom Recht
des Staates Asyl zu gewähren zu einer Pflicht, Menschen als
Flüchtlinge an- und aufzunehmen.
Der Staats- und Völkerrechtler Otto Kimminich hat diese Entwicklung
bereits Anfang der 70er Jahre nachgezeichnet als einen Prozeß,
der innerhalb der Vereinten Nationen und der internationalen Rechtsgemeinschaft
auf halbem Weg stecken geblieben sei. In diesem Prozeß habe
Deutschland und sein Asylrecht eine bemerkenswerte Rolle gespielt.
(Grafik/Folie/Animation:
Das Menschenrecht auf Asyl
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Für diese Bewertung setzt Kimminich bei der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte vom 10.12. 1948 an, die in Art. 14 den bedeutsamen
Passus über das Asylrecht: "Jeder Mensch hat das Recht,
in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen"
enthält. Aus dieser klaren Formulierung läßt
sich für ihn aber bedauerlicherweise keine Rechtspflicht
des Staates zur Asylgewährung ableiten. Dies sei einhellige
Meinung der Völkerrechtler.
Um dies zu verstehen, ist die Entstehungsgeschichte des Abs.1
wichtig. Im Vorfeld der endgültigen Abstimmung wurde um die
entsprechenden Formulierungen hart gerungen. So gab es den Formulierungsvorschlag:
"Jeder Mensch hat das Recht, in anderen Ländern Asyl
vor Verfolgung zu suchen, und es kann jedermann gewährt werden."
bis zu dem Vorschlag, daß jeder Mensch das Recht hat "in
anderen Ländern Asyl vor Verfolgung zu suchen und zu erhalten".
Hier sieht Kimminich eine Bereitschaft zu einer Anerkennung eines
Individualrechts auf Asyl. Der endgültige Wortlaut spricht
aber von Asyl "genießen". Das aber bedeute wohl
nur, daß ein Staat - ohne Rechtspflicht - Asyl gewähren
kann und daß dies von anderen Staaten zu respektieren ist.
Damit bedeutet nach Kimminich Art. 14 der Allgmeinen Erklärung
der Menschenrechte keinen Fortschritt in der Geschichte des Asylrechts.
Der amerikanische Völkerrechtler Stoessinger hat Art. 14
sogar als einen "unnützen und unwürdigen Artikel"
bezeichnet. Nun hat die Allgemeine Menschenrechtsdeklaration ohnehin
nur empfehlenden Charakter und entfaltet keine Rechtswirkung.
Die wäre nur bei einer Verankerung in multilateralen Konventionen
eingetreten.
Dies geschah u.a. mit der Genfer Flüchtlingskonvention von
1951. Sie enthält neben einer Definition des politischen
Flüchtlings genaue Bestimmungen über den Rechtsstatus
der Flüchtlings in den Aufnahmeländern, also über
die Ausgestaltung eines bereits gewährten Asyls, sagt aber
nichts darüber aus, ob die Staaten verpflichtet sind, Asyl
zu gewähren bzw. ob der einzelne politisch Verfolgte ein
Recht auf Asylgewährung hat. Wichtigste Festlegung für
die Signatar-Staaten ist das sogenannte Non-Refoulement-Gebot,
d.h. das Verbot einen Flüchtling in sein mögliches Verfolgerland
zurückzuschicken. Daß hiermit ein bedeutsamer rechtlicher
Flüchtlingsschutz verbunden ist, belegt mehrhundertausendfach
das Schicksal von Flüchtlingen, die nach der Genfer Flüchtlingskonvention
den Status eines politischen Flüchtlings erhalten haben.
Auch die Asylrechtserklärung der Vereinten Nationen vom 14.
Dezember 1967, die wiederum empfehlenden Charakter hat, enthält
keine Feststellung über das individuelle Recht eines Flüchtlings
auf Asylgewährung, auch keinen Hinweis auf eine Pflicht des
Staates zur Asylgewährung.
Die Europäische Menschenrechtskonvention vom 11.11. 1950
schließlich verzichtet sogar auf die Erwähnung des
Asylrechts.
Südamerikanische Staaten und Staaten der früheren Ostblockländer
hatten die Anerkennung eines individuellen Rechts auf Asyl in
ihren Verfassungen. Im Unterschied zum Grundgesetz der Bundesrepublik
Deutschland schränkten sie dieses Recht aber auf bestimmte
Gruppen ein. Die Verfassung der Bundesrepublik ist demnach die
einzige Verfassung, die ein "qualifikationsloses Asylrecht
im subjektiven Sinn" gewährt.
Das Grundrecht auf Asyl - ein Fortschritt
"Politisch Verfolgte genießen Asylrecht", so lautete
lapidar Artikel 16, Absatz 2, Satz 2 Grundgesetz und räumte
damit dem staatlichen Schutz des Flüchtlings Verfassungsrang
ein und zwar im Sinne eines individuellen, gerichtlich einklagbaren
Grundrechts. Der Artikel wurde ohne Einschränkung, vor allem
auch ohne einen gesetzlichen Vorbehalt in unsere Verfassung aufgenommen
und zwar in den zentralen, über jede tagespolitische Veränderung
erhabenen Grundrechtsteil.
Das Grundgesetz geht im Unterschied zur Weimarer Verfassung von
vorgegebenen Menschenrechten aus. Diese werden ihrer Natur nach
nicht eingeräumt oder großzügig zugestanden, sondern
sie können im Prinzip nur deklariert , d.h. in feierlicher
Form erklärt werden. Sie gelten unabhängig von jeder
Gesetzgebung, normieren diese vielmehr. Während der Weimarer
Zeit galten Grundrechte nur nach Maßgabe der Gesetze. Das
Grundgesetz hat demgegenüber einen fundamental anderen Ansatz:
Alle Gesetze gelten nur nach Maßgabe der Grundrechte.
Der Zusammenbruch der Rechtsstaatlichkeit, jeglicher Humanität
und einer menschenwürdigen Ordnung im Hitler-Deutschland
hat dem Gedanken der Menschenrechte und einer zeitgemäßen
Kodifizierung einen mächtigen Auftrieb gegeben. Dabei darf
nicht vergessen werden, daß es eine jahrhundertelange Geschichte
der Menschenrechte gibt oder besser gesagt der Erkenntnis des
Wesens der Menschenrechte, ihrer Deklarierung und vor allem ihrer
juristischen und politischen Durchsetzung.
Dabei spielen menschliche Katastrophen und Erfahrungen der Verachtung
des Menschen und seiner Würde in konkreten gesellschaftlichen
und politischen Situationen eine maßgebliche Rolle. Die
Menschenrechte fallen nicht als formulierter Kanon vom Himmel
und sind auch nicht Bestandteil eines kollektiven Menschheitsgewissens.
Sie müssen wohl erst durch massenhaft erlittenes Unrecht
ins Bewußtsein der Öffentlichkeit gehoben und unter
größten geistigen Anstrengungen im politisch-rechtlichen
Horizont verankert werden. Es handelt sich u.U. um Entwicklungen
aus regionalen Erfahrungen heraus, die eine weltweite Dynamik
auslösen. So könnte dies auch für das Menschenrecht
auf Asyl mit seiner langen Geschichte gesehen werden. Hierbei
wäre dem Nachkriegsdeutschland eine historische Aufgabe zugefallen,
die es sich nicht aussuchen und der es sich auch nicht entziehen
konnte. Es ist also absolut keine deutsche Anmaßung, das
Grundrecht auf Asyl im Vorgriff auf Konsequenzen in der internationalen
Rechtsgemeinschaft zu formulieren und einzufordern. Dies ließe
sich sogar als eine von der Geschichte und der Menschheit aufgegebene
Verpflichtung verstehen.
Grafik/Folie/Animation:
Die
Universalität der Menschenrechte
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Die Eltern des Grundgesetzes haben mit Artikel 16 GG eine spezifische
Konsequenz aus der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft
ziehen wollen. Es war eine Art Dank an die Völkergemeinschaft
für die Aufnahme von 800.000 Flüchtlingen aus Hitlerdeutschland,
aber auch eine Selbstverpflichtung dazu, keinesfalls, wie in Tausenden
anderen Fällen in der Nazi-Zeit auch geschehen, Flüchtlinge
aus Deutschland an der Grenze abzuweisen. Indirekt aber nicht
minder deutlich war dieser Artikel auch eine eindeutige und
als endgültig verstandene Absage an Diktatur, Diskriminierung,
Folter, Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung von Menschen in
Deutschland , schließlich ein nachhaltiger Protest gegen
jedwede Gewaltherrschaft, wo in der Welt sie künftig auch
ausgeübt werden sollte.
Man kann ohne Übertreibung, erst recht ohne nationale Überheblichkeit
sagen, die Bundesrepublik habe damals mit diesem Artikel über
alle geltenden Menschenrechtskonventionen hinaus einen neuen Standard
gesetzt, indem sie einzelne Menschen, ohne kategoriale Unterschiede
zu machen, nicht nur als Flüchtlinge aufnimmt und schützt,
sondern ihre Aufnahme zu einem Recht ausgestaltet, das mit allen
Rechtsweggarantien, die ein heutiger Rechtsstaat seinen Bürgern
gewährt, versehen ist.
Das neue Asylrecht - ein Rückschritt
Der bewußte Schritt zurück
Am Tage der Grundgesetzänderung, dem 26. Mai 1993 wies der
CDU/CSU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble im Deutschen
Bundestag darauf hin, daß die Verfassungsänderung wichtig
sei für den Erhalt des inneren Friedens und daß ohne
eine "Ergänzung" des Grundgesetzes eine zureichende
Steuerungsmöglichkeit (für die Aufnahme von Asylbewerbern)
nicht gebe. In den vergangenen anderthalb Jahrzehnten sei alles
versucht worden, was ohne Änderung des Grundgesetzes möglich
war. "Wir haben die Asylgesetze, die Asylverfahrensgesetze,
ein dutzendmal verändert, Verfahren beschleunigt, Arbeitsverbote
eingeführt und wieder abgeschafft - es hat am Ende alles
nicht genützt." Den rechtlichen Grund dafür, daß
bis zum heutigen Tag zwei Drittel aller Asylbewerber, die nach
Europa kommen, in die Bundesrepublik Deutschland kämen, sieht
Schäuble darin, "daß unser Grundgesetz in Art.
16 seiner noch geltenden Fassung einen weiterreichenden Schutz
für politisch Verfolgte bietet als die Genfer Flüchtlingskonvention".
Der CDU-Politiker ist sich durchaus über die Besonderheit
des Grundrechts auf Asyl im Vergleich zu anderen Staaten und zur
Genfer Flüchtlingskonvention bewußt, indem er sagt,
daß Deutschland in seiner verfassungsrechtlichen Schutzgewähr
über die Schutzgewähr der Genfer Konvention hinausgehe
und es keine zweite Verfassung auf dieser Erde gäbe, die
dies tue. Dabei unterläßt er es aber zu erwähnen,
daß es andere, kleinere europäische Staaten gibt, die
in der Aufnahme und Anerkennungspraxis nicht minder, wenn nicht
sogar großzügiger waren.
Die Singularität Deutschlands hinsichtlich des Asylrechts
liegt auf einer anderen Ebene, als sie politisch gemeinhin diskutiert
wurde und hängt nicht mit einer größeren Liberalität
sondern mit dem individualrechtlichen Konzept der Asylgewährung
zusammen. Das führte, wie die Erfahrung zeigte, nicht notwendig
zu höheren Anerkennungsquoten im Vergleich zu anderen Ländern,
sondern eher zu einer restriktiven Praxis in der Asylgewährung.
Für Schäuble gilt es, die (wie auch immer zu verstehende)
"Singularisierung der Bundesrepublik Deutschland" zu
beseitigen. D.h. der grundrechtliche Schutz für politisch
Verfolgte muß "an das Niveau der Schutzgewähr
der internationalen Staatengemeinschaft, wie es in der Genfer
Konvention seinen Ausdruck findet", angepaßt werden.
In seiner Rede verwendet er den diesen in diesem Zusammenhang
gern gebrauchten, aber völlig unangebrachten und der geschichtlichen
deutschen Verantwortung nicht gerecht werdenden Satz, "daß
auch in der Asylpolitik am deutschen Wesen die Welt nicht genesen
sollte".
In Europa gab es seit langem eine gegenläufige Tendenz. Während
das Europäische Parlament eine insgesamt großzügigere
Haltung der Mitgliedsstaaten gegenüber Asylsuchenden fordert,
geschieht in den Verhandlungen und Abmachungen der Mitglieder
der Europäischen Union genau das Gegenteil. Seit Mitte der
80er Jahre taucht vermehrt das Argument der Notwendigkeit einer
"europäischen Harmonisierung" in der bundesdeutschen
Asyldiskussion auf. Dabei steht eine Abwehrhaltung und Rechtsverschlechterung
im Vordergrund.
So wird immer wieder die Befürchtung geäußert,
die Bundesrepublik werde nach Aufhebung der Binnengrenzkontrollen
bei geltender Rechts- und Verfassungslage zum "Reserve-Asylland"
Europas. Wer anderswo abgelehnt worden sei, käme dann einfach
in die Bundesrepublik, um hier ein neues Asylbegehren vorzubringen.
Abwehr steckt auch hinter dem Argument, das in der Bundesrepublik
grundgesetzlich gewährte Asylrecht sei ein Hemmschuh für
die angestrebte Harmonisierung in Europa. Die europäischen
Partnerstaaten würden es nicht hinnehmen, daß die Bundesrepublik
mit ihrem "liberalsten Asylrecht aller EG-Staaten" zum
Einfallstor für unkontrollierte Einwanderungsbewegungen würde.
Seit dem 1.Juli 1993 ist das neue Asylrecht in Kraft. Dazu wurden
mit einer Zweidrittelmehrheit des Bundestages die Verfassung
geändert und mit einfacher Mehrheit Begleitgesetze verabschiedet.
Hierbei handelt es sich um die Novellierung des Ausländer-
und Asylverfahrensgesetzes und um die Schaffung eines neuen Gesetzes,
das die sozialen Leistungen für Asylbewerber regelt und am
1.November 1993 in Kraft getreten ist.
Die Einschränkung des Grundrechts auf Asyl durch den neuen
Artikel 16a stellt eine weitgehende Aufkündigung des Status
eines Flüchtlings als Rechtssubjekt dar. Flüchtlinge
werden künftig wieder stärker Objekte des Staates. Der
Staat will der Tendenz nach in eigener Machtvollkommenheit darüber
entscheiden, welche und wieviele Flüchtlinge er aufnimmt
und wie er sie behandelt. Die wichtigste und einschneidendste
Änderung ist neben allen verfahrensrechtlichen Einschränkungen
die der Einführung der sogenannten "sicheren Drittstaaten".
Diese Änderung und gerade auch die besonders ausgebaute Grenzüberwachung
an der Oder-Neiße-Linie haben zu einem drastischen Rückgang
der Asylbewerberzahlen um mehr als zwei Drittel geführt.
Art. 16 a II schließt aus dem Wortlaut nach erhaltenen
Grundrechtsschutz des Art. 16 a I alle Flüchtlinge aus, die
auf dem Landwege über ein Nachbarland einreisen. Sie werden
zu "sicheren Drittländern" erklärt, in denen
ein politischer Flüchtling per definitionem ausreichenden
Schutz genießt. Reguläre Chancen auf ein Verfahren
hat nur noch, wer über See oder auf dem Luftweg in die Bundesrepublik
kommt oder im Rahmen des Schengener-Zusatzabkommens unter die
Zuständigkeit der Bundesrepublik fällt. Dabei darf
er den Boden eines sicheren Drittlandes nicht berührt haben.
Sogenannte sichere Drittstaaten sind alle EU-Staaten, die skandinavischen
Länder, Österreich, die Schweiz, Polen und die Tschechische
Republik.
"Der Verfassung gemäß"
Das Bundesverfassungsgericht hat am 14. Mai 1996 seine lange erwarteten
Grundsatzurteile zum neuen Asylrecht verkündet und sieht
"durch die Reform (!) des Asylrechts im Jahre 1993 in Art.
16a Abs. 1 GG die Garantie eines Grundrechts auf Asyl für
politisch Verfolgte aufrechterhalten und gleichzeitig mit Art.
16a Abs. 5 GG eine Grundlage geschaffen, um durch völkerrechtliche
Vereinbarungen eine europäische Gesamtregelung der Schutzgewährung
für Flüchtlinge mit dem Ziel einer Lastenverteilung
zwischen den beteiligten Staaten zu erreichen".
Der Zweite Senat stellte des Weiteren fest, daß die Neuregelung
des Grundrechts auf Asyl sich in den einer Änderung der Verfassung
gezogenen Grenzen der Unabänderlichkeitsgarantie des Art.
79 Abs. 3 GG halte. Innerhalb dieser Grenzen stünden auch
Grundrechte zur Disposition des verfassungsändernden Gesetzgebers,
der dem Bundesverfassungsgericht den Maßstab vorgebe. Nach
der Verfassung gehöre das Asylgrundrecht nicht zum Gewährungsinhalt
des Art. 1 Abs. 1 GG (Achtung und Schutz der Menschenwürde).
Das Bundesverfassungsgericht vertritt die Auffassung, daß
der verfassungsändernde Gesetzgeber nicht gehindert ist,
das Asylgrundrecht als solches aufzuheben. Daraus ergibt sich
für das Gericht ohne weiteres, daß die Regelungen des
Art. 16a GG den persönlichen Geltungsbereich des Grundrechts
zurücknehmen, den verfahrensbezogenen Gewährleistungsinhalt
beschränken und die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 umgestalten
und daß sich dies innerhalb der Grenzen einer zulässigen
Verfassungsänderung hält.
Wichtig ist unter unserer Fragestellung, daß das Bundesverfassungsgericht
in wünschenswerter Klarheit die deutlichen und gravierenden
Rechtsverschlechterungen benennt, die hinsichtlich des Grundrechts
auf Asyl durch das neue Asylrecht eingetreten sind. Sie bedeuten
nicht nur verfassungsrechtlich einen kaum zu überbietenden
Einschnitt auf nationaler Ebene, sondern auch ein deutliches,
aber nicht reflektiertes Ausscheren aus dem Bemühen, Menschenrechte
als unabänderlich in den nationalstaatlichen Verfassungen
zu verankern. Für das Bundesverfassungsgericht ebenso wie für den Bundestag hat das politische Ziel einer
innereuropäischen Lastenverteilung im Vordergrund gestanden,
wenn es darum ging, die Rechtsverschlechterungen zu legitimieren.
Der Rechtsexperte Victor Pfaff hat es in einer Stellungnahme zu
den Asyl-Grundsatzurteilen des Bundesverfassungsgericht
vom 14.5.1996 so formuliert:
"Der Gesetzgeber hat das Asylrecht und die Flüchtlingsaufnahme
von Rechts wegen so gut wie beseitigt. Er will tabula rasa machen
und ist zur Flüchtlingsaufnahme erst im Rahmen einer gesamteuropäischen
Regelung und Lastenverteilung bereit; inzwischen darf auf den
Einzelfall keine Rücksicht genommen werden. Die Last, Flüchtlinge
aufzunehmen, wird solange abgewälzt, bis sie planmäßig
verteilt werden kann".
Vielleicht ist es noch weit schlimmer, daß es nämlich
darum geht, die Lasten, die aus dem Menschenrecht auf Asyl erwachsen,
für alle europäischen Aufnahmeländer zu minimieren.
Die berechtigte Frage einer innereuropäischen Verteilung
oder Quotierung aufzunehmender Flüchtlinge, kann aber kein
ausreichender Grund sein, in die Substanz des Asylrechts einzugreifen.
Diese Form der Entlastung führt nur dazu, daß die Belastung
für die Flüchtlinge, die keinen ausreichenden Asylschutz
mehr finden unerträglich erhöht wird. Das hat dann
kaum noch etwas mit einer menschenrechtlichen Denk- und Handlungsweise
zu tun, für die es nach wie vor darum gehen müßte,
Schutz auch und gerade unter veränderten Rahmenbedingungen
zu garantieren.
Entrechtung im Umfeld
Im Schatten der asylpolitischen Diskussion ist am 26.Mai 1993
als eines der Begleitgesetze das sogenannte Asylbewerberleistungsgesetz hat
verabschiedet worden. Es dürfte in seinem menschenrechltichen
Kontext völlig unterbewertet worden sein, zumal die dort
getroffenen Regelungen verfassungsrechtlich gesehen in die Zuständigkeit
des einfachen Gesetzgebers fallen und sie auf den ersten Blick
kein menschenrechtliches Tabu verletzen. Während bisher
die Leistungen der Sozialhilfe für die Asylbewerber durch
das Bundessozialhilfegesetz (BSHG) geregelt waren, wird nun für
diesen Personenkreis ein eigenes Gesetz geschaffen. Dabei ist
eine deutliche Absenkung der bisherigen Leistungen für Asylbewerber
vorgesehen, die im Regelfall als Sachleistungen zu erbringen sind.
Das BSHG ist seinerzeit geschaffen worden, um allen Menschen,
die in der Bundesrepublik leben, die Führung eines Lebens
zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht.
Die Sozialhilfe ist eine staatliche Leistung, auf die Menschen
in Not einen Anspruch haben, die sich nicht selbst aus eigener
Kraft und eigenen Mitteln helfen können. Artikel 1 des Grundgesetzes
verpflichtet den Staat zur Wahrung und zum Schutz der Menschenwürde.
Der Standard des Menschenwürdigen darf nicht unterschritten
werden.
Im Nationalsozialismus wurde der gerade auch in der Weimarer Demokratie
universalistisch verstandene Sozialbürger durch den Volksgenossen
ersetzt. Ihm entsprach eine Umpolung des Leistungssystems vom
Bürger zum "Volksgenossen". Diesem stand der "Gemeinschaftsfremde"
gegenüber, der aus den sozialen Leistungen ausgegrenzt wurde.
Das Nachkriegs-Deutschland hat sich mit seiner Verfassung und
Sozialgesetzgebung von diesen Tendenzen eindeutig abgesetzt und
an die bedeutsame sozialpolitische Entwicklung v o r Hitler angeknüpft.
Das jetzige Asylbewerberleistungsgesetz verläßt diesen
Weg, indem es eine bestimmte Gruppe aus der allgemeinen sozialrechtlichen
Versorgung ausgrenzt und zwar zum Zwecke der Abschreckung und
der Kostenersparnis.
Hinter die Genfer Flüchtlingskonvention
Wenn es berechtigt war, den bisherigen Flüchtlingsschutz
des Grundgesetzes als eine Fortentwicklung der Genfer Flüchtlingskonvention
anzusehen, ist das neue Asylrecht einen großen Schritt zurückgegangen.
Es ist sogar, wie Victor Pfaff im Rahmen seiner Analyse der
Bundesverfassungsgerichtsurteile vom 14.Mai 1996 darlegt, hinter
die Flüchtlingskonvention zurückgegangen.
Dabei geht es um die Qualität der Asylverfahren in dem "sicheren"
Drittstaat, in das ein Flüchtling, der dieses berührt
hat, zurückgeschickt werden kann. Hier sieht Pfaff Standards
unterschritten, die sich u.a. aus dem Beschluß Nummer 8
des Exekutivkomitees für das Programm des UNHCR aus dem Jahre
1977 ergeben. In diesem Beschluß ist festgelegt: Es sollte
möglichst eine einzige zentrale Behörde für die
Behandlung und Entscheidung in erster Instanz zuständig sein;
Kontaktaufnahme mit einem Vertreter von UNHCR sollte ermöglicht
werden; dem Antragsteller sollten die nötigen Hilfen zur
Verfügung gestellt werden, inklusive Dienste eines sachkundigen
Dolmetschers; es sollte eine Rekursmöglichkeit entweder bei
einer Verwaltungsbehörde oder bei einem Gericht eingeräumt
werden; es sollte ein vorläufiges Bleiberecht eingeräumt
werden, es sei denn, der Antrag sei ,,eindeutig mißbräuchlich".
Die rund 40 Staaten - unter ihnen die Bundesrepublik- , die diesen
Beschluß einstimmig gefaßt hatten, waren der Auffassung,
daß das Non-Refoulement-Gebot, das Verbot der Zurückweisung
eines Flüchtlings in seinen möglichen Verfolgerstaat,
ein Minimum an Verfahrensgarantien erfordert. Das Bundesverfassungsgericht
setzt sich darüber hinweg mit dem Hinweis, diese Beschlüsse
seien völkerrechtlich nicht verbindlich (Seite 60 der UA).
Es genüge ,,ein in irgendeiner Weise formalisiertes Verfahren",
in dem geprüft werde, ob die Abschiebung das Refoulement-Verbot
verletze. Pfaff: "Nach Meinung des Gerichtes kann also der
Mindeststandard unterschritten werden und doch gilt der Drittstaat
als ein sicherer".
Seine Bewertung im Hinblick auf die Genfer Flüchtlingskonvention
lautet: "Der Gesetzgeber und ihm folgend das Bundesverfassungsgericht
haben eine Regelung beschlossen bzw. bestätigt, die den Grundsatz
des Refoulement-Verbotes, somit das Herzstück des völkervertraglichen
Flüchtlingsschutzes durchbricht. Die Bundesrepublik Deutschland
ist damit in bestimmter Hinsicht Vorreiter beim Ausstieg aus dem
humanitären Völkervertragsrecht."
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