Herbert Leuninger ARCHIV BIOGRAFIE
2008

DER SONNTAG
Kirchenzeitung für das Bistum Limburg
Nummer 49, 7. Dezember 2008
"Ich habe bis zum Äußersten gefordert"
Herbert Leuninger: Der Querdenker und Mahner ist vor allem als Anwalt der Flüchtlinge bekannt.


Für viele ist er eine Art Legende bis und ein unbequemer Mahner der Kirche: Herbert Leuninger. Der 76-Jährige ist einer der 13 Seelsorger im Bistum Limburg, die am 8. Dezember Priesterjubiläum feiern. Leuninger wurde vor 50 Jahren geweiht.

Herbert Leuninger ist ein Mann mit Visionen, ein Mann der Tat. Viele Jahre lang war er Referent für die Ausländerarbeit im Bistum Limburg. Er war Europareferent und Vorstandsmitglied des Europäischen Flüchtlingsrates mit Sitz in London.

Den meisten ist er als Pro-Asyl-Mitgründer, sozusagen als Anwalt der Flüchtlinge, bekannt. Aber sein Lebenswerk umfasst mehr als das: Überall, wo er wirkte, hinterließ er Spuren - vor allem in den Herzen der Menschen. Mit einem gewissen Blick in die Zukunft, mit Scharfsinn und der Fähigkeit, quer zu denken, hat Herbert Leuninger Menschen bewegt und Dinge angeschoben.

1971 machte er auf spektakuläre Weise von sich Reden: Als er als damaliger Jugendpfarrer in Hofheim eine Art kleines Woodstock veranstaltete, um für die Jugendlichen im Bezirk Main-Taunus die katholische Messe attraktiver zu gestalten - mit unkonventionellen Gesprächen, Texten, Popmusik, Tanz und einem der Urgemeinde nachempfundenen Liebesmahl. Während Zigarettenqualm über den Bänken aufstieg, servierte Vikar Leuninger den Jugendlichen nach der Kommunion Würstchen und Cola.

15 Jahre später trat er öffentlich in einen Hungerstreik, um gegen die Unterbringung von Flüchtlingen in Zelten in Schwalbach zu protestieren. Er vermutete eine Abschreckungsstrategie der Behörden. Für sein Engagement in der Flüchtlingsarbeit wurde er später mehrfach ausgezeichnet, unter anderem 1991 mit der Wilhelm-Leuschner-Medaille des Landes Hessen und 1998 mit dem Walter-Dirks-Preis.

Herbert Leuninger ist niemand, der wegschaut, sondern jemand, der sich einbringt. Ein Mann mit einer eigenen Meinung, für die er auch eintritt. Das liegt den Leuningers im Blut: Sein Onkel, Franz Leuninger, wurde im Zusammenhang mit dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 festgenommen und wenige Wochen vor Kriegsende hingerichtet. „Meine Verantwortung kann mir keiner abnehmen", sagt Herbert Leuninger, ein eher zurückhaltend wirkender, geradliniger Mann. „Ich stehe für das Ganze - als Bürger dieses Staates und als Mitglied der Kirche. Jeder ist für alle verantwortlich. Jeder ist allein verantwortlich für alle, wie Saint Exupery es einst formulierte. Und das ist meine Überzeugung." Zuweilen sei ihm diese Einstellung auch eine ziemliche Last gewesen, gesteht der 76-Jährige. Aber er habe fantastische Erfahrungen gemacht mit Menschen, die ähnlich denken wie er, habe eine tiefe Verbundenheit mit anderen erlebt - manchmal jedoch auch das Gefühl gehabt, ve, zweifeln zu müssen.

Eine der schlimmsten Stunden für ihn war 1993, als der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit das Grundrecht auf Asyl einschränkte, erzählt er. Das Gefühl, dass die Haltung gegenüber Flüchtlingen sich nicht verbessert, sondern verschlechtert hatte, sei äußerst frustrierend gewesen. „Ich betrachte Kirche als Anwalt der Minderheiten und der Menschen, die sich in der Öffentlichkeit nicht angemessen äußern können und nicht vertreten sind, vor allem der Ausländer", sagt Leuninger. Mit Blick auf die ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familien setzte er seinerzeit die Bildung eines Rates der Gemeinden von Katholiken anderer Muttersprache auf Diözesanebene durch. So erhielten die ausländischen Katholiken das Recht auf eine eigene Gemeinschaft und wurden-einbezogen in die gesamtkirchlichen Strukturen. „Die Idee war: Wir machen in der Kirche vor, was in der Gesellschaft sein sollte - eine multikulturelle Kirche für eine multikulturelle Gesellschaft", erklärt Leuninger. „Kirche ist nicht nur Anwalt. Ihr Zusammenspiel sollte für die Gesellschaft Modellcharakter haben. Wie wir miteinander umgehen, zeigt, wie Integration in einer modernen Gesellschaft funktionieren sollte. Ich habe die Kirche gefordert, bis zum Äußersten."

Sein Blick war und ist auf die Zukunft gerichtet. Dabei lebt er mit Utopien, die man eventuell schrittweise oder nicht ganz erreichen kann. „Oft habe ich gelitten, dass wir nicht schneller und weit genug nach vorn kommen", der engagierte Seelsorger.

Heute lebt Herbert Leuninger in Limburg im Kreis seiner Geschwister. Er ist als Wanderprediger tätig, wie er selbst sagt. Diese Aufgabe hat er übernommen wegen des Priestermangels. Ursprünglich habe er das nicht gewollt, aber jetzt macht er es gern, erlebt eine unglaublich positive Resonanz und findet, dass er eigentlich Gemeindepfarrer hätte bleiben sollen.

War Leuninger seiner Zeit zuweilen voraus? Auf jeden Fall hat er mit analytischem Verstand die Zeichen der Zeit erkannt und nach seinem Gewissen gehandelt. Sein 50-jähriges Priesterjubiläum feiert er übrigens nicht nur in seiner Heimat, Mengerskirchen, sondern auch mit den hier gebliebenen Flüchtlingen in Hofheim und Umgebung.

Gundula Stegemann