Herbert Leuninger

ARCHIV KIRCHE
1973

Artikel für die Weihnachtsausgabe 1973
DER SONNTAG
Kirchenzeitung für das Bistum Limburg

OB WIR BLEIBEN DÜRFEN?
Weihnachtsgedanken der Familie Antunovic

Den beiden Hausaufgabenhelfern von H. fällt beim letzten Treffen auf, daß Nikola (15) nicht bei der Sache ist. Irgendetwas scheint sie zu bedrücken. Daraufhin befragt rückt sie schließlich mit der Sprache heraus. Daheim sei nur noch die Rede davon, ob die Mutter Deutsch land bald wieder verlassen müsse. Ihre Arbeitserlaubnis laufe ab und sie befürchte, daß diese nicht verlängert werde.

Dabei ist es das erste Mal, daß die ganze Familie Antunovic Weihnachten in Deutschland feiern kann. Nikola ist nämlich erst vor deinem Jahr aus Jugoslawien gekommen. Der Vater arbeitet seit fünf Jahren in einer Maschinenfabrik. Sein großer Wunsch, die Familie bei sich zu haben, konnte aber erst nach und nach verwirklicht werden. Nikolas Bruder Stjepan lebt bereits seit drei Jahren hier, während die Mutter vor zwei Jahren nachgereist ist. Sie ist als Stationshilfe im Krankenhaus beschäftigt.

Muß jetzt die Mutter vielleicht wieder als erste in die Heimat zurückkehren? Da sie noch keine fünf Jahre in der Bundesrepublik weilt, fällt sie unter den §1 der Arbeitserlaubnisverordnung. Bei ihr wird das Arbeitsamt auf Veranlassung des Bundesarbeitsministers streng zu prüfen haben, ob die Arbeitserlaubnis erneuert werden kann. Das hängt von der Entwicklung am Arbeitsmarkt ab. Und wer weiß, wie sich dieser in der kommenden Zeit entwickelt?

Nikola besucht ihre Mutter oft auf der Inneren Station. Manchmal hilft sie auch. Am liebsten möchte sie gleich in die Krankenpflege gehen. Die Stationsschwester hat ihr aber gesagt, daß sie erst ab 17 mit der Ausbildung beginnen kann. Daher will Nikola nach der Schulentlassung noch zwei Jahre auf die Berufsfachschule gehen. Ihre Deutschkenntnisse sind nach einem Jahr erstaunlich gut. Es hat unendlich viel Mühe gekostet. Aber sie hat es genau wie ihr Bruder Stjepan geschafft.

Was aber soll mit den beiden werde, wenn die Mutter die Bundesrepublik verlassen muß? Die große Unsicherheit, verhängnisvolle Grundstimmung bei den ausländischen Arbeitnehmern, kriecht aus allen Ecken auf die Familie Antunovic zu. Jede Planung ist illusorisch geworden. Kehrt die Mutter in die Heimat zurück, werden ihr die Kinder folgen müssen. Sie werden ein weiteres Jahr ihrer Ausbildung verlieren, nachdem sie bereits hier zurückgestuft worden waren. Dabei hatten sie alles daran gesetzt sich in das deutsche Schulwesen zu integrieren - ganz im Sinne des Kultusministers.

Allerdings ist es sehr fraglich, ob Frau Antunovic ihren Arbeitsplatz wirklich verliert. Auf dem Personalbüro hat man sie beruhigt: "Putzfrauen brauchen wir immer! Und deutsche gibt es kaum." Dennoch bleibt die Unruhe. Erst jetzt wird ihr ganz bewußt, was es heißt eine Ausländerin zu sein. Als zuverlässige Arbeiterin ist sie in Deutschland äußerst willkommen. Kommt es aber zu einer Wirtschaftskrise, dann zeigt es sich kraß, daß die Deutschen in erster Linie an sich denken. Sie kann das sogar in einem gewissen Sinn verstehen, aber menschlich findet sie es nicht. Die Unterschrift eines Ministers genügt, um sie und Tausende andere ausländische Mütter um die Zukunftschancen ihrer Kinder bangen zu lassen.

Am 1. Weihnachtstag will die Familie abends den Gottesdienst im Krankenhaus besuchen. Pater Rafael aus Frankfurt, kroatischer Franziskaner, wird das Weihnachtsevangelium in kroatischer Sprache vortragen. Ob er in der Predigt einen Vergleich zieht zwischen dem Kaiser Tiberius, der statistischen Angaben zuliebe, die Menschen seines Reiches zu weiten Reisen veranlaßte und der Bundesrepublik, die nach Marktlage Menschen kommen und weggehen heißt?

(Der Artikel entstand auf dem Hintergrund einer konkreten Situation, die allerdings abgewandelt dargestellt ist.)


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