Herbert Leuninger

ARCHIV KIRCHE
1976

Rückkehrförderung
Briefwechsel mit Bundesregierung

INHALT



BISCHÖFLICHES ORDINARIAT LIMBURG
Dezernat Kirchliche Dienste
Referent für kirchliche Ausländerarbeit

6250 Limburg, 24.6.1976
Az. 3305/76/3

An den
Parlamentarischen Staatssekretär
im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
Herrn Hermann Buschfort
Postfach

5300 Bonn

Betr.: Ihre Erklärungen zur Ausländerpolitik

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Buschfort!

In Übereinstimmung und Absprache mit dem Ausländerreferenten des Bischöflichen Ordinariates Münster, Herrn Johann Rabanser, und dem Geschäftsführer des Initiativausschusses "Ausländische Mitbürger in Hessen", Herrn Detlef Lüderwaldt, wende ich mich an Sie.

Die verschiedenen Erklärungen, die Sie in letzter Zeit zur Ausländerpolitik der Bundesregierung abgegeben haben, zeigen eine schwerwiegende Tendenzwende in diesem Bereich an. Sie kommt besonders deutlich zum Ausdruck in Ihrer Presseerklärung vom 10. Juni 1976, in der die "Förderung der Rückkehrbereitschaft" vor die Maßnahmen zur sozialen Integration an die erste Stelle gerückt wird Damit legen Sie die Tendenzwende, wie sie sich bereits in den "17 Thesen zur Ausländerpolitik" niederschlägt, nämlich den Vorrang der Re-Integration vor eine Integration, aufs Neue dar.

Was mit der "Förderung der Rückkehrbereitschaft" wirklich gemeint ist, haben Sie bei anderer Gelegenheit, und zwar bei einem Interview im Südwestfunk, gesagt. Es geht um nichts anderes als um die weitere drastische Reduzierung der Zahl der ausländischen Arbeitnehmer auf 1,5 Millionen. Nachdem bereits mehr als eine halbe Million ausländischer Arbeiter während der Rezession ihren Arbeitsplatz räumen mußten, schickt sich das wirtschaftlich und sozial stabilste Land der westlichen Welt an, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln weitere 500.000 Arbeiter über die Grenzen zu schicken. Damit exportiert die Bundesrepublik Deutschland - bei wieder steigendem Warenexport - Arbeitslosigkeit und zwar in Länder, die wirtschaftlich äußerst schwach sind.

Deutlich liegt hier die Bundesrepublik auf der Linie der Ausländerpolitik von Baden-Württemberg. Die Identität der Auffassungen ist kaum mehr zu überbieten, wenn man Ihre Erklärungen mit der jüngsten Regierungserklärung von Ministerpräsident Filbinger vergleicht.  Dieser propagiert eine Rückwanderungspolitik, mit der, wie er sich ausdrückt, eine bisherige "Fehlentwicklung" korrigiert werden soll, indem eine Verringerung "der noch immer überhöhten Gastarbeiterzahl" angestrebt wird.

Wir wissen, daß es nicht um eine Verringerung der Zahl der ausländischen Arbeiter geht, sondern daß diese Politik sich gleichzeitig gegen die ausländischen Familien wendet. Der Trend, nachdem die Bundesrepublik faktisch zu einem Einwanderungsland geworden ist, soll umgekehrt werden. Dabei leben bereits mehr als eine Million ausländischer Kinder und Jugendliche hier, die entweder hier geboren wurden oder aufgewachsen sind. Auch sie werden in die Entwurzelungsstrategien einbezogen.

Hinter dieser Politik steht kein eigentlicher Fremdenhaß sondern eine kühle Kalkulation. Die völlige Eingliederung der hier lebenden ausländischen Familien wird als zu kostspielig betrachtet. Man sieht den "gesamtwirtschaftlichen Nutzen" der Ausländerbeschäftigung in Gefahr. Auch glaubt man, daß wegen der Mängel in der schulischen und beruflichen Ausbildung der ausländischen Jugendlichen größte soziale Probleme und Spannungen zu erwarten sind. Derartige Schwierigkeiten sollen nun exportiert werden.

Eine solche Politik ist überhaupt nicht mehr einzuordnen in das internationale Konzept der Arbeitsbeschaffung, zu der die Bundesrepublik entscheidend beitragen will und muß:

- Auf der jüngsten Weltbeschäftigungskonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Genf wurde das Ziel aufgestellt, bis zum Jahre 2000 mindestens 800 Millionen (!) zusätzliche Arbeitsplätze zu schaffen.

Bundesarbeitsminister Arendt hat auf dieser Konferenz erklärt, daß die Bundesrepublik bereit sei, an der Lösung der Beschäftigungsprobleme in den weniger entwickelten Ländern mitzuwirken.

- DGB-Vorsitzender Heinz Oskar Vetter hat auf dem im April dieses Jahres stattgefundenen Kongreß des Europäischen Gewerkschaftsbundes in London die Vollbeschäftigung als das prioritäre und existentielle Ziel jeder Europapolitik hingestellt und gesagt, die Gewerkschaften Europas würden sich nicht mit jenem Sockel an Arbeitslosigkeit abfinden, der angeblich unvermeidlich sei.

- Nach den. Zielvorstellungen der EG-Kommission, die in diesen Tagen hei der sogenannten Dreier-Konferenz zur Debatte stehen, soll die konjunkturelle Arbeitslosigkeit bis 1978 überwunden und die Vollbeschäftigung bis 1980 erreicht werden.

Wie Sie auf diesem Hintergrund der deutschen Öffentlichkeit eine so nationalistische  und arbeiterfeindliche Politik als Politik der Bundesregierung vorstellen können, ist unerfindlich. Ihre Erklärung in der Fragestunde des Bundestages am 3.6.1976, "daß die Eingliederung des ausländischen Bevölkerungsteils in den Arbeitsprozeß stets unter dem Vorbehalt des gesetzlichen Vorranges deutscher Arbeiter steht", rückt die von Ihnen vertretene Politik in die äußerste Nähe von so bedenklichen Wahlparolen wie "Deutsche Arbeitsplätze den deutschen Arbeitern".

Wir appellieren an Sie, die Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung an den internationalen, von dieser Regierung akzeptierten Zielvorstellungen zu orientieren und die bereits hier lebenden ausländischen Arbeiter als Teil der gesamten Arbeiterschaft, ihre hier lebenden Familien als festen Teil dieser Gesellschaft zu betrachten, und die entsprechenden politischen Entscheidungen zu treffen.

Eine Rückwanderungspolitik, wie Sie sie jetzt fordern, stellt alle lntegrationsbemühungen radikal infrage und stürzt die ausländische Bevölkerung in eine noch größere Existenzunsicherheit.

Mit freundlichen Grüßen!
Herbert Leuninger
Ausländerreferent


Bundesministerium
für Arbeit und Sozialordnung

Der Parlamentarische Staatssekretär
IIc – 24422/1

53 Bonn-Duisdorf 2. Juli 1976
Postfach
Tel.: 74-2185

Herrn
Herbert Leuninger
Referent für kirchliche Ausländerarbeit
Bischöfliches Ordinariat Limburg

6250 Limburg

 

Betr.: Förderung der Rückkehr ausländischer Arbeitnehmer
Bezug: Ihr Schreiben vom 24. Juni 1976 – 3305/76/3

Sehr geehrter Herr Leuninger!

Ich bedaure sehr, daß der Inhalt meiner 10-Punkte-Erklärung vom 10. Juni 1976 von Ihnen offensichtlich missverstanden worden ist. Ich sende sie Ihnen daher noch einmal im Wortlaut zu und nehme die Gelegenheit wahr, insbesondere zu Fragen der Rückkehr ausländischer Arbeitnehmer eingehend Stellung zu nehmen.

Mit Ihnen bin ich der Auffassung, dass eine Förderung der Rückkehr nicht unter dem Gesichtspunkt des Exports von Arbeitslosigkeit aus der Bundesrepublik Deutschland in andere Länder gesehen werden kann. Die Bundesregierung geht deshalb bei ihren Überlegungen davon aus, dass Rückkehrhilfen nur im Zusammenhang mit konkreten Programmen gewährt werden sollen, deren arbeitsmarktpolitischer Erfolg im Heimatland sichtbar wird. Hierzu zählen z.B. aus- und - Fortbildungsmaßnahmen, die auf die Übernahme einer qualifizierten Beschäftigung im Heimatland vorbereiten sollen, oder die Förderung von Arbeitnehmergesell-schaften, wie sie mit wachsendem Erfolg in der Türkei geschieht.

Ziel solcher Programme soll es gerade sein, Arbeitsplätze in den Ländern zu schaffen, in denen Arbeitskräfte zur Verfügung stehen und so einen Beitrag für den wirtschaftlichen und sozialen Aufbau dieser Staaten zu leisten. Eine solche Politik trägt sicher dem Wunsch vieler ausländischer Arbeitnehmer Rechnung, die gerne in ihre Heimat zurückkehrten , wenn es die Beschäftigungsmöglich-keiten zuließen. Eine solche Politik dient aber auch einer sozial gerechten Lösung der Beschäftigungsprobleme in Europa, besonders in den wirtschaftlich weniger entwickelten Heimatländern. Damit leistet die Bundesregierung zugleich einen Beitrag zur Vollbeschäftigung, wie sie als vorrangiges Ziel auch auf internationaler Ebene gefordert wird.

Diese Überlegungen für eine Förderung der Rückkehr müssen zugleich im Zusammenhang mit den beschäftigungspolitischen Problemen in unserem Lande gesehen werden. Im wesentlichen geht es darum, die Arbeitslosen wieder in den Arbeitsprozeß einzugliedern, für die geburtenstarken Jahrgänge und zusätzlich jährlich rd. 40.000 ausländischen Kindern Ausbildungs- und Arbeitsplätze bereitzustellen und die deutschen Aussiedler aus Polen einzugliedern. Strukturelle Prozesse werden den Arbeitsmarkt zusätzlich belasten. Eine sinnvolle Rückgliederungspolitik ist zugleich ein Beitrag für eine ausgewogene Beschäftigungspolitik.

Dessen ungeachtet wird die Bundesregierung ihre Bemühungen für eine soziale Eingliederung der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien fortsetzen. Dies habe ich auch in der von Ihnen erwähnten Presseerklärung vom 10. Juni 1976 deutlich zum Ausdruck gebracht. Die Aussage der Bundesregierung, daß sie eine Zwangsrotation der ausländischen Arbeitnehmer ablehnt, hat nach wie vor Gültigkeit.

Im übrigen würde ich mich freuen, von ihnen zu hören, ob Sie diese Auffassung oder aber die verschiedentlich vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Filbinger vorgetragenen Forderungen nach Rückkehrprämien für richtiger halten. Desgleichen wäre ich interessiert, wie Sie die Forderungen aus Kreisen der CDU und der CSU nach einer branchenbezogenen Lockerung des Anwerbestopps beurteilen.

Dem Ausländerreferenten des Bischöflichen Ordinariats Münster sowie dem Geschäftsführer des Initiativausschusses „Ausländische Mitbürger in Hessen", die sich in gleichlautenden Schreiben an mich gewandt haben, habe ich einen Abdruck dieses Antwortschreibens zugeleitet.

Mit freundlichen Grüßen
Hermann Buschfort


BISCHÖFLICHES ORDINARIAT LIMBURG
Dezernat Kirchliche Dienste
Referent für kirchliche Ausländerarbeit

6250 Limburg, 22.7.1976
Az. 3305/76/4

An den
Parlamentarischen Staatssekretär
im Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung
Herrn Hermann Buschfort
Postfach

5300 Bonn

 

Betr.: Rückgliederungspolitik für ausländische Arbeitnehmer
Bezug: Ihr Schreiben vom 2. Juli 1976 - IIc-24422/1

Sehr geehrter Herr Staatssekretär Buschfort!

In Ihrem Antwortschreiben vom 2. Juli 1976 legen Sie ausführlich die Rückgliederungspolitik der Bundesregierung für ausländische Arbeitnehmer dar.

Wer die bisherigen Bemühungen verfolgt hat, rückkehrenden ausländischen Arbeitern zu Hause Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten zu schaffen, kommt zu folgender Erkenntnis: Maßnahmen, die nicht nur einen begrenzten Erfolg haben, setzen in den Ursprungsländern der Arbeitsmigranten veränderte wirtschaftliche und politische Strukturen voraus, die - wenn überhaupt - erst längerfristig zu erwarten sind.

Daher wäre es im Interesse der ausländischen Wohnbevölkerung und ihrer Integration in unsere Gesellschaft sicher erfolgversprechender und kostensparender, Mittel für die Arbeitsplatzbeschaffung in der Bundesrepublik selbst einzusetzen. Hierfür wäre Voraussetzung der klare politische Wille zur Dauerintegration für hier lebende ausländische Arbeitnehmer und ihren Angehörigen. Noch aber herrscht wohl bei der Regierung eine ambivalente Einstellung, wie sie sich z.B. niederschlägt in "Überlegungen zu einem Modellprogramm Weiterbildung für ausländische Arbeitnehmer" des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft. Dort heißt es: "Es ist damit zu rechnen, daß in der Bundesrepublik die Zahl von 2 Mio. ausländischen Arbeitnehmern mit weiteren 2 Mio. Familienangehörigen auch in den nächsten Jahren etwa konstant bleiben dürfte. Wenn auch z.Zt. keine eindeutige Entscheidung in der Integrationsfrage möglich und sinnvoll ist, sind doch in jedem Fall vermehrte Anstrengungen erforderlich, um die Situation der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien in der Gesellschaft der Bundesrepublik zu verbessern".

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, am 4. August tagt eine Bund-Länder-Kommission, um ein umfassendes Konzept zur Ausländerbeschäftigung zu erarbeiten. Auf dem Hintergrund eines Briefes, den der Bischof von Limburg, Dr. Wilhelm Kempf, zum Pfingstfest 1976 an die Gemeinden im Bistum Limburg gerichtet hat, (s. Anlage) ist die dringliche Bitte zu verstehen, bei diesem neuen Konzept für die seit Jahren hier lebenden ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familien die Voraussetzungen für eine sichere Zukunftsplanung zu schaffen. Dazu gehörte u.a. die Möglichkeit, mit der Familie zusammenzuleben, sich für einen Verbleib in der Bundesrepublik zu entscheiden, nach Ausschöpfung des Arbeitslosengeldes auch Arbeitslosenhilfe zu erhalten, bei der Vermittlung neuer Arbeit nicht benachteiligt zu werden, auch bei längerer Arbeitslosigkeit nicht durch administrative Maßnahmen zur Ausreise gezwungen zu werden und in die Planungen und Maßnahmen zur Sicherung und Beschaffung von Arbeitsplätzen einbezogen zu werden.

Im übrigen dürfen Sie mich zu den schärfsten Kritikern aller politischen Bestrebungen rechnen, die Rückkehrprämien empfehlen oder auf die partielle bzw. totale Aufhebung des Anwerbestopps drängen.

Mit freundlichen Grüßen
Herbert Leuninger
Ausländerreferent

PS.
Vorstehende Aussagen sind gemacht in Übereinstimmung mit dem Ausländerreferenten des Bischöflichen Ordinariates Münster, Herrn Johann Rabanser und dem Geschäftsführer des Initiativausschusses „Ausländische Mitbürger in Hessen", Herrn Detlef Lüderwaldt.

Anlage


 

Bundesministerium
für Arbeit und Sozialordnung

Der Parlamentarische Staatssekretär
IIc – 24422/1

53 Bonn-Duisdorf 9. August 1976
Postfach
Tel.: 74-2185

Herrn
Herbert Leuninger
Referent für kirchliche Ausländerarbeit
Bischöfliches Ordinariat Limburg

6250 Limburg

 

Betr.: Förderung der Rückkehr ausländischer Arbeitnehmer
Bezug: Ihr Schreiben vom 22. Juli 1976 – 3305/76/4

Sehr geehrter Herr Leuninger!

Für Ihr Schreiben vom 22. Juli 1976 danke ich Ihnen.

Bei Ihren Ausführungen zur Rückgliederungspolitik lassen Sie außer acht, daß die Bemühungen der Bundesregierung im Rahmen eines entwicklungspolitischen Konzepts zu sehen sind, dessen Ziel es gerade ist, den wirtschaftlichen und sozialen Aufbau der Heimatstaaten zu fördern. Dieser Aufgabe kommt beim Bemühen um mehr wirtschaftliche Ausgewogenheit in Europa große Bedeutung zu. Durch "Dauerintegration" von Ausländern in der Bundesrepublik sind die wirtschaftlichen Probleme der Heimatstaaten nicht zu lösen, zumal ein nicht geringer Teil der hier lebenden Ausländer eine solche nicht wünscht.

Zur Frage der Integration hat die Bundesregierung in Jahreswirtschaftsbericht 1976 erklärt, daß die Bemühungen fortgesetzt werden, den in der Bundesrepublik Deutschland bereits lebenden und arbeitenden Ausländern die Eingliederung in das wirtschaftliche und gesellschaftliche Leben unseres Landes zu erleichtern. Dieser Wille kommt auch in meiner Erklärung vom 10. Juni 1976 zum Ausdruck.

Die arbeits- und sozialrechtliche Gleichbehandlung ausländischer Arbeitnehmer mit deutschen Arbeitnehmern ist in der Bundesrepublik Deutschland weitgehend verwirklicht. Ihre auf eine volle Gleichstellung hinauslaufenden Vorschläge dürften sich, sach- und systemgemäß, nur in den Fällen verwirklichen lassen, in denen die Ausländer zu einer Einbürgerung bereit sind und einem entsprechenden Antrag stattgegeben wird.

Die mit der Ausländerbeschäftigung verbundene vielschichtige Problematik wird Gegenstand der Erörterungen in der Bund-Länder-Kommission seine Ich hoffe, daß die Beratungen der Kommission dazu beitragen werden, Entscheidungen vorzubereiten, die den Interessen aller Beteiligten dienen.

Mit freundlichen Grüßen
Hermann Buschfort