Herbert Leuninger

ARCHIV KIRCHE
1977

10. November 1977
16.30 Uhr im Dompfarrsaal Frankfurt am Main
BEGRÜSSUNGSANSPRACHE
DES KATHOLISCHEN STADTDEKANS WALTER ADLHOCH

ANLÄSSLICH DES EMPFANGS DER KATHOLISCHEN FREMDSPRACHIGEN GEMEINDERÄTE UND DER ÖFFENTLICHEN EHRUNG VON FRAU ELFRIEDE LONG DURCH DEN HESSISCHEN MINISTERPRÄSIDENTEN HOLGER BÖRNER

INHALT
Der Beitrag der katholischen Kirche mit ihren fremdsprachigen Gemeinden zur Bildung einer europäischen Mentalität in Frankfurt


Sehr verehrte Frau Börner,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr verehrte Frau Long,
meine Damen und Herren!

Ich begrüße Sie herzlich und danke Ihnen dafür, daß Sie meiner Einladung zu diesem Empfang gefolgt sind. Dies ist mir eine große Ehre. Ich freue mich ganz besonders, daß Sie Herr Ministerpräsident Börner mit Ihrer Gattin ein weiteres Mal hier bei uns in Frankfurt sind.

Dieser Empfang gilt den gewählten Vertretern von fremdsprachigen Gemeinden, die ihren Amtssitz in Frankfurt haben, in der Mehrzahl aber weit über den Großraum Frankfurt hinausreichen. Es sind dies im Einzelnen:

  • Die Gemeindevertreter der beiden italienischen Gemeinden, die zusammen wenigstens 20.000 Mitglieder zählen.
  • Die Vertreter der Kroatischen Gemeinde mit etwa 13.000 Mitgliedern.
  • Es ist der spanische Gemeinderat, verantwortlich für über 10.000 Katholiken;
  • die Repräsentanten der Portugiesischen Gemeinde, die in Frankfurt über 3.500 Mitglieder hat;
  • die Tschechische Gemeinde, der in Frankfurt ca. 2.000 Mitglieder angehören;
  • die Gemeinde der ca. 1.500 französischsprechenden Katholiken;
  • die Mitglieder des Gemeinderats der Ungarischen Gemeinde, von denen 1.400 hier leben und schließlich
  • die Vertreter der Slowenischen Gemeinde mit ca. 1.200 Gemeindemitgliedern.

Diese Gemeinden, die seit vielen Jahren und sogar seit mehr als zwei Jahrzehnten hier bestehen, haben vor zwei Jahren in Parallele zu den Pfarrgemeinderäten Gremien gewählt, die mit dem Pfarrer zusammen die Verantwortung für die jeweilige Gemeinde tragen.

Damit haben die anderssprachigen Katholiken im Bistum Limburg und in Frankfurt ein Doppelwahlrecht. Im Unterschied zum politischen, auch kommunalen Bereich, verfügen die "ausländischen" Katholiken dort, wo sie wohnen, über das aktive und passive Wahlrecht für die jeweiligen Pfarrgemeinderäte. Das entspricht der Gleichberechtigung, die für die Kirche auf der ganzen Welt im Grunde selbstverständlich ist. Darüber hinaus hat der Bischof von Limburg - meines Wissens erstmalig in der Weltkirche - eine Ordnung erlassen, nach der die synodale Form kirchlicher Mitverantwortung auch in den Gemeinden der einzelnen Sprachgruppen geschaffen wird.

Diese Gemeinderäte sind dabei, sich als ein entscheidendes Moment innerkirchlicher Partnerschaft zu bewähren. So können sie auch zur Anregung und Ermutigung für den politischen und kommunalen Bereich, etwa in Frankfurt werden, um die Mitverantwortung dieses weithin ansässig gewordenen Bevölkerungsteils Schritt für Schritt zu realisieren. Das schließt auf Dauer das aktive und passive Wahlrecht - wenigstens auf kommunaler Ebene - ein. Im Augenblick heißt das, daß gemäß der Hessischen Gemeindeordnung, die zu diesem Zweck ja eigens geändert wurde, eine angemessene und effektive Mitwirkung der ausländischen Mitbürger in den städtischen Kommissionen realisiert wird. Die Kirche und die kirchlichen Wohlfahrtsverbände haben sich bereits vor der Kommunalwahl eingesetzt und verwenden sich auch weiterhin dafür, daß dies in dieser Stadt verwirklicht wird.

Frankfurt hat unter den vergleichbaren Großstädten in der Bundesrepublik mit 18,4 % den höchsten Ausländeranteil und ist damit von seiner Bevölkerung her ein internationales, ein europäisches Gemeinwesen. Gerade die hier anwesenden kirchlichen Vertreter aus Ost-, West- und Südeuropa sind ein Hinweis darauf, daß Frankfurt in seiner Zusammensetzung und Funktion die Nachkriegsgeschichte mit ihren Chancen und auch Katastrophen widerspiegelt.

Ich werde nach Kräften das meine dazu beitragen, daß sich die katholische Kirche Frankfurts der daraus erwachsenen Verantwortung gegenüber Europa immer stärker bewusst wird.

Die Erklärung der Europäischen Bischofskonferenzen vom Juni dieses Jahres "Wort zu Europa" geht davon aus, daß "das Verlangen in einer größeren, freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft zu leben, allgemein wächst". Die Bischöfe Europas fordern die Christen auf, sich für den Zusammenschluß unseres Kontinents in Wort und Tat einzusetzen; daß dabei jeder Bevormundung entsagt, die Gleichberechtigung der Länder gewahrt und die geschichtlich gewachsene Eigenständigkeit der Nationen respektiert werden muß, versteht sich von selbst.

Beziehe ich diesen Appell auf uns und auf Frankfurt, so verlangt er nichts anderes von uns als eine "Europäisierung" unserer Mentalität. Sie wird sicher gepflegt und gestärkt durch unsere Partnerschaft mit Lyon, mit Birmingham, mit Nova Huta und anderen Städten Europas. Sie wird vor allem aber gestärkt durch die Partnerschaft, die wir hier zwischen den verschiedensten Nationalitäten praktizieren. Europäisierung unserer Mentalität bedeutet in diesem Zusammenhang, daß in dieser Stadt und in dieser Kirche jeder Bevormundung anderer entsagt wird, und daß die Gleichberechtigung von Menschen verschiedenster nationaler Herkunft gewährleistet und die geschichtlich gewachsene Eigenständigkeit ethnischer Minderheiten respektiert wird, wie das Frankfurt in seinen besten Zeiten gegenüber Juden und Hugenotten bewiesen hat. Europäisierung unserer Mentalität bedeute aber auch die Fähigkeit und Bereitschaft mit allen freiheitlichen und demokratischen Kräften zusammenzuarbeiten in Frankfurt, in Hessen, in der Bundesrepublik und in Europa.

Der erfolgversprechendste Ansatz für diese Europäisierung ist sicher das Zusammenleben von Menschen, gerade aber auch von Kindern verschiedenster Sprache und Mentalität wie dies vornehmlich im Kindergarten möglich ist.

Ich bin in diesem Zusammenhang Herrn Ministerpräsidenten Börner dankbar, weil er die Bedeutung der Erziehung im Kindergarten für das Entstehen einer toleranten, internationalen und europäischen Mentalität mit aller Klarheit sieht und zum Ausdruck gebracht hat.

Ihre Ausführungen, Herr Ministerpräsident, bei dem Besuch des Katholischen Kindergartens Maria-Hilf im Dezember des vergangenen Jahres haben über Hessen hinaus Beachtung gefunden. Sie haben dabei nicht nur den entscheidenden Satz von der Förderung von ausländischen Kindern im Vorschulalter als einer sozialpolitischen Aufgabe erster Ordnung formuliert, sondern im Hinblick auf die geglückte gegenseitige Integration in dem genannten Kindergarten gesagt: "Daß Kinder unterschiedlicher Sprache, sozialer Herkunft und Kultur zusammen aufwachsen, bringt die Chance zu mehr Verständnis und mehr Respekt vor nationalen, religiösen, kulturellen und ethnischen Eigenheiten und Werten mit sich, d.h. die Chance zu mehr gegenseitiger Toleranz".

Nicht überhört haben wir in unserer Kirche Ihre beachtlichen Ausführungen in einem kürzlichen dpa-Gespräch, in dem Sie von der dringenden Konsequenz gesprochen haben, das bestehende Potential an Ausländern verschiedener Nationen, Traditionen und Religionen wirkungsvoll einzugliedern. Auch hierfür unseren Dank!

Gern habe ich Sie darum heute mit unseren anderssprachigen Gemeinderäten zusammengeführt. Aufrichtig freue ich mich, daß Sie diesen Empfang zum Anlaß nehmen, unserer verehrten, lieben Frau Long, der Leiterin des Kindergartens Maria-Hilf - und hier möchte ich Ihrer Laudatio nicht vorgreifen, das Bundesverdienstkreuz  I. Klasse zu überreichen.

(Entwurf: H.Leuninger)