Herbert Leuninger

ARCHIV KIRCHE
1977
11. März 1977
FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
- Zeitung für Frankfurt -
"Demokratisches Defizit in unserer Großstadt"
Kandidatenforum für Einführung des Wahlrechts für ausländische Mitbürger

Für mehr Beteiligung der hunderttausend ausländischen Mitbürger in. Dieser Stadt an der politischen Willensbildung durch Vertretung in den Deputationen und schließlich durch ihre Teilnahme zumindest an den Kommunalwahlen, haben sich Vertreter aller drei großen Parteien, die zur Zeit in Frankfurt Wahlkampf führen, ausgesprochen. Beim Kandidatenforum, das der Evangelische Regionalverband und der Caritas-Verband zur Einführung des Wahlrechts für Ausländer in der Italienischen Mission veranstaltet hatten, sprach Stadtverordneten-vorsteherin Frolinde Balser von einem demokratischen "Defizit in unserer Großstadt", das in absehbarer Zeit aufgearbeitet werden müsse.

Allerdings wurden verschiedene Bedenken gegen die Effizienz der Mitarbeit in Deputationen erhoben. Ulrich Keitel, CDU, warnte davor, von einer Deputation große Einflußmöglichkeit zu erwarten; Erwin Schöppner sagte für die SPD zu, daß sie nach der Wahl die Deputationen entweder effektiver gestalten oder abschaffen müsse. So schlug Frolinde Baiser auch vor, zu überlegen, oh es nicht besser sei, Projektgruppen oder Arbeitskreise für die Probleme der Ausländer zu bilden. Ziel all dieser Bemühungen müsse aber auf jeden Fall die Einführung des Wahlrechts für sie sein. Nach Meinung der Stadtverordnetenvorsteherin ist .aber nur die Forderung nach dem Wahlrecht auf Bundesebene sinnvoll, denn der Kampf für die Einführung des Wahlrechts für Frauen im Jahre 1918 habe doch gezeigt, daß sie über die Teilnahme an Kommunalwahlen nicht zu erreichen sei.

Die Kommunalwahlkandidaten und die mitdiskutierenden Ausländer waren sich aber nicht einig über den Willen zum Engagement der Ausländer. Karl-Heinz Jungmann, SPD-Kandidat, beklagte, daß die ausländischen Mitbürger viele Rechte ungenutzt ließen und daher kaum weitere Rechte erwarten könnten. Inge Sollwedel , schulpolitische Sprecherin der FDP, wies auf die Sprachprobleme hin, die die Verständigung zwischen Ausländern und Frankfurtern behinderten. Die Einführung des Wahlrechts für ausländische Mitbürger sei ohnehin nur über eine Änderung. des. Grundgesetzes möglich, erklärte Dr. Wolfgang Stammler, Kandidat der CDU.

Insgesamt herrschte unter den Kandidaten doch die. Meinung, daß die gegenseitigen Bemühungen, sich näherzukommen, weder bei der deutschen noch bei der ausländischen Bevölkerung ausreichend gewesen seien, daß also nicht nur die Ausländer mehr Engagement zeigen, sondern die Deutschen ihnen auch mehr Hilfe anbieten müßten.

Man einigte sich, nach der Kommunalwahl eine Projektgruppe aus ausländischen und deutschen Bürgern zu bilden, die Vorschläge für die weitere Integration der ausländischen Mitbürger erarbeiten soll.


Katholische Kirche Frankfurt/M.
- Bezirksamt -

Evangelische Kirche Frankfurt/M.
- Evangelischer Regionalverband -

Caritasverband Frankfurt/M.

Evangelischer Volksdienst

 

Frankfurt, den 21. 2. 1977

An die
Frankfurter Kandidaten
der CDU, SPD und FDP
für die Kommunalwahl '77

Einladung

Sehr geehrte Damen und Herren !

Zu den wichtigsten kommunalpolitischen Aufgaben, die es in Frankfurt zu bewältigen gilt, gehört die Eingliederung der Arbeiterbevölkerung nichtdeutscher Staatsangehörigkeit in die städtische Gesellschaft.

Trotz der Tatsache, daß ein Großteil dieser Bevölkerungsgruppe in Frankfurt ansässig geworden ist, darf sie sich noch immer nicht an der Kommunalwahl beteiligen. Auf Dauer ist es nicht mehr vertretbar, daß ein so großer Bevölkerungsteil von der politischen Willensbildung ausgeschlossen bleibt. Bisher ist sie darauf angewiesen, daß es in den Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden Frauen und Männer gibt, die sich mit ihren Anliegen und Interessen solidarisch fühlen und eine gemeinsame Zukunft der deutschen und nichtdeutschen Frankfurter, vor allem der Kinder und Jugendlichen, projektieren.

Ein Schritt zur politischen Selbstvertretung ist auf kommunaler Ebene die Möglichkeit, daß auch ausländische Staatsangehörige in Kommissionen bzw. Deputationen mitarbeiten können. (§ 72 HGO)

Auf diesem Hintergrund laden wir Sie zu einem

KANDIDATENFORUM
am Mittwoch, dem 9. März 1977
von 17.30 Uhr bis 20 Uhr
im Saal der Katholischen Italienischen Gemeinde, Frankfurt
(Italienische Mission) Bockenheimer Anlage 3
Telefon (0611) 550110, ein.

An dem Kandidatenforum werden deutsche und nichtdeutsche Vertreter der Kirchen und Wohlfahrtsverbände, nichtdeutscher Organisationen und Vertreter der Medien teilnehmen.

Wir möchten auf diesem Forum erfahren, wie Sie sich eine möglichst weitgehende politische Mitarbeit der nichtdeutschen Frankfurter vorstellen, und wie Sie auf diesem Gebiet vorzugehen beabsichtigen. Für uns ist dies ein entscheidender Ansatz, um gemeinsam die vorhandenen Probleme, vor allem auch der zweiten Generation zu lösen.

Wir verstehen uns in dieser Initiative als vorläufige Anwälte einer Bevölkerungsgruppe, die auf Dauer den Anspruch hat, sich selbst zu vertreten.

In der Erwartung, daß die Terminierung Ihrer Wahlveranstaltungen eine Anwesenheit auf dem Kandidatenforum zulässt, grüßen Sie freundlich

Katholische Kirche Frankfurt/M.
Stadtdekan Walter Adlhoch

Evangelischer Regionalverband Frankfurt/M
Pfarrer Ernst Schäfer

Caritasverband Frankfurt/M.
Dipl.-Volkswirt Werner Osypka

Evangelischer Volksdienst
Günter Hildebrandt