CdI:
In den letzten Monaten hat man von einem
Gesetz, das von der Bund-Länder-Kommission
vorgeschlagen wurde und vom Parlament im
Februar verabschiedet werden sollte, geredet.
Was ist mit diesem Gesetz geschehen?
Leuninger:
Es handelt sich um die Verwaltungsvorschriften zur Ausführung des Ausländergesetzes, zu denen der Bundesrat noch seine Zustimmung geben muss. Diese Zustimmung ist bereits Anfang des Jahres verschoben worden auf den März und jetzt noch einmal auf den Juni. Dies ist ein sehr bedenklicher Vorgang, weil die in der Absprache der Bund-Länder-Kommission vorgesehenen Verbesserungen des aufenthaltsrechtlichen Statut für nicht EG-Ausländer eine Verbesserung bringen könnten gegenüber dem jetzigen Zustand. Sie kann aber, solange der Bundesrat seine Zustimmung nicht gegeben hat, nicht eintreten. Warum es zu dieser Verlegung gekommen ist, ist erklärlich, weil einige Länder Änderungsanträge gestellt haben.
CdI:
Gibt es einen Unterschied zwischen der
Interpretation und der Meinung der Länder
und des Bundes. Welches ist zur Zeit die
Auffassung der Bundesregierung?
Leuninger:
Die Bundesregierung hält sich an die
Absprachen der Bund-Länder-Kommission,
soweit uns das bekannt ist. Aber die Länder
Baden-Württemberg und Bayern werten
diese Übereinkunft als zu günstig
für die Ausländer und machen
Vorschläge, die restriktiver sind.
Außerdem gibt es noch Bremen, das
in diesem Zusammenhang einen Änderungsantrag
gestellt hat, der günstiger ist.
CdI:
Günstiger als der Vorschlag der Bund-Länder-Kommission?
Leuninger:
Ja. Außerdem haben die entsprechenden,
vorbereitenden Ausschüsse des Bundesrates
auch noch Änderungsvorschläge
gemacht, die eine Verbesserung darstellen.
Hier stehen wir also wohl an einem Punkt
wo praktisch wesentliche Teile des Konzepts
wieder zur Diskussion stehen. Man wartet
die Konferenz der
Ministerpräsidenten im Mai ab; da
soll das ganze Konzept noch einmal abgestimmt
werden.
CdI:
Wie es scheint, herrschen Unstimmigkeiten
zwischen den unteren Ausschüssen und
den Spitzenpolitikern der Länder.
Weshalb?
Leuninger:
Ich kann hier nur Vermutungen äußern,
die darauf hinzielen, daß die zuständigen
Verhandlungspartner
bei den Verhandlungen zu einem Kompromiss
gedrängt wurden, der dann letztlich
von einigen Ministerpräsidenten nicht
geteilt worden ist.
CdI:
Welche Ansicht vertreten die Gewerkschaften
und Kirchen?
Leuninger:
Die Kirchen und der DGB haben in Zusammenhang mit der Sitzung am 17. März darauf gedrängt,
daß das Konzept der Bund-Länder-Kommission endlich in Kraft tritt.
CdI:
Sie akzeptieren die Vorschläge?
Leuninger:
Sie sind für die Inkraftsetzung der
Vorschläge, damit endlich eine größere
aufenthaltsrechtliche Sicherheit eintritt.
CdI:
Es gibt zwei Konzepte: "Integration" und
"Deutschland ist kein Einwanderungsland". Die
neuen Vorschriften behandeln das Problem
Integration. Steht das nicht im Widerspruch
zu dem Konzept "Deutschland ist kein Einwanderungsland"?
Leuninger:
Dieser Zwiespalt steckt in dem Konzept
und macht auch seine eigentliche Schwäche
aus. Die These, daß die Bundesrepublik
kein Einwanderungsland ist, widerspricht
den Fakten. Man möchte aber den Fakten
Rechnung tragen. Wenigstens durch eine
leichte Verbesserung der Rechtsvorschriften,
die integrationsfördernd sein können.
CdI:
Einige Politiker, wie zum Beispiel Ministerpräsident
Börner haben erkannt, daß Deutschland
faktisch ein Einwanderungsland ist. Es gibt
unterschiedliche Meinungen. Einige Politiker,
Mitglieder verschiedener Parteien wie Liberale,
Christdemokraten und Sozialdemokraten,
sind für eine konsequente Integration.
Andere nicht. Es gibt z.B. Politiker der
CDU, die diese Integration konsequent
unterstützen, während der DGB
normalerweise die Integration predigt,
behauptet, "Deutschland ist kein Einwanderungsland".
Ich sehe hier einen großen Widerspruch.
Leuninger:
Der Begriff Integration wird unterschiedlich
verwendet. "Integration" wird von den Politikern,
die gegen die Einwanderungsthese sind,
im Sinne einer Integration auf Zeit verwendet.
Die anderen, die von einem Daueraufenthalt
ausgehen, verwenden den Begriff Integration
- wie es eigentlich richtig ist - als einen
Vorgang, der auf Dauer angelegt ist.
CdI:
Können Sie erklären, weshalb
ein DGB gegen eine ständige Integration
sein kann. Gibt es Gründe dafür?
Leuninger:
Für den DGB ist die arbeitsmarktpolitische
Behandlung der Ausländerbeschäftigung
nicht in erster Linie die Integration,
sondern ein Abbau der Beschäftigungszahlen
der ausländischen Arbeitnehmer auf
eine Größe, die man zu verkraften
glaubt. Das heißt, der DGB betrachtet
die Ausländer auch unter dem Gesichtspunkt
der Restgröße: Was braucht der
Arbeitsmarkt? Was braucht der Arbeitsmarkt
nicht?
CdI:
Sind Ihrer Meinung nach die ausländischen,
in Deutschland anwesenden, sozialen und
kirchlichen Kräfte überzeugte
und konsequente Verteidiger der Integration?
Unterstützen Sie die Integration zum
Beispiel im schulischen und sprachlichen
Bereich oder bilden Sie eine Barriere gegen
die Integration?
Leuninger:
Ich kenne aus meinem Bereich (Kirche) keine
Institution und keine Person, die sich
nicht ausdrücklich zur Integration
bekennen würde. Theoretisch wäre
also eine Gleichheit der Vorstellungen
da, aber ich sehe doch Unterschiede, wenn
es darum geht, die Integration besser zu
fördern.
Die Frage, was für die zweite Generation notwendig ist, unterscheidet sich z.B. sehr von der Frage, was für die erste Generation notwendig ist.
Unsere kirchlichen Einrichtungen sind eher auf die Bedürfnisse der ersten als die der zweiten Generation eingestellt. Daher ergaben sich naturgemäß Schwierigkeiten hinsichtlich der Förderung der Integration.
CdI:
Was würden Sie unseren ausländischen
Priestern (Missionaren) vorschlagen, um
die Integration z.B. im sprachlichen Bereich
zu fördern?
Leuninger:
Ich selbst würde als Priester versuchen,
die deutsche Sprache zu beherrschen und
würde manche wichtigen Aufgaben zurückstellen,
um mich als Interpret der deutschen Sprache
und Kultur zu qualifizieren, um dann auch
der Interpret meiner Landsleute gegenüber
der deutschen Seite sein zu können.
Das wäre das erste. Das zweite: Ich
würde alle Möglichkeiten der
Begegnung ausschöpfen, damit meine
Landsleute mit der sie umgebenden deutschen
Gesellschaft in Kontakt treten und dort
gleichberechtigt mitarbeiten, mitfeiern,
mitleben können. Ich würde mich
vor allem dafür einsetzen daß
kein Kind getrennt von deutschen Kindern
aufwächst. Unabhängig davon würde
ich selbstverständlich zur Förderung
der Identität, die Kultur und Sprache
meiner Landsleute fördern.
CdI:
Zum Bereich Schule. Es gibt einige Institutionen,
in denen die katholische Kirche auch ausländische
Priester eingesetzt hat. Es existieren auch einige italienische Kindergärten. Fördern diese Kindergärten Ihrer Meinung nach eine Integration?
Leuninger:
Nein
CdI:
Warum?
Leuninger:
Die Einrichtung der italienischen Kindergärten ist eine Einrichtung gewesen, die am Anfang der Einwanderung eine provisorische Lösung darstellte und die wichtige Aufgabe erfüllt hat, diesen Kindern eine gemeinschaftliche Erziehung zu gewährleisten.
Dies ist ein hoher pädagogischer Wert und ein wichtiges pädagogisches Ziel. Nach fast zwei Jahrzehnten der Einwanderung gerade italienischer Arbeitnehmer können italienische Kindergärten die Aufgabe der Integration selbst bei bestem Willen nicht mehr erfüllen. Das mindeste wäre,
daß zweisprachige Einrichtungen geschaffen werden, in denen deutsche und italienische Kinder gemeinsam aufwachsen; dabei müßten die italienischen Kinder unbedingt auch in ihrer Sprache und ihrer Kultur gefördert werden. Aber sie sollten in einem ständigen Kontakt mit deutschen Kindern stehen, damit sie ganz selbstverständlich und natürlich in die deutsche Sprache hineinwachsen. Nur dann sind sie in der Lage, auch in der deutschen Schule mitzuhalten und gleichberechtigt in dieser Gesellschaft zu leben.
CdI:
Ihres Wissens sind diese Bedingungen nicht
vorhanden?
Leuninger:
Sie können in italienischen Kindergärten nicht vorhanden sein.
CdI:
Was würden Sie vorschlagen?
Leuninger:
Ich würde vorschlagen, daß ein gemeinsamer
Plan gemacht wird, wie die vorhandenen
italienischen Kindergärten umstrukturiert
werden.
Das bedeutet als
1. den Einsatz von deutschem Personal,
die mit den Kindern deutsch sprechen.
2. Könnte ich mir vorstellen, daß
die Kinder, die in diesem Jahr in die Schule
kommen, wenigstens ein Jahr lang einen
deutschen Kindergarten besuchen.
3. Aber das ist wahrscheinlich das schwierigste,
ging es darum, paritätisch einen Kindergarten
mit deutschen und italienischen Kindern
zu besetzen und zweisprachige Erzieherinnen
einzustellen.
4. Müßte dafür gesorgt
werden, daß alle italienischen Kinder einen
Kindergarten mit Deutschen zusammen besuchen
können und daß sie dabei auch in ihrer
Sprache und ihrer Kultur gefördert
werden.
CdI:
Wie würden Sie die Missionen als Ort
der Integration ausbauen und umstrukturieren?
Leuninger:
Wir müßten von beiden Seiten
aus die Voraussetzungen schaffen, daß man
miteinander arbeitet. Die Ortskirche und
auch die Missionen. Das würde bedeuten,
daß man beide Seiten dazu bringt, ihre
gegenseitige Isolierung aufzugeben. Uns
schweben im Augenblick drei Modelle vor.
Das erste wäre: daß eine italienische
Mission (wie es auch schon geschieht),
mit einer Ortspfarrei zusammen ein
Arbeitsteam bildet, um auf Taufe, Erstkommunion,
Firmung und Ehe vorzubereiten und zwar
in einer Pfarrei, in der viele Italiener
wohnen, daß man dort eine ständige
Zusammenarbeit pflegt, Veranstaltungen
durchführt - italienische und gemeinsame.
Das zweite Modell wäre,
daß darüber hinaus eine Pfarrei und eine Mission gemeinsam die gleiche Kirche
und die gleichen Räumlichkeiten benutzen, wobei die eigenständige Struktur der Mission und der Ortspfarrei erhalten
blieben.
Das dritte Modell, das sicher nur in dem einen oder anderen Fall realisiert werden kann, wäre,
daß ein italienischer Pfarrer auch eine Ortspfarrei übernimmt, gleichzeitig Missionar ist und zweisprachiges Personal zur Verfügung hat. Das wird für die zweite und dritte Generation von
großem Nutzen sein.
CdI:
Woher kommen die Schwierigkeiten der Integration
in den Missionen? Liegt die Schuld nur
bei den italienischen Missionaren?
Leuninger:
Die Deutsche Kirche hat, als die große Einwanderung
einsetzte, die Missionen geschaffen, hat ihnen ihre Zuständigkeit gegeben ohne
die Zuständigkeit der Pfarreien dadurch aufzuheben. So besteht eine
Doppelzuständigkeit. Entwickelt hat sich aber faktisch durch die Missionen eine
Nebenkirche, die keine oder nur sehr wenige Kontakte mit der Ortskirche hat. Die
Pfarreien fühlen sich durch die Anwesenheit der Missionen entlastet und
betrachten sie als ein Alibi.
Cdl:
Ist die mangelnde Integrationsfähigkeit
nicht auch politisch bedingt?
Leuninger:
Die mangelnde Integrationsfähigkeit die
Ortskirche hängt damit zusammen, dass sich
die Bundesrepublik immer noch als ein "Nichteinwanderungsland"
versteht. Dies gilt im Prinzip auch für
die Italiener. Die Integrationsbereitschaft
der Pfarreien würde sich verbessern, wenn
die Politiker die Bundesrepublik als ein
Einwanderungsland akzeptieren, und wenn
sie eine konsequente Integrationspolitik
betreiben würden. Dann würde sich die Einstellung
der Deutschen und die der Ausländer verändern.
Man würde ganz anders aufeinander zugehen
können. So aber müssen sich die Ausländer
als nicht akzeptiert verstehen und zwangsläufig
darauf reagieren, in dem sie sich zurückziehen.
Cdl:
Daraus lässt schließen, dass die Seelsorge
der Kirchen von der deutschen Politik abhängig
ist.
Leuninger:
Wenn die Kirche die Situation innerkirchlich
verbessern will, muß sie unabhängig von
ihrer Anwaltsfunktion, die sie übernommen
hat, dafür sorgen, dass der große politische
Rahmen geändert wird.
Cdl:
Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
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