Herbert Leuninger

ARCHIV KIRCHE
1978

Frankfurts fremdsprachige Gemeinden
ein Stück europäischer Geschichte
BEITRAG ZUM KIRCHLICHEN JAHRBUCH FRANKFURT 1978

Um die europäische Geschichte nach dem II. Weltkrieg zu studieren, braucht in Frankfurt niemand die Stadt- oder die Universitätsbibliothek aufzusuchen. Dort wird er ohnehin bei weitem noch nicht alles wissenschaftlich registriert finden, was sich in diesem Raum an europäischen Entwicklungen, Wirren, Katastrophen und Fortschritten niedergeschlagen und widergespiegelt hat. Besonders deutlich wird dies naturgemäß dort, wo Menschen, die aus ihrer Heimat vorübergehend oder auf Dauer ausgewandert sind, auf dem Hintergrund ihrer gemeinsamen christlichen Überzeugung eine neue Heimat in einer Gemeinde ihrer Sprache suchen und finden. So sind auch die katholischen Ausländergemeinden Frankfurts ein sehr charakteristisches Spiegelbild der europäischen Nachkriegsgeschichte.

Die älteste Gemeinde, eine Folge nationalsozialistischer Ausbeutung anderer Völker, spricht polnisch. Nach 1945 sammelten die Besatzungsmächte die polnischen Zwangsarbeiter in Lagern. So auch im Raume Frankfurt. Wer nicht in die Heimat zurückkehren konnte, oder wer nicht nach Übersee auswanderte, versuchte hier Arbeit und Wohnung zu finden, eine Familie zu gründen und Fuß zu fassen. An ihrer Seite waren sofort die Priester, die im KZ überlebt hatten, oder solche, die aus der polnischen - inzwischen kommunistisch gewordenen - Heimat kamen. So hat es auch von Anfang an die polnische Gemeinde in Frankfurt gegeben, die von ihrer ursprünglichen Zusammensetzung her sehr zusammengeschrumpft ist, seit ein paar Jahren aber wieder eine Ausweitung erfährt. Seit der deutsch-polnischen Annäherung kamen sehr viele Umsiedlerfamilien nach Deutschland, deren Kinder die Sprache nur unzulänglich beherrschen. Die Familien sind dankbar, daß sie hier einen polnischen Pfarrer und eine polnische Gemeinde vorfinden, die ihnen den Übergang in eine deutsche Gesellschaft erleichtern.

Politische Emigration nach 1945 führt viele Ärzte, Ingenieure, Chemiker, Wissenschaftler, Lehrer, Facharbeiter, Büroangestellte aus Ungarn, Rumänien und aus Teilen Jugoslawiens in die Bundesrepublik. So entsteht 1947 im Frankfurter Bereich eine "Beratungsstelle für Süd/Ost - Katholiken". Ein Teil dieser Emigranten sucht und findet in Deutschland eine zweite Heimat. Auch die, die in einer zweiten Emigrationswelle nach der Niederschlagung des Aufstands in Ungarn hierher kommen. Mittlerweile hat sich in Frankfurt die Ungarische Gemeinde etabliert, die in Frankfurt selbst ca. 1.400 Mitglieder zählt. Die Ungarn integrieren sich schnell, dennoch versammeln sie sich gern zu den Gottesdiensten und Festen ihrer Muttersprache. Sie versuchen aus der reichen kirchlichen Tradition ihrer Heimat zu leben. Großen Wert legen sie darauf, dies auch der jungen Generation weiterzugeben. Kontakte zur Heimatkirche, der eine allzu große Nachgiebigkeit gegenüber dem politischen Regime nachgesagt wird, gibt es nicht. Mit einer Rückkehr in die Heimat wird nicht gerechnet.

Mit 10.000 tschechischen Katholiken rechnet Pfarrer Dr. Wortner von. Frankfurt in den Bistümern Limburg, Fulda, Mainz und Speyer, für die er zuständig ist. Etwa 2.000 von ihnen leben in Frankfurt. Diese Gemeinde setzt sich zusammen aus den tschechischen Angehörigen der Vertriebenen von 1945 seit langem hier ansässigen gewordenen Emigranten, CSSR-Flüchtlingen, die nach 1948 und 1969 gekommen sind. Ein Teil von ihnen steht der katholischen Kirche nahe. Einem anderen Teil fehlen nach 20 Jahren atheistischer Erziehung Voraussetzungen zu einer aktiven Teilnahme am Gemeindeleben. Bei der oppositionellen Rolle, die die Kirche in der CSSR spielt, haben sie aber inzwischen großes Interesse an der Kirche. Bei der tschechischen Gemeinde spielen die Kontakte zur deutschen Gemeinde, vor allem auch zur Ortskirche, eine große Rolle. Die katholische Pfarrei Oberrad ist Patengemeinde, weiterhin besteht ein regelmäßig tagender deutsch/tschechischer Freundeskreis. Schließlich werden. viele Veranstaltungen mit der Ackermann-Gemeinde zusammen durchgeführt.

Die italienische Gemeinde Frankfurts, die größte fremdsprachige Gemeinde hat auch bereits das 25-jährige Jubiläum ihres Bestehens hinter sich. Das heißt, es gibt mittlerweile in dieser Stadt zwei italienische Gemeinden, eine im Zentrum und eine in Frankfurt-Höchst mit mehr als 20.000 Italienern aus dem Süden Italiens, aus Sizilien und Sardinien. Die älteste und die am weitesten ausgebaute ist die in der Bockenheimer Anlage. Das Programm dieser Gemeinde war über Jahre mit dem Namen Pfarrer Enrico Cotelli verknüpft, der im August 1977 an den Folgen von Schußverletzungen verstarb und in der Kirche Frankfurts eine große Lücke hinterließ. Von ihm und seinen Mitarbeitern aus führten unzählige Brücken zur Ortskirche, in den ökumenischen Bereich und auch zur Heimatkirche. Dennoch war ihm bewußt, daß die mangelnde Integration, daß die Isolation seiner Landsleute noch viel zu groß war. Seine besondere Sorge galt der schulischen Integration der zweiten Generation.

Zu den großen Gemeinden der Arbeitsmigration zählt die kroatische Gemeinde in Frankfurt. 1.500 Gemeindemitglieder versammeln sich Sonntag für Sonntag im Dom. 270 Kinder haben die drei Pfarrer alleine im Jahre 1974 getauft. Auch hier wächst eine neue Generation heran, für die Frankfurt die eigentliche Heimat ist.

Die kroatische Gemeinde pflegt sehr starke Kontakte zur Heimatkirche und umgekehrt. Die gemeinsame Jahrhunderte alte Tradition wird auch in gemeinsamen kirchlichen Festen begangen. Einen großen Wunsch hat die kroatische Gemeinde, daß sie nämlich  ohne das Mißtrauen der jugoslawischen Behörden ihr kirchliches Gemeindeleben frei entfalten kann. Hier erwartet sie auch die Unterstützung der Ortskirche.

Eine weitere Nationalitätengruppe aus Jugoslawien stellen die Slowenen dar. Allerdings gibt es höchsten 1.300 von ihnen in Frankfurt. 90% von ihnen haben eine Berufsausbildung und lernen überraschend schnell die deutsche Sprache. Da sie sehr verstreut leben, ist eine Gemeindebildung erschwert. Pfarrer Jereb, der Leiter dieser Gemeinde, sagt über die Kontakte zur Ortskirche: Sie sind' gleich Null. Vielleicht wird sich das aber ändern, denn seit kurzem hat Pfr. Jereb seine Wohnung aus der Textorstrasse in das Pfarrhaus der Katholischen St, Bonifatius-Gemeinde Sachsenhausen verlegt.

Auch wenn Spanier im Laufe der Rezession mit 20% den stärksten Rückgang unter den Arbeitsmigranten zu verzeichnen haben, bilden sie weiterhin eine beachtliche Gemeinde von wenigstens 12.000 im Frankfurter Großraum. Eine gewisse Resignation droht sich auszubreiten, die auch das Gemeindeleben beeinträchtigt. Dabei hat gerade die spanische Gemeinde ein ausgeprägtes Konzept zur Gemeindebildung, um eine pastorale Betreuung zu überwinden. Die beiden Pfarrer betrachten sich als Partner der Gemeinde und versuchen mit dem aktiven Teil der Gemeinde zusammen Kirche zu seine Dabei orientiert sich diese Gemeinde sehr an den fortschrittlichen Kräften der spanischen Kirche. Gerade die spanische Gemeinde in Frankfurt hat sehr beharrlich versucht, die katholischen und evangelischen Pfarreien des Frankfurter Gebiets auf ihre Anwaltsfunktion hinzuweisen. Sie erwarten von den Kirchen in Deutschland, daß sie sich eindeutig und ständig für die Gleichberechtigung der Arbeitsmigranten in der Bundesrepublik einsetzen. Noch fühlt sich die spanische Gemeinde in Frankfurt nicht integriert. Ihr Zukunftskonzept wären zwei oder drei spanisch/deutsche Zentren auf den Frankfurter Raum verteilt, in denen sich Spanier und Deutsche zusammenfinden, die sich in der gegenseitigen Integration fördern und von dem verschiedenen kulturellen Hintergrund her bereichern.

Eine junge Gemeinde ist die portugiesische, die derzeit von Herrn Pfarrer Marcelino geleitet wird. Die erste Eintragung kirchlicher Amtshandlungen ist eine Trauung vom 15,7.1966. An sich umfaßt die Gemeinde mit den Diözesen Limburg und einem Teil der Diözesen Mainz und Fulda ein riesiges Gebiet mit etwa 9.000 Katholiken, in Frankfurt werden es etwa 3,000 sein. Auch diese Gemeinde wird sehr stark geprägt von den politischen Vorgängen in der Heimat. Leider besitzt sie für ihre Arbeit noch kein eigenes Gemeindezentrum. Dafür werden aber Beziehungen gepflegt zu wenigstens drei Frankfurter katholischen Gemeinden.

Die im gewissen Sinne internationalste Gemeinde - wenn wir von den Ortspfarreien Frankfurts einmal absehen - ist die Gemeinde französischsprechender Katholiken. Sie umfasst nicht nur katholische Christen aus Frankreich, Belgien und der Schweiz, sondern vielen anderen Ländern, in denen Französisch offizielle Sprache ist.

Seit diese Gemeinde über ein eigenes Haus in der Körberstraße verfügt, haben sich ihre Aktivitäten und auch ihre Kontakte ausgeweitet. So steht diese Gemeinde in guter Partnerschaft zur Pfarrei St. Josef in Eschersheim. Ein ständiger geistiger Austausch besteht auch mit der Diözese Strassburg, dem nächsten französischen Nachbarn jenseits des Rheins. Der Vorsitzende des Gemeinderates resümiert: "Von Isolierung ist bei uns keine Rede. Wir glauben, daß wir eine wichtige Brücke zwischen Deutschland und unseren Heimatländern geschlagen haben".