Herbert Leuninger ARCHIV KIRCHE
1978

31. März 1978
Konzept einer Ausländerpastoral
DIE KATHOLIKEN ANDERER MUTTERSPRACHE IN DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND
Elemente einer integrierenden Pastoral

INHALT

1. Aufgabe

1.1.
Die innereuropäische Migration und die Daueranwesenheit von hunderttausenden Katholiken anderer Muttersprache in der Bundesrepublik verleihen der zentralen, vom Vatikanischen Konzil herausgestellten Sendung der Kirche, "Sakrament, d.h. Zeichen und Werkzeug für die innerste Vereinigung mit Gott wie für die Vereinigung der ganzen Menschheit unter sich" zu sein, eine neue Dimension. (1)

1.2.
Die Kirche kann dieser Sendung nur gerecht werden, wenn es ihr in pfingstlicher Spiritualität gelingt, die Gläubigen unterschiedlicher Herkunft, Sprache, Kultur und sozialer Stellung zur Gemeinschaft und Einheit zusammenzuführen. Im Blick auf die ausländischen Arbeitnehmer und ihre Familien stellt die Gemeinsame Synode fest: "In der innerkirchlichen Solidarität setzt die Kirche das Zeichen für die Einheit der ganzen Menschheit". (2)

Das Zusammenleben europäischer Christen in Pfarrei und Kommune kann in diesem Zusammenhang ein wichtiger Beitrag für die Einigung Europas sein, die in der Erklärung der Europäischen Bischofskonferenzen "Wort zu Europa" als Friedenswerk bezeichnet wird. (3)

2, Situation

2.1.
Die deutsche Kirche hat den Einwanderungswellen der letzten zwei Jahrzehnte pastoral dadurch Rechnung getragen, daß sie ein Netz von Missionen für die verschiedenen Sprachgruppen errichtet hat. Sie verfügen über Zuständigkeiten, die die konkurrierende Zuständigkeit der Ortspfarreien nicht mindern sondern ergänzen sollten.

2.2.
Dennoch hat diese Doppelzuständigkeit dazu geführt, daß sich die Pfarreien weitgehend von der Verantwortung gegenüber ihren anderssprachigen Gemeindemitgliedern entlastet fühlten und die Missionen als Alibi verstanden. Die Missionen selbst entwickelten sich dabei zu einer Art. Nebenkirche, zumal die ausländische Wohnbevölkerung politisch als Nebenbevölkerung eingestuft und gesellschaftlich als solche behandelt wurde.

2.3. 
Die Überwindung dieser Fehlentwicklung erfordert einen Mentalitätswandel in den Gemeinden und strukturelle Neuordnungen. Letztere sollen die Selbstvertretung der anderssprachigen Gläubigen fördern, Gleichberechtigung und Partnerschaft gewährleisten, zur Zusammenarbeit disponieren und für die zweite und dritte Einwanderergeneration einen wechselseitigen Übergang erleichtern.

3. Veränderung

3.1. Mentalitätswandel

3.1.1.
An erster Stelle steht die Verkündigung, die mit Predigt, Katechese, Hirtenbriefen, Appellen, Arbeitshilfen, Informationen und Medienarbeit eine innerkirchliche Sensibilisierung anstrebt.

Ihr Erfolg ist allerdings sehr davon abhängig, daß

3.1.2.
eine Einstellungsänderung in Politik und Gesellschaft eintritt, bei der sich die Bundesrepublik als Land versteht, in dem ein großer Teil der ausländischen Arbeiterbevölkerung ansässig geworden ist mit den berechtigten Ansprüchen auf eine volle gesellschaftliche Partizipation. Eine von der Kirche mitbetriebene und von den Massenmedien vermittelte politische Einstellungsänderung dürfte sich in den Pfarreien nachhaltig auswirken.

3.1.3.
Sollte sich die Distanz zwischen Kirche und Arbeiterschaft in Zukunft verringern, gewännen die Gemeinden auch auf diese indirekte Weise einen besseren Zugang zu den ausländischen Arbeitern.

3.2. Strukturwandel

3.2.1. Synodale Zusammenarbeit (4)

3.2.1.1. Mission
In den Gemeinden von Katholiken anderer Muttersprache (missiones cum cura animarum) werden analog zu den Pfarrgemeinderäten eigene Gemeinderäte gebildet. Ihnen können auch deutsche Katholiken angehören,

3.2.1.2. Pfarrei
In Pfarren mit großem Anteil anderssprachiger Gemeindemitglieder ist einer von ihnen zu den Sitzungen des Pfarrgemeinderates einzuladen.

In solchen Pfarreien muß außerdem ein Ausschuß für die Belange der anderssprachigen Mitbürger gebildet werden. Anderssprachige Katholiken sollen darin angemessen vertreten sein.

3.2.1.3. Bezirk
Der Bezirksversammlung gehören an die Leiter der Gemeinden von Katholiken anderer Muttersprache und die Vorsitzenden der Gemeinderäte, die ihren Sitz im Bereich des Bezirks haben.

Dem Bezirkssynodalrat gehören zwei im Bezirk ansässige Vertreter der anderssprachigen Katholiken an. Sie werden auf Vorschlag des Rates der Gemeinden von Katholiken anderer Muttersprache gewählt.

3.2.1.4. Bistum
Es wird ein Rat der Gemeinden von Katholiken anderer Muttersprache gebildet. Ihm gehören je zwei Vertreter jeder anderssprachigen Gemeinde an. Der Rat vertritt die im Bistum lebenden Katholiken anderer Muttersprache.

Dieser Rat entsendet zwei Vertreter in den Diözesansynodalrat.

3.2.2. Lokale Zusammenarbeit

3.2.2.1. (Frankfurt) (5)
Die Italienische Gemeinde z.B. (3 Priester, 2 pastorale Mitarbeiter, eigenes Zentrum) bildet mit etwa drei Ortspfarreien, in denen viele Italiener wohnen, je ein gemeinsames Team.

Die Zusammenarbeit erfolgt vor allem auf dem Gebiet der Sakramentenpastoral, der Kinder-, Jugend- und Elternarbeit.

Dabei werden die Kirche und Gemeinderäume der Pfarrei mitbenutzt.

Wenn sich in einer Stadt weitere anderssprachige Gemeinden diesem Konzept anschließen, kann eine große Anzahl von Pfarreien in eine dauernde Zusammenarbeit einbezogen werden.

3.2.2.2. (Wiesbaden) (6)
Die vorhandenen Zentren der einzelnen anderssprachigen Gemeinden werden aufgelöst und in die Räumlichkeiten einer Ortspfarrei verlegt. Dabei ist u.U. zusätzlicher Raum zu schaffen.

Die Eigenständigkeit der Gemeinden bliebt gewahrt. Jede Gemeinde verfügt über eigenes Personal, eigene Gremien und Räume.

Gemeinsam genutzt werden für eigene und gemeinsame Veranstaltungen Kirche, Saal, Jugendräume. Die Kinder im Vorschulalter gehen in den gemeinsamen Kindergarten.

3.2.2.3. (Bistum) (7)
Einem ausländischen Priester wird gleichzeitig die Leitung einer Pfarrei und einer anderssprachigen Gemeinde übertragen.

Ihm stehen zweisprachige pastorale Mitarbeiter und Verwaltungskräfte zur Verfügung.

Es bestehen zwei Gemeinderäte und ein Koordinierungsausschuß.

Die Nutzung der Räume erfolgt teils getrennt, teils gemeinsam.


 

Anmerkungen

  1. A. Beckel u.a. (Hrsg.), Vatikanum II, Vollständige Ausgabe der Konzilsbeschlüsse, Dogmatische Konstitution über die Kirche, 1., Osnabrück 1966 2, S. 70.
  2. L. Bertsch u.a. (Hrsg.) Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Beschluß: Die ausländischen Arbeitnehmer - eine Frage an die Kirche und die Gesellschaft, Freiburg-Basel-Wien 1976, S. 380.
  3. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Wort zu Europa, Erklärung der europäischen Bischofskonferenzen / in: Stimmen der Weltkirche 1, Bonn 1977, S.4.
  4. vgl. z. Folgendem: Synodalordnung für das Bistum Limburg, Amtsblatt des Bistums Limburg, Limburg 1977, SS.539 - 557.
  5. Diese Form der Kooperation wurde beschlossen von der Dekanenkonferenz, Frankfurt/M. am 6.Juni 1977
  6. Konzeption des Dezernates Kirchliche Dienste im Bischöflichen Ordinariat Limburg vom 13.1.1978.
  7. Konzeption des Bischöflichen Ordinariates Limburg vom 23.12.1975, die im Anschluß an die Visitationen der ausländischen Missionen erarbeitet wurde.

BISCHÖFLICHES ORDINARIAT LIMBURG
Dezernat Kirchliche Dienste
Referent für kirchliche Ausländerarbeit

6250 Limburg • Rossmarkt 4
31. März 1978
Az. KAa

An den
Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
Herrn Prälat Dr. Josef Homeyer
Joachimstr, 15

5300 Bonn

Betr.: Konzept einer Ausländerpastoral

Sehr geehrter Herr Prälat Dr. Homeyer

Indem ich mich für die Aufmerksamkeit bedanke, die Sie meinen Ausführungen vom 20.3. über ausländerpolitische Sorgen entgegengebracht haben, übersende ich Ihnen beiliegend einen Entwurf zu einer integrierenden Pastoral hinsichtlich der Katholiken anderer Muttersprache in der Bundesrepublik. Ich möchte damit Ihrer und Herrn Bischof Dr. Wittlers Bitte, die Sie am 13. März mir gegenüber geäußert haben, zu entsprechen suchen.

Dieser Entwurf beruht auf Vorstellungen, wie sie in unserem Bistum entwickelt wurden. Er beschränkt sich aber im Wesentlichen auf den Bereich einer Zusammenarbeit zwischen Ortskirche und fremdsprachigen Gemeinden.

Nicht einbezogen sind Überlegungen über Inhalt und Ziel dieser Pastoral, auch nicht Vorschläge über Ausbildung, Weiterbildung der einheimischen und ausländischen Priester, Theologen und pastoralen Mitarbeiter.

Der Entwurf, den ich auch Herrn Bischof Dr. Wittler, Osnabrück zuleite, kann jederzeit ergänzt, verändert und sicher auch verbessert werden. Dennoch hoffe ich, Ihrer Bitte in etwa entsprochen zu haben.

Mit freundlichen Grüßen

Herbert Leuninger

Anlage