1. Aufgabe
1.1.
Die innereuropäische Migration und
die Daueranwesenheit von hunderttausenden
Katholiken anderer Muttersprache in der
Bundesrepublik verleihen der zentralen,
vom Vatikanischen Konzil herausgestellten
Sendung der Kirche, "Sakrament, d.h. Zeichen
und Werkzeug für die innerste Vereinigung
mit Gott wie für die Vereinigung der
ganzen Menschheit unter sich" zu sein,
eine neue Dimension. (1)
1.2.
Die Kirche kann dieser Sendung nur gerecht
werden, wenn es ihr in pfingstlicher Spiritualität
gelingt, die Gläubigen unterschiedlicher
Herkunft, Sprache, Kultur und sozialer
Stellung zur Gemeinschaft und Einheit zusammenzuführen.
Im Blick auf die ausländischen Arbeitnehmer
und ihre Familien stellt die Gemeinsame
Synode fest: "In der innerkirchlichen Solidarität
setzt die Kirche das Zeichen für die
Einheit der ganzen Menschheit". (2)
Das Zusammenleben europäischer Christen in Pfarrei und Kommune kann in diesem Zusammenhang ein wichtiger Beitrag für die Einigung Europas sein, die in der Erklärung der Europäischen Bischofskonferenzen "Wort
zu Europa" als Friedenswerk bezeichnet wird. (3)
2, Situation
2.1.
Die deutsche Kirche hat den Einwanderungswellen
der letzten zwei Jahrzehnte pastoral dadurch
Rechnung getragen, daß sie ein Netz
von Missionen für die verschiedenen
Sprachgruppen errichtet hat. Sie verfügen
über Zuständigkeiten, die die
konkurrierende Zuständigkeit der Ortspfarreien
nicht mindern sondern ergänzen sollten.
2.2. Dennoch hat diese Doppelzuständigkeit dazu geführt, daß sich die Pfarreien weitgehend von der Verantwortung gegenüber ihren anderssprachigen Gemeindemitgliedern entlastet fühlten und die Missionen als Alibi verstanden. Die Missionen selbst entwickelten sich dabei zu einer Art. Nebenkirche, zumal die ausländische Wohnbevölkerung politisch als Nebenbevölkerung eingestuft und
gesellschaftlich als solche behandelt wurde.
2.3.
Die Überwindung dieser Fehlentwicklung
erfordert einen Mentalitätswandel
in den Gemeinden und strukturelle Neuordnungen.
Letztere sollen die Selbstvertretung der
anderssprachigen Gläubigen fördern,
Gleichberechtigung und Partnerschaft gewährleisten,
zur Zusammenarbeit disponieren und für
die zweite und dritte Einwanderergeneration
einen wechselseitigen Übergang erleichtern.
3. Veränderung
3.1.
Mentalitätswandel
3.1.1.
An erster Stelle steht die Verkündigung,
die mit Predigt, Katechese, Hirtenbriefen,
Appellen, Arbeitshilfen, Informationen
und Medienarbeit eine innerkirchliche Sensibilisierung
anstrebt.
Ihr Erfolg ist allerdings sehr davon abhängig, daß
3.1.2.
eine Einstellungsänderung in Politik
und Gesellschaft eintritt, bei der sich
die Bundesrepublik als Land versteht, in
dem ein großer Teil der ausländischen
Arbeiterbevölkerung ansässig
geworden ist mit den berechtigten Ansprüchen
auf eine volle gesellschaftliche Partizipation.
Eine von der Kirche mitbetriebene und von
den Massenmedien vermittelte politische
Einstellungsänderung dürfte sich
in den Pfarreien nachhaltig auswirken.
3.1.3.
Sollte sich die Distanz zwischen Kirche
und Arbeiterschaft in Zukunft verringern,
gewännen die Gemeinden auch auf diese
indirekte Weise einen besseren Zugang zu
den ausländischen Arbeitern.
3.2. Strukturwandel
3.2.1. Synodale Zusammenarbeit (4)
3.2.1.1. Mission
In den Gemeinden von Katholiken anderer
Muttersprache (missiones cum cura animarum)
werden analog zu den Pfarrgemeinderäten
eigene Gemeinderäte gebildet. Ihnen
können auch deutsche Katholiken angehören,
3.2.1.2. Pfarrei
In Pfarren mit großem Anteil anderssprachiger
Gemeindemitglieder ist einer von ihnen
zu den Sitzungen des Pfarrgemeinderates
einzuladen.
In solchen Pfarreien muß außerdem ein Ausschuß für die Belange der anderssprachigen Mitbürger gebildet werden. Anderssprachige Katholiken sollen darin angemessen vertreten sein.
3.2.1.3. Bezirk
Der Bezirksversammlung gehören an
die Leiter der Gemeinden von Katholiken
anderer Muttersprache und die Vorsitzenden
der Gemeinderäte, die ihren Sitz im
Bereich des Bezirks haben.
Dem Bezirkssynodalrat gehören zwei im Bezirk ansässige Vertreter der
anderssprachigen Katholiken an. Sie werden auf Vorschlag des Rates der Gemeinden von Katholiken anderer Muttersprache gewählt.
3.2.1.4. Bistum
Es wird ein Rat der Gemeinden von Katholiken
anderer Muttersprache gebildet. Ihm gehören
je zwei Vertreter jeder anderssprachigen
Gemeinde an. Der Rat vertritt die im Bistum
lebenden Katholiken anderer Muttersprache.
Dieser Rat entsendet zwei Vertreter in den Diözesansynodalrat.
3.2.2. Lokale Zusammenarbeit
3.2.2.1. (Frankfurt) (5)
Die Italienische Gemeinde z.B. (3 Priester,
2 pastorale Mitarbeiter, eigenes Zentrum)
bildet mit etwa drei Ortspfarreien, in
denen viele Italiener wohnen, je ein gemeinsames
Team.
Die Zusammenarbeit erfolgt vor allem auf dem Gebiet der Sakramentenpastoral, der Kinder-, Jugend- und Elternarbeit.
Dabei werden die Kirche und Gemeinderäume der Pfarrei mitbenutzt.
Wenn sich in einer Stadt weitere anderssprachige Gemeinden diesem Konzept anschließen, kann eine große Anzahl von Pfarreien in eine dauernde Zusammenarbeit einbezogen werden.
3.2.2.2. (Wiesbaden) (6)
Die vorhandenen Zentren der einzelnen anderssprachigen
Gemeinden werden aufgelöst und in
die Räumlichkeiten einer Ortspfarrei
verlegt. Dabei ist u.U. zusätzlicher
Raum zu schaffen.
Die Eigenständigkeit der Gemeinden bliebt gewahrt. Jede Gemeinde verfügt über eigenes Personal, eigene Gremien und Räume.
Gemeinsam genutzt werden für eigene und gemeinsame Veranstaltungen Kirche, Saal, Jugendräume. Die Kinder im Vorschulalter gehen in den gemeinsamen Kindergarten.
3.2.2.3. (Bistum) (7)
Einem ausländischen Priester wird
gleichzeitig die Leitung einer Pfarrei
und einer anderssprachigen Gemeinde übertragen.
Ihm stehen zweisprachige pastorale Mitarbeiter und Verwaltungskräfte zur Verfügung.
Es bestehen zwei Gemeinderäte und ein Koordinierungsausschuß.
Die Nutzung der Räume erfolgt
teils getrennt, teils gemeinsam.
Anmerkungen
- A. Beckel u.a. (Hrsg.), Vatikanum II, Vollständige
Ausgabe der Konzilsbeschlüsse, Dogmatische
Konstitution über die Kirche, 1.,
Osnabrück 1966 2, S. 70.
- L. Bertsch u.a. (Hrsg.) Gemeinsame Synode
der Bistümer in der Bundesrepublik
Deutschland, Beschluß: Die ausländischen
Arbeitnehmer - eine Frage an die Kirche
und die Gesellschaft, Freiburg-Basel-Wien
1976, S. 380.
- Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Wort zu Europa, Erklärung der europäischen Bischofskonferenzen / in: Stimmen der Weltkirche 1, Bonn 1977, S.4.
- vgl. z. Folgendem: Synodalordnung für das Bistum Limburg, Amtsblatt des Bistums Limburg, Limburg 1977, SS.539 - 557.
- Diese Form der Kooperation wurde beschlossen von der Dekanenkonferenz, Frankfurt/M. am 6.Juni 1977
- Konzeption des Dezernates Kirchliche Dienste im Bischöflichen Ordinariat Limburg vom 13.1.1978.
- Konzeption des Bischöflichen Ordinariates Limburg vom 23.12.1975, die im Anschluß an die Visitationen der ausländischen Missionen erarbeitet wurde.
BISCHÖFLICHES ORDINARIAT LIMBURG
Dezernat Kirchliche Dienste
Referent für kirchliche Ausländerarbeit
6250 Limburg • Rossmarkt
4
31. März 1978
Az. KAa
An den
Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz
Herrn Prälat Dr. Josef Homeyer
Joachimstr, 15
5300 Bonn
Betr.: Konzept
einer Ausländerpastoral
Sehr geehrter Herr Prälat Dr. Homeyer
Indem ich mich für die Aufmerksamkeit bedanke, die Sie meinen Ausführungen vom 20.3. über ausländerpolitische Sorgen entgegengebracht haben, übersende ich Ihnen beiliegend einen Entwurf zu einer integrierenden Pastoral hinsichtlich der Katholiken anderer Muttersprache in der Bundesrepublik. Ich möchte damit Ihrer und Herrn Bischof Dr. Wittlers Bitte, die Sie am 13. März mir gegenüber geäußert haben, zu entsprechen suchen.
Dieser Entwurf beruht auf Vorstellungen, wie sie in unserem Bistum entwickelt wurden. Er beschränkt sich aber im Wesentlichen auf den Bereich einer Zusammenarbeit zwischen Ortskirche und fremdsprachigen Gemeinden.
Nicht einbezogen sind Überlegungen über Inhalt und Ziel dieser Pastoral, auch nicht Vorschläge über Ausbildung, Weiterbildung der einheimischen und ausländischen Priester, Theologen und pastoralen Mitarbeiter.
Der Entwurf, den ich auch
Herrn Bischof Dr. Wittler, Osnabrück
zuleite, kann jederzeit ergänzt, verändert
und sicher auch verbessert werden. Dennoch
hoffe ich, Ihrer Bitte in etwa entsprochen
zu haben.
Mit freundlichen Grüßen
Herbert
Leuninger
Anlage
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