Herbert Leuninger | ARCHIV KIRCHE 1982 | ||
23. Juni 1982
Erklärung des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Joseph Höffner Kirche und Fremdenangst | |||
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In der Kirche gibt es kein Ausland und keine Grenzen; denn alle Getauften haben dasselbe Bürgerrecht. Aber auch in Staat und Gesellschaft sind die Würde und die Menschenrechte der Ausländer zu achten. In den letzten Jahrzehnten sind Millionen von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland gekommen, nicht nur um Arbeit zu suchen, sondern weil sie angeworben und gerufen worden sind, um unseren Wohlstand zu mehren. Inzwischen hat sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland verändert. Es hängt wohl damit zusammen, daß in weiten Kreisen der deutschen Bevölkerung ein gewisser Stimmungswandel gegenüber den ausländischen Arbeitnehmern und ihren Familien erkennbar ist, der sich in Fremdenangst und sogar in Fremdenhaß äußert (1) . In Politik und Verwaltung haben die wirtschaftlichen Schwierigkeiten sich in Einschränkungen und abwehrenden Maßnahmen den Ausländern gegenüber niedergeschlagen. Verständliche Sorgen um die wirtschaftliche Zukunft und tiefsitzende Ängste um die eigene und nationale Identität werden - wie in der Geschichte so oft - auf die "Fremden" übertragen. Sie geraten in die Rolle des Sündenbocks. Dies macht ein Wort der Kirche an die Öffentlichkeit und in die eigenen Reihen hinein erforderlich. I. Verantwortung der Gesellschaft Papst Johannes Paul II. hat bei seinem Deutschlandbesuch gefordert, jede aufkeimende Fremdenfeindlichkeit sorgsam zu beobachten, damit sich - auch mit Hilfe der Medien und aller Gestalter der öffentlichen Meinung - gegen blinde Angstgefühle und instinktive Abwehrreaktionen ein sachgerechter Realismus Geltung verschafft, der mutig genug ist, ein unbegrenztes Wirtschaftswachstum als Illusion zu bezeichnen und die Bevölkerung auf eine Einschränkung im Konsumverhalten vorzubereiten (2). Viele öffentliche Erklärungen lassen diesen sachgerechten Realismus vermissen. Wenn übertriebene Zahlen der Zuwanderung und Bevölkerungsentwicklung verbreitet werden, können vorhandene Ängste unnötigerweise noch verstärkt werden. Zu einem sachgerechten Realismus gehört die Einsicht, daß Fremdenfeindlichkeit für die Bundesrepublik Deutschland nach innen und außen verheerende Folgen haben würde, und daß es für die europäische Integration verhängnisvoll ist, wenn das Wirtschaftsgefälle zwischen den Industrienationen und den anderen Ländern sich noch weiter verstärkt (3). Die Kirche wird sich von ihrem Auftrag her vor allem der Fremden und Bedrängten annehmen. Sie macht sich die Leiden und Anliegen der Randgruppen und Unterdrückten zu eigen und tritt als Anwalt und Verteidiger ihrer Rechte auf. Dabei umfasst die Diakonie der Kirche alle Fremden und Bedrängten ohne Ausnahme und Unterschied von Herkunft und Religion (4), auch die türkische Bevölkerung. Die unter uns lebenden Ausländer dürfen nicht zu einem vierten Stand derer werden, die auf der untersten Stufe der Gesellschaftspyramide stehen und deren Kinder weder Ärzte, noch Lehrer, noch Juristen, noch Ingenieure werden können. Das mit allen Kräften zu verhindern, ist christliche Pflicht. Aus diesem Grunde ist im Erzbistum Köln für die italienische junge Generation das Internat "Papa Giovanni" in Stommeln und das "Istituto Scolastico Italiano" in Köln gegründet worden, in dem eine "Scuola Media per_adulti", ein "Istituto Professionale per il Commercio" und ein "Istituto Magistrale" zusammengefasst sind. Eine ähnliche Einrichtung ist für die Spanier und Portugiesen geschaffen worden. Die Studienabschlüsse sind in Deutschland und in den Heimatländern anerkannt, so daß sie sowohl für jene, die in ihre Heimat zurückkehren, als auch für die in Deutschland Bleibenden berufliche Chancen bieten. In der Einheit mit dem Papst, der gesamten Kirche und den Europäischen Bischofskonferenzen erheben die deutschen Bischöfe fünf Forderungen:
Die Unruhe in der Gesellschaft, die sich als Fremdenangst und Fremdenabwehr äußert, macht vor der Kirche, ihren Pfarreien und Verbänden nicht halt. Deswegen ist auch ein Wort in die Kirche hinein angezeigt. Was die Kirche nach außen sagen muss, ob gelegen oder ungelegen, verlangt in der Kirche selbst volle Geltung. Verkündigung, christliche Unterweisung und Erwachsenenbildung sollten sich daher ausdrücklich und ausführlich mit den Grundauffassungen der kirchlichen Lehre über die Familie, auch die Familie der Eingewanderten befassen (6). Des Weiteren muss die kirchliche Verkündigung die Aufgaben der Kirche gegenüber Minderheiten im eigenen Land herausstellen und an der Überwindung vorhandener Ängste, vor allem in Wohnbereichen mit einem hohen Anteil an nichtdeutscher Bevölkerung, mitwirken. Die Kirche hat darüber hinaus einen besonderen Beitrag zur gegenseitigen -Anerkennung, zur Annahme und Aufnahme der Ausländer zu leisten. Etwa zwei Millionen Ausländer in der Bundesrepublik Deutschland bekennen sich zum katholischen Glauben. Die innerkirchliche Gemeinschaft und Solidarität mit diesen Gläubigen ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, daß die Kirche ihren missionarischen Verkündigungsauftrag in der Gesellschaft wahrnehmen kann. In der innerkirchlichen Solidarität setzt die Kirche ein Zeichen für die Einheit der ganzen Menschheit (7). Wo die Christen selbst Solidarität, gegenseitige Anerkennung und Gemeinschaft verwirklichen, leisten sie einen wichtigen Beitrag für das brüderliche und partnerschaftliche Zusammenleben verschiedener Nationalitäten in unserem Land (8). Die Kirche muss sowohl durch ihre Erklärungen als auch durch ihr Verhalten verhindern, daß unsere Gesellschaft durch das Versagen gegenüber Minderheiten unabsehbaren Schaden nimmt. Es gibt nur eine gemeinsame Zukunft. Nicht Diskussionen und Programme werden das "Ausländerproblem" lösen, sondern nur Menschen, die ihrem ausländischen Nachbarn oder Arbeitskollegen so begegnen, wie Jesus Christus es getan hätte. (Entwurf: Herbert Leuninger) |