Herbert Leuninger

ARCHIV KIRCHE
1984

Bischöfe, Zentralkomitee und Ausländerpolitik

INHALT

Sonntag, 2. Dezember1984, 8:15 Uhr
Europa-Welle Saar (Saarländischer Rundfunk)
INTERVIEW (gekürzt)

SR:
In der vorigen Woche legte die Deutsche Bischofskonferenz eine Erklärung zur Ausländerfrage vor. Nur zwei Tage später lag dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken, also dem obersten deutschen katholischen Laiengremium, ein Entwurf für eine weitere Erklärung zur Ausländerfrage vor.

Diese Erklärung wurde dann zwar nach langen Diskussionen nicht verabschiedet, sondern zunächst noch zurückgestellt und einem anderen Gremium übergeben. Aber innerhalb weniger Tage zwei Erklärungen aus den Reihen der katholischen Kirche in der Bundesrepublik zur Ausländerfrage, was steckt dahinter, Herr Leuninger?

Leuninger:
Einerseits eine besondere Verantwortung gegenüber der nichtdeutschen Bevölkerung, andererseits unterschiedliche Ansätze in der Beurteilung und in den Forderungen, die an die Öffentlichkeit und die Politik zu richten sind. So gibt es eine Position der Bischöfe und eine des Zentralkomitees, die mehr vom politischen Ansatz her kommt.

SR:
Wo sehen Sie denn die Hauptunterschiede, etwas haben sie bereits angedeutet? Sind etwa die Anliegen der beiden Dokumente schon unterschiedlich, oder worin besteht der Unterschied?

Leuninger:
Wenn ich das Anliegen vom Grundsatz her unterscheide, so kommen die Bischöfe von den Menschenrechten her, wobei sie versuchen, die Grundrechte der nichtdeutschen Familien in den Vordergrund zu stellen. Das Zentralkomitee kommt mehr von einem politischen, nationalen Ansatz und eigentlich auch von einem nationalen Interesse her, was dann entsprechende Auswirkungen auf die Gestaltung der Ausländerpolitik haben muß. Dies ist ein Grundunterschied, der auch in den Papieren deutlich wird.

SR:
Dies deutet also auf eine verschiedene Zielsetzung beider Papiere hin?

Leuninger:
Ja. Die deutschen Bischöfe möchten in der ganzen Auseinandersetzung die Grundrechte einfordern, die den nichtdeutschen Familien einen ausreichenden Schutz und auch ein ausreichendes Recht gewährleisten. Beim Zentralkomitee geht es vom Ansatz her besonders darum, die Politik, die bisher von der jetzigen Bundesregierung proklamiert wurde, in irgendeiner Form vom Christlich-Kirchlichen her abzudecken.

SR:
Aber was macht nun der normale Katholik in der Bundesrepublik, der Kirchenbesucher, wenn er diese zwei verschiedenen Dokumente vor sich hat? Was ist für ihn verbindlich?

Leuninger:
Verbindlich ist für den Katholiken natürlich das, was die Bischöfe sagen. Jedoch kann er in der derzeitigen Situation davon ausgehen, dass sowohl das Zentralkomitee wie auch die Bischöfe alles daran gesetzt haben, um im Grundsätzlichen eine Übereinstimmung zu erzielen. Dies wird vom Zentralkomitee sehr stark betont. Deswegen kann man hoffen - und die Entwicklung dieser beiden Papiere läßt diesen Schluß zu -, daß das Zentralkomitee bemüht ist seine Positionen der Position der Bischöfe möglichst anzugleichen.

SR:
Hätte man nicht warten können und sich auf ein gemeinsames Dokument einigen können?

Leuninger:
Ich glaube, daß das nicht möglich gewesen wäre. Einerseits haben die Bischöfe eine Eigenverantwortung wahrzunehmen, die sie nicht mit dem Zentralkomitee teilen können, zum anderen glaube ich von der Vergangenheit her sagen zu können, daß die Bischöfe eine kritische Haltung eingenommen haben gegenüber der Ausländerpolitik der früheren Bundesregierung wie auch gegenüber der jetzigen Regierung. Das Zentralkomitee, in dem der politische Katholizismus einen starken Rückhalt besitzt, hat das Interesse und auch das Anliegen, die Politik der derzeitigen Bundesregierung zu stützen.

SR:
Können Sie sagen, wie es mit dem Dokument des Zentralkomitees weitergehen wird?

Leuninger:
Nach meiner Information haben die Mitglieder des Zentralkomitees die Möglichkeit, sich zu Einzelheiten des Papiers zu äußern und Änderungsvorschläge zu machen, die dann vom geschäftsführenden Ausschuss dieses Komitees einzuarbeiten sind und vor Weihnachten zu einer endgültigen Erklärung führen könnten.

SR:
Für den Februar nächsten Jahres ist in München eine größere Arbeitstagung "Ausländer und Deutsche miteinander leben - heute und morgen" vorgesehen. Glauben Sie, daß durch das Gerangel um dieses Dokument des Zentralkomitees der ökumenische Konsens gestört ist für die Vorbereitung und Durchführung dieser Tagung?

Leuninger:
Der war vielleicht - soweit ich das beurteilen kann - früher gestörter als jetzt. Sowohl eine Erklärung der Bischöfe als auch die jetzt noch zu verabschiedende Erklärung des Zentralkomitees bilden eine hinreichende Grundlage für die Tagung, wobei ich mir denken könnte, daß die Erklärung des Zentralkomitees durchaus noch diskussionswürdig genug bleibt, um kontroverse Diskussionen auszulösen.


2. Dezember1984
CORRIERE D'ITALIA
(Katholische Zeitung für die Italiener in der Bundesrepublik)
INTERVIEW
(unvollständig)
Bischöfe, Zentralkomitee und Ausländerpolitik

CdI:
In der vorigen Woche legte die Deutsche Bischofskonferenz eine Erklärung zur Ausländerfrage vor. Nur zwei Tage später lag dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken, also dem obersten deutschen katholischen Laiengremium, ein Entwurf für eine weitere Erklärung zur Ausländerfrage vor. Diese Erklärung wurde dann zwar nach langen Diskussionen nicht verabschiedet, sondern zunächst noch zurückgestellt und einem anderen Gremium übergeben. Was bedeutet dies?

Leuninger:
Es gibt sehr unterschiedliche Ansätze bei den Bischöfen und beim Zentralkomitee, wie die Ausländerpolitik zu bewerten ist und welche Vorstellungen künftig verwirklicht werden sollen.

CdI:
Wo sehen Sie denn die Hauptursachen?

Leuninger:
Bischöfe kommen von den Menschenrechten her, wobei sie versuchen, die Grundrechte der nichtdeutschen Familien in den Vordergrund zu stellen. Das Zentralkomitee kommt mehr von einem politischen, nationalen Ansatz her und vertritt in erster Linie nationale Interessen. Einfacher gesagt: die Bischöfe verstehen sich als Anwalt der nichtdeutschen Familien und das Zentralkomitee als Anwalt deutsch-nationaler Politik. Dies ist ein Grundunterschied, der auch in den Papieren deutlich wird.

CdI:
Dies deutet also auf eine verschiedene Zielsetzung beider Papiere hin?

Leuninger:
Ja. Die deutschen Bischöfe möchten in der ganzen Auseinandersetzung die Grundrechte gesichert wissen, die den nichtdeutschen Familien die Rechte auf Eigenverantwortung und auf Zusammenleben gewährleisten. Beim Zentralkomitee geht es besonders darum, die restriktive Politik, die bisher von der Bundesregierung proklamiert wurde, in irgendeiner Form von Christlich-Kirchlichen her abzudecken.

CdI:
Was ist denn nun für den Katholiken in der Bundesrepublik verbindlich?

Leuninger:
Verbindlich ist für den Katholiken natürlich das, was die Bischöfe sagen. Jedoch muß auch betont werden, daß sich Bischöfe und das Zentralkomitee die größte Mühe gegeben haben, doch zu einer Übereinstimmung im Grundsätzlichen zu kommen. Das Zentralkomitee betont, diese grundsätzliche Übereinstimmung sie gegeben...


Herbert Leuninger
Bischöfliches Ordinariat Limburg

STELLUNGNAHME
zum Entwurf des Präsidiums des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken (ZdK)
"Erklärung zur Ausländerpolitik"
anläßlich der Sitzung des ständigen Arbeitskreises
für Ausländerfragen des ZdK am 22.11.1984 in Bonn

1) Eine Erklärung des ZdK zur Ausländerpolitik kann im Grunde nicht abgegeben werden, wenn die betroffene Minderheit, über die entscheidende Aussagen gemacht werden,

  • daran nicht mitgewirkt hat,
  • dazu nicht ausreichend gehört wurde
  • und zu dieser nicht ihre Zustimmung gegeben haben.

Wenn die Kirche in der Gemeinsamen Synode eine Anwaltsfunktion übernommen hat, kann diese nur wahrgenommen werden, indem die betroffene Minderheit in den Meinungsbildungsprozess dessen, was der Anwalt in ihrem Interesse zu sagen hat, voll einbezogen ist.

Andernfalls setzt sich der Anwalt dem Verdacht aus, eigentlich nur seine Interessen, bzw. die der Mehrheit zu vertreten.

2) Dass das Präsidium des ZdK darüberhinaus an der von ihm selbst in dem ständigen Arbeitskreis für Ausländerfragen zusammengeführten
Fachkompetenz der Katholischen Kirche in der Bundesrepublik vorbeigegangen ist und diesem nicht nach § 2 der entsprechenden Geschäftsordnung die Möglichkeit gegeben ist, seine Anregungen und Vorschläge an das ZdK weiterzuleiten, ist einer der unverständlichsten Vorgänge, die ich bisher im Bereich der Katholischen Kirche registrieren konnte.

3) Dieser Vorgang führt neben anderen dazu, daß die Erklärung des ZdK weit hinter dem geistigen und spirituellen Standard zurückbleibt, den die Kirche in Europa und in der Welt in Migrationsfragen längst und überzeugend erreicht hat.

Es wäre in wohlverstandenem Interesse des ZdK und vor allem des durch ihn vertretenen Katholizismus, diese Erklärung nicht abzugeben.

Sonst ist zu befürchten, daß die öffentliche Auseinandersetzung über diese Erklärung die ökumenische Arbeitstagung 1985 in München überschattet und um ihren Erfolg bringt.