SR:
In der vorigen Woche legte die Deutsche
Bischofskonferenz eine Erklärung zur
Ausländerfrage vor. Nur zwei Tage
später lag dem Zentralkomitee der
deutschen Katholiken, also dem obersten
deutschen katholischen Laiengremium, ein
Entwurf für eine weitere Erklärung
zur Ausländerfrage vor.
Diese Erklärung wurde dann zwar nach
langen Diskussionen nicht verabschiedet,
sondern zunächst noch zurückgestellt
und einem anderen Gremium übergeben.
Aber innerhalb weniger Tage zwei Erklärungen
aus den Reihen der katholischen Kirche
in der Bundesrepublik zur Ausländerfrage,
was steckt dahinter, Herr Leuninger?
Leuninger:
Einerseits eine besondere Verantwortung
gegenüber der nichtdeutschen Bevölkerung,
andererseits unterschiedliche Ansätze
in der Beurteilung und in den Forderungen,
die an die Öffentlichkeit und die
Politik zu richten sind. So gibt es eine
Position der Bischöfe und eine des
Zentralkomitees, die mehr vom politischen
Ansatz her kommt.
SR:
Wo sehen Sie denn die Hauptunterschiede,
etwas haben sie bereits angedeutet? Sind
etwa die Anliegen der beiden Dokumente
schon unterschiedlich, oder worin besteht
der Unterschied?
Leuninger:
Wenn ich das Anliegen vom Grundsatz her
unterscheide, so kommen die Bischöfe
von den Menschenrechten her, wobei sie
versuchen, die Grundrechte der nichtdeutschen
Familien in den Vordergrund zu stellen.
Das Zentralkomitee kommt mehr von einem
politischen, nationalen Ansatz und eigentlich
auch von einem nationalen Interesse her,
was dann entsprechende Auswirkungen auf
die Gestaltung der Ausländerpolitik
haben muß. Dies ist ein Grundunterschied,
der auch in den Papieren deutlich wird.
SR:
Dies deutet also auf eine verschiedene
Zielsetzung beider Papiere hin?
Leuninger:
Ja. Die deutschen Bischöfe möchten
in der ganzen Auseinandersetzung die Grundrechte
einfordern, die den nichtdeutschen Familien
einen ausreichenden Schutz und auch ein
ausreichendes Recht gewährleisten.
Beim Zentralkomitee geht es vom Ansatz
her besonders darum, die Politik, die bisher
von der jetzigen Bundesregierung proklamiert
wurde, in irgendeiner Form vom Christlich-Kirchlichen
her abzudecken.
SR:
Aber was macht nun der normale Katholik
in der Bundesrepublik, der Kirchenbesucher,
wenn er diese zwei verschiedenen Dokumente
vor sich hat? Was ist für ihn verbindlich?
Leuninger:
Verbindlich ist für den Katholiken
natürlich das, was die Bischöfe
sagen. Jedoch kann er in der derzeitigen
Situation davon ausgehen, dass sowohl das
Zentralkomitee wie auch die Bischöfe
alles daran gesetzt haben, um im Grundsätzlichen
eine Übereinstimmung zu erzielen.
Dies wird vom Zentralkomitee sehr stark
betont. Deswegen kann man hoffen - und
die Entwicklung dieser beiden Papiere läßt
diesen Schluß zu -, daß das
Zentralkomitee bemüht ist seine Positionen
der Position der Bischöfe möglichst
anzugleichen.
SR:
Hätte man nicht warten können
und sich auf ein gemeinsames Dokument einigen
können?
Leuninger:
Ich glaube, daß das nicht möglich
gewesen wäre. Einerseits haben die
Bischöfe eine Eigenverantwortung wahrzunehmen,
die sie nicht mit dem Zentralkomitee teilen
können, zum anderen glaube ich von
der Vergangenheit her sagen zu können,
daß die Bischöfe eine kritische
Haltung eingenommen haben gegenüber
der Ausländerpolitik der früheren
Bundesregierung wie auch gegenüber
der jetzigen Regierung. Das Zentralkomitee,
in dem der politische Katholizismus einen
starken Rückhalt besitzt, hat das
Interesse und auch das Anliegen, die Politik
der derzeitigen Bundesregierung zu stützen.
SR:
Können Sie sagen, wie es mit dem Dokument
des Zentralkomitees weitergehen wird?
Leuninger:
Nach meiner Information haben die Mitglieder
des Zentralkomitees die Möglichkeit,
sich zu Einzelheiten des Papiers zu äußern
und Änderungsvorschläge zu machen,
die dann vom geschäftsführenden
Ausschuss dieses Komitees einzuarbeiten
sind und vor Weihnachten zu einer endgültigen
Erklärung führen könnten.
SR:
Für den Februar nächsten Jahres
ist in München eine größere
Arbeitstagung "Ausländer und Deutsche
miteinander leben - heute und morgen" vorgesehen.
Glauben Sie, daß durch das Gerangel
um dieses Dokument des Zentralkomitees
der ökumenische Konsens gestört
ist für die Vorbereitung und Durchführung
dieser Tagung?
Leuninger:
Der war vielleicht - soweit ich das beurteilen
kann - früher gestörter als jetzt.
Sowohl eine Erklärung der Bischöfe
als auch die jetzt noch zu verabschiedende
Erklärung des Zentralkomitees bilden
eine hinreichende Grundlage für die
Tagung, wobei ich mir denken könnte,
daß die Erklärung des Zentralkomitees
durchaus noch diskussionswürdig genug
bleibt, um kontroverse Diskussionen auszulösen.
2.
Dezember1984
CORRIERE D'ITALIA
(Katholische Zeitung für die Italiener
in der Bundesrepublik)
INTERVIEW
(unvollständig)
Bischöfe, Zentralkomitee
und Ausländerpolitik
CdI:
In der vorigen Woche legte die Deutsche
Bischofskonferenz eine Erklärung zur
Ausländerfrage vor. Nur zwei Tage
später lag dem Zentralkomitee der
deutschen Katholiken, also dem obersten
deutschen katholischen Laiengremium, ein
Entwurf für eine weitere Erklärung
zur Ausländerfrage vor. Diese Erklärung
wurde dann zwar nach langen Diskussionen
nicht verabschiedet, sondern zunächst
noch zurückgestellt und einem anderen
Gremium übergeben. Was bedeutet dies?
Leuninger:
Es gibt sehr unterschiedliche Ansätze
bei den Bischöfen und beim Zentralkomitee,
wie die Ausländerpolitik zu bewerten
ist und welche Vorstellungen künftig
verwirklicht werden sollen.
CdI:
Wo sehen Sie denn die Hauptursachen?
Leuninger:
Bischöfe kommen von den Menschenrechten
her, wobei sie versuchen, die Grundrechte
der nichtdeutschen Familien in den Vordergrund
zu stellen. Das Zentralkomitee kommt mehr
von einem politischen, nationalen Ansatz
her und vertritt in erster Linie nationale
Interessen. Einfacher gesagt: die Bischöfe
verstehen sich als Anwalt der nichtdeutschen
Familien und das Zentralkomitee als Anwalt
deutsch-nationaler Politik. Dies ist ein
Grundunterschied, der auch in den Papieren
deutlich wird.
CdI:
Dies deutet also auf eine verschiedene
Zielsetzung beider Papiere hin?
Leuninger:
Ja. Die deutschen Bischöfe möchten
in der ganzen Auseinandersetzung die Grundrechte
gesichert wissen, die den nichtdeutschen
Familien die Rechte auf Eigenverantwortung
und auf Zusammenleben gewährleisten.
Beim Zentralkomitee geht es besonders darum,
die restriktive Politik, die bisher von
der Bundesregierung proklamiert wurde,
in irgendeiner Form von Christlich-Kirchlichen
her abzudecken.
CdI:
Was ist denn nun für den Katholiken
in der Bundesrepublik verbindlich?
Leuninger:
Verbindlich ist für den Katholiken
natürlich das, was die Bischöfe
sagen. Jedoch muß auch betont werden,
daß sich Bischöfe und das Zentralkomitee
die größte Mühe gegeben
haben, doch zu einer Übereinstimmung
im Grundsätzlichen zu kommen. Das
Zentralkomitee betont, diese grundsätzliche
Übereinstimmung sie gegeben...
Herbert Leuninger
Bischöfliches Ordinariat Limburg
STELLUNGNAHME
zum Entwurf des Präsidiums des Zentralkomitees
der Deutschen Katholiken (ZdK)
"Erklärung zur
Ausländerpolitik"
anläßlich
der Sitzung des ständigen Arbeitskreises
für Ausländerfragen des ZdK am
22.11.1984 in Bonn
1) Eine Erklärung des ZdK zur Ausländerpolitik
kann im Grunde nicht abgegeben werden,
wenn die betroffene Minderheit, über
die entscheidende Aussagen gemacht werden,
- daran nicht mitgewirkt hat,
- dazu nicht ausreichend gehört
wurde
- und zu dieser nicht ihre Zustimmung
gegeben haben.
Wenn die Kirche in der Gemeinsamen Synode
eine Anwaltsfunktion übernommen hat,
kann diese nur wahrgenommen werden, indem
die betroffene Minderheit in den Meinungsbildungsprozess
dessen, was der Anwalt in ihrem Interesse
zu sagen hat, voll einbezogen ist.
Andernfalls setzt sich der Anwalt dem
Verdacht aus, eigentlich nur seine Interessen,
bzw. die der Mehrheit zu vertreten.
2) Dass das Präsidium des ZdK darüberhinaus
an der von ihm selbst in dem ständigen
Arbeitskreis für Ausländerfragen
zusammengeführten
Fachkompetenz der Katholischen Kirche in
der Bundesrepublik vorbeigegangen ist und
diesem nicht nach § 2 der entsprechenden
Geschäftsordnung die Möglichkeit
gegeben ist, seine Anregungen und Vorschläge
an das ZdK weiterzuleiten, ist einer der
unverständlichsten Vorgänge,
die ich bisher im Bereich der Katholischen
Kirche registrieren konnte.
3) Dieser Vorgang führt neben anderen
dazu, daß die Erklärung des
ZdK weit hinter dem geistigen und spirituellen
Standard zurückbleibt, den die Kirche
in Europa und in der Welt in Migrationsfragen
längst und überzeugend erreicht
hat.
Es wäre in wohlverstandenem Interesse
des ZdK und vor allem des durch ihn vertretenen
Katholizismus, diese Erklärung nicht
abzugeben.
Sonst ist zu befürchten, daß
die öffentliche Auseinandersetzung
über diese Erklärung die ökumenische
Arbeitstagung 1985 in München überschattet
und um ihren Erfolg bringt.
|