FRANKFURTER ALLGEMEINE
ZEITUNG FÜR DEUTSCHLAND
20.12.1973
(Leitartikel S. 1)
Wider besseren Rat
Rr. Die jetzige Bundesregierung braucht offensichtlich keine Ratgeber, sie weiß
selbst alles am besten. Zuerst hat sie den Sachverständigenrat wegen der Erstellung eines
Sondergutachtens über die jetzige Wirtschaftslage zur Eile gemahnt, als dann aber die Diagnose
einschließlich Empfehlungen vorlag, hat die Regierung bei ihren konjunkturpolitischen Beschlüssen
keinerlei Notiz davon genommen.
Sie hat den finanzpolitischen Teil des Stabilitätskurses kurzerhand über
Bord geworfen, anstatt, wie die Sachverständigen empfohlen haben, angesichts der mit der
Ölkrise verbundenen Produktionshemmnisse jetzt erst recht daran festzuhalten.
In unverständlicher Hast wurden unter dem Motto, jetzt komme es vor allem auf
die Sicherung der Arbeitsplätze an, alle vorher gegen die Inflation errichteten Dämme
wieder eingerissen. Natürlich will niemand eine ernste Arbeitslosigkeit, aber die Bundesbürger
sind wohl kaum bereit, einen noch stärkeren Preisanstieg als bisher in Kauf zu nehmen, nur
damit bei uns auch weiterhin weit über zwei Millionen Gastarbeiter Beschäftigung finden
können. Wo steht eigentlich geschrieben, dass die Bundesrepublik ständig der große
Arbeitgeber ganz Europas sein muss?
Anstatt die uns von außen aufgezwungene Ölkrise zum Anlass zu nehmen,
die Zahl der Gastarbeiter etwas zu vermindern, zeigt sich die Bundesregierung hauptsächlich
darauf bedacht, populäre Augenblickserfolge zu erzielen und der staunenden Mitwelt Aktivität
zu demonstrieren. Wobei verschwiegen wird, auf welch gefährliches Spiel man sich dabei einlässt.
Noch ist allerdings nicht alle Mühe um die Stabilität verloren, solange
wenigstens die Bundesbank an ihrem Kurs festhält. Zugleich aber ist zu befürchten, dass
die Bundesregierung nunmehr auch auf diese einen zunehmenden Druck ausüben wird, die kreditpolitischen
Bremsen zu lockern. Schon war zu hören, wenn die Bundesbank nicht pariere, dann werde man
unter Umständen das Bundesbankgesetz ändern und die Unabhängigkeit der Zentralbank
beschneiden müssen. Man kann den Regierenden nur raten, mit solchen Drohungen vorsichtig
zu sein. Denn ein Angriff auf den Status der Bundesbank, die in der breiten Öffentlichkeit
– was die Stabilitätspolitik angeht – ein größeres Vertrauen genießt als
die Regierung, würde eine Welle der Empörung auslösen.
Die Bundesbank sollte daher auch im Vertrauen auf die öffentliche Meinung weiterhin
an ihrem Stabilitätskurs festhalten.
BISCHÖFLICHES ORDINARIAT LIMBURG DEZERNAT KIRCHLICHE DIENSTE
Referent für kirchliche Ausländerarbeit
Limburg, den 21.12.73
Betr.: Leitartikel "Wider besseren Rat" in der Ausgabe vorn 20.12.73
Sehr geehrte Herren !
Der Leitartikel "Wider besseren Rat" wendet sich gegen die jüngsten konjunkturpolitischen
Bemühungen der Bundesregierung, die auf die Sicherung der Arbeitsplätze ausgerichtet
sind. Dagegen wird in dem genannten Beitrag dafür plädiert, die Ölkrise zu benutzen,
um die Zahl der Gastarbeiter etwas zu verringern, zumal die Bundesrepublik ja wohl nicht ständig
der große Arbeitgeber ganz Europas sein müsse.
Hierzu ist zu sagen, dass ein "Arbeitgeber Bundesrepublik" nicht wie ein Arbeitgeber
des Frühkapitalismus Leute kommen und gehen lassen kann, wie es ihm gerade beliebt. Bezogen
auf die ausländischen Arbeitnehmer heißt das: Wenn die Bundesrepublik über die
Anwerbestellen der Bundesanstalt für Arbeit Menschen in unser Land geholt hat, wäre
es aus moralischer Sicht unverantwortlich, diese Menschen vielleicht zu Hunderttausenden rein
aus konjunkturpolitischen Überlegungen heraus in eine große Existenzunsicherheit zu
stürzen. Alles andere wäre Chauvinismus, der an einem humanen Bewusstseinsstand gemessen,
längst überholt ist.
Daher ist es zu begrüßen, wenn die Bundesregierung nach Möglichkeiten
sucht die Arbeitsplätze - gerade auch der Ausländer - zu erhalten, selbst auf Kosten
sonstiger wirtschaftspolitischer Nachteile. Diese Nachteile auf die gesamte Bevölkerung verteilt,
schüfen eine gerechtere Situation als der Versuch, die aufkommende Wirtschaftskrise dadurch
zu meistern, dass sie dem schwächsten Bevölkerungsteil, der sich zudem nicht wehren
kann, die Hauptlast aufbürden. Wer weiß, welche Unsicherheit bei den ausländischen
Arbeitern und ihren Familien dadurch entstanden ist, dass das Bundesarbeitsministerium die Anweisung
gegeben hat, die Voraussetzungen für die Erteilung einer Arbeitserlaubnis streng zu prüfen, kann die neuen Beschlüsse der Bundesregierung nur als eine bedeutsame
Korrektur dieser bedenklichen Anweisung werten.
Mit freundlichem Gruß
(Herbert Leuninger)
Ausländerreferent
Bischöfliches Ordinariat Limburg
FRANKFURTER ALLGEMEINE
ZEITUNG FÜR DEUTSCHLAND
24. Januar 1974 Dr. Rr./sch
Bischöfliches Ordinariat
6250 Limburg
Rossmarkt 4
Sehr geehrter Leuninger,
haben Sie verbindlichen Dank für Ihre Zuschrift zu unserer Glosse „Wider besseren
Rat". Natürlich denkt niemand daran, alle ausländischen Gastarbeiter rücksichtslos
in ihre Heimatländer zurück zu schicken. Aber wenn es zu einer ernsten Arbeitslosigkeit
in der Bundesrepublik kommen sollte, dann können Sie doch nicht erwarten, dass die deutschen
Arbeitnehmer und Gewerkschaften es hinnehmen werden, dass Deutsche zugunsten einer Weiterbeschäftigung
von Ausländern stempeln gehen. Außerdem wissen auch Sie, dass die Beschäftigung
so vieler Gastarbeiter in zunehmendem Maße Probleme aller Art in der Bundesrepublik aufwirft,
und dass sich die Stimmen mehren, die auch aus diesem Grund schon vor der Ölkrise für
eine Reduzierung der Gastarbeiterzahl eingetreten sind.
Die Weiterbeschäftigung aller Gastarbeiter, selbst , wie Sie schreiben, „auf
Kosten sonstiger wirtschaftspolitischer Nachteile" ist sowohl politisch wie sozialpolitisch
nicht vertretbar. Sollen wir zum Beispiel noch mehr Inflation machen, nur um Ausländern ihren
Arbeitsplatz in der Bundesrepublik zu erhalten? Das wäre gegenüber allen deutschen Sparern
in hohem Maße unverantwortlich.
Mit freundlichen Grüssen
FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG
- Wirtschaftsredaktion -
(Dr. Roeper)
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