Herbert Leuninger | ARCHIV
MIGRATION 1976 | ||
Hofheim
(Taunus),13. Januar 1976
Initiativausschuss "Ausländische Mitbürger in Hessen" Stellungnahme zum
"Entwurf von Thesen zur Ausländerpolitik" der Bundesregierung | |||
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I. Der "Entwurf von Thesen zur Ausländerpolitik" der Bundesregierung versucht den Eindruck zu erwecken, daß die in ihm umrissene Ausländerpolitik eine Fortsetzung der im "Aktionsprogramm zur Ausländerbeschäftigung vom 6.Juni 1973" aufgezeichneten Politik darstelle: In These 1 des Thesen-Entwurfes heißt es: "Die Bundesregierung hat in ihrem Aktionsprogramm zur Ausländerbeschäftigung vom 6.Juni 1973 den Grundsatz der sozial verantwortlichen Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung aufgestellt. Sie wird diese Politik konsequent fortsetzen". Diese Aussage ist irreführend. Die im Thesen-Entwurf dargelegten Vorstellungen bedeuten keine Fortsetzung der im Aktionsprogramm vom 6.Juni 1973 vorgelegten Konzeption. sondern zeigen vielmehr eine deutliche Abkehr von ihr an: 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. II. Zur Begründung dieser Aussagen ist auf das in dem Aktionsprogramm zur Ausländerbeschäftigung vom 6.Juni 1973 und dem Thesen-Entwurf der Bundesregierung unterschiedliche Verständnis des Begriffs "sozial verantwortliche Konsolidierung. der Ausländerbeschäftigung" zu verweisen: A. Aktionsprogramm 6. Juni 1973 Im Aktionsprogramm vom 6.Juni 1973 wird dieser Begriff noch in erheblichem Maße zugunsten der sozialen und gesellschaftlichen Interessen der ausländischen Arbeiter verwandt: Der ausländische Arbeiter dürfe nicht länger unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten als Arbeitskraft, sondern müsse als Mensch mit sozialen und gesellschaftlichen Ansprüchen gesehen werden: "Meine Damen und Herren, wir dürfen nicht zulassen, daß diese Bevölkerungsgruppe zunehmend zu einer Randgruppe unserer Gesellschaft wird. Die sozialen und gesellschaftlichen Erfordernisse dürfen nicht länger hinter den einzelwirtschaftlichen Überlegungen zurückstehen". Aus diesem Grunde solle die Neuzuwanderung ausländischer Arbeiter dadurch erschwert werden, daß eine ausschließlich ökonomisch bestimmte Vermittlung ausländischer Arbeiter, die die infrastrukturellen Gegebenheiten unberücksichtigt läßt, unterbunden wird:
Einige Elemente dieser im Aktionsprogramm vom 6. Juni 1973 beschlossenen Maßnahmen sind zwar schon äußerst bedenklich - so wird durch die Zulassungsbeschränkung in sogenannte überlastete Siedlungsgebiete einseitig für ausländische Arbeiter das Recht auf Freizügigkeit eingeengt -, aber die hier gefaßten Beschlüsse zeugen doch immerhin noch von einer gewissen sozialen Verantwortung für die ausländischen Arbeiter, indem sie zwei Ziele verfolgen:
Zu b): Das Aktionsprogramm vom 6.Juni 1973 hat noch die soziale Integration der ausländischen Arbeiter in die bundesrepublikanische Gesellschaft im Blick:
B. Thesen-Entwurf vom November 1975 Während im Aktionsprogramm vom 6.Juni 1973 der Begriff "sozial verantwortliche Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung" noch im Großen und Ganzen zugunsten der sozialen und gesellschaftlichen Interessen der ausländischen Arbeiter ausgelegt worden ist, erhält er im Thesen-Entwurf eine deutlich andere Färbung. Dies geht daraus hervor, daß die im Aktionsprogramm vom 6.Juni 1973 enthaltene Aussage von dem "Vorrang der sozialen und gesellschaftlichen Erfordernisse vor einzelwirtschaftlichen Interessen" zwar in den Thesen-Entwurf übernommen, aber mit dem Zusatz "gesamtwirtschaftliche" versehen wird, so daß es im Thesen-Entwurf heißt: "Die Bundesregierung hält es für erforderlich, bei der Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer gesamtwirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Erfordernissen den Vorrang vor einzelwirtschaftlichen Interessen einzuräumen". Durch diesen Zusatz "gesamtwirtschaftlich" wird der im Aktionsprogramm vom 6.Juni 1973 gemeinte Sinn der Aussage verfälscht: dort sollte gesagt werden, daß die menschlichen Belange der ausländischen Arbeiter Vorrang vor einseitig wirtschaftlichen Erwägungen haben müßten, während im Thesen-Entwurf durch den genannten Zusatz gesamtwirtschaftliche Gesichtspunkte Priorität bekommen. Die menschlichen Belange der ausländischen Arbeiter werden jetzt dem gesamtwirtschaftlichen Interesse der Bundesrepublik untergeordnet. Daß diese Interpretation richtig ist, beweist der Umstand, daß in den Thesen-Entwurf - erstmalig in ein Regierungspapier - hinsichtlich der Ausländerbeschäftigung der Kosten-Nutzen-Aspekt aufgenommen wird: "Die einzelwirtschaftlich meist positive Beurteilung der Beschäftigung von Ausländern ist wegen der fehlenden Zurechnung volkswirtschaftlicher Kosten (z.B. Folgekosten für Infrastruktur) nicht ohne weiteres auf die Gesamtwirtschaft zu übertragen" (These 2); "Leitidee bleibt der Ausgleich zwischen den sozialen und humanitären Ansprüchen der in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländer, den Interessen der Entsendeländer und dem gesellschaftlichen und gesamtwirtschaftlichen Nutzen für die Bundesrepublik Deutschland" (These 1). Die Anwendung des Kosten-Nutzen-Aspektes auf die ausländischen Arbeiter verrät mit kaum zu überbietender Deutlichkeit ihre Degradierung zu zwar nützlichen, aber billigen Werkzeugen. Während man bei den Deutschen davon ausgeht, daß für sie die notwendigen Infrastruktureinrichtungen geschaffen werden müßten, wird den Ausländern gewissermaßen vorgerechnet, daß sie Kosten verursachen. Es wird hier eine durch und durch inhumane Unterscheidung getroffen zwischen Menschen (Einheimischen), deren Bedürfnisse befriedigt werden müssen, und Arbeitskräften (Ausländern), die zwar wirtschaftlichen Nutzen bringen, aber möglichst keine Kosten verursachen sollen (siehe Marios Nikolinakos: "Politische Ökonomie der Gastarbeiterfrage, rororo-aktuell Nr. 1581, S. 102). Da jetzt im Thesen-Entwurf der "gesamtwirtschaftliche Nutzen für die Bundesrepublik Deutschland" oberster Gesichtspunkt der Ausländerpolitik wird, wird in ihm folgerichtig nicht mehr einem Ausbau, sondern vielmehr einem Abbau der Rechte der ausländischen Arbeiter das Wort geredet. Nicht mehr die Integration der ausländischen Arbeiter in die bundesrepublikanische Gesellschaft, sondern ihre "Reintegration" in ihre Heimatländer tritt bei dem Thesen-Entwurf in den Vordergrund des Regierungsinteresses. Während in den "Grundsätzen zur Eingliederung ausländischer Arbeitnehmer und ihrer Familien", herausgegeben vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung im Jahre 1972, noch an alle Gruppen der Gesellschaft appelliert wurde, die Eingliederung der Ausländer in die bundesrepublikanische Gesellschaft als ihre Aufgabe anzusehen, wird im Thesen-Entwurf an die Länder, Gewerkschaften, Unternehmer, Kirchen und privaten Institutionen appelliert, "mit dazu beizutragen, die Rückkehr und berufliche Wiedereingliederung ausländischer Arbeitnehmer zu erleichtern. Dabei kommt auch den Beratungseinrichtungen für ausländische Arbeitnehmer eine wichtige Aufgabe zu" (These 14) ):
C. Der Begriff "sozial verantwortliche Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung" wurde im Aktionsprogramm vom 6.Juni 1973 noch vorwiegend zugunsten der sozialen und gesellschaftlichen Interessen der ausländischen Arbeiter gegenüber den wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgelegt. Im Thesen-Entwurf dagegen wird dieser Begriff zugunsten des gesamtwirtschaftlichen Nutzens für die Bundesrepublik gegenüber den sozialen und gesellschaftlichen Belangen der ausländischen Arbeiter interpretiert. Die Aussagen des Thesen-Entwurfes stehen, entgegen der in ihm aufgestellten Behauptungen, in klarem Gegensatz zu denen des Aktionsprogramms vom 6.Juni 1973. Die Bundesregierung will also offenbar keineswegs ihre bis zur Rezession im Jahre 1973 proklamierte Ausländerpolitik aufrecht erhalten, sondern ganz im Gegenteil sich von ihr abkehren. Dieses Argumentationspapier des Initiativausschusses "Ausländische Mitbürger in Hessen" kann mit oder ohne Quellenangabe nachgedruckt bzw. übernommen werden. |