Herbert Leuninger

ARCHIV MIGRATION
1976

Frankfurter Rundschau vom 19. Februar 1976
Leserbrief
"Humane" Ausländervertreibung?

Wieder einmal will sich laut dem FR-Artikel vom 20.2. "Filbinger ist die Zahl der Ausländer zu hoch" der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Hans Filbinger auf Bundesebene für die Verringerung der Ausländerbeschäftigung einsetzen.

Hiervon verspricht er sich bessere Chancen für ungelernte, arbeitslose Jugendliche. Dies ist eine neue Variante der landläufigen Auffassung, Ausländer nähmen den Deutschen die Arbeitsplätze weg.

Diese Auffassung ist nach wie vor falsch. 530.000 ausländische Arbeiter, d.h. 20 Prozent, haben im Laufe der Wirtschaftskrise ihre Arbeit verloren. Sie stellen damit den Teil der Arbeiterschaft dar, der mit am stärksten die Lasten der Rezession aufgebürdet bekam. Die jetzt noch zwei Millionen beschäftigten Ausländer nehmen ganz überwiegend Arbeitsplätze ein, die für deutsche Arbeiter wegen der ungünstigen Arbeitsbedingungen nicht mehr in Frage kommen.

Hinsichtlich der Jugendlichen, die arbeitslos sind und keinen Beruf erlernt haben, sind sicher ganz andere gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Maßnahmen nötig als die, welche auf eine "humane" Ausländervertreibung abzielen. Die Jugendarbeitslosigkeit verlangt eine veränderte Einstellung zur nachwachsenden Generation und ihrem Lebensrecht. Sie als konkurrierende Gruppe gegen die noch schwächere der Ausländer in die arbeitsmarktpolitische Arena zu jagen, ist ein neuer Höhepunkt unsozialer Politik, mit der der baden-württembergische Ministerpräsident allerdings nicht allein steht.

H. Leuninger, Pfarrer,
Ausländerreferent, Limburg


Staatsministerium
Baden-Württemberg

Nr. 9100

 

Stuttgart 1, den 19. März 1976
Richard-Wagner-Straße 15
Fernsprecher:
Durchwahl (0711) 2153-289
Vermittlung (0711) 2153-1
Telex 7 23 711 und 7 22 207

Herrn
Pfarrer
Herbert Leuninger
Teutonenstraße 13 a

6238 Hofheim/Taunus

 

Betr.. Verringerung der Ausländerbeschäftigung

Sehr geehrter Herr Leuninger,

vielen Dank für die Übersendung Ihres Leserbriefes vom 18. Februar 1976 an die Frankfurter Rundschau, in dem Sie kritisch zu den Bemühungen Baden-Württembergs um eine Verringerung der Ausländerbeschäftigung Stellung nehmen.

Fast alle Experten sind sich einig, daß die Zahl der ausländischen Beschäftigten in der Bundesrepublik mittelfristig und. strukturell überhöht ist. Es ist eine nicht zu leugnende Tatsache, daß wir bis 1985,bedingt durch den Abbau von Arbeitsplätzen. und den Eintritt der geburtenstarken Jahrgänge ins Erwerbsleben, mit einem Arbeitsplatzdefizit von 1,3 bis 1,5 Millionen rechnen müssen. In dieser Situation halten wir es für unumgänglich, daß der Anteil der ausländischen Arbeitskräfte in den kommenden Jahren verringert wird.

Es ist zwar richtig, daß die bei uns beschäftigten Ausländer gegenwärtig überwiegend Arbeitsplätze einnehmen, die für deutsche Arbeitnehmer nicht attraktiv genug sind. Diese Entwicklung beruht aber allein auf dem bisherigen Überangebot an Arbeitskräften. Wenn künftig diese knapp werden, dann wird sicher auch unter unseren Mitbürgern die Bereitschaft, auch die sogenannten unbegehrten Arbeiten zu verrichten, wieder größer werden.

Selbstverständlich wird dieser Umdenkungsprozeß nicht von heute auf morgen vonstatten gehen; dies enthebt die politisch Verantwortlichen jedoch nicht von ihrer Verpflichtung, bereits jetzt Anstrengungen zu unternehmen, damit später nicht arbeitslose Jugendliche auf der Straße liegen.

Dies bedeutet in erster Linie, daß insbesondere auch den ungelernten Jugendlichen, die heute schon zwei Drittel der jugendlichen Arbeitslosen ausmachen, Arbeitsmöglichkeiten verschafft werden. Unter diese Aspekt halten wir es keineswegs für unsozial, wenn von staatlicher Seite der Versuch unternommen wird, möglichst viele Ausländer zur freiwilligen Rückkehr in ihre Heimatländer zu bewegen. Es geht uns darum, die jetzt noch bei vielen Ausländern vorhandene Rückkehrbereitschaft, die sich noch nicht allzu lange in der Bundesrepublik aufhalten, gezielt zu fördern. Daß bei vielen Ausländern diese Rückkehrbereitschaft durchaus vorhanden ist, hat der Erfolg unserer Abfindungsaktion bei AUDI-NSU in Neckarsulm im Sommer vergangenen Jahres gezeigt. Hier waren 2 000 ausländische Arbeitslose gegen Zahlung einer Abfindungsprämie bereit, in ihre Heimat zurückzukehren.

Wir sind uns vollkommen bewußt, daß Ausländer, die sich schon 10 Jahre und länger in der Bundesrepublik aufhalten, nicht ohne weitere zur freiwilligen Rückkehr veranlaßt werden können. Dies wollen wir auch nicht tun. Ihnen müssen wir vielmehr die Chance einer Einbürgerung einräumen.

Ich hoffe, Sie mit diesen Ausführungen davon überzeugt zu haben, daß Baden-Württemberg keineswegs eine Abschiebepolitik auf Kosten der Ausländer betreiben will, sondern sich ernsthaft um eine Bewältigung des nicht mehr zu leugnenden Problems der Ausländerbeschäftigung auf humane Weise bemüht.

Mit freundlichen Grüßen

(Dr. Benz)
Ministerialdirigent


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