(auszugsweise)
HR
Das Schwergewicht liegt auf der zweiten Generation der Gastarbeiter, auf denen, die hier geboren
sind und jetzt heranwachsen. Es ist eine ganze Million junger Menschen, bei denen sich große soziale
Probleme abzeichnen. Will man jetzt diese Probleme lösen, indem man die jungen Leute Deutsche
werden lässt ? Reichen aber die Änderungen der rechtlichen Grundlagen dazu aus? Schließlich haben
diese Kinder in der Schule keine vollwertige Ausbildung erhalten, sondern immer wieder eine Diskriminierung
erlebt.
HL (Herbert Leuninger)
Das Angebot einer schnellen und unproblematischen Einbürgerung ist ein interessantes Diskussionsthema,
das ich natürlich in dem Rahmen einer neuen Einwanderungspolitik sehe und von da aus erst einmal
positiv aufgreife, wohlwissend, dass hier sehr große Probleme mit verbunden sind. Ich glaube nämlich
nicht, dass wir die Eingliederung durch eine Nationalisierung der gesamten Problematik lösen können,
sondern ich glaube, wir müssten uns schon europäische Lösungen einfallen lassen, bis hin zu einem
europäischen Bürgerrecht; denn die Untersuchungen, die bisher vorliegen, zeigen, dass selbst die
ausländischen Mitbürger, die schon seit Jahren hier sind, u.U. auf Dauer hier bleiben wollen und
nicht mehr daran denken, mit ihren Familien zurück zu gehen – es auch nicht mehr können -, dass
sie nicht bereit sind und von niemandem gezwungen werden möchten, dass sie sich als Deutsche fühlen
sollen. Sie möchten doch Italiener bleiben oder sich als Griechen fühlen...
HR
Wollen wir Ausländer überhaupt Deutsche werde? Gibt es da Untersuchungen?
HL
Nach bisherigen Untersuchungen ist das nur ein verschwindend geringer Teil, der etwa bei 11% liegt,
der sich dann noch einbürgern lassen will, wenn er die bisherige Staatsangehörigkeit aufgibt.
Ich sehe darin keine Lösung.
HR
Es lässt sich aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß durch die Anerkennung der Staatsbürgerschaft
für die Ausländer ihre Probleme, d.h. Wohnungsprobleme, Schulprobleme etc. gelöst werden.
HL
Das ist richtig. Sie haben aber politisch einen ganz anderen Anspruch darauf, daß entsprechende
Lösungen gesucht werden. Ich glaube, die Veränderungen der Rahmenbedingungen lösen noch nicht
alles, sie schaffen aber die Voraussetzungen und die Chancen zur Lösung, die wesentlich günstiger
sind als bisher.
HR
Sie haben gesagt, dass die Möglichkeit, das Bürgerrecht zu erhalten, zwar die sozialen und schulischen
Probleme nicht löst, jedoch die politischen Rahmenbedingungen verändert. Bitte erläutern Sie das
etwas näher.
HL
Ich glaube es ist ein sehr großer Unterschied, ob ein Spitzenpolitiker im Fernsehen sagt: Die
Ausländer bleiben nur für eine gewisse Zeit hier. Während dieser Zeit sollen sie hier human leben
können. Oder ob er sagt: Wir sind ein Einwanderungsland geworden für die, die hier mit ihren Familien
schon seit Jahren leben. Er beeinflusst damit auf eine ganz entscheidende Weise die öffentliche
Meinung, die sich sehr stark daran orientiert, was die Spitzenpolitiker sagen und umgekehrt natürlich
auch. Wenn das in der Öffentlichkeit eine akzeptierte These ist, dann sind alle folgenden politischen
Entscheidungen, die davon abhängen, ganz anders und können ganz anders sein &xnbsp;- etwa auch im schulischen
Bereich -, als wenn ständig mit diesem Zielkonflikt gearbeitet wird, sie zu integrieren, solange
sie da sind,&xnbsp; aber eigentlich wäre es einfacher, wenn sie wieder gingen. Wenn das Angebot der
Eingliederung gemacht wird - ohne jemanden zu zwingen -, dann kann das politisch gang anders aufgearbeitet
werden, als das bisher getan wurde.
HR
Sie meinen sicher, daß das politische Gewicht der Ausländer, die dann Deutsche werden, eine große
Rolle spielen wird, was die Reaktion der Politiker betrifft ?
HL
Auch das würde die Gewichte u. U. verändern, bzw. zumindest die Politiker hellhöriger machen auf
die sicher dann auch noch bestehende gesellschaftspolitische und soziale Problematik dieses Bevölkerungsteils.
HR
Sind die Versäumnisse der vergangenen 20 Jahre - im schulischen und beruflichen Bereich - noch
aufzuholen, was meinen Sie ?
HL
Ich bin da eher skeptisch, daß die Versäumnisse und die dadurch entstandenen Defizite noch in
einer vertretbaren Weise aufgearbeitet werden. Dies setzt einen finanziellen und personellen Einsatz
voraus, der m. E. selbst unter günstigen Bedingungen politisch kaum durchgesetzt werden kann.
Ich sehe natürlich die größeren Chancen darin, daß alle Entscheidungen, die jetzt getroffen werden
müssen, sprich Kindergarten, Schule und Berufsausbildung, einfach integrationsfreundlicher und
integrationsgünstiger getroffen werden.
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