Herbert Leuninger | ARCHIV MIGRATION | |
Fachkongress der nationalen Kommission für das Internationale Jahr des Kindes Ausländische Kinder in der Bundesrepublik - Garantieren die vorhandenen Konzepte ihre Zukunft? | ||
Selbst wenn im ungünstigsten Fall keine entscheidenden Auswirkungen für die Kinder allgemein von diesem Jahr ausgehen sollten, könnte es für die Kinder nichtdeutscher Herkunft in die Annalen der Bundesrepublik eingehen als das Jahr der Integrationskonzepte. Integration als gegenseitiges Aneinandergewöhnen mit dem Ziel chancengleicher Wahrnehmung der gesellschaftlichen Angebote erfordert ein hohes Maß an qualifizierten Kontakten mit Formen teilnehmenden Lernens. Segregation verhindert Integration, und die Ironie der Geschichte will es, daß in dem Maße, in dem sich die Integrationskonzepte häufen, die Segregation in unseren Großstädten voranschreitet, also die Entmischung der deutschen und nichtdeutschen Bevölkerung. | ||
Sehr verehrter Herr Bundesbeauftragter,
Bevor ich versuche, diese Gründe zu benennen, möchte ich Ihnen die mir zur Kenntnis gelangten länder- und bundesweiten Konzepte benennen, an erster Stelle das Kapitel: "Ausländische Kinder besser integrieren" im Programm der Nationalen Kommission für die Vorbereitung und Durchführung des Internationalen Jahr des Kindes in der Bundesrepublik Deutschland, dann die Vorschläge des Gesprächskreises Bildungsplanung des Bundesministers für Bildung und Wissenschaft, die von der CDU beantragte öffentliche Anhörung des Bundestagsausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit mit Vorschlägen, die vom Zentral rat des Deutschen Caritasverbandes verabschiedeten Thesen zur Arbeit mit Ausländerkindern in katholischen Kindergärten, die Vorschläge des Deutschen Industrie- und Handelstages, die Konzeption der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, die Stellungnahmen und Vorschläge der gemeinsamen Konferenz der katholischen Kirche, die Konzeption des Landes Bremen, die Konzeption des Landes Baden-Württemberg, die ausführlichen Passagen im Dritten Familienbericht der Bundesregierung, die Initiative der nordrhein-westfälischen Landesregierung zur Erleichterung der Einbürgerung für ausländische Jugendliche, der Maßnahmenkatalog der hessischen Landesregierung, die Ergebnisse und Vorschläge einer vom Bundesforschungsminister in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Untersuchung, die Ratschläge der Fachtagung 79 des Bundesinstituts für Berufsbildung, ein Programm des Bundesbildungsministers, die Vorschläge des Koordinierungskreises ausländische Arbeitnehmer beim Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Als letztes, meine Damen und Herren, und eigentlich außerhalb dieser Reihe, nenne ich das Memorandum des Beauftragten der Bundesregierung, des hier anwesenden Ministerpräsidenten a. D. Heinz Kühn. Es ist von seinem Inhalt und auch von seiner politischen Bedeutung her sicher das wichtigste Integrationskonzept, zumal es nach Aussagen des Verfassers selbst in seinem wesentlichen Gehalt mit dem Herrn Bundeskanzler abgestimmt ist. Die Kirchen und die Wohlfahrtsverbände haben, wie eben schon erwähnt, dieses Memorandum, in dessen Aussagen sie sich wiederfinden, ausdrücklich begrüßt. Auch maßgebliche Politiker der CDU wie etwa der Oberbürgermeister von Frankfurt und der CDU-Bundestagsabgeordnete Albrecht Hasinger, der sich selbst hohe Verdienste um die Integrationspolitik erworben hat, sind in entscheidenden Punkten mit dem Memorandum einverstanden. Von der hessischen Landesregierung hat sich der Chef der Staatskanzlei, Staatssekretär Bartholomäi, dahingehend geäußert, daß das Memorandum den Grauschleier über der Ausländerpolitik weggezogen habe. Er hat gesagt, wer sich ernsthaft um Perspektiven der Ausländerpolitik Gedanken mache, komme um eine Stellungnahme zu diesem Papier nicht herum. Die Kirchen jedenfalls wollen trotz des Minimalkonsenses mit den Vorschlägen des Koordinierungskreises beim Bundesarbeitsministerium nicht mehr hinter das Kühn-Memorandum zurückgehen. Ich würde es begrüßen, wenn dieser Fachkongreß sich ausdrücklich hinter das Kühn-Memorandum stellen könnte. Bei allen genannten Konzeptionen, meine Damen und Herren, gibt es trotz aller unterschiedlicher Ansätze und Akzente eine wichtige Konvergenz, die noch nicht unbedingt ein Konsens ist. Wichtig ist diese Konvergenz insofern, als die umfassende Integrationsaufgabe nur erfolgreich gelöst werden kann, wenn hierfür eine breite politische und gesellschaftliche Übereinstimmung erzielt wird. Diese Konvergenz deutet sich in folgenden Punkten an:
Der Versuch einer Antwort: Unsere Gesellschaft unterlag einer gigantischen Lernhemmung, die mit der Funktion und Einschätzung der Ausländerbeschäftigung und den in diesem Bereich gültigen Prinzipien des Arbeitsmarktes zusammenhängt. Danach war die Ausländerbeschäftigung eine Kompensation für die fehlenden deutschen Arbeitskräfte, eine Kompensation, die solange und in dem Umfange angezeigt war, wie der Arbeitsmarkt es erforderte. Diese, vor allem durch § 19 Arbeitsförderungsgesetz abgedeckte Politik, wurde durch eine weitere zentrale Überlegung legitimiert, nämlich die, daß die ausländischen Arbeitskräfte selbst nur vorübergehend in die Bundesrepublik kommen wollten und auch nur unter dieser Bedingung hier erwünscht waren. Spätere Vorstellungen bezogen sich dann auf den immer stärker werdenden Familiennachzug und die sich daraus ergebenden infrastrukturellen Anforderungen. Noch vor Beginn der Wirtschaftskrise von 1973 wurde von kompetenter Seite die Frage aufgeworfen, ob Ausländerbeschäftigung mit Familiennachzug volkswirtschaftlich noch vertretbar sei. Ein weiterer Gedanke schließlich, der die Ausländerpolitik der vergangenen Jahre bestimmte, geht davon aus, daß die Bundesrepublik nicht imstande sei, die absehbaren Folgen der Desintegration zu bewältigen. Hieraus und sicher noch aus anderen Gründen ergab sich eine politisch bedingte Lernhemmung, die dann noch einmal in einem mühsam erreichten Bund-Länder-Konsens zur Fortentwicklung einer umfassenden Konzeption der Ausländerbeschäftigungspolitik 1977 festgeschrieben wurde und dessen Grundposition 1 lautet: "Die Bundesrepublik Deutschland ist kein Einwanderungsland. Sie versteht sich als ein Aufenthaltsland für Ausländer, die in der Regel nach einem mehr oder weniger langen Aufenthalt aus eigenem Entschluß in ihre Heimat zurückkehren." Die von mir beschriebene Lernhemmung war politisch programmiert und unterscheidet sich damit von einer Lernverzögerung. Diesen Begriff und weitere Begriffe, die gesellschaftliches lernen betreffen, entnehme ich dem Lernbericht des Club of Rome, den dieser bei einer im Juni 1979 in Salzburg abgehaltenen Konferenz verwendet hat. Danach ist Lernverzögerung die Zeitspanne, die verstreicht von dem Augenblick an, in dem das Bedürfnis nach Veränderung zum ersten Mal erkannt wird, bis hin zu dem Zeitpunkt, an dem das Bedürfnis anerkannt und eine Änderung eingeleitet wird. Den Unterschied zwischen einer Lernhemmung und einer Lernverzögerung sehe ich nun darin, daß eine bloße Lernverzögerung hinsichtlich der Integration in der Bundesrepublik früher zu Ende gegangen wäre, während die Lernhemmung diesen Zeitpunkt noch hinausgezögert hat, bis der Problemstau von niemandem mehr übersehen werden kann. Dieser offensichtliche Problemstau entzieht der Lernhemmung immer mehr die Grundlage; es setzt ein Lernen ein in unserer Gesellschaft, das der Club of Rome als ein Lernen durch Schock bezeichnet. Dieses lernen durch Schock ist ein Lernen traditionellen Zuschnitts, das erst zum Zuge kommt, wenn es bereits fast zu spät ist. Daß es sich bei dem gesellschaftlichen Lernprozeß gegenüber der zweiten und dritten Generation der nichtdeutschen Arbeitsemigranten um ein lernen durch Schock handelt, zeigt sich am deutlichsten, wenn man eine bestimmte Kategorie von Begriffen zusammenstellt, die auf diese jungen Menschen angewendet werden. Bezeichnenderweise gibt es keine politische Rede, kaum eine Fernsehsendung, kaum einen Zeitungsartikel oder Funkbeitrag, der hier nicht in der einen oder anderen Abwandlung vom "sozialen Sprengstoff" spricht. Gestatten Sie mir an dieser Stelle eine makabre Denksportaufgabe, bei der Sie herausfinden sollen, welche der nachfolgenden Begriffe, die ich im laufe eines Jahres gesammelt habe, nicht auf die nichtdeutschen Kinder und Jugendlichen gemünzt ist:
Soweit diese Aufzählung. Wer genau zugehört hat, könnte entdeckt haben, daß drei der aufgeführten Bezeichnungen nicht die zweite Einwanderergeneration meinen. So handelt es sich in Hamburg bekanntermaßen um das Kampfgas, das einen ganzen Stadtteil bedrohte, im Schwarzwald braucht man keine Angst vor Uran zu haben, und bei einer Nichtgermanisierung der Bombe geht es um die Ablehnung einer deutschen Mitfinanzierung der französischen Atomstreitmacht. Eindrucksvoll die Variationsmöglichkeit der deutschen Sprache, die in diesem Fall eine starke Betroffenheit und Angst signalisiert, und zwar in einem Maße, daß Kinder und Jugendliche mit Bomben, Zeitzündern und Sprengstoffen assoziiert und unterschwellig dem Phänomen Terrorismus zugesellt werden können. Ich halte dies für eine eklatante Form des Lernens durch Schock. Nur wird dabei deutlich, wie problematisch ein solches lernen ist. Es erhebt sich nämlich die Frage, ob eine Gesellschaft hierbei wirklich lernt und ob Programme, die aus solchem Schock kommen, der Zielgruppe Zukunft garantieren. Ich befürchte, daß bei einer solchen Sprachregelung latente und offene Ausländerfeindlichkeit in gewissem Sinne gerechtfertigt wird, daß in unserer Gesellschaft vorhandene Aggressionen und Frustrationen auf eine sozial schwache Gruppe abgelenkt werden. Angst mobilisiert eher entschiedene Abwehr als entscheidende Kräfte zur Verbesserung. Sollte meine Analyse vom Sprechen und lernen nicht zutreffen, wäre es ein leichtes, eine neue Sprachregelung zu finden und das pyrotechnische Vokabular in der Anwendung auf Menschen zu sanktionieren. Ich glaube jedoch, daß das nicht einfach durch eine Sprachregelung genügt, sondern daß hier ein völlig anderes, umfassenderes und zukunftsorientierteres lernen in Gang kommen müßte, ein solches, das der Club of Rome innovatives, erneuerndes und antizipatorisches, vorwegnehmendes Lernen nennt. Es sei dies sogar das für unsere Weltgesellschaft einzig Angemessene, insofern es uns in die lage versetze, die von uns selbst verursachten oder mitverschuldeten Katastrophen zu verhindern. An dieser Stelle bitte ich um Ihr Einverständnis, daß ich dieses Begriffsinstrumentarium des Club of Rome auf unsere Integrationsproblematik anwende. Innovatives Lernen soll eine Gesellschaft vor dem Trauma des Schocks bewahren, es stellt eine Orientierung dar, die auf das mögliche Eintreffen von Ereignissen vorbereitet und langfristige Alternativen für die Zukunft in Betracht zieht. Es gibt gewisse Anzeichen dafür, daß unsere Gesellschaft einer solchen modernen Form des Lernens nicht verschlossen bleibt. In diesem Falle ist es die Wirtschaft, die unter den Zukunftsperspektiven des Arbeitsmarktes die nichtdeutschen Jugendlichen in den Blick bekommt. So weiß der Deutsche Industrie- und Handelstag in seinem Konzept zur Eingliederung von ausländischen Jugendlichen in die Berufsausbildung, daß auch arbeitsmarktpolitische Gründe für die Eingliederung der Nichtdeutschen sprächen, weil etwa Mitte der 80er Jahre die Zahl der deutschen Jugendlichen, die ein Ausbildungsverhältnis antreten können, erheblich abgenommen haben werde. Der erforderliche Nachwuchs an Fachkräften könne dann dadurch gesichert werden, daß mehr ausländische Jugendliche ausgebildet würden. Ähnlich argumentieren die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Dr. Josef Stingl. Ich bin überzeugt, daß dieses bildungspolitische Interesse der Wirtschaft, das aus einem zukunftsorientierten Lernen kommt, einen bedeutsamen Faktor der Integration darstellen wird. Es ist völlig legitim, daß ein solches Interesse von der Wirtschaft bekundet wird, nur muß man die öffentliche Anmeldung dieses Interesses nach Jahren des Schweigens seitens der Arbeitgeber in Zusammenhang mit dem Boom an Integrationskonzepten dieses Jahres betrachten, und dann stellt sich die ernste Frage, ob hier nicht erneut das arbeitsmarktpolitische Interesse an den Ausländern das entscheidende Motiv zur umfassenden Beschäftigung mit der Integrationsaufgabe darstellt? Wenn das so wäre, bedeutete es wieder eine Engführung, die unseren Integrationskonzepten das Odium der Einseitigkeit und der Instrumentalisierung einbrächten. Die Wirtschaft zeigt aber durchaus die Bereitschaft, die ausbildungspolitische Komponente in einen umfassenden gesellschaftspolitischen Rahmen zu stellen. Ich sehe die Aufgabe darin, daß die betroffene Bevölkerungsgruppe vorab, die Bürger anderer nationaler Herkunft in der Bundesrepublik, dann aber die Politiker, vor allem auch die Gewerkschaften, die Kirchen und alle anderen gesellschaftlichen Kräfte dafür die Verantwortung tragen, daß die berufliche Integration der nichtdeutschen Jugendlichen nicht nur und nicht einmal in erster Linie vom Arbeitsmarkt her bestimmt wird, sondern daß sie ein zentrales Moment der Menschenrechte und der menschlichen Selbstverwirklichung ist. Um nicht mißverstanden zu werden, betone ich, daß meine kritische Anfrage nicht so sehr an die Wirtschaft gerichtet ist, vielmehr an die in unserer Gesellschaft maßgeblichen politischen Kräfte. Lernen aus Schock und Lernen vom Arbeitsmarkt her, auch wenn Letzteres sich von der Zukunft her bestimmen läßt, reichen sicher nicht aus, die Integrationskonzepte dieses Jahres und aller vorangegangenen Jahre mit einem Garantieschein für die Betroffenen zu versehen. Immerhin, es ist von größter Bedeutung, daß die Wirtschaft hellhöriger geworden ist und u. U. schneller reagiert, als es den Politikern derzeit noch möglich ist. Zu Recht oder zu Unrecht wird den Politikern immer wieder nachgesagt, eher auf einen Schock als auf Vorausschau zu reagieren. Vorausschau gehört aber als Vorwegnahme zu einem neuen Lernen, wie es der römische Club fordert. Aber auch die Vorwegnahme reicht nicht aus, sondern muß ergänzt werden durch die Teilnahme, durch die Partizipation der Betroffenen, die mehr sein muß als eine formelle Beteiligung an Entscheidungen. Erforderlich ist eine neue Bereitschaft unserer Führungseliten in der Bundesrepublik zur Zusammenarbeit und zum Dialog in unserem Fall mit der nichtdeutschen Arbeitnehmerbevölkerung. Ich halte dies für eine entscheidende Anfrage an alle Integrationsprogramme, wie sie es halten mit der Beteiligung derer, um deren Eingliederung es geht, ob das Programm ein Ergebnis gemeinsamen Lernens ist, wie das Programm, wenn es nicht das Ergebnis einer Zusammenarbeit ist, ein entscheidendes Lerndefizit ausgleichen will und wie es Partnerschaft, Dialog und Lernfähigkeit aller Beteiligten programmiert. Es geht, wenn ich das als Nichtfachmann so sagen darf, um das Programm eines gemeinsamen Lernprozesses, um ein gesellschaftliches Curriculum. In den mir gekannten Integrationsprogrammen ist zwar sehr viel von dem Lernen die Rede, das für die nichtdeutschen Kinder und Jugendlichen, ja auch für ihre Eltern notwendig ist, zu wenig aber von dem Lernen, in das wir alle einbezogen werden müßten. Wenn es aber nicht dazu kommt, dann bleibt jede Lernform patriarchalisch und konventionell und damit überholt. Gemeinsames Lernen - woraufhin denn? Natürlich, Integration, aber was ist das? Um Integration zu definieren, können unendliche Debatten geführt und ganze Tagungsserien abgehalten werden. Ein holländischer Integrationsexperte hat kürzlich auf einer Konferenz in Straßburg davor gewarnt, eine übereinstimmende Auffassung über die Definition von Integration erreichen zu wollen. Dies sei in Holland mißglückt. Man habe sich schließlich darauf geeinigt, der ausländischen Bevölkerung gleiche Chancen und gleiche Rechte in Holland zu gewährleisten. Ich glaube, wir sollten diesen Rat beherzigen, wobei ich aber darauf hinweisen möchte, daß die Integration der nichtdeutschen Bevölkerung nicht - wie oft dargestellt - als eine einmalige und nie dagewesene gesellschaftliche Aufgabe betrachtet werden muß, sondern sicher als eine besondere Form von Eingliederung, wie sie sich in unserer Gesellschaft für die verschiedenen Gruppen, Schichten und Personen stellt. Denken wir etwa daran, daß die Bundesregierung die Integration der älteren Mitbürger in Familien und Nachbarschaften zu fördern versucht, daß ein Buch erscheint "Wie integriert ist die Bundeswehr?", daß ein internationales Komitee ein Symposium hält über Aufklärung und Information im Dienste der Integration behinderter Menschen, daß Kurt Sontheimer im Blick auf die heutige Jugend generell von dem schwierigen Bemühen einer besseren Integration der verlorengehenden Generation dieser Gesellschaft spricht, daß sich der Bundeselternverband für einen gemeinsamen Unterricht von behinderten und nicht behinderten Kindern einsetzt, um die behinderten Kinder nicht ins Ghetto zu treiben, oder daß in München eine Musteranlage für integriertes Wohnen für Familien mit Kleinkindern, für Behinderte und alte Menschen entsteht. So kann sicher auch die Integration von Menschen anderer Muttersprache in den Rahmen einer allgemeinen gesellschaftlichen Eingliederung eingefügt werden, wobei sich sicherlich besondere Aufgaben stellen. Allerdings darf Integration in keinem Fall als ein einseitiger Betreuungsvorgang, ein einseitiger Anpassungsprozeß betrachtet werden. Hier halte ich die Beschreibung eines Integrationsprozesses, wie sie in einer Veröffentlichung des Deutschen Städtetages gebracht wurde, für wegweisend. Danach wird die Integration als Vorgang bezeichnet, bei dem sich die Ausländer nicht wie bei der Assimilation einseitig an die deutschen Verhältnisse anpassen, sondern vielmehr - so heißt es - nähern beide Gruppen ihr Verhalten und ihre Einstellung wechselseitig einander an. Vom Ansatz her zeichnet sich dabei ab, wie entscheidend bei der Integration von Minderheiten die Einstellung der Mehrheit zu dieser und zu gegenseitiger Veränderung ist. Politiker, die es gewöhnt sind, auf Meinungsumfragen zu starren wie das Kaninchen auf die Schlange, haben die Besorgnis, daß die einheimische Bevölkerung bei der Integration nicht mitspielen könnte. Umfragen und Repräsentativuntersuchungen über die Einstellung der deutschen Bevölkerung zur Integration der Nichtdeutschen geben derzeit noch kein klares und verläßliches Bild. Die Ergebnisse sind sogar recht unterschiedlich und reichen von der Feststellung erschreckender Ressentiments der deutschen Bevölkerung gegenüber Ausländern bis hin zu Erfahrungswerten, in denen die Wähler in ihrer Einstellung zu Nichtdeutschen weiter zu sein scheinen als Bundesregierung, Länder und Parteien. Infas z. B. stellt in Nordrhein-Westfalen fest, daß jeder zweite der Befragten für eine Rückkehr der Ausländer in ihre Heimat ist, während Infratest herausfindet, daß 60 % der befragten Bundesbürger nichts dagegen hätten, wenn die Gastarbeiter in der Bundesrepublik bleiben könnten, solange sie wollten. Gestern in der Zeitung eine dpa-Meldung: 48 % der Deutschen halten den Einsatz von Ausländern als Polizisten für eine gute Idee. Solche Ergebnisse kann man sich natürlich gegenseitig um die Ohren schlagen, je nachdem, von welchem Standpunkt aus man argumentiert. Das für mich wichtigste Ergebnis der Infas-Untersuchung ist jedenfalls, daß nur 20 % der deutschen Bürger in Nordrhein-Westfalen Beziehungen zu Ausländern unterhalten, obwohl 40 % von ihnen nichtdeutsche Nachbarn haben. Eine wissenschaftliche Untersuchung der Universität Frankfurt bestätigt das Ergebnis, daß mehr als 80 % der deutschen Bevölkerung außerhalb des Arbeitsplatzes und der Freizeit keinen Kontakt mit Ausländern haben. Allerdings ist festzustellen, daß je jünger die Befragten sind, um so offener auch ihre Einstellung zu den Ausländern ist, bis hin zur Befürwortung des Kommunalwahlrechts. Was nun den Kontakt der Nichtdeutschen zu den Deutschen angeht, hat eine Untersuchung der gleichen wissenschaftlichen Gruppe der Universität Frankfurt Italiener und Türken befragt und festgestellt, daß fast zur Hälfte diese mit eigenen Landsleuten oder mit Angehörigen anderer Nationalitäten zusammenwohnen und 70 % von ihnen keinen regelmäßigen Kontakt mit Deutschen haben. Dennoch, so sagt die Studie, wäre es völlig falsch, zu sagen, die Ausländer wollten keinen Kontakt mit Deutschen, was oft zu hören ist. 2/3 von ihnen wünschen stärkeren Kontakt zu deutschen Bürgern. Betrachtet man die in Untersuchungen festgestellte hohe gegenseitige Kontaktlosigkeit, so wird deutlich, daß auf dieser Basis die Integration nie stattfindet. Integration als gegenseitiges Aneinandergewöhnen mit dem Ziel chancengleicher Wahrnehmung der gesellschaftlichen Angebote erfordert ein hohes Maß an qualifizierten Kontakten mit Formen teilnehmenden Lernens. Wo diese Voraussetzungen nicht gegeben sind, kommt es höchstens zur Koexistenz, zu einem Nebeneinander, das die latente Gefahr des Gegeneinander und die Fixierung diskriminierender Unterschiede einschließt. Segregation verhindert Integration, und die Ironie der Geschichte will es, daß in dem Maße, in dem sich die Integrationskonzepte häufen, die Segregation in unseren Großstädten voranschreitet, also die Entmischung der deutschen und nichtdeutschen Bevölkerung. Wenn dieser Vorgang, der vor allem auf eine Ghettoisierung der nichtdeutschen Arbeitnehmerbevölkerung hinausläuft, nicht gestoppt und sogar rückgängig gemacht wird, werden alle Integrationsprojekte, so wie sie jetzt auf dem Tisch liegen, in Kürze Makulatur sein. Dann wird ein neuer Lernschock notwendig, dessen Ergebnis u. U. Vorschaltprogramme zur Integration, nämlich sogenannte Desegregationsprogramme sind, wie wir sie aus den USA kennen. Ihr sinnfälliger Ausdruck: ganze Flotten von kleinen Schulbussen, die durch die Städte fahren, um weiße Kinder in vorwiegend von Schwarzen besuchte Schulen und schwarze Kinder in vorwiegend von Weißen besuchte Schulen zu transportieren. Dies ist ja wohl eine Schreckensvision. Nehmen wir als Beispiele für die sich vollziehende Bevölkerungsentmischung, die zu einem getrennten Wohnen, vor allem auch zu getrennten Bildungseinrichtungen wie Kindergärten und Schulen führt: Berlin, die Stadt mit den meisten nichtdeutschen Einwohnern, Frankfurt als Großstadt mit über 500000 Einwohnern die Stadt mit 20 % Ausländeranteil, damit mit dem höchsten Ausländeranteil und schließlich Stuttgart, die Hauptstadt des Landes, das mit seinem Ausländeranteil an erster Stelle steht. In Berlin leben 3/4 aller Nichtdeutschen in den sechs Innenstadtbezirken. Es sind Gebiete, wie der Berliner Senat sagt, in denen die Belastung der Infrastruktur bereits überschritten sei, die eine schwierige Sozialstruktur hätten, eine schlechte Wohnsubstanz und die Abwanderung der deutschen Bevölkerung aufwiesen. Der Senat geht davon aus, daß eine übermäßige Konzentration von Ausländern in einem Stadtgebiet eine Integrationspolitik im Ansatz gefährdet.
In Frankfurt geht die Stadtflucht der mobilen deutschen Bevölkerung nicht zuletzt aus den umweltbelasteten und ungünstigen Wohnquartieren einher mit Konzentrationstendenzen der Ausländer. Der fortschreitende Wegzug jüngerer deutscher Familien, die dadurch bedingte mangelnde deutsche Reproduktionsrate, der ausländische Geburtenanteil von ca. 60 % in den bestimmten Gebieten und der Familiennachzug bringen die Deutschen in eine immer stärkere Minderheitensituation, was die Abwanderung wiederum verstärkt. Das bedeutet auf Dauer, daß die nichtdeutsche Bevölkerung immer mehr unter sich sein wird und die Kindergärten und Schulen in diesen Gebieten faktisch Ausländereinrichtungen sein werden. Die unzureichende Qualität der Wohnungen wird sich nicht oder im Vergleich zu anderen Wohngegenden nur unzulänglich verbessern, die Stigmatisierung der Wohngegend als Ausländerviertel schreckt Deutsche ab, die Gefahr diskriminierender Abschließung wird größer, auf beiden Seiten - wie eben schon dargestellt -werden die vorhandenen Vorurteile größer, und die schulischen und die vorschulischen Einrichtungen werden sicher nicht die qualifiziertesten einer Stadt sein. In der Diskussion um diese Entwicklung werden bereits die Vorteile des Ghettos herausgestellt. Sicher, das Ghetto ist keine Hölle, aber sicher auch nicht das Paradies; sondern das Refugium entweder einer schwachen Minderheit gegenüber einer starken Mehrheit oder auch einer starken Minderheit gegenüber einer schwachen Mehrheit. Im letzten Falle bekommt das Ghetto Züge der Apartheid, und das ist sicher auf Dauer nicht der Himmel. Beide Entwicklungen zeichnen sich in unseren Städten ab. Ghettos gleich welcher Art sind Gebilde der Angst, der Angst voreinander, der Angst der Mehrheit vor der Minderheit und der Minderheit vor der Mehrheit. Für die jeweilige Minderheit wird das Ghetto zu einer Schutzstruktur, die vor allem die Identitätsvernichtung der Gruppe verhindern soll. Bei der starken Minderheit, wenn sie im Ghetto lebt, in den bevorzugten Wohngebieten in unseren Städten, ist es unter Umständen die Angst, Macht, Einfluß und Privilegien mit den schwachen Minderheiten teilen zu müssen. Auf jeden Fall ist das Ghetto das Gegenteil von Kommunikation, Partizipation und Chancengleichheit. Mir erscheint es deshalb für die Diskussion verheerend, wenn Politiker, die sich für die Ausländer in der Bundesrepublik sehr engagieren, die bedingten Vorteile des Ghetto mit den überwiegenden und prinzipiellen Nachteilen vergleichen und damit unserer Gesellschaft nahe legen, sich mit den entstehenden oder entstandenen Ghettos abzufinden. Die Gefahr ist erkannt: der Berliner Senat will im allseitigen Interesse ein nachbarschaftliches Zusammenleben der ausländischen Mitbürger mit der deutschen Bevölkerung gewährleisten, Frankfurts Oberbürgermeister Wallmann, der sich gegen das Image zur Wehr setzen muß, Befürworter von Ghettos zu sein, hat kürzlich auf einer Tagung die Ghettobildung abgelehnt, also Wohngebiete, die ausschließlich von Ausländern bewohnt werden. Der Gemeinderat von Stuttgart hat längst ein Programm, nach dem Konzentrationen von Ausländern durch die Einflußnahme auf die Ansiedlung von ausländischen Einwohnern in anderen Bereichen der Stadt verhindert werden soll. Sicher ist die Ghettoproblematik eine Folge der angespannten Wohnraumversorgung der gesamten Bevölkerung in unseren Städten. Wenn es gelingt, das bevölkerungsmäßige Ausbluten der Großstädte an das Umland aufzuhalten und diese für das Wohnen junger deutscher Familien wieder anziehend zu machen, sind die wichtigsten Voraussetzungen für das gemeinsame Wohnen von Deutschen und Nichtdeutschen gegeben. Dabei müßte es ohne restriktive Maßnahmen gelingen, die Wohnraumversorgung der gesamten Bevölkerung dahingehend zu beeinflussen, daß die Einzugsbereiche von Kindergärten und Grundschulen wenigstens bevölkerungsmäßig ausreichend gemischt sind, was weder eine atomisierte Streuung der Deutschen noch der Nichtdeutschen bedeuten muß. Wir stehen zur Zeit vielleicht, wenn man es sehr günstig beurteilt, noch vor einem Scheideweg, ob unsere Innenstädte und die fabriknahen Wohnquartiere zu internationalen Ghettos oder zu Wohnregionen einer multiethnisch zusammengesetzten Stadtgesellschaft werden. Wie diese Kommunikation in diesen Stadtgebieten aussehen wird, wissen wir nicht. Das weiß im Augenblick niemand sicher zu sagen. Dieser Prozeß einer neuen Stadtgesellschaft ist unter mangelhaften Rahmenbedingungen bereits im Gange und zwar dort, wo Kinder und Jugendliche deutscher und nichtdeutscher Eltern miteinander aufwachsen und lernen. Dieser Prozeß läuft in unseren Schulen, wo die Kinder nichtdeutscher Herkunft weder als fünftes Rad in der Regelklasse mitlaufen müssen noch in reine Ausländerklassen abgedrängt sind. Berlin ist wenigstens so ehrlich und nennt diese Klassen Ausländerklassen, während sie in der Fachsprache anderer Kultusbehörden euphemistisch umschrieben werden als sprach homogene Klassen (Baden-Württemberg), als zweisprachliche, bisher muttersprachliche Klassen (Bayern), als Vorbereitungsklassen in Langzeitform (Nordrhein-Westfalen) oder als Klassen mit Muttersprache und deutscher Sprache als Unterrichtssprache in Hessen und anderen Ländern in der Verwendung der Sprachregelung der Kultusministerkonferenz. Hier wird die Resignation vor der Segregation ins Programm erhoben, ja sogar ins Modellhafte gesteigert. Vielleicht bleibt aber da der Schulhof noch möglicher Ort der Integration, wenn er nicht längst der Platz gegenseitigen Anrempelns geworden ist. Der klassische Ort der Integration ist sicher nicht die Schule, sondern eher noch der Kindergarten, in dem Kinder aller Herren Länder in spielerischer Form und in noch sehr prägsamem Alter miteinander leben. Der Kindergarten hat in den beiden letzten Dekaden einen hohen Stellenwert für die Integration des Kindes in unsere Gesellschaft erhalten. Er ist dabei, diese Stellung noch auszubauen, indem er sich als Ort generationsübergreifenden Lernens versteht, in dem das traditionelle Lehr- und Lernverhältnis zwischen Erwachsenen und Kindern verändert wird. Erwachsene, Eltern, Erzieher, ja das Stadtviertel werden Mitlernende. In einer situationsbezogenen Kindergartenarbeit geht es um einen Lernprozeß, in dem Kinder gleichberechtigt ihre Erfahrungen machen, ja in gewissem Umfang die Lehrer ihrer Erzieher sind. Wenn dann der Kindergarten noch aus seiner Isolierung heraustritt ins Gemeinwesen, dann wird er zu einem Kommunikationszentrum des Stadtviertels. Ich möchte daher den Kindergarten nicht gerade als die Schule der Nation bezeichnen, aber doch vielleicht als die Schule der Nationen und als die Vorschule Europas. Die gegenseitige Integration der deutschen und der nichtdeutschen Bevölkerung in der Bundesrepublik wird damit nämlich zu einem exemplarischen Fall europäischer und internationaler Integration. Lassen Sie mich darum mit einem Gedanken schließen, der noch einmal die Bedeutung eines modernen, innovativen Lernens für unsere Gesellschaft unterstreicht. Bereits vor zehn Jahren hat die amerikanische Anthropologin Margret Mead die Herstellung einer Kommunikation neuer Art mit jenen gefordert, deren Existenz am weitesten in die Zukunft vorausgreift, d. h. den Kindern. Die Völkerkundlerin empfiehlt uns folgendes Verhaltensschema: Alle Menschen seien heute gleichermaßen Einwanderer in ein neues Zeitalter, ohne auch nur im geringsten zu wissen, welche Anforderungen die neuen Lebensumstände an sie stellen würden. Daher empfiehlt sie die Übernahme des Pioniermodells, das Vorbild der Einwanderer der ersten Generation, die als Pioniere in ein unerforschtes, unbewohntes Land kommen. Ich möchte dieses Modell abwandeln und nicht die erste, sondern die zweite und dritte Generation der Einwanderer als Vorbild vorschlagen. Denn diese jungen Menschen haben sich, ohne die entscheidenden Verhaltensmuster der Eltern, die eher rückkehr- und rückwärtsorientiert sind, übernehmen zu können, in einer neuen Welt zurechtzufinden, und davon könnten wir alle lernen. Ich bin mir Ihrer Zustimmung gewiß, daß es bei unseren Integrationskonzepten mehr Garantien für die Zukunft dieser jungen Menschen gibt, wenn wir sie als Modell und nicht als Zeitbombe ansehen. |