SFB:
(Frage nach der bleibenden Wirkung der
Woche)
Leuninger:
Wir bedenken im Vorbereitungsausschuß
immer wieder diese Problematik und sind
seinerzeit dazu übergegangen, nicht
nur einen Tag zu wählen, sondern eine
Woche. Diese Woche soll dann einen Aktionscharakter
haben, der über ein Tagesgeschehen
hinausgeht und anregt, über die Woche
hinaus in dieser Arbeit, in diesem Engagement
zu verbleiben; und wir denken, dass wir
damit einen guten Ansatz gefunden haben.
Die Erfahrungen zeigen uns, dass der Tag
des ausländischen Mitbürgers,
der gerne verglichen wurde mit dem Tag
der Milch, doch überwunden ist im
Sinne einer stärkeren Aktivierung.
SFB:
(Frage nach der Aktivierung der Jugend)
Leuninger:
Ich denke, dass es eine Frage der Jugend
ist, sich mit dem Fremden und dem Neuen
stärker und offener auseinanderzusetzen,
als wenn es sich um ältere Menschen
handelt. Ich bin aber etwas vorsichtig,
dies so zu beurteilen, da das Engagement
im Zusammenleben von Deutschen und Nichtdeutschen
durchaus nicht an Schichten und vor allem
auch nicht an Altersgrenzen gebunden ist.
Wir haben sogar über längere
Zeit eine gewisse Schwierigkeit gehabt,
in den Jugendbereich hineinzukommen. Dies
hat sich erst in den letzten Jahren geändert,
vor allem zeigen sich auch die Schüler
und die Schulen sehr viel interessierter
an dieser Frage als noch vor wenigen Jahren.
SFB:
(Hinweis auf den Aufkleber: Wir alle sind
fast überall Fremde)
Leuninger:
Das ist eine Erfahrung, die Sie auch im
eigenen Land haben können, wenn sie
mit Menschen zu leben haben, die ganz anderer
kultureller, politischer, kirchlicher und
weltanschaulicher Prägung sind. Ich
meine, dass dieses Phänomen des Fremdseins
und des Sichanpassen-Müssens eine
sehr wichtige Funktion hat. Je stärker
wir dies lernen, umso fähiger sind
wir auf die Aufgaben einzugehen, die eine
mehr und mehr wachsende internationale
Gesellschaft uns stellt.
SFB:
(Frage nach der größeren Menschlichkeit
in anderen Kulturen)
Leuninger:
Ich habe in der letzten Woche eine solche
Erfahrung gemacht. Einer der eritreischen
Freunde, der Flüchtling ist, wurde
ins Krankenhaus eingeliefert. Seine Freunde
haben ihn in einer Weise besucht, die uns
alle überrascht hat. Dies geschieht
aus der Tradition heraus, dass der Kranke
eigentlich keine Stunde allein, sondern
stets in der Umgebung seiner Freunde und
Verwandten leben sollte. Dieser Mann ist
jedoch allein hier - seine Familie ist
noch in einem Lager im Sudan - und so war
er auf diese Solidarität und Freundschaft
angewiesen. Und wir haben eigentlich davon
gelernt.
SFB:
(Frage nach den kleinen Schritten anstatt
großer Aktionen)
Leuninger:
Aber doch aus einer Einstellung heraus,
die auch die große Perspektive sieht;
etwa in dem Sinne, wie eben bereits besprochen,
dass wir miteinander leben sollten, und
zwar in einer Form, die bislang ungewöhnlich
war. Sie ist nämlich nicht mehr nur
geprägt von unserer eigenen Mentalität
und von unserem eigenen Horizont, sondern
von der Bereitschaft, sich zu öffnen
auf andere Menschen, auf andere Kulturen,
auf andere Situationen hin.
30.
September 1985
WESTDEUTSCHER RUNDFUNK KÖLN (WDR)
Kirchenfunk
WOCHE DER AUSLÄNDISCHEN
MITBÜRGER
Telefoninterview
von H. Kilimann, Essen mit H. Leuninger
Sendung am 4. Oktober 1985
WDR:
(Die Sendung beginnt mit einer Umfrage
unter Ausländern vor einem Kaufhaus
in Essen, ob sie etwas von der Woche der
ausländischen Mitbürger wüßten.
Nur einer von ihnen bejaht dies. Daran
schließt sich die Frage an, wie die
Ausländer über die Woche informiert
werden.)
Leuninger:
Allein dadurch, daß mittlerweile
zahlreiche Vereine, hunderte Vereine von
Ausländern, oder Vereine von Deutschen
und Ausländern an der Vorbereitung
dieser Woche beteiligt sind.
Bei den Passanten, die sie
befragten, war es typisch, daß es
Leute waren, die nicht über den muttersprachlichen
Dienst von Radio und Fernsehen erreicht
werden, weil sie englisch, persisch, oder
französisch sprechen, während
die größten Gruppen der nichtdeutschen
Arbeitnehmer nachrichtenmäßig
über Rundfunk und Fernsehen versorgt
werden, wenigstens hinsichtlich solcher
Informationen. Wir gehen davon aus, daß
ein sehr beachtlicher Teil informiert ist.
WDR:
(Frage nach dem Kreis, der durch die Woche
angesprochen wird)
Leuninger:
Es gibt nicht nur die Ausländervereine,
es gibt auch mittlerweile Tausende von
engagierten Gruppen, die diese Woche nutzen,
um sich und ihre Arbeit darzustellen, andere
darüber zu informieren und vielleicht
auch dazu beizutragen, daß sich weitere
Kreise der Bevölkerung in die gemeinsame
Kontaktaufnahme einbeziehen lassen.
WDR:
(Frage nach dem Ziel der Woche)
Leuninger:
Es wird ein besseres Klima des Zusammenlebens
angestrebt, das einhergeht mit besseren
Voraussetzungen für eine gute Politik.
WDR:
(Frage nach dem politischen Engagement
der Kirche)
Leuninger:
Das ist eine der maßgeblichen Initiativen
seitens der katholischen und auch der evangelischen
Kirche, die sicher dazu beigetragen haben
dürfte, daß zumindest in den
letzten Jahren das Ausländergesetz
nicht erheblich verschärft wurde,
obwohl es politische Bestrebungen bei sehr
einflußreichen Kreisen von Parteien,
die die Regierung tragen, gegeben hat.
WDR:
(Frage, wofür sich die Kirchen politisch
besonders eingesetzt haben.)
Leuninger:
Das Entscheidende ist zum ersten, daß
der Aufenthalt der hier seit langem lebenden
nichtdeutschen Arbeitnehmer und ihrer Angehörigen
gesichert wird. Das zweite ist, daß
die Familienzusammenführung nicht
behindert wird. Und das dritte, daß
Ausweisungen nur in ganz extremen Fällen
praktiziert werden, möglichst aber
nicht mehr bei Menschen, die hier ihren
Lebensmittelpunkt haben.
WDR
(Frage, ob die Woche f ü r Ausländer
veranstaltet wird)
Leuninger:
Die Initiative der Kirchen ist nur ein
Anlaß, bzw. eine Anregung. Es war für
uns immer selbstverständlich, daß
solche Tage bzw. die Woche nicht allein
"für" die anderen gemacht wird, sondern
immer "mit" den anderen zusammen. Wir denken,
daß in den letzten Jahren ein erheblicher
Wandel im Bewusstsein gerade auch der Kirchengemeinden
und aller, die diese Woche mitgestalten,
eingetreten ist, so daß wir sagen
können, das "für" die Ausländer
wird immer weniger und das "mit" immer
selbstverständlicher.
WDR
(Frage nach der Auswirkung über die
Woche hinaus)
Leuninger:
Deswegen haben wir auch den Tag auf eine
Woche ausgeweitet um zu verhindern, daß
ein solcher Tag eine Alibi-Funktion bekommt
oder nur eine öffentliche Wirksamkeit
entfaltet wie der "Tag der Milch". Die
Woche ist gedacht als Aktivierung, d.h.,
daß immer mehr Menschen gewonnen
werden, Deutsche und Nichtdeutsche, sich
im Bereich des besseren Zusammenlebens
stärker zu engagieren.
WDR
(Frage, wann das Ziel der Woche als erreicht
gilt)
Leuninger:
Wenn neue Gruppen entstehen und neue Anregungen
vermittelt werden, sich dieses Anliegens
anzunehmen, wobei wir im Augenblick feststellen,
daß gerade die Frage der Flüchtlinge
und ihrer Anwesenheit hier die Aufmerksamkeit
vieler engagierter Christen und Nichtchristen
auf sich zieht.
WDR
(Frage nach aktuellen Veränderungen
der Woche)
Leuninger:
Vielleicht eine Ausweitung des Bewusstseins
auf die Flüchtlinge hin, die unter
besonders schwierigen Verhältnissen
leben, und die gerade jetzt unter politischen
Druck geraten.
WDR
(Frage nach der asylpolitischen Diskussion)
Leuninger:
In der politischen Diskussion wird im Augenblick
sehr stark die Frage behandelt, wie weitere
Flüchtlinge daran gehindert werden
können, in die Bundesrepublik zu kommen
und dies unter dem Gesichtspunkt, daß
es bereits zu viele seien. Dies schafft
eine ziemliche Abwehrreaktion in Teilen
der Bevölkerung. Wir stellen dies
fest, vor allem in Baden-Württemberg
und Bayern. Dort ist die Politik in sehr
restriktiver Weise gegen den weiteren Zugang
von Asylbewerbern gerichtet, und zwar von
solchen, von denen man annimmt, daß
sie keinen Asylgrund haben.
30.
September 1985
SÜDWESTFUNK (SWF)
1. Hörfunkprogramm
Sendung: "Radiotreff"
WOCHE DER AUSLÄNDISCHEN
MITBÜRGER
Telefoninterview
von Leske Kaufmann mit H. Leuninger
Kontakt: H. Schäfer
(SWF-Fragen
und Beiträge von Hörern nach
den Gedächtnis aufgezeichnet)
SWF:
Herr Leuninger, Sie sind Ausländerpfarrer
und haben diese WOCHE DER AUSLÄNDISCHEN
MITBÜRGER mit vorbereitet.
Was soll mit dieser Woche erreicht werden?
Leuninger:
Es kann der Beste nicht in Frieden
leben, wenn es dem bösen Nachbarn
nicht gefällt! Wir wünschen uns
ein besseres Zusammenleben zwischen Deutschen
und Nichtdeutschen. Positiv gewendet heißt
deswegen das Motiv: Nachbarschaft, die
Frieden schafft. Denn der internationale
Friede wird nicht nur durch Raketen gefährdet,
sondern auch durch friedlose Nachbarn.
Daher wünschen wir uns mehr Kontakte,
mehr Gespräche, mehr gegenseitige
Einladungen, gemeinsame Feste, menschliche
Nähe, ja vielleicht auch gegenseitige
Freundschaft.
Dazu können die verschiedensten Veranstaltungen beitragen. Natürlich spielt bei den Veranstaltungen in dieser Woche das gemeinsame Feiern eine große Rolle, denn der Friede und die Liebe gehen auch durch den Magen und dem dienen dann Cevapcici, Pizza und - vielleicht weniger für die Deutschen - Sauerkraut.
Es gibt unzählige Veranstaltungen, die entweder von den Kommunen oder von Kirchengemeinden, vielleicht auch von Sportverbänden und Ausländervereinigungen geplant sind.
SWF:
Was geschieht von Ihnen aus unmittelbar?
Leuninger:
Ich selbst habe mich einer Friedensbewegung angeschlossen, die Nachbarschaft mit Flüchtlingen pflegt. So haben wir am Samstag den zweiten Geburtstag der kleinen Helen gefeiert. Sie ist das Kind einer eritreischen Familie, die aus ihrer Heimat geflüchtet ist und bei der die Eltern inzwischen als Flüchtlinge anerkannt wurden.
SWF:
Vielleicht gibt es ja Hörer in unserem
Sendebereich, die gerne berichten möchten,
wie sie Kontakte mit Ausländern pflegen
und wie vielleicht sogar auch bei ihnen
eine Freundschaft entstanden ist. Wenn
sie über solche Erfahrungen berichten
können, bitte wenden sie sich an uns
unter der entsprechenden Telefonnummer
des Rundfunks.
In einer Kurzumfrage
nehmen 3 Hörer Stellung:
1.
Die Arbeitskollegin eines türkischen
Arbeitnehmers, die mit ihrer Tochter in
die Türkei eingeladen und 4 Wochen
am Marmara-Meer verbracht hat und in besonderer
Weise die Gastfreundschaft der türkischen
Familie lobt.
2.
Ein Geschäftsmann, der davon berichtet,
es mache ihm ungewöhnlich viel Spaß,
in seinem Geschäft Spanier, Portugiesen
und Türken zu bedienen. Sie seien
immer freundlich. In den ausländischen
Gaststätten bekäme man auch nach
22 Uhr noch etwas zu essen.
3.
Eine Dame berichtet von einem freundschaftlichen
Kontakt zu einer türkischen Mutter
von mehreren Kindern, die allerdings dann
gestorben ist. Die Hörerin hat sich
danach zusammen mit der Vermieterin um
die Familie gekümmert. Der Kontakt
besteht noch immer, auch nachdem der Vater
wieder geheiratet hat, in herzlicher Form
zu den Kindern.
5.
Oktober 1985
Einschätzung für
DEUTSCHE PRESSEAGENTUR (dpa)
WOCHE DER AUSLÄNDISCHEN
MITBÜRGER
VERANSTALTUNGEN:
- eine Fülle von Veranstaltungen
zum Thema: "Nachbarschaft die Frieden
schafft" besonders in. den
Städten, in denen die übergroße
Mehrheit der nichtdeutschen Bevölkerung
lebt.
- Genutzt zur Diskussion
der Fragen des Zusammenlebens und zur
Darstellung der Herkunftskultur. Folklore
nicht mehr allein im Vordergrund.
- Alle Arten von Veranstaltungen,
die dem besseren gegenseitigen Verständnis
und Zusammenleben dienen.
- Dichterlesungen,
- Ausstellungen von Fotos und Werken
der darstellenden Kunst (Plakat zur
Woche von Hanefi Yeter)
- Theater
- Musik
- Straßen-Stadtteil-Stadt-Feste
(z. B. Fulda) als Teil einer neuen
internationalen und kommunikativen
Stadtkultur.
- Neu: der Info-Bus von Saarbrücken,
der auf den Marktplätzen verschiedener
Städte des Saargebietes Halt
machte.
VERANSTALTER:
- neben den Kirchen
(gemeinsam/ökumenisch)
- vor allem die Stadtverwaltungen
und diese wiederum in Verbindung mit
den
- Ausländerbeiräten, den
- ausländischen Vereinen und
- deutsch-ausländische Initiativen
- nicht einzuschätzen die Rolle
der Sportvereine
- Man kann sagen: Die
Woche wird immer mehr eine Woche d
e r ausländischen Mitbürger
und m i t ihnen und nicht
mehr nur f ü r sie.
POLITISCHE DISKUSSION:
- Die Mitbeteiligung und
Mitverantwortung der Ausländer am
gesellschaftlichen und kommunalen Geschehen.
- Bischof Moser von Rottenburg-Stuttgart:
bezeichnet Partizipation als Schlüsselwort
einer gemeinsamen Zukunft mit den Ausländern
und meint damit: Teilnahme, Teilhabe,
freie und aktive Mitbeteiligung und Mitverantwortung.
Dazu gehören nach Moser auch politische
Mitwirkungsmöglichkeiten wie zum
Beispiel das kommunale Wahlrecht (!).
- Gestrige Forderung des
"Initiativausschusses ausländische
Mitbürger in Hessen" mit dem Hinweis,
daß ein solches Wahlrecht allen
zugute käme, vor allem in den Stadtteilen
mit hohem Ausländeranteil, die durch
eine mangelnde Infrastruktur gekennzeichnet
seien.
- ASYLPOLITIK
- Überschattet war
die Woche nicht nur durch die unfriedlichen
Ausschreitungen in manchen Städten,
sondern vor allem auch durch die asylpolitische
Diskussion, in der der Innensenator
von Berlin,
Heinrich Lummer (CDU) sogar
eine Änderung des Grundgesetzes
anstrebt und der baden-württembergische
Ministerpräsident Lothar
Späth (CDU) seine Forderung
nach drastischen Maßnahmen gegen
Asylbewerber erneuert hat.
- Insofern war es von
Bedeutung, daß zwei kirchliche
Broschüren zur Information von
Kirchengemeinden und interessierter
Öffentlichkeit über Asyl
in dieser Woche erschienen sind und
zwar von der evgl. Kirche Berlin-Brandenburg
mit einem; Geleitwort von Bischof
Kruse (Asyl in unserem Land
– Fragen, Informationen, Argumente)
"Eine Abschottung der Grenzen schmälert
das Grundrecht auf Asyl."
Die zweite evgl./kath. Publikation
ist das "Werkheft Asyl" für Baden-Württemberg.
- Bischof
Karl Lehmann, Mainz bei der
Eröffnung der Woche: "Wir werden
nicht müde darauf hinzuweisen„
daß alle Maßnahmen, die
der Staat trifft, die Gesetze der Menschenwürde
achten müssen."
- Aber auch ein politischer
Lichtblick in dieser Woche neben den
grundsätzlichen Äußernngen
zu Integration und Aufenthaltsrecht
von Frau Liselotte
Funcke (FDP) in Dortmund: Der
Innenminister von Nordrhein-Westfalen,
Herbert Schnorr
(SPD) hat in dieser Woche die
Ausländerbehörden angewiesen,
den Familiennachzug für Ausländer
zu erleichtern.
- FAZIT DER WOCHE:
Sie war ein Beitrag zum
inneren Frieden
|