Herbert Leuninger

ARCHIV MIGRATION
1985

WOCHE DER AUSLÄNDISCHEN MITBÜRGER
M E D I E N

INHALT


30. September 1985
SENDER FREIES BERLIN (SFB )
Programm "Echo am Morgen"
WOCHE DER AUSLÄNDISCHEN MITBÜRGER
Telefoninterview
von Floria Barckhausen mit H. Leuninger
(Mitglied des Ökumenischen Vorbereitungssausschusses)
Redaktion: Petra Castell

SFB:
(Frage nach der bleibenden Wirkung der Woche)

Leuninger:
Wir bedenken im Vorbereitungsausschuß immer wieder diese Problematik und sind seinerzeit dazu übergegangen, nicht nur einen Tag zu wählen, sondern eine Woche. Diese Woche soll dann einen Aktionscharakter haben, der über ein Tagesgeschehen hinausgeht und anregt, über die Woche hinaus in dieser Arbeit, in diesem Engagement zu verbleiben; und wir denken, dass wir damit einen guten Ansatz gefunden haben. Die Erfahrungen zeigen uns, dass der Tag des ausländischen Mitbürgers, der gerne verglichen wurde mit dem Tag der Milch, doch überwunden ist im Sinne einer stärkeren Aktivierung.

SFB:
(Frage nach der Aktivierung der Jugend)

Leuninger:
Ich denke, dass es eine Frage der Jugend ist, sich mit dem Fremden und dem Neuen stärker und offener auseinanderzusetzen, als wenn es sich um ältere Menschen handelt. Ich bin aber etwas vorsichtig, dies so zu beurteilen, da das Engagement im Zusammenleben von Deutschen und Nichtdeutschen durchaus nicht an Schichten und vor allem auch nicht an Altersgrenzen gebunden ist. Wir haben sogar über längere Zeit eine gewisse Schwierigkeit gehabt, in den Jugendbereich hineinzukommen. Dies hat sich erst in den letzten Jahren geändert, vor allem zeigen sich auch die Schüler und die Schulen sehr viel interessierter an dieser Frage als noch vor wenigen Jahren.

SFB:
(Hinweis auf den Aufkleber: Wir alle sind fast überall Fremde)

Leuninger:
Das ist eine Erfahrung, die Sie auch im eigenen Land haben können, wenn sie mit Menschen zu leben haben, die ganz anderer kultureller, politischer, kirchlicher und weltanschaulicher Prägung sind. Ich meine, dass dieses Phänomen des Fremdseins und des Sichanpassen-Müssens eine sehr wichtige Funktion hat. Je stärker wir dies lernen, umso fähiger sind wir auf die Aufgaben einzugehen, die eine mehr und mehr wachsende internationale Gesellschaft uns stellt.

SFB:
(Frage nach der größeren Menschlichkeit in anderen Kulturen)

Leuninger:
Ich habe in der letzten Woche eine solche Erfahrung gemacht. Einer der eritreischen Freunde, der Flüchtling ist, wurde ins Krankenhaus eingeliefert. Seine Freunde haben ihn in einer Weise besucht, die uns alle überrascht hat. Dies geschieht aus der Tradition heraus, dass der Kranke eigentlich keine Stunde allein, sondern stets in der Umgebung seiner Freunde und Verwandten leben sollte. Dieser Mann ist jedoch allein hier - seine Familie ist noch in einem Lager im Sudan - und so war er auf diese Solidarität und Freundschaft angewiesen. Und wir haben eigentlich davon gelernt.

SFB:
(Frage nach den kleinen Schritten anstatt großer Aktionen)

Leuninger:
Aber doch aus einer Einstellung heraus, die auch die große Perspektive sieht; etwa in dem Sinne, wie eben bereits besprochen, dass wir miteinander leben sollten, und zwar in einer Form, die bislang ungewöhnlich war. Sie ist nämlich nicht mehr nur geprägt von unserer eigenen Mentalität und von unserem eigenen Horizont, sondern von der Bereitschaft, sich zu öffnen auf andere Menschen, auf andere Kulturen, auf andere Situationen hin.


30. September 1985
WESTDEUTSCHER RUNDFUNK KÖLN (WDR)
Kirchenfunk
WOCHE DER AUSLÄNDISCHEN MITBÜRGER
Telefoninterview
von H. Kilimann, Essen mit H. Leuninger
Sendung am 4. Oktober 1985

WDR:
(Die Sendung beginnt mit einer Umfrage unter Ausländern vor einem Kaufhaus in Essen, ob sie etwas von der Woche der ausländischen Mitbürger wüßten. Nur einer von ihnen bejaht dies. Daran schließt sich die Frage an, wie die Ausländer über die Woche informiert werden.)

Leuninger:
Allein dadurch, daß mittlerweile zahlreiche Vereine, hunderte Vereine von Ausländern, oder Vereine von Deutschen und Ausländern an der Vorbereitung dieser Woche beteiligt sind.

Bei den Passanten, die sie befragten, war es typisch, daß es Leute waren, die nicht über den muttersprachlichen Dienst von Radio und Fernsehen erreicht werden, weil sie englisch, persisch, oder französisch sprechen, während die größten Gruppen der nichtdeutschen Arbeitnehmer nachrichtenmäßig über Rundfunk und Fernsehen versorgt werden, wenigstens hinsichtlich solcher Informationen. Wir gehen davon aus, daß ein sehr beachtlicher Teil informiert ist.

WDR:
(Frage nach dem Kreis, der durch die Woche angesprochen wird)

Leuninger:
Es gibt nicht nur die Ausländervereine, es gibt auch mittlerweile Tausende von engagierten Gruppen, die diese Woche nutzen, um sich und ihre Arbeit darzustellen, andere darüber zu informieren und vielleicht auch dazu beizutragen, daß sich weitere Kreise der Bevölkerung in die gemeinsame Kontaktaufnahme einbeziehen lassen.

WDR:
(Frage nach dem Ziel der Woche)

Leuninger:
Es wird ein besseres Klima des Zusammenlebens angestrebt, das einhergeht mit besseren Voraussetzungen für eine gute Politik.

WDR:
(Frage nach dem politischen Engagement der Kirche)

Leuninger:
Das ist eine der maßgeblichen Initiativen seitens der katholischen und auch der evangelischen Kirche, die sicher dazu beigetragen haben dürfte, daß zumindest in den letzten Jahren das Ausländergesetz nicht erheblich verschärft wurde, obwohl es politische Bestrebungen bei sehr einflußreichen Kreisen von Parteien, die die Regierung tragen, gegeben hat.

WDR:
(Frage, wofür sich die Kirchen politisch besonders eingesetzt haben.)

Leuninger:
Das Entscheidende ist zum ersten, daß der Aufenthalt der hier seit langem lebenden nichtdeutschen Arbeitnehmer und ihrer Angehörigen gesichert wird. Das zweite ist, daß die Familienzusammenführung nicht behindert wird. Und das dritte, daß Ausweisungen nur in ganz extremen Fällen praktiziert werden, möglichst aber nicht mehr bei Menschen, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben.

WDR
(Frage, ob die Woche f ü r Ausländer veranstaltet wird)

Leuninger:
Die Initiative der Kirchen ist nur ein Anlaß, bzw. eine Anregung. Es war für uns immer selbstverständlich, daß solche Tage bzw. die Woche nicht allein "für" die anderen gemacht wird, sondern immer "mit" den anderen zusammen. Wir denken, daß in den letzten Jahren ein erheblicher Wandel im Bewusstsein gerade auch der Kirchengemeinden und aller, die diese Woche mitgestalten, eingetreten ist, so daß wir sagen können, das "für" die Ausländer wird immer weniger und das "mit" immer selbstverständlicher.

WDR
(Frage nach der Auswirkung über die Woche hinaus)

Leuninger:
Deswegen haben wir auch den Tag auf eine Woche ausgeweitet um zu verhindern, daß ein solcher Tag eine Alibi-Funktion bekommt oder nur eine öffentliche Wirksamkeit entfaltet wie der "Tag der Milch". Die Woche ist gedacht als Aktivierung, d.h., daß immer mehr Menschen gewonnen werden, Deutsche und Nichtdeutsche, sich im Bereich des besseren Zusammenlebens stärker zu engagieren.

WDR
(Frage, wann das Ziel der Woche als erreicht gilt)

Leuninger:
Wenn neue Gruppen entstehen und neue Anregungen vermittelt werden, sich dieses Anliegens anzunehmen, wobei wir im Augenblick feststellen, daß gerade die Frage der Flüchtlinge und ihrer Anwesenheit hier die Aufmerksamkeit vieler engagierter Christen und Nichtchristen auf sich zieht.

WDR
(Frage nach aktuellen Veränderungen der Woche)

Leuninger:
Vielleicht eine Ausweitung des Bewusstseins auf die Flüchtlinge hin, die unter besonders schwierigen Verhältnissen leben, und die gerade jetzt unter politischen Druck geraten.

WDR
(Frage nach der asylpolitischen Diskussion)

Leuninger:
In der politischen Diskussion wird im Augenblick sehr stark die Frage behandelt, wie weitere Flüchtlinge daran gehindert werden können, in die Bundesrepublik zu kommen und dies unter dem Gesichtspunkt, daß es bereits zu viele seien. Dies schafft eine ziemliche Abwehrreaktion in Teilen der Bevölkerung. Wir stellen dies fest, vor allem in Baden-Württemberg und Bayern. Dort ist die Politik in sehr restriktiver Weise gegen den weiteren Zugang von Asylbewerbern gerichtet, und zwar von solchen, von denen man annimmt, daß sie keinen Asylgrund haben.


30. September 1985
SÜDWESTFUNK (SWF)
1. Hörfunkprogramm
Sendung: "Radiotreff"
WOCHE DER AUSLÄNDISCHEN MITBÜRGER
Telefoninterview
von Leske Kaufmann mit H. Leuninger
Kontakt: H. Schäfer

(SWF-Fragen und Beiträge von Hörern nach den Gedächtnis aufgezeichnet)

SWF:
Herr Leuninger, Sie sind Ausländerpfarrer und haben diese WOCHE DER AUSLÄNDISCHEN MITBÜRGER mit vorbereitet.
Was soll mit dieser Woche erreicht werden?

Leuninger:
Es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt! Wir wünschen uns ein besseres Zusammenleben zwischen Deutschen und Nichtdeutschen. Positiv gewendet heißt deswegen das Motiv: Nachbarschaft, die Frieden schafft. Denn der internationale Friede wird nicht nur durch Raketen gefährdet, sondern auch durch friedlose Nachbarn. Daher wünschen wir uns mehr Kontakte, mehr Gespräche, mehr gegenseitige Einladungen, gemeinsame Feste, menschliche Nähe, ja vielleicht auch gegenseitige Freundschaft.

Dazu können die verschiedensten Veranstaltungen beitragen. Natürlich spielt bei den Veranstaltungen in dieser Woche das gemeinsame Feiern eine große Rolle, denn der Friede und die Liebe gehen auch durch den Magen und dem dienen dann Cevapcici, Pizza und - vielleicht weniger für die Deutschen - Sauerkraut.

Es gibt unzählige Veranstaltungen, die entweder von den Kommunen oder von Kirchengemeinden, vielleicht auch von Sportverbänden und Ausländervereinigungen geplant sind.

SWF:
Was geschieht von Ihnen aus unmittelbar?

Leuninger:
Ich selbst habe mich einer Friedensbewegung angeschlossen, die Nachbarschaft mit Flüchtlingen pflegt. So haben wir am Samstag den zweiten Geburtstag der kleinen Helen gefeiert. Sie ist das Kind einer eritreischen Familie, die aus ihrer Heimat geflüchtet ist und bei der die Eltern inzwischen als Flüchtlinge anerkannt wurden.

SWF:
Vielleicht gibt es ja Hörer in unserem Sendebereich, die gerne berichten möchten, wie sie Kontakte mit Ausländern pflegen und wie vielleicht sogar auch bei ihnen eine Freundschaft entstanden ist. Wenn sie über solche Erfahrungen berichten können, bitte wenden sie sich an uns unter der entsprechenden Telefonnummer des Rundfunks.

In einer Kurzumfrage nehmen 3 Hörer Stellung:

1.
Die Arbeitskollegin eines türkischen Arbeitnehmers, die mit ihrer Tochter in die Türkei eingeladen und 4 Wochen am Marmara-Meer verbracht hat und in besonderer Weise die Gastfreundschaft der türkischen Familie lobt.

2.
Ein Geschäftsmann, der davon berichtet, es mache ihm ungewöhnlich viel Spaß, in seinem Geschäft Spanier, Portugiesen und Türken zu bedienen. Sie seien immer freundlich. In den ausländischen Gaststätten bekäme man auch nach 22 Uhr noch etwas zu essen.

3.
Eine Dame berichtet von einem freundschaftlichen Kontakt zu einer türkischen Mutter von mehreren Kindern, die allerdings dann gestorben ist. Die Hörerin hat sich danach zusammen mit der Vermieterin um die Familie gekümmert. Der Kontakt besteht noch immer, auch nachdem der Vater wieder geheiratet hat, in herzlicher Form zu den Kindern.


5. Oktober 1985
Einschätzung für
DEUTSCHE PRESSEAGENTUR (dpa)
WOCHE DER AUSLÄNDISCHEN MITBÜRGER
  • VERANSTALTUNGEN:

    - eine Fülle von Veranstaltungen zum Thema: "Nachbarschaft die Frieden schafft"  besonders in. den Städten, in denen die übergroße Mehrheit der nichtdeutschen Bevölkerung lebt.

    - Genutzt zur Diskussion der Fragen des Zusammenlebens und zur Darstellung der Herkunftskultur. Folklore nicht mehr allein im Vordergrund.

    - Alle Arten von Veranstaltungen, die dem besseren gegenseitigen Verständnis und Zusammenleben dienen.

    • Dichterlesungen,
    • Ausstellungen von Fotos und Werken der darstellenden Kunst (Plakat zur Woche  von Hanefi Yeter)
    • Theater
    • Musik
    • Straßen-Stadtteil-Stadt-Feste
      (z. B. Fulda) als Teil einer   neuen internationalen und kommunikativen   Stadtkultur.
    • Neu: der Info-Bus von Saarbrücken, der auf den Marktplätzen verschiedener Städte des Saargebietes Halt   machte.
  • VERANSTALTER:

    - neben den Kirchen (gemeinsam/ökumenisch)

    - vor allem die Stadtverwaltungen und diese wiederum in Verbindung mit den

    • Ausländerbeiräten, den
    • ausländischen Vereinen und
    • deutsch-ausländische Initiativen
    • nicht einzuschätzen die Rolle der Sportvereine

    - Man kann sagen: Die Woche wird immer mehr eine Woche d e r ausländischen Mitbürger und  m i t  ihnen und nicht mehr nur f ü r sie.

  • POLITISCHE DISKUSSION:
  • - Die Mitbeteiligung und Mitverantwortung der Ausländer am gesellschaftlichen und kommunalen Geschehen.

    - Bischof Moser von Rottenburg-Stuttgart: bezeichnet Partizipation als Schlüsselwort einer gemeinsamen Zukunft mit den Ausländern und meint damit: Teilnahme, Teilhabe, freie und aktive Mitbeteiligung und Mitverantwortung. Dazu gehören nach Moser auch politische Mitwirkungsmöglichkeiten wie zum Beispiel das kommunale Wahlrecht (!).

    - Gestrige Forderung des "Initiativausschusses ausländische Mitbürger in Hessen" mit dem Hinweis, daß ein solches Wahlrecht allen zugute käme, vor allem in den Stadtteilen mit hohem Ausländeranteil, die durch eine mangelnde Infrastruktur gekennzeichnet seien.

    • ASYLPOLITIK

      - Überschattet war die Woche nicht nur durch die unfriedlichen Ausschreitungen in manchen Städten, sondern vor allem auch durch die asylpolitische Diskussion, in der der Innensenator von Berlin, Heinrich Lummer (CDU) sogar eine Änderung des Grundgesetzes anstrebt und der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) seine Forderung nach drastischen Maßnahmen gegen Asylbewerber erneuert hat.

      - Insofern war es von Bedeutung, daß zwei kirchliche Broschüren zur Information von Kirchengemeinden und interessierter Öffentlichkeit über Asyl in dieser Woche erschienen sind und zwar von der evgl. Kirche Berlin-Brandenburg mit einem; Geleitwort von Bischof Kruse (Asyl in unserem Land – Fragen, Informationen, Argumente) "Eine Abschottung der Grenzen schmälert das Grundrecht auf Asyl."
      Die zweite evgl./kath. Publikation ist das "Werkheft Asyl" für Baden-Württemberg.

      - Bischof Karl Lehmann, Mainz bei der Eröffnung der Woche: "Wir werden nicht müde darauf hinzuweisen„ daß alle Maßnahmen, die der Staat trifft, die Gesetze der Menschenwürde achten müssen."

      - Aber auch ein politischer Lichtblick in dieser Woche neben den grundsätzlichen Äußernngen zu Integration und Aufenthaltsrecht von Frau Liselotte Funcke (FDP) in Dortmund: Der Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Herbert Schnorr (SPD) hat in dieser Woche die Ausländerbehörden angewiesen, den Familiennachzug für Ausländer zu erleichtern.

    • FAZIT DER WOCHE:

      Sie war ein Beitrag zum inneren Frieden