ARCHIV MIGRATION 1985 | |||
Ideologische Hintergründe zur Verschärfung der Ausländer-Situation
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Eine Wahlkampfanzeige von Oberbürgermeister Wallmann Am Samstag, den 19.Januar, hat an der Hauptwache, dem Zentrum der City von Frankfurt eine Gruppe von ausländischen Jugendlichen und Skinheads auf eine etwa gleich große Zahl von Vertretern der rechtsextremen „Freiheitlich Deutschen Arbeiterpartei" eingeschlagen, die dort mit den Motto "Ausländer raus" um Wählerstimmen geworben hatte. Wie bereits eine Woche zuvor hatten die Rechtsradikalen einen Informationsstand aufgebaut und Flugblätter verteilt. "Ausländer raus! – Damit Frankfurt sicherer und sauberer wird!" waren sie überschrieben. Dies berichtet die Frankfurter Rundschau am 21. Januar. Am gleichen Tag erscheinen in der Frankfurter Boulevard-Presse Bild-Zeitung und Abendpost-Nachtausgabe großformatige Anzeigen "Frankfurt’s Ausländerproblem liegt in Ihrer Hand - Festigkeit mit Wallmann oder grün/rote Ideologie". Dann heißt es u.a.: "So will Wallmann weitermachen: Der Erlaß des hessischen Innenministers wird auch in Zukunft nicht befolgt, weil es unmenschlich ist, daß 16- bis I8jährige Ausländer, die nicht deutsch sprechen, zu uns nachziehen dürfen. Denn sie werden weder einen Ausbildungs- noch Arbeitsplatz bekommen und deshalb auf der Straße liegen.
Gemäß der Anzeige hat es sich „im Hessischen Landtag gezeigt, dass grün/rot unvernünftig und unsozial ist. Wer in der Ausländerpolitik nur an seine Ideologie (und an zukünftige Wählerstimmen von Ausländern) denkt, der schafft soziale und menschliche Spannungen zwischen deutschen und ausländischen Mitbürgern...“ Wodurch unterscheidet sich diese Anzeige von dem Flugblatt der FAP "Ausländer raus!“ ? Wo liegen vielleicht Gemeinsamkeiten? In der gestrigen Stellungnahme, die ich mit dem zuständigen Geschäftsführer des Diakonischen Werkes von Hessen und Nassau, Fritz Weißinger und dem Referenten für Ausländerfragen beim DGB-Landesbezirk Hessen Andreas Mouzouris abgegeben habe, stellen wir fest, Wallmann sage nicht "Ausländer raus“, aber er male den Teufel sozialer und menschlicher Spannungen an die Wand und versuche sich Schwierigkeiten und latente Ängste zunutze zu machen. Erneut müßten Mitbürger, die sich nicht wehren können, dazu herhalten, Ängste auszulösen und Wahlen zu entscheiden. Wie kann sich ein Oberbürgermeister von Frankfurt diese Instrumentalisierung von Minderheiten leisten, ohne daß ein Sturm der Entrüstung losbricht? Wie will er verhindern, daß eine Anzeige und das Flugblatt der Rechtsextremen in einen geistigen Zusammenhang gebracht werden? Genügt es dazu, in der Anzeige zu beteuern, er halte an seinem Kurs der Vernunft und Menschlichkeit fest? Oder anders gefragt: Was legitimiert einen solchen und andere Spitzenpolitiker außer der plebiszitären Zustimmung, die sie finden mögen, dazu, solchermaßen in der Öffentlichkeit zu agieren? Welcher geistige Hintergrund, welche Plausibilität, welche politische Moral könnte es sein. die diese politische Haltung in einer Weise abdeckt, daß anscheinend nicht einmal mehr der Schimmer eines Unrechtsbewußtseins zu erkennen ist? Mit welchen geistig-moralischen Verwerfungen haben wir es mittlerweile, immer noch, oder wieder zu tun? Ich will versuchen, einige der Ideen zu benennen, die mir im Hintergrund zu stehen scheinen. Dabei gehe ich von folgenden Voraussetzungen aus: Es besteht jederzeit ein politischer Bedarf an geistig-moralischen Ideen, da jede Politik auf einer bestimmten Moral aufbaut und nur als moralisch einwandfrei vermittelt werden kann. Entsprechende Angebote stehen im geistigen Spektrum einer Gesellschaft zur Disposition und können bei entsprechendem Bedarf abgerufen werden. Zu diesen aktuellen Angeboten gehört neben dem nationalen Gedanken ein wiederauflebender Sozialdarwinismus mit einer elitären Ungleichheitsideologie. Diese Ideologie betrachtet Christentum, Judentum und Sozialismus als ihre schärfsten Gegner. (Es folgen Auszüge aus dem Referat: Kirche und Heidelberger Manifest) Sozialdarwinismus im neuen Gewand Vielleicht müßten wir stärker als bisher unsere Aufmerksamkeit auf die geistige Auseinandersetzung in den vereinigten Staaten richten, von denen wir im Guten wie im Bösen unsere Ideen beziehen.(Man kann dies als Kulturimperialismus ablehnen. Unsere Abhängigkeit von den USA, die sich gerade auch im Ideentransfer zeigt, ist aber eine Realität). Bereits 1977 hat sich dort ein internationales Komitee gegen Rassismus ("INTERNATIONAL COMMITTEE AGAINST RACISM“) mit einer Erklärung gegen die Sozialbiologie, d.h. die moderne Form des Sozialdarwinismus gewandt. Es geht dabei um Theorien, die nachgewiesen haben wollen, daß gesellschaftliche Probleme, wie Krieg, Fremdenhass, Rassismus, Völkermord und die Unterdrückung der Frau ihre Wurzeln nicht im gesellschaftlichen Versagen, sondern in unserer biologischen Natur hätten. Daraus wäre natürlich zu folgern, daß Bemühungen, diese Übel zu beseitigen, niemals gelingen könnten. Gesellschaftlicher Wandel wäre letztlich unmöglich. Das Komitee ist vor allem deswegen beunruhigt über diese Theorien, weil sie sich einer wohlwollenden Publizität in der Fachliteratur, in Lehrbüchern und in angesehenen Magazinen erfreuen. Als unumstößliche, wissenschaftliche Wahrheit hat dieser Sozialdarwinismus die Akademien und Schulen erreicht, so daß die Gefahr b4steht, daß eine ganze Generation junger Menschen daraufhin erzogen wird, den Sozialdarwinismus als wissenschaftlich erwiesen anzusehen. Auslese, Selektion, Kampf ums Dasein, das Recht des Stärkeren und die Ungleichheit des Menschen sind wesentliche Theoreme dieser Doktrin. Die Wende in der Bundesrepublik ist m.E. von diesem und ähnlichem Gedankengut erheblich geprägt, ohne daß diese ideengeschichtlichen Grundlagen genügend gesehen und in die Debatte geworfen werden. Sie wirken wie ein schleichendes Gift, begründen und legitimieren den Rückschritt und erreichen eine Plausibilität gegen die sich auch christliches Gedankengut ziemlich machtlos erweist. Für mich besonders wichtig ist in dieser Auseinandersetzung die Erkenntnis, dass die Fremdenfrage und damit die Ausländerpolitik nur ein Teil, vielleicht ein besonders exemplarischer dieses geistig/politischen Wandels ist, und, daß es daher absolut nicht ausreicht, sich isoliert mit der Ausländerfrage zu befassen. Ich sehe mich vor allem in meiner Auffassung bestätigt, daß die Einstellung zum Fremden entscheidend mit der Frage nach Krieg und Frieden, nach Frauenemanzipation, nach Überwindung des Nationalismus und des Rassismus zusammenhängt.
PLÄDOYER FÜR EINE ÖKUMENISCHE ZUKUNFT vom 25.- 27. Januar i985 in Wiesbaden über das Thema "Perspektiven eines deutschen Anti-Rassismus-Programms - Die Situation der Ausländer und Asylanten unter uns und die Aufgaben der Kirche" |