ARCHIV - Herbert Leuninger - ASYL


Frankfurter Rundschau vom 16. Juni 2001

Es bleibt ein schreckliches Stück Niemandsland

Das Forum Migration schwankt zwischen Zuzugs-Euphorie und Frust über das Flughafenasyl

Ursula Rüssmann


Der weite Raum des Kirchentags reicht nicht bis zum Airport. Ein-blicke in das Elend der Flüchtlinge im Flughafenverfahren gewinnen interessierte Christen aus der Distanz, im idyllischen Palmengarten, per Diskussion und Diaschau. Die am Rand des Rechtsstaats Gestrandeten bleiben weit weg, gleichsam unfassbar, auf Lichtbildern huschen die Gitterfenster ihres Transitlagers und ihre vollgepfropften Schlafräume vorbei.

Zwischen Palmen tragen die Mitarbeiter des Flughafensozialdienstes Schicksale vor: Etwa das der jungen Afghanin, die ihrem Ehemann nach Deutschland folgen wollte, aber nach drei Monaten im Transit und psychiatrischer Behandlung nach Pakistan verschickt wird. Die Sozialarbeiter listen auf, was im Niemandsland am Flughafen fast Alltag ist: Nervenzusammenbrüche, Selbstmordversuche. Kein Personal für Bastelstunden für die Kinder (im waren es rund 400 im Flughafenverfahren). Mängel bei der Asylanhörung, fehlende Beratung. Rechtsanwalt Reinhard Marx: "Man lässt die Leute auflaufen. Dabei sind viele von ihnen soziokulturell restlos überfordert."

"Bitte einwandern!"? Nein, die am Airport sind nicht gemeint. So heißt eine andere Debatte, auf dem Messegelände, und hier herrscht richtig Aufbruchstimmung. Niemand zählt mehr mit, wie oft die migrationspolitische Prominenz auf dem Podium den "Perspektivwechsel" der Politik beschwört. Deutschland - Einwanderungsland: Rita Süssmuth, Vorsitzende der Bundes-Zuwanderungskommission, sieht die Republik unterwegs zum neuen Geist: "Öffnung und Einladung statt Abwehr."Wendezeit? Auch im engagierten Publikum wabern riesige Erwartungen, der Reformstau von Jahrzehnten könne jetzt endlich aufgelöst werden. Jede Menge steht an: Bei nichtstaatlicher und geschlechtsspezifischer Verfolgung sieht Süssmuth "Schutzlücken" klaffen, sie verlangt eine Härtefallregelung für Flüchtlinge, die durch alle Maschen des Rechts gefallen sind.

Die Ausländerbeauftragte Marieluise Beck will endlich anders heißen - denn viele "Ausländer" in Deutschland sind ja längst Inländer, nur ohne deutschen Pass. Jürgen Micksch vom Interkulturellen Rat ergänzt den Katalog der Überfälligkeiten: Kommunales Wahlrecht für alle, unabhängige Antidiskriminierungsbüros, Rechtsschutz für Menschen ohne legalen Status. "Wann, wenn nicht jetzt?", wird Süssmuth ganz am Ende murmeln, nicht ohne besorgten Unterton; da ist aber das Hallenmikro schon aus und sie will gehen.

Marieluise Beck, erprobt im politischen Nahkampf mit Zuzugsskeptiker Otto Schily, hat die Unwägbarkeiten vorher genauer lokalisiert: "Es wird noch viel Kleinmut in der Politik geben." Und sie hat gewarnt, dass das Einwanderungsgesetz schmerzliche Lernprozesse nicht ersetzt: "Migration wird uns immer Unvorhergesehenes bringen. Wir werden immer auch Einwanderung haben, die nicht ganz passgenau ist." An die draußen am Airport hat sie dabei wohl nicht gedacht. Von ihnen spricht überhaupt niemand in der Halle. Das Flughafenverfahren, dieses "Stück Unkultur in unserer Rechtskultur" (Herbert Leuninger von Pro Asyl), bleibt beim euphorischen Einwanderungsdiskurs außen vor. "Es hängt so eine schreckliche Stille über den Geschehnissen am Flughafen", sagt eine im Palmengarten.