Der weite Raum des
Kirchentags reicht nicht bis zum Airport. Ein-blicke in das Elend der
Flüchtlinge im Flughafenverfahren gewinnen interessierte Christen aus der
Distanz, im idyllischen Palmengarten, per Diskussion und Diaschau. Die am Rand
des Rechtsstaats Gestrandeten bleiben weit weg, gleichsam unfassbar, auf
Lichtbildern huschen die Gitterfenster ihres Transitlagers und ihre
vollgepfropften Schlafräume vorbei.
Zwischen Palmen tragen die
Mitarbeiter des Flughafensozialdienstes Schicksale vor: Etwa das der jungen
Afghanin, die ihrem Ehemann nach Deutschland folgen wollte, aber nach drei
Monaten im Transit und psychiatrischer Behandlung nach Pakistan verschickt
wird. Die Sozialarbeiter listen auf, was im Niemandsland am Flughafen fast
Alltag ist: Nervenzusammenbrüche, Selbstmordversuche. Kein Personal
für Bastelstunden für die Kinder (im waren es rund 400 im
Flughafenverfahren). Mängel bei der Asylanhörung, fehlende Beratung.
Rechtsanwalt Reinhard Marx: "Man lässt die Leute auflaufen. Dabei sind
viele von ihnen soziokulturell restlos überfordert."
"Bitte
einwandern!"? Nein, die am Airport sind nicht gemeint. So heißt
eine andere Debatte, auf dem Messegelände, und hier herrscht richtig
Aufbruchstimmung. Niemand zählt mehr mit, wie oft die migrationspolitische
Prominenz auf dem Podium den "Perspektivwechsel" der Politik
beschwört. Deutschland - Einwanderungsland: Rita Süssmuth,
Vorsitzende der Bundes-Zuwanderungskommission, sieht die Republik unterwegs zum
neuen Geist: "Öffnung und Einladung statt
Abwehr."Wendezeit? Auch im engagierten Publikum wabern riesige
Erwartungen, der Reformstau von Jahrzehnten könne jetzt endlich
aufgelöst werden. Jede Menge steht an: Bei nichtstaatlicher und
geschlechtsspezifischer Verfolgung sieht Süssmuth
"Schutzlücken" klaffen, sie verlangt eine Härtefallregelung
für Flüchtlinge, die durch alle Maschen des Rechts gefallen sind. Die
Ausländerbeauftragte Marieluise Beck will endlich anders heißen -
denn viele "Ausländer" in Deutschland sind ja längst
Inländer, nur ohne deutschen Pass. Jürgen Micksch vom
Interkulturellen Rat ergänzt den Katalog der
Überfälligkeiten: Kommunales Wahlrecht für alle,
unabhängige Antidiskriminierungsbüros, Rechtsschutz für Menschen
ohne legalen Status. "Wann, wenn nicht jetzt?", wird
Süssmuth ganz am Ende murmeln, nicht ohne besorgten Unterton; da ist aber
das Hallenmikro schon aus und sie will gehen. Marieluise Beck, erprobt im
politischen Nahkampf mit Zuzugsskeptiker Otto Schily, hat die
Unwägbarkeiten vorher genauer lokalisiert: "Es wird noch viel Kleinmut
in der Politik geben." Und sie hat gewarnt, dass das Einwanderungsgesetz
schmerzliche Lernprozesse nicht ersetzt: "Migration wird uns immer
Unvorhergesehenes bringen. Wir werden immer auch Einwanderung haben, die nicht
ganz passgenau ist." An die draußen am Airport hat sie dabei wohl
nicht gedacht. Von ihnen spricht überhaupt niemand in der Halle. Das
Flughafenverfahren, dieses "Stück Unkultur in unserer
Rechtskultur" (Herbert Leuninger von Pro Asyl), bleibt beim euphorischen
Einwanderungsdiskurs außen vor. "Es hängt so eine schreckliche
Stille über den Geschehnissen am Flughafen", sagt eine im
Palmengarten.
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