Aus dem Bericht an den Bischof:

Wegen der ungünstigen Wettervoraussage mußten die Veranstalter sich kurzfristig entscheiden, das Programm in der für diesen Fall vorgesehenen Bonifatiuskirche, Hofheim, durchzuführen. Man hatte auf die Bonifatiuskirche zurückgreifen müssen, nachdem das Bemühen um die Kreissporthalle in Kriftel und dann um die Turnhalle Kriftel als Veranstaltungsraum leider gescheitert war.

St. Bonifatiuskirche in Hofheim
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Zur Einführung

Aus dem umfangreichen Material, das sich mit dem Hofheimer Meß-Festival befaßt, ist unter doppeltem Aspekt eine Auswahl getroffen worden. Einmal soll das vorgelegt werden, was als Information über die Veranstaltung selbst notwendig ist. Es hat sich. nämlich vielfach herausgestellt, daß die normale Berichterstattung, selbst wenn sie journalistisch einwandfrei war, nur ein unzulängliches Bild vermitteln konnte. Bei einer Angelegenheit, die emotional stark besetzt ist, wirkt sich das besonders ungünstig aus. Hinzu kommt noch die Erfahrung, daß jeder Bericht das Vorverständnis des Verfassers widerspiegelt. So kann es sogar zu einer sehr unterschiedlichen Darstellung der gleichen Fakten kommen. Um dennoch einer verläßlichen Eindruck zu gewinnen, sind die Fotos in das Buch aufgenommen worden.

Die Dokumentation ist des weiteren unter dem Gesichtspunkt zusammengestellt, daß sie die wichtigsten Argumente der innerkirchlichen Auseinandersetzung enthält. Als Auftakt einer intensiven Gestaltung künftiger Jugendgottesdienste gedacht, wurde das Meß-Festival ja unversehens zum Anlaß grundsätzlicher Erörterungen von Eucharistie, Gemeinde, Sakralität und Tradition. Die Argumente, die vorgebracht wurden, lassen sich nicht einfachhin harmonisieren. Hier wird es dem Leser obliegen, abzuwägen. Dabei ist es sicher von Belang für die Zukunft, wie junge Menschen über die einschlägigen Fragen denken.

Hofheim. 8. Februar 1972
Herbert Leuninger

DIE MESSE ALS FESTIVAL
Theologische Voraussetzungen des Meß-Festivals

Herbert Leuninger

In den folgenden Ausführungen sollen einige Aspekte des theologischen Hintergrundes, auf dem das Meß-Festival zu sehen ist, dargelegt werden. Dabei ist ein Unterschied zu machen zwischen der theologischen Überlegung, die dem Meß-Festival vorausging und durch dieses verifiziert werden sollte, und der nachträglichen Reflexion, die von den gemachten Erfahrungen ausgeht. Im Idealfall wird nämlich eine Theorie durch das Experiment nicht nur bestätigt, sondern mit neuen Ideen angereichert.

 

Festlichkeit heute

Es besteht in unseren Tagen eine unbestreitbare Tendenz, das Fest in seiner zentralen Bedeutung für das menschliche Zusammenleben zurückzugewinnen. Eine liturgische Pastoral, die sich dieses Phänomens voll bewußt wird, sieht hier wichtige Ansätze, einerseits dem Lebensgefühl des heutigen Menschen gerecht zu werden, andererseits der christlichen Liturgie vielleicht doch wieder einen zentralen Platz zuzuweisen. Dabei sollte man sich der ständigen Klage nicht nur junger Menschen über die Sterilität und die mangelnde Aussagekraft der allermeisten Gottesdienste bewußt bleiben.

Die Tatsache, daß wir vor einer Renaissance des Festes und der Festlichkeit zu stehen scheinen, kommt besonders in dem Buch des amerikanischenTheologen und Soziologen Harvey Cox zum Ausdruck, das unter dem Titel "Das Fest der Narren" erschienen ist. Darin wird die oft artikulierte Erfahrung von der Abwesenheit Gottes in Zusammenhang gebracht mit einer verlorengegangenen Festlichkeit. Für Cox ist die Erfahrung vom "Tode Gottes" nicht eine vorübergehende Mode des säkularen Geistes. Das Problem sieht er darin, daß der heutige Mensch Gott nicht mehr erfährt und ihm nicht mehr begegnet. "Die religiöse Sprache einschließlich des Wortes 'Gott' wird erst wieder einen Sinn gewinnen, wenn die verlorengegangene Erfahrung, auf die solche Worte verweisen, wieder zu einem empfundenen Sachverhalt in der menschlichen Wirklichkeit wird. Wenn Gott wieder kommt, dann müssen wir ihm möglicherweise zuerst im Tanz begegnen, ehe wir ihn in der Lehre definieren können".

Das Stichwort "Tanz" steht bei Cox in diesem Zusammenhang für Fest und Festlichkeit. Ihr Fehlen in der westlichen Welt steht in der Beziehung zum "Tode Gottes". Der Mensch, der die Fähigkeit verloren hat zu feiern, muß auch der Erfahrung Gottes verlustig gehen.

Im Fest wird die Vergangenheit lebendig und die Zukunft visionär vorweggenommen. Der Mensch besinnt sich auf seine Herkunft, auf seinen göttlichen Ursprung, andererseits blickt er voller Hoffnung nach vorn, um nach dem Sinn und Ziel des Lebens auszulangen. In jedem Falle offenbart das Fest dem Menschen eine religiöse Dimension. Der mit Produktion und Technik beschäftigte Mensch verliert mit wichtigen Seiten der Wirklichkeit den Kontakt. Vor allem ist er unfähig geworden, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, Geschichte, Zeit und Ewigkeit in das rechte Verhältnis zueinander zu bringen. Wenn dies im Fest aber gelingt, wird durch eine wiederentdeckte Festlichkeit die menschliche und religiöse Krise überwunden.

Eine wiedergewonnene Festlichkeit wird die Phantasie stärker anregen als den Intellekt. Sie bedarf aber neuer Formen des Zusammenlebens. Cox denkt dabei an eine besondere Institution, die sich dieser Aufgabe für die Zukunft der Menschheit unterzieht. "Sie muß Menschen lehren zu feiern und zu phantasieren. Vor allem muß sie einen Boden schaffen, auf dem neue Symbole auftreten können.

Ob die Kirche eine solche Institution sein kann, läßt sich nicht auf den ersten Blick beantworten. Sie hat die Anpassung des einzelnen mehr gefördert als seine schöpferische Haltung. Die Gesten ihrer Feier sind starr und freudlos geworden. "Warum verstehen es die christlichen Großkirchen eigentlich nicht so recht, in ihrem gesamt kirchlichen Tun echte Ausdrucksformen pneumatischer Begeisterung und Betroffenheit zu finden, warum ist der einzelne trotz aller liturgischer Erneuerungen und Korrekturen immer noch im Grunde ein Zuschauer, der sich absolut nach vorgeschriebenen Regeln zu verhalten hat und der seine Spontaneität unterdrücken muß?" Die Antwort auf diese Frage ist relativ leicht zu geben, weil die Kirche es sich nicht getraut hat, die Menschen in volle Freiheit zu entlassen. Hätte sie es getan, wäre sie zu ständiger Veränderung bereit gewesen. Daß es aber gerade der Kirche aufgetragen sein könnte, Entwicklung und Wandel als grundlegende Erfahrungen unseres Zeitalters zu fördern, hat Ivan Illich herausgestellt. Dieser Theologe, der sich mit seinen Thesen über Südamerika weltweites Gehör verschafft hat, allerdings auch von der römischen Inquisition verfolgt wurde, sieht den Beitrag, den die Kirche für eine kommende Zeit leisten kann, nicht auf der Linie der politischen Revolution. Das ist die Aufgabe säkularer Einrichtungen. Der kirchliche Auftrag geht dahin, den Glauben an Christus zu pflegen. Er enthält die Überzeugung, daß die Entwicklung der Menschheit dahin drängt, das Reich Gottes zu verwirklichen. Diese Verwirklichung ist durch den gegenwärtigen Christus bereits in der Kirche vorhanden. Durch die Kirche wird die Entwicklung als ein Hineinwachsen in Christus gedeutet. Kontemplation und Feier führen zu der entsprechenden Bewußtheit.

In dem Ausbildungszentrum von Cuernavaca, das Illich ins Leben gerufen hat, werden unzählige Menschen für die Arbeit in Südamerika ausgebildet. Sie sollen während ihrer Zeit im Schulungszentrum erfahren, was der heutige Wandel im Innersten bedeutet. Daher gehen Erlebnis und Erfahrung über das Studium Von Statistiken und Tabellen. Dialog, Spiel, Poesie und schöpferische Muße sind Elemente einer Feier, in der sich die Teilnehmer immer stärker der Gegenwart Christi und der wachsenden Bezogenheit aufeinander bewußt werden. Der Kirche ist aufgetragen, den Glauben an einen "transzendenten Humanismus" zu erschließen. Dazu feiert sie im Vorgriff das Kommen einer neuen Welt, ohne selbst den Wandel direkt zu beeinflussen. Jede Gruppe von Christen, die auf diese Weise ihren Glauben an Christus bezeugt, wird zum Modell des künftigen Zeitalters und nimmt bereits die Zukunft vorweg. Illich erläßt daher keinen Aufruf zur Revolution, sondern einen Aufruf zur Feier. Ihr weist er entscheidende Möglichkeiten zu. Wir werden instand gesetzt, die Autonomie des Lächerlichen gegenüber dem Nützlichen zu betonen, des Unbegründeten gegenüber dem Zielbewußten, des Spontanen gegenüber dem Durchdachten und dem Geplanten, des schöpferischen Ausdrucks, der erfinderische Lösungen ermöglicht". Den Teilnehmern einer Konferenz für kirchliche Sozialarbeit sagt Illich: "Ich möchte meinen Glauben ohne jeden Zweck feiern".

Das Feiernwollen in den Dimensionen, die Cox und auch Illich beschreiben, zeigt sich vor allem bei der Jugend. Die Pop-Festivals sind weitaus mehr als ein Zeitvertreib durch Musik. Wo sie gelingen - und das ist bei weitem nicht immer der Fall - kommt eine Atmosphäre zustande, die wie etwa in Woodstock 1969 einer halben Million Menschen für drei Tage die Hoffnung eines endgültigen Friedens vermittelt. Von einem ähnlichen Festival, das in England stattfand, schreibt die Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Das Festival im Tupholme Park in Norfolk aber hatte den großen Frieden, eine beglückende Atmosphäre klassenloser Kommunikation". Dabei ist zu beachten, daß gerade die Musik entscheidend für ein kommunikatives Klima ist. Der Artikel warnt davor, an solche Konzerte zu viele Hoffnungen zu knüpfen. "Aber an Veranstaltungen wie dieser ... zeigt sich, daß Formen des Zusammenlebens, die eine klare Alternative zu den allseits herrschenden Verbohrtheiten sind, wenigstens in der Organisation von Musik darstellbar sind, wie sehr da alles auch vorläufig noch nach der Flucht in einen begrenzten und für die allgemeinen Verhältnisse nicht relevanten Freiraum aussieht". (Übrigens eine indirekte Darstellung der Problematik von sakral und profan!)

 

Festlichkeit, Gemeinde und Eucharistie

Während Cox den Verlust des Glaubens an Gott auf den Rückgang der Festlichkeit zurückführt, gibt die Integrierte Gemeinde von München die Ursache an, warum der existentielle Bezug zum Fest verlorengegangen ist. In dem Maße nämlich, wie sich die Kirche von der "Struktur der Gemeinde des Neuen Testamentes entfernte", verlor sie diesen Bezug. "Das Christsein entwickelte sich ohne Umkehr und Nachfolge und ohne die Glaubenskraft der frühen Gemeinde zu einem soziologischen Erbgut; die Feste des Kirchenjahres entleerten sich zu Wiederkehr von Riten, zu zyklisch-religionshaftem Kult"'. Eine Wiederbelebung des Festes hängt von der Erneuerung der Gemeinschaft ab. Sie entsteht da, wo der gegenseitige Dienst im Sinne der Fußwaschung geleistet wird. Das Fest ist ein Geschenk, das als immer wieder überraschende Erfahrung den Höhepunkt des gemeinschaftlichen Lebens darstellt. Mitte (nicht Programmpunkt) des Festes ist die Eucharistie, die einbezogen ist in den weit gespannten Rahmen von Gespräch, Besinnung, Spiel, Tanz, Musik und Mahl.

Ihren Auftrag sieht die Gemeinde darin, ein Stück heiler Welt inmitten dieser Welt aufzurichten. Es soll ablesbar werden, was es heißt, wenn sich Menschen unter die Herrschaft Gottes begeben. Dabei kann und muß aller Stoff dieser Welt "unter die Freiheit der Gottesherrschaft" gebracht werden. Im Grunde ist die Gemeinde nichts anderes als "Welt", allerdings eine verwandelte. Die Verwandlung geschieht im christlichen Miteinander. "Jesus von Nazareth wollte nicht die Verkultung und Sakralisierung des Lebens, sondern seine ‚Heiligung' durch den gegenseitigen Dienst. Die dazu bereit sind, dürfen das Brudermahl feiern".

Das Neue des christlichen Glaubens wird heute wieder in dem besonderen Verhältnis des Christen zum Nächsten gesehen. Diese Sicht wird von vielen Seiten als purer Horizontalismus inkriminiert, als verkürze die Horizontale die Vertikale d. h. das Verhältnis des Menschen zu Gott. Sollte es aber überhaupt eine wirkliche Beziehung zu Gott geben, die sich nicht über den Nächsten vermittelt, so gibt es zweifellos Gotteserfahrung, die sich aus dem Dienst am Nächsten ergibt. Heribert Mühlen spricht in einer beachtlichen theologischen Theorie von der Vermittlung der Heiligkeit Gottes, als dem Inbegriff seines Wesens, über den Mitmenschen. Er sieht dies darin begründet, daß die "Herrlichkeit" Gottes sich als "Liebes-Herrlichkeit" auf dem Antlitz Jesu gezeigt habe. Die ersten Christen haben sich als "Heilige" bezeichnen können, weil die Herrlichkeit Gottes durch Christi Geist in ihnen gegenwärtig war. Der Geist, in dem sich die Christen gegenüberstehen, ist der Geist der Selbstweggabe, der im Kreuz kulminiert. Immer da, wo Selbstweggabe in der Nächstenliebe geübt wird, ist Gottes Heiligkeit miterfahren. Die Nächstenliebe ermöglicht und verleiblicht die Gotteserfahrung. Daher sind für Jesus Gottes- und Nächstenliebe nicht zwei nachträglich zusammengefügte Gebote, sondern ein einziges Gebot. Für die Funktion, die kultisches Handeln in diesem Bezugsfeld noch haben kann, ergeben sich bedeutende Konsequenzen. "Die innerste Tiefe eines jeden einzelnen ist nunmehr jener ausgesonderte Kultort, an welchem der Vater im Geist und in der Wahrheit' angebetet und verherrlicht wird" .

Das schlägt sich in der Grundstimmung nieder, in der die Urgemeinde das Herrenmahl begeht. Die dort sich abzeichnende "Freude ist eine unerhörte Überbietung jener Festfreude der altbundlichen Sakralmähler". Abgesehen von der Schwierigkeit, die eucharistische Praxis der frühen Gemeinde umfassend und eindeutig zu rekonstruieren, dürfte der Tenor der folgenden Beschreibung zutreffen: "Tatsache ist, daß die frühesten Zusammenkünfte der Jünger Jesu keineswegs Gottesdienste in unserem Sinne waren. Die Urgemeinde versammelte sich zum ,Brechen des Brotes', d. h. um miteinander eine Mahlzeit einzunehmen. Sie aßen Brot und tranken Wein, wenn sie es sich leisten konnten. Sie redeten miteinander und tauschten Erfahrungen aus. Sie erinnerten einander an Worte, die Jesus gesprochen hatte. Vermutlich wurden auch Nachrichten von anderen christlichen Gruppen und von den Aposteln vorgelesen. Ganz sicher dankten sie nach alter jüdischer Sitte für das Brot, aber diese Zusammenkünfte waren kaum eine kultische Angelegenheit". Cox steht nicht an zu behaupten, daß es bei diesen Zusammenkünften gelegentlich auch turbulent zugegangen ist. "Solche Sitzungen hatten vermutlich mehr Ähnlichkeit mit den Siegesfeiern einer Fußballmannschaft als mit den meisten Gottesdiensten, die wir besucht haben".

Die Entwicklung der Liturgie mit ihrer starken Kultisierung, die wiederum mit der Entwicklung zum monarchischen Episkopat zusammenhing, war sicher eher ein Entgegenkommen gegenüber vorchristlichen Bedürfnissen der Menschen als eine konsequente Ausformung des urchristlichen Ansatzes. "Immer mehr gerät in Vergessenheit, daß der Kult durch das vollzogene Leben des Jesus bereits erfüllt wurde". Wenn bei den heutigen Bemühungen um einen zeitgerechten Gottesdienst die Problematik des religiösen Kultes erkannt wird, spricht das weniger gegen die Bemühungen als gegen ein einseitig favorisiertes Verständnis christlicher Liturgie.

 

Das Meß-Festival als eucharistischer Gottesdienst

Fest, Freude, Gemeinschaft, Nächstenliebe, Kommunikation sind theologische Kategorien, für die in der heutigen Mentalität der Jugend erstaunlich viel Verständnis vorhanden ist. Wo darauf eingegangen werden kann, entwickelt sich eine christliche Authentizität. Daß sie sich gerade vom Fest und dem in seinem tiefen Anliegen verstandenen Festival herleitet, kann nach dem bisher Gesagten nicht als eine Überlagerung des christlichen Gottesdienstes angesehen werden. Gino Stefani schreibt in Concilium: "Die Liturgie von morgen müßte sich ohne Ironie und Widersprüche in das Programm unseres Wochenendes einfügen lassen". Dabei fordert er weniger Feierlichkeit als Festcharakter. Dazu gehören neben Freiheit, Freude und Spontaneität, auch Begeisterung, Euphorie, Gemeinschaftsgefühl und Schöpfertum. Gerade Jugendmessen sind dafür ein Modell. Sie entsprechen sehr stark der Forderung, ein wahres christliches Fest zu sein, "wo niemand sich langweilt, wo man nicht Riten wiederholen muß, wo man sich ausdrücken, sich selbst verwirklichen kann".

Das Meß-Festival, seine Formen und Texte sind nur auf diesem Hintergrund verständlich.