DIE PREDIGT 
Zvon Herbert Leuninger
DER GUTMENSCH


22.11.2000
Ökumenische Christuskirche, Frankfurt

Bibel:
Evangelium nach Matthäus, Kapitel 15, 21-28

Die kanaanäische Frau

Jesus ging von dort weg und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon. Und siehe, da kam eine kananäische Frau aus der dortigen Gegend und rief: "Erbarme dich meiner, Herr, Sohn Davids! Meine Tochter wird arg von einem Dämon geplagt." Er aber antwortete ihr nicht ein Wort. Da traten seine Jünger hinzu und baten ihn: "Erlöse sie doch; denn sie schreit hinter uns her!" Da entgegnete er:" Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel." Sie aber kam, fiel vor ihm nieder und sprach: "Herr, hilf mir!" Er antwortete: "Es ist nicht recht, das Brot der Kinder zu nehmen und es den jungen Hunden vorzuwerfen." Sie aber sprach: "Doch, Herr; denn auch die jungen Hunde fressen von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen." Da antwortete Jesus: "Frau, groß ist dein Glaube; es geschehe dir, wie du verlangst." Und ihre Tochter war gesund von jener Stunde an.

Predigt:

Am Ende eines längeren Gespräch über Flüchtlinge fragt mich ein Journalist: "Sind Sie ein Gutmensch?". Was sollte ich antworten? Sage ich Ja, setze ich mich der Lächerlichkeit aus. Sage ich Nein, verrate ich meine Ideale. Der Kabarettist Dieter Hildebrandt hat in einem Interview, in dem es auch um seine moralische Haltung ging: "Na gut, dann bin ich eben ein Gutmensch". Ich bin der Antwort auf die Frage ausgewichen und habe gesagt, ich bemühte mich nur, unsere Verfassung und die Menschenrechte ernst zu nehmen. Wenn diese Parteinahme für die Menschenrechte verspottet werde, müsse ich das in Kauf nehmen.

Wann dieser Begriff erstmals aufgetaucht ist, und woher er stammt, weiß ich nicht. Es ist Neudeutsch und wird im neuen Duden nicht aufgeführt. Ich vermute aber, daß es eine Übertragung des französischen Wortes "Bonhomme" ist. Das bedeutet gutmütiger Kerl, oder auch Schwachkopf. Der Gutmensch ist jemand, der moralische Forderungen stellt, die nicht mehr als zeitgemäß gelten. Dies besonders auch im Asyl- und Ausländerbereich. Wer dies tut, setzt sich der Gefahr aus, nicht mehr ganz ernst genommen zu werden. Menschenrechte? Für alle? Hier bei uns? Die Welt hat sich verändert. Das globalisierte Kapital spielt die erste Geige. Die eigenen Interessen dürfen durchgesetzt werden, koste es, was es wolle.

In der Auseinandersetzung um Jörg Haider in Österreich ist "Gutmensch" zu einem Schimpfwort geworden. Tituliert wurden damit die linken Gegner des Rechtspopulisten und seiner Partei. Dazu zählten z.B. alle, die an der Lichtermeerdemonstration am 12. November des vergangenen Jahres am Wiener Stephansplatz teilgenommen hatten. Die eindrucksvolle Lichterdemonstration wird als "Hochamt der heimlichen Gemeinschaft der Gutmenschen" diffamiert Die TeilnehmerInnen gelten als Chor der Gutmenschen. Sie führten nur Leerformeln der Humanität im Munde. Jörg Haider nennt sie fanatische Gutmenschen. Manche Zeitungen nennen sie einäugig; sie würden sich selbst zu Gutmenschen ernennen. Das alles steckt heute dahinter, wenn jemand als Gutmensch bezeichnet wird.

Wir sind noch nicht ganz so weit wie in Österreich. Bei uns ist man nur ein wenig herablassend gegenüber einem Menschen, der "unzeitgemäße" Forderungen stellt. Ein Gutmensch muß also damit leben, als unmodern, naiv und einfältig zu gelten. Wer möchte schon so angesehen werden? Wer hält es auf die Dauer aus, eine lächerliche Figur zu sein?

War Jesus Christus ein Gutmensch ? Das hört sich in dem Text, den wir soeben vernommen haben, gar nicht so an. Eine heidnische Ausländerin aus dem Gebiet der Städte Tyrus und Sidon wird der Umgebung Jesu lästig, als sie um die Heilung ihrer Tochter bettelt. Jesus steht dem in nichts nach, sondern bezeichnet die verzweifelte Mutter indirekt als Hündin. Ihr stehe nicht zu, was den Kindern des Volkes Israel vorbehalten sei. Seit ich als Zehnjähriger Karl May gelesen habe, weiß ich, daß die Fremden im Orient Hunde, "Giaurs" genannt werden. Damals waren französische Kriegsgefangene als Zwangsarbeiter in unserem Dorf. Niemand bezeichnete sie als Hunde. Vielmehr hat der alte Pfarrer Spitzhorn verbotenerweise für sie die Messe zelebriert. Geist des Gutmenschen Jesus?!

Zurück zu Jesus: Die Frau greift das Wort von den Hunden auf, die sich von dem ernähren, was die Herrschaften unter den Tisch fallen lassen. Jesus gibt sich geschlagen, wohl das einzige Mal, daß er in einem Streitgespräch unterlegen ist, einer Frau, einer Fremden, einer Heidin. Hier sehe ich einen der entscheidenden Lernprozesse, die der Prophet aus Nazareth selbst durchgemacht hat. Ein Lernprozeß für den diese Frau Pate steht. Das Heil Gottes ist allen Menschen zugedacht. Israels Aufgabe war es , diesen Gedanken in einem mühsamen, über die Jahrhunderte gehender Prozess reifen zu lassen. Dieser Prozeß vollzog sich in Palästina, dem Sammelbecken unterschiedlichster Völker, Sprachen, Kulturen und Religionen.

Das Volk Israel lebte in einem Gebiet, in dem sich die Handelswege zwischen dem Orient, Afrika und dem Mittelmeerraum schnitten. Die Phönizier, zu denen die heidnische Mutter gehörte (Das Markusevangelium bezeichnet sie als Syrophönizierin) , standen für die Vermittlung der Kulturen nach allen Richtungen hin. In diesem Gebiet gab es außerdem die Kanaaniter, kaukasische Völkerschaften, die in diesen Raum eingewandert waren. Außerdem nennt die Bibel die Hetiter, ein nichtsemitisches, vorarisches Volk. Durch den Korridor Palästinas waren viele Völkerschaften gezogen oder auch eingewandert. Etwa die Hurriter, die Amoriter , die Amalekiter, die Pheresiter, die Gabaoniter . Was sich in diesem relativ kleinen Raum an Multikultur abspielte, stellt selbst Frankfurt in den Schatten. Israel musste seine Identität und seinen Glauben in stärkster Konkurrenz zu andern Völkern, Göttinnen und Göttern durchhalten. Gleichzeitig sollte es der Menschheit das Geschenk der Universalität des Heiles Gottes überbringenPavillon Syriens auf der Expo 2000 in Hannovergen, wenn die Zeit des Messias anbricht.

Syrien erinnert mit seinem Pavillon auf der Expo 2000 in Hannover an seine jahrtausendealte Geschichte

Foto: H.Leuninger

Dies geschah dann, so unser Glaube, im Zeichen der Lächerlichkeit und der Schande, im Zeichen eines Kreuzes. Ist es ein nachösterliches oder ein vorösterliches Wort Jesu? Wer meine Jüngerin, wer mein Jünger sein will, der schleppe täglich seinen Schandpfahl mit sich herum. Der mache sich lächerlich mit der Botschaft, daß ein von den Römern an das Holz gehängter Wanderprediger allen Völkern und Nationen das Heil bringt. Täglich den Kreuzespfahl schultern, heißt nicht so sehr Krankheit , Leid und die Schicksalsschläge des Lebens gläubig und fromm zu ertragen. Es heißt, täglich die grenzüberschreitende Kunde überbringen, daß die Menschenrechte für alle gelten.

Seid Ihr Gutmenschen? Wollt Ihr wirklich Gutmenschen sein? Die tonangebende Gesellschaft in unserem Land, in Europa in Japan und Nordamerika wartet nicht auf diese Kunde. Menschenrechte, ja, wenn sie uns nicht zu viel kosten. Ausländer, ja, wenn sie uns nützen, nicht aber die, die uns ausnützen; gemeint sind die Flüchtlinge. Das Wort stammt von einem evangelischen Synodalen der bayerischen Landeskirche (Innenminister Günther Beckstein, CSU), gut Freund mit unserem derzeitigen Bundesinnenminister (Otto Schily, SPD).

Dass Menschen, die sich für die Einhaltung der Menschenrechte gegenüber allen, vor allem auch gegenüber den Fremden und Zugezogenen einsetzen, als Gutmenschen bezeichnet werden, das gehört zur Fremdenfeindlichkeit , die aus der Mitte der Gesellschaft kommt, einer Gesellschaft, die nur noch ein Ziel hat, nämlich die Aktienkurse steigen zu lassen. Dagegen erhebt sich eine Minderheit von Gutmenschen. Sie kommen aus den verschiedensten religiösen, geistigen und weltanschaulichen Lagern, gerade auch aus dem christlichen. Gemeinsamen ist ihnen die Idee der Globalisierung, allerdings nicht die des Kapitals, sondern die der Menschenrechte. Ich habe den Eindruck, daß die Menschenrechte trotz aller gegenläufigen Tendenz immer mehr an Bedeutung gewinnen. Die Gutmenschen, die Jüngerinnen und Jüngern des Gutmenschen Jesus Christus sind, nehmen täglich das Spottholz auf sich. Dazu brauchen sie allerdings Gemeinschaft, die sie stützt, Gruppen, Gemeinden, Kirche, eine ökumenische, weltumspannende Kirche. Feiern wir also das "Hochamt der heimlichen Gemeinschaft der Gutmenschen"!