Frankfurter Rundschau
20.8.1986

Behörden sprechen von einer kurzfristigen Übergangslösung
Die 19 Zelte auf dem Gelände der Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge sollen Ende September abgebaut sein

SCHWALBACH. Ein Zimmer im Sheraton-Hotel oder eine Pritsche im Notzelt auf Flüchtlinge, die in Hessen landen, wartet zur Zeit beides. Wo die Asylbewerber unterkommen, bleibt natürlich dem Zufall und der fast täglich wechselnden Situation überlassen. Gestern waren jedenfalls auch die 19 Zelte vollbelegt, die Sozialminister Armin Clauss am vergangenen Freitag auf dem Gelände (HGU) in Schwalbach (Main-Taunus-Kreis) hatte aufstellen lassen, weil es keine anderen Unterkunftsmöglichkeiten mehr gegeben habe (die FR berichtete).

Während Solidaritätsgruppen und kirchliche Institutionen die "rnenschenunwürdige Unterbringung" heftig anprangern, betonen die verantwortlichen Behörden, es handele sich um eine kurzfristige Übergangsnotlösung". Voraussichtlich schon Ende September, so meinte der zuständige Abteilungsleiter im Sozialministerium, Professor Rudolf Kraus, im Gespräch mit der FR, werde die Zeltstadt wieder geräumt und abgebaut werden können. Ganz sicher kann er es nicht vorhersagen, aber immerhin bestünden gute Aussichten, daß dann die Jugendherbergen, Hotelschiffe und anderen Räume wieder frei seien, die in Sommer- und Messewochen vom Fremdenverkehr beansprucht werden.

Rund 2000 Plätze hat das Land Hessen für Flüchtlinge zu ständiger Verfügung, so groß ist die Kapazität der HGU Schwalbach und ihrer Außenstellen. Weil bis Ende vergangener Woche aber 2300 Menschen untergebracht werden mußten und weil die Zahl der Asylsuchenden immer noch täglich steigt, gab es nach Darstellung der Verantwortlichen keine andere Möglichkeit als die Notzelte. Wegen der bevorstehenden Messezeit seien auch zusätzliche Hotelzimmer, oft der letzte Notanker für das Land, nicht. mehr verfügbar. Gestern waren zum Beispiel noch 47 Flüchtlinge im "Sheraton" am Rhein-Main-Flughafen untergebracht.

Bevor aber die "allerletzte Möglichkeit", der Aufbau der Zelte, wahrgemacht wurde, habe man, so Kraus zur FR, in einem Gespräch mit Wohlfahrtsverbänden und anderen engagierten Institutionen die Frage geprüft, ob es Alternativen gebe. Kraus sagte, niemand habe kurzfristig eine andere Lösung offerieren können.

So mußte denn das Technische Hilfswerk anrücken und die Zelte aufbauen. Sie bieten jeweils zehn Personen ein einfaches Feldbett mit Laken und Decken, daneben ein Tischehen für persönliche Habe. Für einfache Beleuchtung ist gesorgt, aus den anfangs zwei Toilettenhäuschen wurden zehn. Das Allernötigste ist vorhanden. Und schon dies ,so klagt der Leiter der RGU, Volker Möser, im Gespräch mit der FR, sei in so kurzer Zeit nur sehr schwer zu organisieren gewesen.

Der HGU-Leiter weist zwar auch die Kritik zurück, die Unterbringung sei "menschenunwürdig", doch sieht er durchaus Probleme vor allen wenn sich mehrere Familien ein Zelt teilen müßten. Auch sei nicht auszuschließen, daß Mütter mit kleinen Kindern oder gar Säuglingen in Zelten untergebracht werden. Ausdrücklich ausgenommen sind nur schwangere Frauen. Möser spürbar unglücklich über die Notlösung: "Wir müssen das Beste daraus machen!"

War diese Situation, von Kritikern als "unzumutbar" bezeichnet, wirklich nicht vorhersehbar? Prof. Kraus vom Sozialministerium antwortet auf diese Frage mit einem deutlichen Nein. Diese, Behauptung wird freilich angezweifelt, zum Beispiel vom Arbeitskreis Asyl, der im Main-Taunus-Kreis von engagierten Gruppen gebildet wurde. Sein Sprecher, Pfarrer Herbert Leuninger, hält den Vorwurf aufrecht, daß die Landesbehörden keine Vorsorge getroffen hätten, weil diese wohl nicht in das "Abschreckungskonzept" gegenüber Asylbewerbern passe.

Diesen Verdacht sieht der Arbeitskreis unter anderem dadurch, bestätigt, daß Raumangebote der evangelischen Kirche vom Land erst nach vielen Monaten beantwortet und abgelehnt worden seien. So habe zum Beispiel der Evangelische Regionalverband Frankfurt eine Reihe von Häusern für die Unterbringung von Asylbewerbern vorgeschlagen - ohne Resonanz. HGU-Chef Volker Möser wie auch Kraus bestätigten, gegenüber der FR, daß in jüngster Vergangenheit an die hundert derartige Angebote eingegangen seien. Sie würden alle sorgfältig durch die jeweiligen Regierungspräsidien gI eprüft.

Viele müßten jedoch aus wirtschaftlichen oder räumlichen Gründen abgelehnt werden, zum Beispiel, wenn es sich um kleine Einheiten außerhalb der Ballungsgebiete handle. Dann müßten nicht nur aufwendige Transportmittel bereitgestellt, sondern auch zusätzliche Mitarbeiter zur Betreuung eingeteilt werden, was oft organisatorisch nicht zu bewältigen sei. So seien zum Beispiel Unterkünfte in Nordhessen oft ungeeignet, weil sie zu weit von der HGU und ihren Verwaltungsstellen entfernt seien.

Auch wegen mancher Vorbedingungen, die mit solchen Offerten verbunden seien, könne man keinen Gebrauch davon machen. "Wir sind beispielsweise nicht in der Lage", so Kraus, "Verträge mit einer Laufzeit von 20 Jahren abzuschließen, wie es gelegentlich gewünscht wird!"

Pfarrer Leuninger vom Arbeitskreis Asyl im Main-Taunus-Kreis denkt anders darüber: "Mit den Zelten wird der Eindruck erweckt, wir seien am Ende unserer Möglichkeiten. Davon sind wir nicht überzeugt!"
PETER BIRKENMAIER

Aktion gegen Zelte