HESSISCHER RUNDFUNK – 1.PROGRAMM
RHEIN.MAIN.JOURNAL
Montag, 17.8.1986, 16 UHR

Moderation: Barbara Henke und Hans.Joachim Hedrich

a) Statement von Herbert Leuninger
b) Interview von Ange Verres-Gerlach mit Herbert Leuninger

Thema:
Kritik an dem Aufbau von Zelten in der HGU Schwalbach

HR
(Ankündigung)
Seit Freitag - viele Hörer von uns erinnern sich - haust ein Großteil der Asylbewerber, die in die 6emeinschaftsunterkunft in Schwalbach eingewiesen werden, in Zelten. Bei dem Eschborner Arbeitskreis "Asyl" hat diese Tatsache große Empörung ausgelöst. Der katholische Pfarrer Herbert Leuninger bringt seine Betroffenheit zum Ausdruck.

Leuninger

Wir sind entsetzt über die Tatsache, daß überhaupt Zelte aufgebaut worden sind und erst recht darüber, wie wenig professionell und ausreichend diese Zelte für die Situation von Flüchtlingen sind. Besonders betroffen sind wir, daß von der Belegung dieser Zelte eigentlich nur schwangere Frauen ausgenommen sind, und nicht auch Mütter mit kleinen Kindern. Es ist für uns unvorstellbar, wie Frauen mit kleinen Kindern, vielleicht sogar mit Säuglingen, dort die einfachsten Vorkehrungen treffen können, um ihre Kinder angemessen zu versorgen. Ganz abgesehen davon, daß am Freitag - außer zwei Toilettenhäuschen - nichts an hygienischen Einrichtungen vorhanden war.

HR

Im weiteren Verlauf unserer Sendung bringen wir ein ausführliches Gespräch mit Pfr. Leuninger, in dem er Schuldige nennt und Vorschläge macht, wie man die derzeitige Situation entschärfen könnte.

HR (Ankündigung)

Es soll nun noch einmal um die 6emeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge gehen, die in Schwalbach ihren Sitz hat. Seit vergangenem Freitag leben dort 180 Menschen in 18 Zelten. Und diese Art der Unterbringung bezeichnet der Arbeitskreis "ASYL" in Eschborn als absolut ungeeignet und unwürdig. Im Gespräch mit Ange Gerlach erläutert Pfr. Herbert Leuninger, warum seine Organisation über die Einrichtung dieser Zelte so empört ist.

Leuninger

(Interview)

Die Tatsache, daß Zelte aufgebaut wurden, ist für uns bereits das Eingeständnis einer gescheiterten politischen Vorsorge. Die Zelte, die dort aufgestellt worden sind, haben bei uns den Eindruck erweckt, daß sie von der Art sind, wie sie bei Naturkatastrophen, bei Bränden oder Überschwemmungen eingesetzt werden, wie sie vielleicht auch von Pfadfindern bei Jugendlagern verwendet werden könnten, nicht aber für die Unterbringung von Flüchtlingsfamilien, von Frauen mit Kindern.

HR
Nun sagt das Sozialministerium in Wiesbaden, es gehe lediglich darum, einen Engpass zu überbrücken. Das ist aber eine Geschichte, die Sie nicht ganz gelten lassen wollen ?

Leuninger

Nein, es war vorhersehbar, aus den bisherigen Erfahrungen, daß in den Sommermonaten die Zahl der Flüchtlinge ansteigt. Wenn ich das hinzunehme, was das Bundesinnenministerium vor Monaten schon in einer Analyse festgestellt hat, daß nämlich die Flüchtlingsströme in der Welt größer werden, dann mußte sich ein Land wie Hessen besser darauf vorbereiten, als es das getan hat. Wir haben den Eindruck, daß man aus politischen Gründen "von der Hand in den Mund" lebt und jetzt zu einer solchen eigentlich dramatisch-katastrophalen Maßnahme greifen muß.

HR

Der Verantwortliche dafür ist das Sozialministerium in Wiesbaden. Werden Sie dahin Kontakt aufnehmen und Ihre Eindrücke schildern?

Leuninger

Ich habe heute Morgen bereits telefonisch dem zuständigen Abteilungsleiter die Information weitergegeben, daß wir eine Pressekonferenz gehalten haben und welchen Inhalt diese Pressekonferenz hatte. Morgen Abend werden wir uns mit den Pfarrerinnen und Pfarrern und den Mitarbeitern aus Gemeinden treffen, die den gemeinsamen Gottesdienst im Lager Schwalbach bisher verantwortet haben. Ich werde sie bitten, sich dieser Kritik anzuschließen und sich im Rahmen einer Resolution an den Hessischen Sozialminister zu wenden.

HR

Wie kann der einzelne Bürger helfen? Denn angesprochen sind wir ja alle durch diese Situation.

Leuninger

Der einzelne Bürger, der mit der Aufstellung der Zelte nicht einverstanden ist, kann das die Hessische Landesregierung wissen lassen. Wir selbst haben am Freitag dazu aufgerufen, und ich möchte diesen Aufruf wiederholen, Bürger und Kirchengemeinden mögen sich bereit halten, Mütter mit kleinen Kindern aufzunehmen. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit sie in eigenen Wohnungen oder in freien Räume für eine begrenzte Zeit unterzubringen

Aktion gegen Zelte