Der Sonntag vom 31. August 1986
Im
Schwalbacher Flüchtlingslager
Mit Asylanten
Hand in Hand
gegen Aggressionen und Angst
Christen
stellen sich auf die Seite der Asylbewerber
Unter
"erschwerten Bedingungen!" hat am vergangenen
Sonntag im Flüchtlingslager in Schwalbach
der ökumenische Gottesdienst stattgefunden,
der seit Weihnachten von einer Initiative katholischer
und evangelischer Pfarrer und Christen aus den
umliegenden Gemeinden regelmäßig hier
veranstaltet wird. Nachdem es ursprünglich
so ausgesehen hatte, als müsse der Gottesdienst
in der Hessischen Gemeinschaftsunterkunft für
Asylbewerber (HGU) erstmals im Freien gefeiert
werden, da die Lagerleitung keinen geeigneten
Raum mehr zur Verfügung stellen konnte, war
dann auf Veranlassung des Sozialministeriums am
Vortag doch noch ein Zelt zu diesem Zweck aufgebaut
worden. Bei strömendem Regen draußen
war es drinnen zwar wenigstens trocken, aber dennoch
kalt und feucht. Eine Chance, hautnah mit denjenigen
mitzuempfinden, deren Situation bei diesem Gottesdienst
im Mittelpunkt stand: den rund 200 Flüchtlingen,
die seit zehn Tagen in auf dem Lagergelände
zusätzlich aufgebauten Zelten untergebracht
sind.
Nach
Darstellung der hessischen Landesregierung war
der Aufbau dieser Zelte aufgrund des starken Flüchtlingsstromes
im Juli unumgänglich gewesen. Demgegenüber
ist der Arbeitskreis "Hilfe und Beratung für
Asylbewerber", der von kirchlichen Gruppen
.im Main-Taunus-Kreis getragen wird, der Auffassung,
daß für das in den Sommermonaten erfahrungsgemäß
verschärfte Flüchtlingsproblem rechtzeitig
Vorsorge hätte ergriffen werden müssen.
Wie der Sprecher des Arbeitskreises, Pfarrer Herbert
Leuninger, gegenüber dem SONNTAG erklärte,
schreckten die Politiker vor solchen Vorsorgemaßnahmen
zurück, "weil der Druck in der Öffentlichkeit
gegen Asylbewerber zu stark ist".
Die
aufgebauten Zelte entsprechen nach Meinung der
ökumenischen Initiative "Gottesdienst mit
Flüchtlingen" nicht dem Standard, der Flüchtlingen
gegenüber eingehalten werden müßte.
Mit dem Gottesdienst am 24. August wollten die
Mitglieder der Initiative daher, wie es auch in
dem Einladungsschreiben an Sozialminister Armin
Clauss heißt, ihre "humanitäre und
christliche Solidarität mit Menschen bekunden,
denen eine angemessene Unterkunft zu bieten das
Land Hessen sich augenblicklich außerstande
sieht". Zugleich aber verbanden sie die Feier
mit einem entschiedenen Appell an den Sozialminister,
diese Zelte umgehend abzubauen und die Flüchtlinge
in feste Unterkünfte einzuweisen.
Die
Situation in diesem Lager sei schwierig, hatte
zu Beginn der Feier Kaplan Peters von der katholischen
Pfarrei Schwalbach-Limes erklärt. Hier sei
das Wort Gottes und die Gemeinschaft besonders
wichtig. Gerade an einem Ort, an dem das Thema
Menschlichkeit besonders aktuell sei, so betonte
später in seiner Predigt Pfarrer Martin Eckhardt
von der evangelischen Gemeinde Sulzbach, "haben
wir als Christen eine besondere Schutz- und Fürsorgepflicht.
Darauf möchten wir mit unserer Präsenz
in diesem Lager aufmerksam machen". Der Predigttext
"Gott hat uns nicht einen Geist der Verzagtheit
gegeben, sondern den Geist der Kraft der Liebe
und der Besonnenheit' wurde dann unter der begeisterten
Mitwirkung der anwesenden Kinder symbolisch dargestellt;
mit Bausteinen als Symbolen der Zusammenarbeit,
Blumen als Symbolen der Liebe, Freude und Freundlichkeit
und Teelichtern als Zeichen für Besonnenheit:
"In einer Atmosphäre der Gereiztheit und
der Aggressionen, der aufgepeitschten Emotionen,
in der Angst geschürt und Verwirrung sich
ausbreitet, kann sich echte Mitmenschlichkeit
kaum entfalten", sagte Pfarrer Eckhardt.
In festlicher Atmosphäre dagegen gedeihe
der Frieden.
In
dem Zelt in Schwalbach herrschte zumindest in
dieser Stunde eine solche Atmosphäre, als
sich Menschen aus der Bundesrepublik, aus Syrien
und dem Iran, aus Bangladesch und Pakistan, aus
Afghanistan und Sri Lanka an den Händen faßten
und gemeinsam beteten und sangen, sich in vielen
verschiedenen Sprachen Frieden wünschten.
Aber
wie geht es hier weiter? Pfarrer Herbert Leuninger
betont, daß nur der sofortige Abbau der
Zelte akzeptabel sei. Um aber den betroffenen
Flüchtlingen, vor allem den Müttern
mit Kindern, möglichst schnell zu helfen,
seien auch weiterhin Bürger und Kirchengemeinden
im Umkreis aufgefordert vorübergehende Unterkünfte
anzubieten. Kontakte können über die
Christkönigsgemeinde Eschborn unter der Rufnummer
(0 6196) 4 40 18 hergestellt werden.
Barbara
Reichwein