Köln unter Hitler


DiaReihe 1
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Barbara:
Wie war es politisch gesehen, was hat sich tagtäglich bemerkbar gemacht?

Wir haben sehr viel Angst gehabt, denn wir hatten kein Schild "deutsches Geschäft " angebracht. Wir haben auch keine Hitler-Fahne herausgehängt, wenn bestimmte Veranstaltungen anstanden. Wenn

Hitler nach Köln kam, haben wir den Laden geschlossen und sind in den Stadtwald gefahren, damit wir den Rummel nicht mit bekamen. Denn wir waren doch solche Anti-Nazi, daß wir das gar nicht verkraften konnten. Wir mussten natürlich sehr aufpassen. Nebenan war ein Nazi hin gesetzt worden, der irgendeine führende Aufgabe hatte. Der ist einmal in den Laden gekommen und hat gesagt: "Ich weiß auch, wo Sie her kommen. Sie sind Schwarze." Daraufhin hat der Großvater gesagt, der war damals noch da: "Wo ich her komme, da bin ich stolz drauf!" Der Mann war angetrunken.

Dann gab es eine Frau, die war in der NS-Frauenschaft führend. Ihr Mann war Blockwart oder so etwas Ähnliches. Diese Frau ist, obwohl sie wußte, wo wir her kamen und was wir waren, immer zu uns einkaufen ge-kommen. Sie hat uns das nie spüren lassen. Ich kann es heute noch nicht fassen, wie sie das mit ihrem Mann verkraftet hat. Der hat wahrscheinlich nichts davon gewußt. Es gab schon einige, die uns herausgefordert haben, wenn sie an uns vorbei gingen und mit "Heil Hitler" grüßten. Gegenüber wohnte ein Schulrektor. Der ist immer demonstrativ an uns vorbei gegangen und hat den "Völkischen Beobachter" gelesen. Die meisten Leute in der Straße wußten, wo wir her kamen. Mit uns im Haus lebten die Oepens, von denen wir das Geschäft übernommen hatten, das waren auch eindeutige Anti (-Nazis).

Habt Ihr etwas von der Judenverfolgung mitbekommen?

Ja, es kam die Judenverfolgung. Wir hatten Kunden, die Juden waren. Der Mann war Halbjude, glaube ich, und hatte aus dem 1. Weltkrieg das EK1 (Eisernes Kreuz 1. Klassse) und das EK2 . Trotzdem wurden auch sie verfolgt. Jetzt kam die Kristallnacht Als der Großvater vom Markt kam, hat er auf dem Weg durch die Stadt alles mit bekommen, was sich ereignet hatte. Wie die Federbetten aufgeschlitzt , die Möbel auf die Straße geworfen und alles kaputt geschlagen worden war. Ich dachte, er würde den Verstand verlieren. Wir haben entsetzlich gelitten. Das Ehepar durfte ja nicht mehr in den Laden kommen, sie mußten den Judenstern tragen. (Erinnerungsrede von Herbert) Wir haben sie abends heimlich durch die Haustür herein gelassen und Ware verkauft, damit sie zu leben hatten. Wir haben ihnen den Schlüssel zu unserer Laube gegeben. Wir hatten einen Garten für die Drei (Kinder) gepachtet, weil um's Haus herum nichts war. Dorthin sollten sie flüchten, damit ihnen nichts passierte. Die Nazis gingen in die Wohnungen und zerschlugen alles. Es sind sogar Menschen in einer Straße, die ganz in unserer Nähe war, umgebracht worden. Bei dem Ehepaar ist es gut gegangen. Der Großvater hatte zu ihnen gesagt: "Macht, daß Ihr weg kommt!" Ein Bruder war nach Uruguay geflüchtet und hatte geschrieben: "Bleibt um Gottes willen, uns geht es hier furchtbar!" Dazu hat der Großvater gesagt: "Ihr Bruder ist verrückt, machen Sie, daß Sie raus kommen!" Sie haben sich dann darauf eingestellt, haben Anstellmöbel gekauft und wollten alles unterstellen. Sie dachten, sie kämen wieder zurück. Inzwischen waren sie im Ghetto gewesen, zusammen gepfercht mit ihrem Gepäck. Dort haben wir sie noch heimlich besucht, was für uns sehr gefährlich war. Es war an einer Hauptstraße. Wir haben erst nach links und rechts geschaut. Wir haben dann nicht mehr erfahren, wohin sie gekommen sind. Erst viel später haben wir über ihre frühere Hausangestellte Nachricht aus Amerika bekommen... Die sollte uns suchen. Wir waren inzwischen in Mengerskirchen. Wir haben zurück geschrieben. Aber die Frau hat das wahrscheinlich boykottiert und nicht weiter gegeben; vielleicht hatte sie Angst, die würden uns aus Amerika etwas schicken. Tante Therese (nach den USA ausgewanderte Schwester) hat noch nach ihnen geforscht, aber sie nicht mehr gefunden.

Alles wurde immer schlimmer. Der Großvater wurde inzwischen Soldat ( in Russland) und ich wollte das Geschäft weiterführen. Dabei war ich immer voller Ängste. Einmal kamen junge Männer ins Haus und wollten Herbert zum Jungvolk (Kinderorganisation der Hitlerjugend) holen: "Heil Hitler, ihr Sohn ist in der und der Schulklasse". Da habe ich geantwortet: "Es tut mir leid. Das Kind ist ein Jahr zu früh in die Schule gekommen. Der ist noch keine zehn Jahre alt." Darauf hin sind sie wieder abgezogen. Wir hatten Herbert ein Jahr früher zur Schule gehen lassen, weil der Arzt gesagt hatte: "Tun sie ihn in die Schule, der weiss nichts mit sich anzufangen".

Dann gab es immer wieder Preiskontrollen. Sie betraten zu zweit in Uniform mit "Heil Hitler" das Geschäft. Einmal habe ich mich so geärgert, dass ich, während noch eine ganze Reihe Leute im Laden waren, gesagt: : "Meine Herren, Sie haben mich anscheinend besonders in's Herz geschlossen, weil mein Mann in Russland ist". Daraufhin sind sie nicht mehr gekommen. Ich habe am ganzen Leib gezittert, die hätten mich sofort verhaften können. Einmal kamen andere, die sagten: "Frau Leuninger, Sie sind nicht in der VD..(?)" Das war nicht die NSV (nationalsozialistische Wohlfahrtsorganisation), sondern eine Organisation, in der eigentlich jeder Mitglied sein musste. Ich habe geantwortet: "Ich bekomme keine Unterstützung, obwohl mein Mann im Krieg ist. Ich müsste also alles, was ich zu zahlen hätte, meinen Kindern abziehen". Dabei habe ich innerlich gezittert. Wir hatten also sehr viel Angst. Als der Großvater noch bei den Gewerkschaften war, ist er eines Nachts nicht heim gekommen. Er hat wohl Geld nach Königswinter (Gewerkschaftszentrale ?) zu bringen. Jedenfalls hörte ich in der Nacht immer wieder Geräusche von Stiefeln, die vorbei marschierten. Und ich dachte. Jetzt kommen sie, jetzt kommen sie. Ich habe befürchtet, sie hätten den Großvater fest genommen. Es ging aber gut aus. Bekannte schellten und konnten mir mitteilen, er habe angerufen - wir hatten kein Telefon -, er wäre da und da. Ich hatte auch ständig die Sorge, der Großvater könnte sich vergessen und aus der Rolle fallen.

Als Hannele, Herbert und Ernst eingeschult wurden, musste man immer die Hand heben und das Deutschlandlied singen. Ich habe nie mit gesungen, sondern nur die Mundbewegungen gemacht.

Hannele und die andern, die waren sicher noch zu jung..?

Hannele hat eine gute Lehrerin gehabt, Fräulein Jungen. Die war grossartig. Die hatte offensichtlich (durch Äußerungen von Hannele) gemerkt, dass der Großvater heimlich ausländische Sender abgehört hatte. Das hat er zwar meistens nachts gemacht, die Kinder haben das aber mit bekommen. Wir hatten einen kleinen Volksempfänger, der stand ganz oben auf dem Küchenschrank. Der Großvater hat sich auf ein Schemelchen gestellt und das Radio ganz leise eingestellt. Man hörte (das typsiche Sendezeichen von BBC) Bumm, Bumm, Bumm, Bumm. Das war ein (britischer) Sender, der Nachrichten (in Deutsch) gebracht hat über das, was wirklich geschehen war, dass etwa Hunderte Bomber in Holland grosse Zerstörungen angerichtet hätten. Das war sehr gefährlich, ´Wir hatten das Radio in der Küche und die lag direkt neben dem Hausflur, ohne dass noch eine Diele dazwischen gewesen wäre. Natürlich hat jeder die Klopfzeichen des Senders gekannt. Man ist durch die Strassen gefahren und hat Häuser und Wohnungen abgehorcht. Dann musste auch wegen der Flieger verdunkelt werden. Wenn nicht vollständig verdunkelt war, wurde an die Türen geklopft und geschrien, man solle richtig verdunkeln.


Adolf Hitler, wohl bei einer seiner berüchtigten Reden auf dem Nürnberger Reichspartei- tag