nach
Mengerskirchen


DiaReihe 2
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Wegen der Bomben sind wir immer in den Keller geflüchtet. Wenn Fliegeralarm kam, haben wir alles zusammengerafft und sind in den Keller gegangen. Das Geschäft war schon vorher abgemeldet worden. Wir hatten in der ersten Etage die Wohnung von Oepens erhalten. Einen Teil davon mussten wir an eine Frau untervermieten, die durch Bomben ihre Wohnung verloren hatte. Uns blieb aber ein großes Schlaf- und Wohnzimmer. Abends habe ich die Drei dort Schlafen gelegt. Selbst bin ich nicht zu Bett gegangen, sondern habe mich an den Ofen in einen Korbsessel gesetzt und gestrickt bis Fliegeralarm kam, damit ich sofort die Kinder nehmen und in den Keller bringen konnte. Später, als der erste Großangriff (erster 1000-Bomberangriff der Kriegsgeschichte am 30. Mai 1942) auf Köln erfolgte, war der Großvater zufällig auf Urlaub. Das Schaufenster war auf die Strasse geflogen, auch die Waren lagen draussen. Der Großvater hat unter Mithilfe anderer alles mit Brettern zugenagelt. Ein par Tage später haben wir das Nötigste gepackt und sind nach Mengerskirchen geflüchtet. Wir sind mit 14 Gepäckstücken, die wir selbst tragen mussten,zu Fuß zum Hauptbahnhof gegangen. Mit dem Zug sind wir bis Mademühlen gekommen. Dort wurden wir (mit einem von Kühen gezogenen Wagen) abgeholt und haben mein Elternhaus bezogen. Ein Raum unten war noch vermietet, den der Mieter (Metzger Pfaff) aber bald aufgab. Der Großvater hat zu mir gesagt: "Hier habt Ihr alles, Stall und Scheune. Sieh zu, dass Du Dich selbständig (unabhängig) machst".

Ist der Großvater wieder zurückgegangen?

Ja, er war ursprünglich zu den Landesschützen eingezogen worden, so dass wir dachten, er bliebe hinten (in der Heimat) und bräuchte nicht an die vorderste Front. Er kam aber doch dahin und zwar unter lauter junge Leute. Er war in Staraja Russa und im Kessel von Demiansk, aber nicht in Stalingrad. Ein Cousin von mir, der Bruder von Theodor Meuser, der Feldwebel war und einen besonderen Posten hatte, hatte bei der Post den Absender "Mengerskirchen" entdeckt und heraus gefunden, dass mein Name darauf stand. Daraufhin hat er den Großvater aufgesucht und - wie ich glaube - dafür gesorgt, dass er weiter nach hinten kam. Vorne an der Front ( er lag auch vor Leningrad) hat er die Angriffe mitmachen müssen und dabei zwei verwundete Soldaten aus der Feuerlinie geholt. Dafür bekam er das EK2 (Eisernes Kreuz 2. Klasse).

Wie lange war er insgesamt im Krieg?

Vier Jahre.
Wir beide besaßen (in Mengerskirchen) jeweils ein paar Äcker. Nun war mein Vater - die Mutter war ja lange vorher schon gestorben - abwechselnd bei der Tante Hanna (Meuser) oder bei der Tante Katharina (Schilling, beides seine Töchter). Als wir nun kamen, war er überglücklich, dass er wieder in seinem Haus leben konnte. Dafür waren die Geschwister sehr dankbar. Tante Katharina hat mir sofort eine Ziege und Tante Hanna Hühner gebracht . Wir haben versucht, uns nach und nach (in der Versorgung) selbständig zu machen. Wir mussten z. B. Futter für die Tiere haben. Ernst hat immer die Ziegen in Wald und Feld hüten müssen. Wir haben dann unsere Äcker bestellt, wobei uns die anderen Verwandten geholfen haben. Dafür haben auch wir ihnen bei der Landarbeit) (s. Dia-Serie vom Festzug 1979) helfen müssen. Wir erhielten von ihnen Lebensmittel wie etwa Brot oder Getreide für die Hühner. Mit der Zeit wurden wir immer selbständiger und haben selbst (Getreide und Kartoffel) angebaut. Dafür brauchten wir aber das Mitackern durch die Verwandten.

Als der Großvater einmal Fronturlaub erhielt, brachte er aufgesparte Vorräte mit, das war etwas Bohnenkaffee und Tabak. Dafür und für 200 Mark haben wir eine zweite Ziege gekauft. Allein für Geld war nichts mehr zu erhalten. Tante Susanne (Flick, sie lebte mit Onkel Michael in Frankfurt) hatte die Tante Therese in Amerika über Tante Margret (auch aus Mengerskirchen ausgewandert) und das Rote Kreuz ausfindig gemacht. Die Tante Margret war in der Zwischenzeit Amerikanerin geworden, Tante Therese noch nicht. Sie hat (mit ihrem Mann) während des Krieges sehr zu leiden gehabt, uns aber nach dem Krieg ganz enorm unterstützt, vor allem weil wir den Vater versorgt haben. So hat sie uns z.B. in einer Woche einmal 4 Pakete geschickt. Die Leute waren sehr neidisch. Wir haben die Pakete heimlich (bei der Post) geholt, indem wir sie in einen grossen Korb getan und den hinteren Eingang unseres Anwesens benutzt haben. Sie hat aber auch allen anderen Verwandten Pakete geschickt und dabei Außergewöhnliches geleistet. In den war u.a. immer Kaffee. Mit dem Bohnenkaffee konnte ich viel anfangen, dafür habe ich mit zusätzlichem Geld kleine Schweine zum Mästen gekauft. Onkel Theodor(Walter, Schwager) hat uns das ganze Haus renoviert, dafür habe ich ihm gelegentlich ein Pfund Bohnenkaffee gegeben. Wer nicht Hamstern konnte und nichts zum Schieben hatte, der war arm dran. Mit Naturalien konntest du alles haben, nicht aber für Geld. So haben wir uns mit dem, was Tante Therese geschickt hat, und mit unserer bescheidenen Landwirtschaft durchgeschlängelt. Meusers, das war die Schwester meiner Mutter, hatten noch eine Bäckerei mit Brotverkauf. Dort haben wir bisweilen ein Brot extra (also nicht auf Bezugsschein) bekommen. In dieser Zeit waren die Drei in einem Alter, wo sie den größten Hunger hatten. Bei dem Bäcker nebenan habe ich eine großes Blech Kuchen backen lassen, ich glaube, es war Streuselkuchen. Davon hatten ich einen Teller voll mit großen und breiten Stücken aufgeschnitten und aufeinander geschichtet. Als dann dieser Teller bis unten hin leer gegessen war, hat Herbert gesagt,: "Ja, Mama, jetzt fangen wir erst an, wir haben noch solchen Hunger". Die waren in der Zeit gar nicht satt zu kriegen.

War der Großvater im Gefangenenlager?

Ja!

Als der Rückzug erfolgte, bekamen wir alles mit, was sich abspielte, da wir an der Hauptstrasse wohnten. (s. auch Herbert's Bericht) Dabei haben die deutschen Soldaten noch einmal in Mengerskirchen Quartier bezogen. In unserem großen Hof hatten sie Zelte für eine Bäckerei aufgeschlagen. Einer der Soldaten hat zu mir gesagt: "Frau Leuninger, Sie sollen mal sehen, was Ihre Hühner für Eier legen. Da fallen so viele Brotkrümel ab." Sie haben aber nicht einmal zu backen brauchen, vielmehr mussten sie das Ganze gleich wieder abschlagen und weiter flüchten. Da waren die Amerikaner bereits im Anmarsch. Mein Vater wollte nie mit uns in den Keller, wenn es gefährlich wurde. Er wollte lieber in seinem Sessel sitzen bleiben. Wir haben ihn angefleht, mit uns zu gehen. Es ist uns nur ein einziges Mal gelungen. Dabei war schon einiges um Mengerskirchen herum passiert, u.a. war ein amerikanisches Flugzeug abgestürzt, wobei die Besatzung umgekommen war. Ernst war mit den Ziegen im Wald, um sie zu hüten. Dabei nahm er oft seine Schulbücher mit. Ich habe gezittert: "Der Ernst, der Ernst!". Herbert hatte rechtzeitig nach Hause gefunden. Wir anderen waren alle im Keller, und Ernst war immer noch nicht da. Der hatte beim Hüten immer viele Freunde um sich. Als die Tiefflieger kamen, hat er ihnen zugerufen: "Auf die Erde werfen, Reu und Leid erwecken!" (Ein katholisches Gebet in Todesnot). Wir waren überglücklich, als er doch noch mit seinen Ziegen zurückkam und noch am Leben war. Mit uns war auch ein Soldat in den Keller geflüchtet, der nicht mehr weiter wollte. Er mußte sich dann doch den anderen wieder anschließen. Nachts habe ich überhaupt nicht mehr geschlafen, sondern über die Kinder gewacht und gesorgt, dass sie schliefen. Ich habe immer am Fenster gestanden. Da konnte man Figuren sehen, das war ganz grausig. Da waren Soldaten, die nicht mehr laufen konnten und auf Wägelchen mitgezogen wurden. Oder sie saßen auf der Gulaschkanone (Küchenwagen), weil sie nicht mehr weiter konnten. Das ging Tag und Nacht so. Als die letzten deutschen Soldaten vorbei kamen, war noch ein Offizier bei uns in der Stube, der kein Nazi war. Ich hatte ausgerufen: "Ach, was ist das denn?" Da kamen schließlich noch die Nazis mit ihren braunen Uniformen vorbei, sie hingen über ihren vollbepackten Autos. Da meinte der Offizier zu mir: "Die wollen als Erste in Berlin sein."

Bevor die Amerikaner eintrafen, hatten wir Angst in unserem Haus zu bleiben, das ja an der Haupstrasse lag. Daher sind wir nachts zu unseren Verwandten auf den Damm geflüchtet. Dort hat sich die Großfamilie versammelt. Mein Vater ist allerdings nicht mit gekommen. Irgendwann sagte ich zu Herbert: "Wir wollen doch mal nach dem Opa schauen!" Herbert ist dann mit mir gegangen. Überall standen Autos herum, Panzerfäuste lagen auf der Straße. Auf einmal sage ich: "Herbert, was ist das denn?" Da kamen Leute, die schleppten Säcke und alle möglichen Sachen mit sich aus der Halle (einem ehemaligen Arbeitsdienstlager). Das war inzwischen ein großes Lager für Lebensmittel und Versorgungsgüter (der Wehrmacht). Wir haben nach dem Opa geschaut, der aber nicht mit uns gegangen ist. Wir sind anschließend in die Halle, um zu sehen, ob wir nicht auch etwas mitnehmen konnten. Dort herrschte ein unbeschreibliches Gewühl, es gab kein Licht. Beinahe hätte es Tote gegeben. Herbert kam schließlich zurück und hatte ein Paar Stiefel über den Schultern. Tagelang ist dort ausgeräumt worden. Hannele ist schließlich auch mitgegangen.

Wie kam es dazu, dass man sich einfach bedienen konnte?

Das war der Umsturz. Inzwischen waren die Amerikaner da. Ganz in der Nähe war eine Garage der Busfirma Schermuly voll mit Zucker und anderen Lebensmitteln. Davon hatten wir gar nichts gewußt. Das wurde alles ausgeraubt. Später, als Dein Großvater Leiter des Wirtschaftsamtes in Weilburg (Kreisstadt) war, wurde in den einzelnen Häusern nachgefragt, was die Leute geholt hatten (Das bezog sich auf Kleidung und Schuhe). Sie mußten dann das Wenige angeben. Dies mußten sie entweder zurückgeben oder nachträglich bezahlen.


Elisabeth L. und ihr Mann verrichten Feldarbeit mit einem geliehenen Kuhgefährt.