Herbert Leuninger ARCHIV MIGRATION
1983

24. Juli 1983
BAYERISCHER RUNDFUNK

Medien und Ausländer

Interview
von Antonis Beys-Kamnarokos mit Herbert Leuninger,
Bischöfliches Ordinariat, Limburg,

INHALT

Die Medien spiegeln normalerweise eher die gängigen Auffassungen wieder, die in der Öffentlichkeit vor allem durch die Politik bestimmt werden. Dabei kommen die Anliegen von Minderheiten meistens zu kurz.


BR:
Herr Leuninger, Sie sind seit langen Jahren mit diesem Thema befaßt und haben vor kurzem anlässlich einer Tagung in Tutzing zu diesem Thema ein Referat gehalten.

Es hat sich die Divergenz der Meinungen auf diesem Gebiet, nämlich das Verhältnis zwischen Ausländern und Medien, herauskristallisiert, zum einen, daß der Journalismus die Wirklichkeit kritisch begleiten muß, zum anderen, daß Journalismus nur reproduziert. Was steckt dahinter ? Noch deutlich gefragt, welche Wirklichkeit ist es denn, die kritisch begleitet werden soll ?

Leuninger:
Diese Frage wird nicht beantwortet, sie wird offengelassen. Meine Erfahrung und Reflexionen gehen dahin, daß es, und ich glaube das ist gar nichts besonderes, die Wirklichkeit der Mehrheit und nicht die Interessen der Minderheiten sind. Es setzt sich mit einer Selbstverständlichkeit in den Medien durch. Zahlreiche bei Medien engagierte Mitarbeiter sind nicht in der Lage dies zu durchschauen. Von ihnen wird die große politische Linie als selbstverständlich und plausibel hingenommen. Somit werden die Interessen von Minderheiten in entscheidenden Bereichen, je. sogar solchen, die die Menschenrechte betreffen u. U. geopfert.

BR:
Wenn Sie sagen, daß die Rechte der Minderheiten nicht respektiert werden, erleidet dann nicht nur diese Minderheit Schaden, sondern nicht auch die Gesamtheit?

Leuninger:
Das macht sich aber die Mehrheit nicht bewußt. Die Mehrheit glaubt unreflektiert, ihre Interessen seien die richtigen und wichtigen. Man beachtet erst, wenn es zu Interessenkonflikten kommt, und wenn Minderheiten in einer Weise bedrängt werden, die den Frieden des Gemeinwesens stört, daß sträflicherweise diese Interessen nicht beachtet wurden. Es ist im Sinne des Gemeinwohls kein Idealismus, sondern es ist der moralische Anspruch der Minderheiten, daß deren Interessen angemessen berücksichtigt werden.

BR:
Das ist hochpolitisch. Es sind dazu Politiker und auch Journalisten aufgerufen. Aber was ist das für eine politische Haltung und für ein politisches Selbstverständnis des Journalismus, der nicht die Ausgewogenheit wählt, sondern meint, er müsse reproduzieren, gleichwohl bekannt ist, daß diese Wirklichkeit nicht akzeptabel ist? Ist das nicht gefährlich?

Leuninger:
Es ist so, daß Journalismus, der diese Auffassung vertritt, meint, die Reproduktion der politischen Auffassungen sei die Reproduktion der Wirklichkeit., und er tut dies, auch wenn er es vielleicht moralisch mit Objektivität verbrämt, weil er sich identisch füht mit diesen Interessen, oder der Institution, für die er als Journalist arbeitet.

Unter den Aspekt des reproduzierenden Journalismus würde z. B. auch die Äußerung von der "Orientalisierung Europas" fallen; oder etwa, die Türken stünden längst nicht mehr vor Wien und ähnliches. Aber so schlimm es auch ist, mir scheint es noch gefährlicher zu sein, was unter der Ausgewogenheit abläuft, wo der Journalismus keine schlimmen Absichten hat, sondern glaubt, in Ausübung seines Berufes alles, was geschieht, objektiv wiederzugeben.

BR:
Ich denke nun wieder an. ihr Referat in Tutzing. Wenn es nun so ist daß eine Zeitung nichts über Kriminalität berichtet, weil sie es für besser hält, dies zu ignorieren. Was nutzt es aber, wenn kurz darauf die Chronistenpflicht auferlegt zu schreiben, daß das Innenministerium Untersuchungen durchführt, wonach Kriminalität von Ausländern dadurch. wirksam bekämpft werden kann, daß die Ausweisungsmöglichkeiten erweitert werden? Es ist die Frage, ob ein kritischer Journalist, das was er kritisiert, nicht auch verstärkt.

Leuninger:
Ich glaube, daß selbst ein kritischer Journalist nicht daran vorbeikommt, das zu verstärken, was in der Öffentlichkeit als plausibel erscheint, weil es in der klischeehaften Weise der Politiker artikuliert wird. Die Alternative wäre eigentlich das Schweigen über diese Art politischer Rede.

Wer kann sich das aber leisten? Das kann ich nicht beantworten. Für mich habe ich entschieden, zurückhaltender zu sein und meine wohlgemeinten Reden der vergangenen Jahre nicht so ungebrochen fortzusetzen. Jedoch kann auch ich nicht in die völlige Schweigsamkeit verfallen. So könnte ich den Menschen nicht mehr signalisieren, daß es vielleicht noch andere Stimmen gibt, die sich in den Massenmedien durchsetzen.

BR:
Können Sie sagen, was eine Perspektive wäre?

Leuninger:
Ja, ein Lernen, Erfahrungen, ein Bewußtsein entwickeln der untrennbaren Zusammengehörigkeit und auch der Gemeinsamkeit der Interessen. Dies muß durchdacht und gelebt werden. Es muß vor allem in der Sprache zum Ausdruck kommen. Wie weit wir sind, können wir unserer Sprache entnehmen. Wenn mir z.B. Ausdrücke verwenden wie etwa: "der Ausländer", "der Grieche" oder „der Türke".

Dies klingt so, als ob man darunter jemanden versteht, der nicht so ganz dazugehört. Wir charakterisieren uns damit als Menschen, die ein gewisses Gefühl der Überlegenheit produzieren.

D. h. wir sollten ein normales Miteinander leben aus dem Gefühl heraus und uns so verhalten, als ob wir nicht durch Nationalität oder Grenzen getrennt wären.

Die Erfahrung aus dem Nationalsozialismus war die, daß viele Deutsche sagten: ich bin befreundet mit einem Juden, er ist mein Nachbar, mein Freund, oder mein Arbeitskollege.... aber die anderen Juden ! Ähnlich verläuft es in vielen Fällen auch heute. Da sagt ein Deutscher z.B.: Ich habe einen griechischen Freund, ich kenne seine Familie, ich arbeite mit ihm seit Jahren zusammen. Aber wenn ich an die Türken denke … So wird letztlich eine Minderheit negativ eingestuft, weil durch die Medien eine andere Vorstellung aufgebaut wurde.