BR:
Herr Leuninger, Sie sind seit langen Jahren
mit diesem Thema befaßt und haben
vor kurzem anlässlich einer Tagung
in Tutzing zu diesem Thema ein Referat
gehalten.
Es hat sich die Divergenz der Meinungen
auf diesem Gebiet, nämlich das Verhältnis
zwischen Ausländern und Medien, herauskristallisiert,
zum einen, daß der Journalismus die
Wirklichkeit kritisch begleiten muß,
zum anderen, daß Journalismus nur
reproduziert. Was steckt dahinter ? Noch
deutlich gefragt, welche Wirklichkeit ist
es denn, die kritisch begleitet werden
soll ?
Leuninger: Diese Frage wird nicht beantwortet,
sie wird offengelassen. Meine Erfahrung
und Reflexionen gehen dahin, daß
es, und ich glaube das ist gar nichts besonderes,
die Wirklichkeit der Mehrheit und nicht
die Interessen der Minderheiten sind. Es
setzt sich mit einer Selbstverständlichkeit
in den Medien durch. Zahlreiche bei Medien
engagierte Mitarbeiter sind nicht in der
Lage dies zu durchschauen. Von ihnen wird
die große politische Linie als selbstverständlich
und plausibel hingenommen. Somit werden
die Interessen von Minderheiten in entscheidenden
Bereichen, je. sogar solchen, die die Menschenrechte
betreffen u. U. geopfert.
BR:
Wenn Sie sagen, daß die Rechte der
Minderheiten nicht respektiert werden,
erleidet dann nicht nur diese Minderheit
Schaden, sondern nicht auch die Gesamtheit?
Leuninger:
Das macht sich aber die Mehrheit nicht
bewußt. Die Mehrheit glaubt unreflektiert,
ihre Interessen seien die richtigen und
wichtigen. Man beachtet erst, wenn es zu
Interessenkonflikten kommt, und wenn Minderheiten
in einer Weise bedrängt werden, die
den Frieden des Gemeinwesens stört,
daß sträflicherweise diese Interessen
nicht beachtet wurden. Es ist im Sinne
des Gemeinwohls kein Idealismus, sondern
es ist der moralische Anspruch der Minderheiten,
daß deren Interessen angemessen berücksichtigt
werden.
BR:
Das ist hochpolitisch. Es sind dazu Politiker
und auch Journalisten aufgerufen. Aber
was ist das für eine politische Haltung
und für ein politisches Selbstverständnis
des Journalismus, der nicht die Ausgewogenheit
wählt, sondern meint, er müsse
reproduzieren, gleichwohl bekannt ist,
daß diese Wirklichkeit nicht akzeptabel
ist? Ist das
nicht gefährlich?
Leuninger:
Es ist so, daß Journalismus, der
diese Auffassung vertritt, meint, die Reproduktion
der politischen Auffassungen sei die Reproduktion
der Wirklichkeit., und er tut dies, auch
wenn er es vielleicht moralisch mit Objektivität
verbrämt, weil er sich identisch füht
mit diesen Interessen, oder der Institution,
für die er als Journalist arbeitet.
Unter den Aspekt des reproduzierenden
Journalismus würde z. B. auch die
Äußerung von der "Orientalisierung
Europas" fallen; oder etwa, die Türken
stünden längst nicht mehr vor
Wien und ähnliches. Aber so schlimm
es auch ist, mir scheint es noch gefährlicher
zu sein, was unter der Ausgewogenheit abläuft,
wo der Journalismus keine schlimmen Absichten
hat, sondern glaubt, in Ausübung seines
Berufes alles, was geschieht, objektiv
wiederzugeben.
BR:
Ich denke nun wieder an. ihr Referat in
Tutzing. Wenn es nun so ist daß eine
Zeitung nichts über Kriminalität
berichtet, weil sie es für besser
hält, dies zu ignorieren. Was nutzt
es aber, wenn kurz darauf die Chronistenpflicht
auferlegt zu schreiben, daß das Innenministerium
Untersuchungen durchführt, wonach
Kriminalität von Ausländern dadurch.
wirksam bekämpft werden kann, daß
die Ausweisungsmöglichkeiten erweitert
werden? Es ist die Frage, ob ein kritischer
Journalist, das was er kritisiert, nicht
auch verstärkt.
Leuninger:
Ich glaube, daß selbst ein kritischer
Journalist nicht daran vorbeikommt, das
zu verstärken, was in der Öffentlichkeit
als plausibel erscheint, weil es in der
klischeehaften Weise der Politiker artikuliert
wird. Die Alternative wäre eigentlich
das Schweigen über diese Art politischer
Rede.
Wer kann sich das aber leisten? Das kann ich nicht beantworten. Für mich habe ich entschieden, zurückhaltender zu sein und meine wohlgemeinten Reden der vergangenen Jahre nicht so ungebrochen fortzusetzen. Jedoch kann auch ich nicht in die völlige Schweigsamkeit verfallen. So könnte ich den Menschen nicht mehr signalisieren, daß es vielleicht noch andere Stimmen gibt, die sich in den Massenmedien durchsetzen.
BR:
Können Sie sagen, was eine Perspektive
wäre?
Leuninger:
Ja, ein Lernen, Erfahrungen, ein Bewußtsein
entwickeln der untrennbaren Zusammengehörigkeit
und auch der Gemeinsamkeit der Interessen.
Dies muß durchdacht und gelebt werden.
Es muß vor allem in der Sprache zum
Ausdruck kommen. Wie weit wir sind, können
wir unserer Sprache entnehmen. Wenn mir
z.B. Ausdrücke verwenden wie etwa:
"der Ausländer", "der
Grieche" oder „der Türke".
Dies klingt so, als ob man darunter jemanden versteht, der nicht so ganz dazugehört. Wir charakterisieren uns damit als Menschen, die ein gewisses Gefühl der Überlegenheit produzieren.
D. h. wir sollten ein normales Miteinander leben aus dem Gefühl heraus und uns so verhalten, als ob wir nicht durch Nationalität oder Grenzen getrennt wären.
Die Erfahrung aus dem Nationalsozialismus war die, daß viele Deutsche sagten: ich bin befreundet mit einem Juden, er ist mein Nachbar, mein Freund, oder mein Arbeitskollege.... aber die anderen Juden ! Ähnlich verläuft es in vielen Fällen auch heute. Da sagt ein Deutscher z.B.: Ich habe einen griechischen Freund, ich kenne seine Familie, ich arbeite mit ihm seit Jahren zusammen. Aber wenn ich an die Türken denke … So wird letztlich eine Minderheit negativ eingestuft, weil durch die Medien eine andere Vorstellung aufgebaut wurde.
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