Predigt des Bischofs

In der Gemeinde
St. Bonifatius zu Hofheim/Ts.
am 20. Juni 1971

Bischof Wilhlem Kempf, Limburg
Foto (.png 296x215px 19KB)

(Auszug aus dem verhinderten Buch "Das Hofheimer Mess-Festival")

Predigt von Bischof Wilhelm Kempf, Limburg
i
n der Gemeinde St. Bonifatius zu Hofheim/Ts.
am 20. Juni 1971

Sie wissen, welcher Anlaß mich heute hierher führt. Sie erwarten mit Recht ein Wort des Bischofs zu den Dingen, die am vergangenen Sonntag hier geschehen sind und eine große Unruhe ausgelöst haben in Ihrer Gemeinde, im Umkreis des Bistums und darüber hinaus durch den Fernsehbericht. Ich nehme eine Klärung dieser Angelegenheit äußerst ernst und habe umgehend die notwendigen Schritte eingeleitet. Bereits am 15. 6. 71 habe ich schriftlich bei Herrn Bezirksvikar Leuninger nach seinen Motiven angefragt. Hiermit erbitte ich auch eine Stellungnahme Ihres Pfarrgemeinderats, der, wie ich höre, am heutigen Vormittag beraten will. Am 23. 6. 71 werde ich in gemeinsamer Konferenz eine Stellungnahme. aller Priester erfragen, die an der Veranstaltung persönlich teilgenommen haben, und werde mich auch um eine Stellungnahme der Veranstalter und der jugendlichen bemühen. Auch hierfür ist ein Gespräch vorgesehen.

Die erste und wichtigste Frage, die zu klären ist, ist die Frage nach der Motivation. Was steckte an Ideen dahinter? Was sollte das Ganze? Ging es um bewußte Provokation und Schockierung? Ging es um eine billige Anpassung an den Zeitgeschmack der jungen Leute? Ging es um einen ernstgemeinten, aber verfehlten Versuch, junge Menschen der Kirche näher zu bringen? Mit einem Wort: Was war die eigentliche Absicht bei dem ganzen Unternehmen?

Wenn diese Grundsatzfrage geklärt ist, bleibt noch eine Reihe von Einzelfragen zu erörtern. Ich bedauere es zum Beispiel, daß die Veranstalter bei ihren Planungen nicht den Pfarrgemeinderat dieser Gemeinde mit der Sache befaßt haben, zum wenigsten, als man wegen der Unsicherheit des Wetters erwogen hatte, das Treffen nicht im Freien zu veranstalten, sondern in die Kirche zu verlegen.

Sodann bewegt mich die Frage, wie es sich erklärt, daß bei der jungen Generation die Qualität dessen, was man bisher unter "sakral" verstand, offensichtlich weitgehend oder gänzlich eingeebnet ist. Für das Empfinden der älteren Generation ist das Gotteshaus ein "sakraler" Raum, d, h. herausgenommen aus dem Bereich des profanen Alltags und ausschließlich dem religiösen Geschehen, dem Gebet und der Mysterienfeier vorbehalten. Konsequenterweise gelten dann für diesen sakralen Bereich auch eigene Verhaltensnormen, die sich von denen des profanen Alltags abheben. Es ist also ernsthaft zu fragen, ob das Empfinden für das Sakrale und damit das Empfinden für ein Verhalten, das dem gottesdienstlichen Raum angemessen ist,. den jungen Menschen von heute abgeht -und wenn ja, warum es ihnen abgeht und ob und warum. sie diesen Ausfall nicht als einen Verlust empfinden.

Auch ist zu fragen, ob ein solcher Ausfall dispensieren kann von der rein menschlichen Rücksichtnahme auf das religiöse Empfinden derer, denen ein Christ sich im Glauben und in der Liebe Christi verbunden weiß.

Schließlich stellt sich die Frage nach der gottesdienstlichen Disziplin. Schon die urchristliche Gemeinde hat verbindliche Ordnungen für die eucharistische Feier' gekannt. Man lese nur das 11. Kapitel im 1. Korintherbrief. Hier trifft der Apostel Paulus seine Anordnungen sowohl im ,Hinblick auf das, was ihm selbst überliefert wurde, wie auch im Bewußtsein seiner eigenen apostolischen Verantwortung. Bei der zentralen Bedeutung des Vermächtnisses Jesu kann es nicht dem Belieben des einzelnen überlassen bleiben, im Vollzug dieses Herrenwortes nach Willkür und Laune vorzugehen. Auch die Abendmahlsfeier, die Christus selbst gehalten hat, war keineswegs ein Festival oder ein gewöhnliches Mahl, sondern war eingebunden in eine seit langen Jahrhunderten genau festgelegte Kultfeier, in die sogenannte Passah-Feier, die prophetisch ankündigte, was sich am Karfreitag erfüllen sollte am Kreuz des Welterlösers.

Ich möchte hier noch einmal wiederholen, was ich zu diesem Thema vor einigen Wochen im Frankfurter Dom gesagt habe: Das Sterben Christi am Kreuz ist der Augenblick in dem die Geschichte der Menschheit kulminiert. Im Augenblick des Todes Jesu hat die Zukunft begonnen. Der Neue Bund ist nun endgültig geschlossen in Christi Blut. "Der neue Himmel und die neue Erde" sind verbindlich zugesagt. Das erste Wetterleuchten der kommenden Gottesherrschaft erhellt das Dunkel der Erde in der Auferstehung Jesu.

Der Herr aber hat Sorge dafür getragen, daß diese seine Erlösungstat am Kreuz, diese seine völlige Hingabe an den Vater gleichsam aus Raum und Zeit entrückt wurde, indem er sie zeichenhaft vorwegnahm beim letzten Abendmahl: "Nehmet hin und esset: Das ist mein Leib, der für euch hingeopfert wird; nehmet hin und trinket: das ist mein Blut das für euch ausgegossen wird. Tuet dies zu meinem Gedächtnis" (vgl. Lk 22, 19 f. par.).

Der Tisch des Abendmahlsaales und die um ihn versammelte Tischgemeinschaft gewannen damit eine neue Sinngestalt. Der Tisch wurde zum Altar des sich opfernden Herrn, und die Tischgemeinschaft wurde zu einer wahren Schicksalsgemeinschaft, nämlich zur Gemeinschaft derer, die der Herr hineinnahm in sein persönliches Schicksal, die er hineinnahm in seinen Tod und in seine Auferstehung. Im Darreichen seines Fleisches und Blutes kommunizierte er sich den Seinen, wie der Weinstock sich den Reben kommuniziert. Fortan müssen die Seinen sich mit ihm und seinem Schicksal identifizieren, sofern sie begriffen haben, was christliche Existenz besagt.

Das Herzstück des christlichen Gottesdienstes ist daher jenes Geschehen, in dem christusgläubige Menschen dem Auftrag des Herrn gemäß im Genuß der gültig konsekrierten eucharistischen Gestalten sich identifizieren mit ihrem am Kreuz sich opfernden Meister. Dieses Herzstück unseres Gottesdienstes ist das Kostbarste, das Heiligste, das Verehrungswürdigste, was die Menschheit insgesamt besitzt. Es ist daher selbstverständlich, daß es von uns nur mit größter Ehrfurcht vollzogen werden darf. Die Vorschriften der Liturgie sind nichts anderes als Gestalt gewordene Ehrfurcht, sind Ausdruck anbetender Reflexion über die Höhe und Tiefe göttlicher Erbarmung, Weisheit und Liebe, die hier offenkundig werden.

Im Februar dieses Jahres und jetzt im Juni habe ich mit einem Kreis junger Menschen aus allen Bezirken des Bistums über solche Probleme gesprochen. Wir haben vereinbart, diese Überlegungen zur Grundlage weiterer Gespräche über das Selbstverständnis unseres Gottesdienstes zu machen. In diese Richtung werden auch meine Bestrebungen gehen, die Angelegenheit des vergangenen Sonntags zu bereinigen. Zunächst aber gilt es, die vorhin aufgezeigten Fragen mit aller Sorgfalt zu klären und aufzuarbeiten. Ich bitte um Ihre Mithilfe und um Ihr Gebet.