Ansätze der Katholischen Soziallehre, Autor: Ernst Leuninger

Katholische SozialLehre
Catholic Social Teaching
Autor: Ernst Leuninger
Träger: Bildungswerk der Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Diözese Limburg

Kurs Katholische Soziallehre: 2. Einheit 
Ansätze der Katholischen Soziallehre

Gerechtigkeit schafft Frieden
- Ein Kurs zur Einführung in die Katholische Soziallehre

 

Als Internetkurs

 

Autor: Ernst Leuninger

 

2. Einheit

 

 

 

Die Geschichte der
Katholischen Soziallehre

 

Widmung

Ich widme diese Einheit dem Widerstandskämpfer aus der KAB Nikolaus Groß, einem Freund meines Vaters, der am 7.10.2001 selig gesprochen wurde. Gleichzeitig allen Widerstands-kämpfern aus der katholischen Arbeiter-Bewegung, vor allem meinem Onkel Franz Leuninger, der von den Nationalsozialisten am 1. März 1945 hingerichtet wurde.

 

Impressum

Gerechtigkeit schafft Frieden - Ein Kurs zur Einführung in die Katholische Soziallehre

Einheit 2: Die Geschichte der Katholischen Soziallehre

3. Auflage Limburg 2002 Fassung 03.03.02

Als Internetkurs www.kath-soziallehre.de dort auch alle weiteren Einzelheiten

Es gibt auch einen Einführungsbrief

Autor: Dr. Ernst Leuninger, Diözesanpräses der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB) Limburg, Mail: ernst@leuninger.de

Mitarbeit und Organisation: M. Rompel, H. G. Arnold, A. Egenolf, M. Rompel

Als Manuskript gedruckt. © Copyright auf alle Teile: Ernst Leuninger

Träger des Kurses: Katholische Arbeitnehmer-Bewegung Diözesanverband Limburg e.V.
KAB-Bildungswerk Diözesanverband Limburg
Roßmarkt 12, 65549 Limburg, Fon 06431 295 358 Fax
06431 295513

Preis pro Einzelexemplar mit Versand DM 20.00

 

2. Einheit: Die Geschichte der Katholischen Soziallehre *

0 Hinführung *

0.1 Erste Einführung *

0.2 Literatur und Netzhinweise *

0.3 Hinführende Fragen *

03.1 Das Vorgehen *

0.3.2 Fragen zum Überlegen *

0.3.3 Aufbau der Einheit *

1 Die Industrialisierung und erste Antworten *

1.0 Hinweise und Fragen *

1.0.1 Literatur und Internet *

1.0.1.1 Literaturhinweise *

1.0.1.2 Internethinweise *

1.0.3 Frage zum Überlegen *

1.1 Die Industrialisierung und ihre Folgen im 19. Jahrhundert *

1.1.1 Die Situation um die Wende zum 19. Jahrhundert *

1.1.2 Politische Umbrüche und Kriege *

1.1.3 Der Prozess der Industrialisierung und seine Folgen *

1.1.3.1 Der Prozess der Industrialisierung *

1.1.3.1.1 Entstehung und Entwicklung von Industrie *

1.1.3.1.2 Die erste Welle der Industrialisierung *

1.1.3.1.2 Die zweite Welle der Industrialisierung *

1.1.3.2 Die Bevölkerungsentwicklung *

1.1.3.3 Die sozialen Folgen *

1.1.3.3.1 Die Ausgangslage *

1.1.3.3.2 Die Lage von 1835 - 1873 *

1.1.3.3.3 Die soziale Lage von 1873 - bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 *

1.2 Die Entstehung der Arbeiterbewegung *

1.2.0 Grundansätze der entstehenden Arbeiterbewegung *

1.2.1 Die Entwicklung der Arbeiterbildung *

1.2.2 Die Entstehung und Entwicklung der Gewerkschaften *

1.2.3 Die Entwicklung der politischen Ideen und der Parteien *

1.2.3.1 Die geistigen Strömungen in Frankreich und England *

1.2.3.1 Von Weitling bis Marx und Engels *

1.2.3.1 Die Entwicklung der sozialistischen Parteien *

1.3 Erste Antworten aus christlicher Sicht *

1.3.1 Rückkehr zum Glauben und Barmherzigkeit üben reichen allein nicht *

1.3.1 Von der ständisch-sozialen Reorganisation zur Gesellschaftspolitik *

1.4 Die Zeit war reif für eine päpstliche Äußerung *

1.5 Fragen zu Kapitel 1 *

1.5.1. Fragen zu 1.1 (Die Industrialisierung und ihre Folgen im 19. Jahrhundert) *

1.5.2 Fragen zu 1.2 (Di Entstehung der Arbeiterbewegung) *

1.5.3 Fragen zu 1.3 - 1.4 (Erste Antworten aus christlicher Sicht/Die Zeit war reif für eine päpstliche Äußerung) *

2 Die Lehre der Päpste *

2.0 Hinführung und Fragen *

2.0.1 Hinführung *

2.0.1.2 Literatur und Internet *

2.0.1.2.1 Quellen und Literatur *

2.0.1.2.2 Internet *

2.0.2 Frage zum Überlegen *

2.1 Die päpstlichen Enzykliken *

2.1.1 Von Rerum novarum bis Quadragesimo anno *

2.1.1.1 1891 - Rerum novarum - Über die Arbeiterfrage *

2.1.1.1.1 Der Anlass der Enzyklika *

2.1.1.1.2 Die wichtigsten Themen: Eigentum, gerechter Lohn, Koalitionsfreiheit und Staatsintervention *

2.1.1.1.3 Die weitere Entwicklung *

2.1.1.2 Quadragesimo anno *

2.1.1.2.1 Die Situation und der Anlass der Entstehung *

2.1.1.2.2 Die Wirkungen von Rerum novarum *

2.1.1.2.3 Zu vertiefende Fragen *

2.1.1.2.4 Wandlungen seit Leo XIII. *

2.1.1.2.5 Der Ertrag *

2.1.2 Die Zeit um das Zweite Vatikanische Konzil *

2.1.2.1 Von Johannes XXIII. über das Konzil bis Paul VI. *

2.1.2.2 Mater et Magistra (Mutter und Lehrmeisterin) – die Jubiläumsenzyklika 1961. *

2.1.2.2.1 Die Soziallehre wendet sich einem neuen Thema zu *

2.1.2.2.2 Die Lehre der Vorgänger und ihre Weiterführung *

2.1.2.2.3 Es entstehen neue Seiten der sozialen Frage *

2.1.2.2.3 Die Neuordnung des gesellschaftlichen Lebens *

2.1.2.2.4 Kritische Würdigung *

2.1.2.3 Pacem in terris – Frieden auf Erden *

2.1.2.3.1 Das Thema „Frieden" wird bearbeitet *

2.1.2.3.2 Die Ordnung unter den Menschen *

2.1.2.3.3 Die Beziehung zwischen den Menschen und der Staatsgewalt innerhalb der politischen Gemeinschaften *

2.1.2.3.3 Die Beziehungen zwischen den politischen Gemeinschaften *

2.1.2.3.4 Die Beziehungen zwischen den einzelnen politischen Gemeinschaften und der Völkergemeinschaft *

2.1.2.3.4 Pastorale Anweisungen *

2.1.2.3.4 Kritische Würdigung *

2.1.2.4 Die Pastoralkonstitution Gaudium et spes *

2.1.2.4.1 Das bedeutendste Dokument der katholischen Soziallehre *

2.1.2.4.1 Vorwort und Einführung *

2.1.2.4.2 Erster Hauptteil: Die Kirche und die Berufung des Menschen *

2.1.2.4.3 Zweiter Hauptteil: Wichtige Einzelfragen *

2.1.2.4.4 Abschließende Gedanken *

2.1.2.5 Populorum progressio – über die Entwicklung der Völker *

2.1.2.5.1 Grundsätzliche Zuwendung zur gerechten Entwicklung der Völker *

2.1.2.5.2 Der Text *

2.1.2.5.2 „Entwicklung, der neue Name für Friede." *

2.1.2.6 Octogesimo adveniens - 80jährige Jubiläum von Rerum novarum *

2.1.2.6.1 Ein apostolisches Schreiben des Papstes *

2.1.2.6.1 Die Ortkirchen sind angefragt *

2.1.2.6.2 Neue Probleme *

2.1.2.6.2 Ansprüche und Ideologien *

2.1.2.6.3 Aufruf zum Einsatz *

2.1.2.6.4 Erträge *

2.1.2.7 De iustitia in mundo – Gerechtigkeit in der Welt *

2.1.2.7.1 Zum Dokument *

2.1.2.7.2 Einleitung *

2.1.2.7.3 Gerechtigkeit auf Weltebene *

2.1.2.7.4 Die Frohbotschaft und die Sendung der Kirche *

2.1.2.7.4 Der Vollzug der Gerechtigkeit *

2.1.2.7.4 Abschließende Gedanken *

2.1.2.8 Evangelii nuntiandi – Die Verkündigung des Evangeliums *

2.1.2.8.1 Soziallehre gehört zur Verkündigung des Evangeliums *

2.1.2.8.2 III. Der Inhalt der Evangelisierung *

2.1.2.8.3 Schlussgedanken *

2.1.3. Die Enzykliken Johannes Paul II. *

2.1.3.1 Hinführung *

2.1.3.2 Laborem exercens – über die menschliche Arbeit *

2.1.3.2.0 Die Absicht der Enzyklika *

2.1.3.2.1 Einführung *

2.1.3.2.2 Die Arbeit und der Mensch *

2.1.3.2.3 Der Konflikt zwischen Arbeit und Kapital *

2.1.3.2.4 Die Rechte des arbeitenden Menschen *

2.1.3.2.5 Zur Spiritualität der Arbeit *

2.1.3.2.6 Ein umfassendes Konzept *

2.1.3.3 Sollicitudo rei socialis – die soziale Sorge der Kirche *

2.1.3.3.0 Hinführung *

2.1.3.3.1 Einleitung *

2.1.3.3.2 Das Neue an der Enzyklika Populorum progressio *

2.1.3.3.3 Das Bild der heutigen Welt *

2.1.3.3.4 Die wahre menschliche Entwicklung *

2.1.3.3.5 Eine theologische Analyse der modernen Probleme *

2.1.3.3.6 Einige besondere Orientierungen *

2.1.3.3.7 Schluss *

2.1.3.3.8 Einige Gedanken danach *

2.1.3.4 Die ökologische Krise – eine gemeinsame Veraantwortung *

2.1.3.4.0 Zum Thema des Briefes *

2.1.2.4.1 I Und Gott sah, dass alles gut war *

2.1.2.4.2 II Die ökologische Krise ein moralisches Problem *

2.1.2.4.3 III Auf der Suche nach einer Lösung *

2.1.2.4.4 IV Die dringende Notwendigkeit einer neuen Solidarität *

Abschließende Gedanken *

2.1.3.5 Centesimus annus – zum hundertsten Jahrestag von Rerum novarum *

2.1.3.5.0 Einhundert Jahre offizielle katholische Soziallehre *

2.1.3.5.1 Einleitung *

2.1.3.5.2 II. Kapitel Auf dem Weg zum „Neuen" von heute *

2.1.3.5.3 III. Kapitel: Das Jahr 1989 *

2.1.3.5.4 IV. Kapitel: Das Privateigentum und die universale Bestimmung der Güter *

2.1.3.5.4 V. Kapitel: Staat und Kultur *

2.1.3.5.6 VI. Kapitel Der Mensch ist der Weg der Kirche *

2.1.3.5.6 Schlussgedanken *

2.1 Zusammenfassung *

2.1 Fragen zu Kapitel 2 *

2.3.1 Fragen zu 2.1.1 Von Rerum novarum bis Quadragesimo anno *

2.3.2 Fragen zu 2.1.1 Die Zeit um das Zweite Vatikanische Konzil *

3 Stimmen aus den Kirchen Deutschlands, der Weltkirche und der Ökumene *

3.0 Hinführung und Fragen *

3.0.1 Hinführung *

3.0.2 Frage zum Überlegen *

Welche sozialen Probleme aus einem Erdteil sind ihnen bekannt?3.0.3 Literatur und Internet *

3.0.3 Literatur und Internet *

3.0.3.1 Quellen und Literatur *

3.0.3.1 Internet *

3.1 Äußerungen der Kirchen Deutschlands *

3.1.0 Die Kirchen Deutschlands *

3.2.1 Aus der katholischen Kirche *

3.2.2 Eine Denkschrift der EKD - Gewalt gegen Frauen *

3.2.2.0 Eine zweiteilige Studie *

3.2.2.1 Die Vorstellung in der Presse *

3.2.2.2 Aus dem Bericht *

3.2.3 Ein gemeinsames Wort zu Fremden in unserem Land *

3.2 Äußerungen aus der Weltkirche *

3.2.0 Die Weltkirche *

3.2.1 Armut in einem reichen Land - die Bischöfe der USA äußern sich *

3.3.1.0 Zur Situation von Nordamerika und den USA *

3.2.1.1 "Wir können es nicht zulassen, den Kampf gegen die Armut aufzugeben" *

3.2.1.1 Gewissen der Nation *

3.2.2. Brasilien und 500 Jahre "Entdeckung" Südamerikas *

3.2.2.0 Stellvertretend für ganz Südamerika *

3.2.2.1 Brasilien - 500 Jahre Dialog und Hoffnung *

3.2.2.1.1 Hirtenbrief der Bischofskonferenz an die brasilianische Gesellschaft und die Gemeinden *

3.2.3 Afrika - Ein geschundener Kontinent *

3.2.3.0 Zur Situation Afrikas *

3.2.3.1.1 Kriege in Zentralafrika *

3.2.3.1.2 "Ihr alle aber seid Brüder" (Mt 23,8): Beendet die Kriege! *

3.2.3.2.0. SAMBIA - ein Land im wirtschaftlichen Niedergang *

3.2.4 Asien - ein Riesenkontinent *

3.2.4.0 Übersicht *

3.2.4.1 Megatrends in Asien: Tendenzen der Kommunikation für die Kirche *

3.2.4.1.0 Ein Treffen der Bischöfe *

3.2.4.1 Moderne Kommunikation und Kirche *

3.3.4.2 Stärkung der Teilnahme der Kirche beim Aufbau einer Kultur der Gerechtigkeit und des Friedens *

3.3.4.2.0 Indonesien ein Land in Auseinandersetzungen *

3.3.4.2.1 Erklärung der 3. Nationalen Konferenz der Kommission Justitia et Pax der Indonesischen Bischofskonferenz 19. Februar 2000 *

3.4 Ein weltweiter Prozess *

Die Chronologie *

3.5 Zusammenfassung *

3.6 Fragen zu Kapitel 3 *

3.6.1 Fragen zu 3.1 Äußerungen der Kirche in Deutschland? *

3.6.2 Fragen zu 3.2 (3.2.1 USA und 3.2.1 Südamerika) *

3.6.2 Fragen zu 3.2 (3.2.3 Afrika und 3.2.4 Asien) *

4. Christen melden sich zu Wort *

4.0 Hinführung und Fragen zum Überlegen *

4.0.1 Hinführung *

4.0.2 Frage zum Überlegen *

4.1 Katholischen Verbände *

4.1.0 Hinführung *

4.1.1 Die Entstehung der Kolpingfamilien *

4.1.1.1 Die Person Adolf Kolping *

4.1.1.2 Das Kolpingwerk *

4.1.2 Die Entwicklung der Arbeitervereine *

4.1.2.1 Ketteler, der Vordenker *

4.1.2.2 Die Vorläufervereine *

4.1.2.3 Die Gründung der Arbeitervereine *

4.1.2.3 KAB im Widerstand 1933-45 *

4.1.3.4 Von 1945 – bis heute (2001) *

4.1.3.5 Auf dem Weg zum einheitlichen Bundesverband *

4.1.3 Der Volksverein für das katholische Deutschland *

4.1.3.1 Die Gründung und Gründungspersönlichkeiten *

4.1.3.2 Der Volksverein für das katholische Deutschland *

4.2 Die Geschichte der christlichen Gewerkschaften *

4.2.0 Christliche Gewerkschaften - ein Teil der christlich sozialen Bewegung *

4.2.1 Adam Stegerwald – eine Schlüsselfigur der christlichen Gewerkschaften *

4.2.2 Die christlichen Gewerkschaften *

4.2.2.1 Die Gründungsgeschichte *

4. 2.2.1 Von der Gründung bis zum Ende der Weimarer Republik *

4.2.2 Im Widerstand – z.B. Franz Leuninger *

4.2.3. Literatur *

4.3 Das Zentrum *

4.3.1 Windhorst - der unbestrittene Führer des Zentrums *

4.3.2 Zentrum - die Partei des politischen Katholizismus *

4.4 Engagierte Frauen und Ordensgründerinnen *

4.4.0 Frauen melden sich zu Wort *

4.4.1 Hedwig Dransfeld – eine große Frau *

4.4.2 Maria Katharina Kaspar und ihr Werk *

4.5 Der Synodenbeschluss Kirche und Arbeiterschaft *

4.5.1 Der Entwurf zum Beschluss verfasst von Oswald von Nell-Breuning *

4.5.2 Der Synodenbeschluss *

4.5.2.1 Der Beschluss „Kirche und Arbeiterschaft" *

4.5.2.2 Ein provozierender Text *

4.5.2.3 Der Gewerkschaftsstreit im Spiegel der Synode *

4.5.2.3 Impulse des Synodenbeschlusses *

4.6 Die großen Werke *

4.7 Zusammenfassung *

4.8 Fragen zum 4. Kapitel *

4.8.1 Fragen zu 4.1(Katholische Verbände) *

4.8.2 Fragen zu 4.2 – 4.4 (Christliche Gewerkschaften, Zentrum, engagierte Frauen) *

4.8.3 Fragen zu 4.4. – 4.5 (Synodenbeschluss und Große Werke? *

5 Ergebnis und Ausblick *

6 Kurze Literaturübersicht *

 

 

 

2. Einheit: Die Geschichte der Katholischen
Soziallehre

0 Hinführung

0.1 Erste Einführung

In der 1. Einheit ging es um eine Grundlegung der Katholischen Soziallehre. Anhand von Problemen unserer Zeit wurde versucht, diese vor allem mit Kriterien der Bibel ethisch zu bewerten und Wege zur Lösung aufzuzeigen. Dabei wurde vor allem nach der Methode „Sehen – Urteile – Handeln", wie sie vor allem der Gründer der CAJ (Christliche Arbeiter Jugend) Kardinal Cardijn bekannt gemacht hat. Zum Abschluss wurde von der Option des Gottesreiches her ein Grundentwurf Katholischer Soziallehre gemacht.

Dieses mal geht es mehr um geschichtliche Zusammenhänge. Wir alle stehen in einem sich immer weiter entwickelnden gesellschaftlichen Zusammenhang. Wir werden uns er hier und heute deshalb auch nur begreifen, wenn wir die Vergangenheit betrachten und die Frage stellen, wie sich dies alles, was uns heut begegnet entwickelt hat. Geschichtliche Zusammenhänge haben deshalb auch immer etwa mit unserem Selbstverständnis zu tun. Wir lernen uns und unserer Welt damit besser verstehen und können in unserem Umfeld bewusst handelnd aktiv werden.

Katholische Soziallehre (auch christliche Gesellschaftslehre genannt, ist eigentlich in der uns vorliegenden Form etwas neues, ein Ergebnis des Industriezeitalters (Beginn etwa vor/um 1800). Gewiss gab es auch früher schon Vorstellungen von einer gerechten Gesellschaft, sie entsprachen in ihrer hierarchischen Organisation, der zugrundelegten Gottgegebenheit und dem Befehlen-Gehorschen-Schema nicht mehr den Herausforderungen des Industriezeitalters. Dies zu erkennen war nicht einfach. Aber die Entstehung dieses Zeitalters, die geistige Augeindersetzung damit und die Rolle von Kirche und Christen dabei soll uns im folgenden beschäftigen. Wie sind die neuen Entwicklungen aus der Sicht der Kirche im Sinne der betroffenen Arbeitrinnen und Arbeiter zu bewerten, was muss sich ändern und wer kann Änderungen in die Weg leiten? Sicher spielt die Enzyklika von 1891 „Rerum novarum" (http://www.obing.de/zenz/links52.htm) darin eine große Rolle. Aber lange vorher wurde schon intensiv darüber nachgedacht.

Katholische Soziallehre wurde verfasst von Denkern, die ihrer Zeit in der Kirche voraus waren, von Päpsten und Bischöfen, von Wissenschaftlern und vor allem von Frauen und Männern, die sich auf ihre Weise und an ihrem Ort für soziale Gerechtigkeit eingesetzt haben. Die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit wird zum Schlüsselbegriff dieser Lehre.

0.2 Literatur und Netzhinweise

Die Ausgabe der wichtigsten Sozialenzykliken Herausgeber Bundesverband der KAB, Köln 1992 (Ketteler-Verlag). Sie finden diese auch Online http://www.stjosef.at/CSL/. Viele Fragen können Sie aus Büchern erarbeiten. Hier wird als Hilfsmittel das Internet empfohlen. Bedienen Sie sich zum Suchen entsprechender Begriffe einer Suchmaschine z.B. http://www.altavista.de

Eine gute Zusammenfassung der sozialen Ideen vom Beginn der Industrialisierung bis heute finden sie in H. Grebing, Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland, Sozialismus - Katholische Soziallehre - Protestantische Sozialethik, Essen 2000.

Viele weitere Hinweise und Anschriften finden Sie

Bei Kath. Sozialakademie Österreich http://www.ksoe.at/ksoe/

Christliche Gesellschaftslehre im Internet http://www.obing.de/zenz/links52.htm

Den Text zu Einleitung, Einheit 1 und II finden Sie im Internet unter
http://www.kath-soziallehre.de

Unter verschiedenen Stichwörtern finden sie Hinweise bei http://www.leuninger.de

(Rechtlicher Hinweis: Das Landgericht Hamburg hat mit Urteil vom 12.05.1998 entschieden, dass man durch die Anbringung von Links die Inhalte der Seite ggf. mit zu verantworten hat. Dies kann - so das LG - nur dadurch verhindert werden, dass man sich ausdrücklich von diesen Inhalten distanziert. Wir betonen daher ausdrücklich, dass wir keinerlei Einfluss auf die Gestaltung und die Inhalte der gelinkten Seiten haben. Deshalb distanzieren wir uns hiermit ausdrücklich von allen Inhalten aller gelinkten Seiten auf unserer Website inkl. aller Unterseiten. Diese Erklärung gilt also für alle auf unserer Website angebrachten Links und für alle Inhalt der Seiten, zu denen Links oder Banner führen.)

0.3 Hinführende Fragen

03.1 Das Vorgehen

Ausführlich ist diese dargestellt im Brief Einführung. Falls Sie diesen nicht besitzen können Sie ihn aus dem Internet holen unter http://www.kath-soziallehre.de oder Dr. Ernst Leuninger, Huberstr. 21, 65549 Limburg gegen eine Gebühr (einschließlich Versand) von DM 6.00 bestellen. Ein Bestellformular finden Sie am Ende dieser Einheit..

Der Kurs versteht sich didaktisch als Multimediakurs. Methodisch kommen neben dem Grundtext im Internet Suchprozesse und Texte aus Büchern und ggf. anderen Medien in Frage. Fragen sollen bei der Vorbereitung helfen und die Lernergebnisse können festgehalten.

Es werden viele Originaltexte eingebracht. Diese vermitteln einen unmittelbaren Eindruck von Soziallehre. Trotzdem sollte Sie gelegentlich doch auch wieterführende Literatur oder Quellenmaterial lesen. Hinweise dazu erfolgen.

Beim Studium der Einheit sollte immer mit den Überlegungsfragen begonnen werden, um einen persönliche Zugang zum Text zu finden. Dann wäre der Text zu erarbeiten und zum Abschluss als Kontrolle die Fragen zu erarbeiten.

Außer der angegebenen Textsammlung (sofern Sie nicht im Internet nachsehen können) benötigen Sie keine weitere Literatur. Trotzdem empfiehlt sich das zusätzliche Lesen um einzelne Fragen zu vertiefen. Dazu sind am Anfang einige Grundsatzwerke angegeben, ein weiterer Hinweis folgt bei jedem Kapitel und ein zusammenfassendes Literaturverzeichnis steht am Ende der Einheit.

 

0.3.2 Fragen zum Überlegen

 

1. Was prägt Ihrer Meinung nach in der Wirtschaft von Deutschland das ausgehende 19. Jahrhundert?

 

 

 

 

 

 

2. Fällt Ihnen das erste große Lehrschreiben eines Papstes oder ein anders päpstliches Lehrschreiben zur Katholischen Soziallehre ein?

 

 

 

 

 

 

3. Ist Ihnen ein deutsches Lehrschreiben des letzten Jahrzehnts zu sozialen Fragen bekannt?

 

 

 

 

 

 

4. Kennen Sie große Gestalten die sie mit der sozialen Frage verbinden?

 

0.3.3 Aufbau der Einheit

In der 2. Einheit geht es um die Darstellung der Geschichte der Katholischen Soziallehre. Folgende Kapitel sind vorgesehen:

1. Die Industrialisierung und erste Antworten

2 Die Lehre der Päpste

3 Stimmen aus den Kirchen Deutschlands, der Weltkirche und der Ökumene

4. Christen melden sich zu Wort

 

 

1 Die Industrialisierung und erste Antworten

1.0 Hinweise und Fragen

1.0.1 Literatur und Internet

1.0.1.1 Literaturhinweise

H. Grebing, Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland, Sozialismus - Katholische Soziallehre - Protestantische Sozialethik, Essen 2000.
Hier vor allem das Kapitel über den Sozialismus.

Henning, F.-W., Die Industrialisierung in Deutschland 1800 bis 1914, Paderborn 9 1995.
Dieses Buch ist der 2. Band eines dreibändigen Werkes über die Wirtschafts- und Sozialgeschichte Deutschlands.

Ploetz, Deutsche Geschichte, Epochen und Daten, Würzburg 4 1988.
Dies ist eine Standardkompendium der deutschen Geschichte vom Mittelalter an.

Eggebrecht, A., u.a., Geschichte der Arbeit. Vom Alten Ägypten bis zur Gegenwart, Köln 1980.
Hier ist die Bedeutung der Arbeit im Verlauf der Geschichte dargestellt.

1.0.1.2 Internethinweise

http://www.games-guide.de/pcgames/lernen/z/zeitalter_der_industriealisierung.htm

Eine Lernspiel CD, relativ teuer, das Ganze ist in Form eines Krimis dargestellt, enthält viele Informationen und auch Originaltexte. Hier finden Sie eine Beschreibung.

http://www.erziehung.uni-giessen.de/studis/Robert/soz_vers.html

Hier wird die Geschichte der Sozialversicherung dargestellt.

http://www.arbeiterbewegung.purespace.de/doku20.htm

Ein virtuelles Museum der Arbeiterbewegung mit umfangreichen Informationen zu Geschichte und Politik aus der Sicht des Sozialismus und der Sozialdemokratie. Christliche Elemente spielen keine Rolle.

http://www.fes.de/fulltext/bibliothek/tit00148/0014801a.htm

Eine Geschichte der Gewerkschaftsbewegung der Friedrich Ebertstiftung. Siehe hier auch Ritter von Buß.

http://www.fernuni-hagen.de/EUROL/Projekt/biografien/baader.htm

Lebensbild Franz von Baader.

http://www.kolping.de/

Informationen über Adolf Kolping und seine Zeit.

http://www.paulinus.de/blatt/archiv/9809/blickpkt.htm

Der Präsident des 1. Katholikentages 1848 in Mainz war Ritter von Buß, ein Vorkämpfer der sozialen Frage. 1904 schreibt August Bebel, Buß bleibe der Ruhm, der erste parlamentarische Vertreter des Arbeitsschutzes zu sein.

1.0.3 Frage zum Überlegen

Welche Namen fallen ihnen im Zusammenhang von Industrialisierung und sozialen Problemen ein?

 

1.1 Die Industrialisierung und ihre Folgen im 19. Jahrhundert

1.1.1 Die Situation um die Wende zum 19. Jahrhundert

Die 1000 Jahre zuvor waren vom feudalistischen System geprägt, dass im wesentlichen auf Landbesitz gründete. Dazu gab es Adel, Klerus und mit der Entstehung der Städte das Handwerk. Es gab eine klare Hierarchie, die sich zwar wenn auch selten modifizierte. Die Hierarchie um gegen 1800 sah etwa wie folgt aus.

Adel

Klerus und Amtsleute

Bauern mit großen Höfen

Kleinbauer, Handwerker, Schulmeister

Unterbäuerliche Landbesitzer (Kleinkötter, Häusler, Gärtner usw.)

Gesindekräfte und Menschen ohne Landnutzung

Durch Bevölkerungswachstum hatte zu diesem Zeitpunkt etwa zwei Drittel der ländlichen Bevölkerung nicht mehr genügend Nahrung. Die Arbeitslosigkeit stieg an. Man führte sozialpolisch die Maßnahmen des Mittelalters weiter und entwickelte neue dazu. Zu nennen sind:

Armen-, Siechen- und Altershäuser

Gemeindliche Einrichtungen zur Unterstützung der Armen

Arbeitshäuser, Spinnschulen, Gewerbeschulen

Diese Einrichtungen waren sehr verbreitet, aber sie erfassten nicht die vielen Armen ohne Wohnsitz.

Wie früher schon war die Wirtschaft durch Bevölkerungswachstum in eine Ernährungs- und Wirtschaftskrise geraten. Herkömmlich löste sich dies durch Kriege, sehr hohe Kindersterblichkeit und Seuchen. So sahen es auch die Theorien z.B. die von Malthus (1798).

Diese Theorie wurde im 19. Jahrhundert widerlegt durch Produktionssteigerung im sekundären (Produktion) und tertiären Sektor (Dienstleitung). Aber auch eine Produktivitätssteigerung und ein besserer Bodenertrag traten ein. Hinzu kamen im Verlauf des Jahrhunderts große Auswanderungswellen.

Die Bauernbefreiung machte dem politischen System des Feudalismus endgültig ein Ende. Sie lief etwas von 1780 – 1835. Dieses System brachte die Bauern in vielfältige persönlichen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten. Vor allem Preußen war Vorreiter mit liberalen Ideen von Verwaltungsbeamten . Es war der Übergang von der Fronarbeit zur Lohnarbeit. Dadurch wurde aber auch die Lebensmittelproduktion gesteigert. Es kam aber ach zu erheblichem Verlust an Kleinbetreiben, Schätzungen gehen zwischen 5-25%, weil die neuen Besitzer die Ablösung nicht bezahlen konnten oder aus anderen Gründen illiquid wurden.

1.1.2 Politische Umbrüche und Kriege

Ende des 18. Jahrhundert stand die französische Revolution (1789). Das Feudalsystem wurde weggeräumt, wie wir eben gesehen haben. Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit skizzieren die Gleichheit aller Menschen. Die Ideen griffen auch auf Deutschland über. Schon 1792 kam es zum 1. Krieg zwischen Frankreich und der Koalition Preußen-Österreich. Nach dem 2. Krieg 1798 werden die Gebiete links des Rheins an Frankreich abgetreten, die weltlichen Fürsten werden im Reichsdeputationshauptschluss von 1803 durch die geistlichen Länder entschädigt, der Rheinbund gegründet. Die Landkarte Deutschlands wurde großflächiger geordnet, 112 Kleinstaaten aufgehoben. Das deutsche Reich war vorbei. In den Staaten setzen Verwaltungsreformen ein, die dringend überfällig waren. Ende 1812 waren die meisten deutschen Gebiete unter dem Einfluss Napoleons. Die Befreiungskriege, überwiegend mit regulären Truppen geführt, in Waterloo Napoleon 1815 endgültig besiegt. 1815 werden auf dem Wiener Kongress die Verhältnisse in Europa neu geordnet.

Trotz alle Probleme wird Deutschland großflächiger und moderner, es leiden vor allem die Katholiken, weil sie ihr politischer Einfluss durch den Einzug der geistlichen Gebiete erheblich verlieren. Es kommt zum deutschen Bund unter Führung Österreichs mit 41 Staaten mit Sitz in Frankfurt. Es kam zu konstititionellen Monarchien mit Verfassungen.

1833 schließen sich nahezu alle Staaten unter Führung Preußens mit Ausschluss Österreichs dem Zollverein an und kommen zu einer wirtschaftlichen Zusammenarbeit.

1836 kam es wegen der Auseinandersetzung zwischen Preußen und der katholischen Kirche über die Ehe zum Kölner Kirchenstreit mit der Verhaftung des Erzbischofs. Das brachte die Katholiken in die Opposition.

Verschiedene Bewegungen aus dem Bereich der Hochschulen und unter den Sängern führten zu einem gesamtdeutschen Enthusiasmus und zur Revolution von 1848. Ein Rechstag mit Sitz in Frankfurt wurde gewählt. Der König von Pressen lehnt die Wahl zum Kaiser ab (kleindeutsche Lösung). Der Kaiser wollte die Krone nur aus der Hand aller deutscher Fürsten entgegennehmen. Die Revolution scheiterte letztlich an der Macht der Fürsten. Es wird er deutsche Bund von den Fürsten gegründet.

Ein Zeitalter der politischen Reaktion beginnt. Trotzdem bleiben Ansätze zur Bildung konservativer, liberaler und katholischer Parteien, de Arbeiterbewegung fasst Fuß. In Preußen herrschte von 1849 bis 1918 in Preußen. Das Steueraufkommen wurde durch drei geteilt, jede Gruppe hatte die gleiche Zahl von Wahlmännern. Bei den ersten Wahlen nach diesem System im Jahr 1849 fielen auf die erste Klasse 4,7 Prozent, auf die zweite 12,6 Prozent, auf die dritte, die 82,6 Prozent der Wähler. Dagegen waren vor allem die Parteien der Arbeiter. Diese Wahlrecht galt für Gemeinden und das Land, im Reich nicht.

1866 kommt es zum Krieg um die Vorherrschaft in Deutschhand, den letztlich Preußen gewinnt. Der deutsche Bund wird aufgelöst, Preußen gegründet den Norddeutsche Bund. Über Streitigkeiten der Thronbesetzung mit Spanien erklärt Frankreich Preußen 1870 den krieg, den es verliert. König Wilhelm der I. von Preußen wird in Versailles 1871 zum Deutschen Kaiser ausgerufen. Nun gab zum Kaiser von Österreich-Ungarn (1802 Österreich, 1864 Österreich-Ungarn) auch noch einen deutschen Kaiser. Das sogenannte Bismarckreich entstandt. Kolonien werden usurpiert. Die Sozialdemokraten gewinnen an politischem Einfluss. Bismarck leitet ab 1878 wieder eine konservativerer Politik ein, es kommt zu den Sozialistengesetzen. Schon 1870 hatte der Kulturkampf die Katholiken politisch massiv bedrängt, aber auch dadurch politisch mehr geeint. 1888 entlässt Kaiser Wilhelm II. Bismarck.

1914 kommt es wegen der Ermordung des österreichischen Thronfolgers am 28. Juni in Sarajevo zum 1. Weltkrieg mit seinen verheerenden Folgen. Die Kriegserklärung ist von Österreich-Ungarn gegen Serbien, trotz fast völliger Annahme des Ultimatums, und dann nach der Mobilmachung von Rußland die Kriegserklärung durch Deutschland gegen Rußland, alles weitere nimmt dann seinen dramatischen Lauf. Erstmals werden moderne Technologien wie Giftgas, Panzer, Maschinegewehre, Flugzeuge, U-Boote, Blockaden, die Zivilbevölkerung wird einbezogen, erster totaler Krieg der Weltgeschichte mit etwa 32 beteiligten Nationen 10 Millionen Kriegstoten und verheerenden wirtschaftlichen Folgen. War der nationale Jubel zu Beginn der Krieges sehr groß und nahezu allgemein, so war die Enttäuschung um so grausamer. Es war für Deutschland der totale Zusammenbruch.

1.1.3 Der Prozess der Industrialisierung und seine Folgen

1.1.3.1 Der Prozess der Industrialisierung

1.1.3.1.1 Entstehung und Entwicklung von Industrie

Der Prozess der Industrialisierung nahm in Großbritannien seinen Anfang. Die entscheidenden Erfindungen sind in England gemacht worden. Da ist die Dampfmaschine, 1690 erfunden, 1769 zur industriellen Reife gebracht von James Watt. Dort wurde das neuartige Verfahren zu Stahlherstellung als Steinkohlekoks (Puddelverfahren 1784) entwickelt, außerdem kam zur Mechanisierung der Baumwollspinnerei. Wir wissen nicht, warum die Engländer dies entwickelten, es war vor allem Tüftelarbeit, die zu diesen Ergebnissen führte. Die Kontinentaleuropäer hätten dies gern übernommen, dies ging aber nur durch exakte Nachahmung, die aber wurde nicht zugelassen, man wusste in England um die Bedeutung dieser Erfindungen. Es gab Ausfuhrverbote, Ausreiseverbote für qualifizierte Maschinenarbeiter aber auch schon Industriespionage. In Großbritannien trieb das Bevölkerungswachstum die Entwicklungen, von 1700 bis 1750 gab es 300.000 Briten mehr, dank der medizinisch-hygienischen Entwicklung waren es in den nächsten 50 Jahren 3 Millionen mehr. Die Landwirtschaft wurde massiv gefördert, in der 2. Hälfte des 18. Jahrhundert produzierte ein britischer Landmann soviel wie zwei deutsche.

Industrialisierung wird verstanden als ein Vorgang

Bei dem Handarbeit durch maschinelle Arbeit ersetzt wird

Anstelle von biologischer Kraft treten kraftproduzierende Maschinen, hier die Dampfmaschine

An die Stelle z.B. des Handwebstuhles treten Maschinenwebstühle

An die Stelle der Handspindel treten Spindelmaschinen

Neue technische Verfahren z.B. zur Stahlerzeugung entstehen

Das Verkehrssystem wird von Pferd, Wagen und Segelschiffe auf Eisenbahn, Dampfschiff und Eisenschiff umgestellt

Das Kapital wächst an

Der Handel gewinnt an Bedeutung.

Durch den Einsatz von dampfkraftgetriebenen Pumpen konnten auch Schächte trockengelegt werden und die Energiefrage war vom Holz gelöst

Verläuft der Prozess der Industrialisierung sehr schnell spricht man von industrieller Revolution.

Verbunden sind mit einem solchen Prozess auch erhebliche gesellschaftliche und politische Umänderungen.

1.1.3.1.2 Die erste Welle der Industrialisierung

In Deutschland setzte dieser Prozess um 1835 ein. Einige Männer hatten den Eisenbahnbau betrieben, so fuhr am 7. Juli 1835 die erste Eisenbahn zwischen Nürnberg und Fürth. Die nächste Strecken waren schon geplant. 1850 gab es schon 6000 km Eisenbahnen in Deutschland Das Tor zur industriellen Welt stand weit offen. Zuerst lief der Eisenbahnbau nur mit staatlicher Garantieerklärung, als das große Geschäft zu sehen war auch genügend Kapital vorhanden. Günstig waren für den Eisenbahnbau:

Der Zusammenschluss zu einem einheitlichen Zollgebiet fiel mit dem Eisenbahnbau zusammen, es lag ein einheitliches Wirtschaftsgebiet ohne Zollschranken vor.

Durch den Eisenbahnbau wurden Güter gefragt, die eine Industrialisierung in Gang setzten.

So kann man sagen, dass die erste Welle der Industrialisierung in Deutschland mit der Eisenbahn verknüpft ist. 1850 war die Eisenbahn das wichtigste und billigste Transportmittel. 1860 waren etwa 34.000 km vorhanden, bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges 61.000 Normalspurbahn und 2700 Schmalspurbahn. Inzwischen hatte der Staat nahezu das gesamte Normalspursystem aufgekauft oder selbst gebaut.

Obwohl auch der Straßenbau voran getrieben worden war, war er nicht konkurrenzfähig. Immerhin wurde das befestigte Straßennetz von 25.000 km 1835 auf etwa 115.000 km 1873 ausgebaut. Die Straße war Zubringer für die Eisenbahn.

Das ganze Spinn- und Webgewerbe wird auf Maschinen umgestellt. Dabei wird der Arbeitsgang zerlegt, durch Arbeitsteiligkeit wird eine größere Produktion erreicht. Möglichst viele Arbeitsgänge werden mechanisiert. Die Arbeitsteiligkeit verbunden mit der Mechanisierung ist ein weitere wesentlicher Schritt in der Entwicklung.

1835 begann mit Verspätung die Entwicklung, Preußen hatte 1875 29.000 Dampfmaschinen im Einsatz, im ganzen reich waren es 1914 etwa 100.000. Die Eisenbahn hatte 1914 29.000 Lokomotiven.

Dadurch entwickelte sich auch erheblich die Kohleförderung und die Stahlproduktion, obwohl der Übergang von Holzkohle auf Koks erst 1870 abgeschlossen war. 1835 produzierte ein Hochofen 2.000 t Roheisen, 1913 waren es 30.000 t.

Hinzu kamen eine Fülle von weiteren Erfindungen, die die Arbeit revolutionierten, so im Druck durch die Schnellpressen, in der Landwirtschaft durch Mähmaschinen, beim Schmieden der Einsatz von Dampfhämmern um nur einige zu nennen. Zur Ausbildung wurden technische Schulen gegründet.

Das Handwerk wurde in manchen Bereichen verdrängt, es bekam überwiegend neue Aufgaben im Kleinhandel, der Installation und der Reparatur. Im Nahrungsmittelbereich und Baugewerbe konnte es sich halten. Der Hergang war schrittweise , in Verlagen, die arbeitsteilige Prozesse in Heimarbeit vergaben (Rohstoffankauf und Vertrieb erfolgten durch den Verleger, die Arbeit in Heimarbeit) in Manufakturen, in denen oft alte und neue Produktionsweisen nebeneinander liefen bis zur echten arbeitsteiligen und maschinellen Produktion, die ab 1850 alle vorindustriellen Systeme wie Verlag und Manufaktur verdrängte.

Die eingeführte Gewerbefreiheit machte ein neueres Unternehmertum möglich, dass nicht mehr durch Zunftregeln gebunden war. Es mussten Konzessionen gewährt werden. So wies ein bayrischer Beamter daraufhin, dass er innerhalb von 15 Monaten von 1100 Anträgen zur Gründung eines Gewerbes 900 abgelehnt habe. Die Entwicklung begann um die Jahrhundertwende und schloss mit dem Königreichen Baden, Württemberg 1862 und Bayern 1868 ab

Auch durch den Zollverein konnte der Handle sich entfalten. Außen- bis zu Welthandel entstand, durch die neu entstehenden Ballungsräume gewann der Binnenhandel an Bedeutung. Ab 1962 begann eine freihändlerische Politik mit dem Vertrag mit Frankreich. Die Zölle wurden insgesamt von 25% stufenweise auf weniger als 10% gesenkt, die Staaten wussten einfach nicht mehr, was sie mit den Einnahmen machen sollten. Von 1800 bis 1873 stieg de Außenhandel um 420% bis 1913 um 2800%

Wichtig war auch die Entwicklung des Bankwesens. Bei den Währungen strebte man eine Vereinheitlichung an, anstelle der Goldwährung trat die Silberwährung, europäische oder sogar Weltwährungen wurden angestrebt. Neue Großbanken entstanden wie 1835 die Bayerische Hypotheken und Wechselbank in München. Die Geldnoten und die Notenbanken kamen. Das genossenschaftliche Kreditwesen bildete sich heraus, die Börsen gewannen an Bedeutung, es kam auch schon zu den ersten Krisen. Das Versicherungswesen breitete sich aus.

Die Staatseinnahmen entwickelten sich von 16 Mark pro Kopf 1838 auf 32 Mark 1878. Während 1835 mit 40% den Militär ausgaben noch dominierten und die Zivilausgaben 25% ausmachten, waren es 8173 25% Militärausgaben und 52% Zivilausgaben.

Durch die Bauernbefreiung entwickelte sich die landwirtschaftliche Produktion positiv. Von 1820 bis 1860 vergrößerte sich die landwirtschaftliche Anbaufläche um mehr als 40%. Die Erträge erhöhten sich, die Preise zogen an, der verstärkte Futtermittel- Kartoffel und Zuckerrübenanbau kam der Ernährung der Bevölkerung zugute.

An den notwendigen Arbeitskräften herrschte durch Abwanderung vom Land und Bevölkerungswachstum kein Mangel, eher im Gegenteil.

Die erste Welle der Industrialisierung hatte in der Mitte der 30er Jahre des 19. Jahrhunderts begonnen. Ihre Lokomotive war im wahrsten Sinne des Wortes die Lokomotive oder besser der Eisenbahnbau gewesen. 1873 endete diese stürmische Epoche der Industrialisierung.

1.1.3.1.2 Die zweite Welle der Industrialisierung

1871 wurde das Deutsche Reich gegründet. Die ersten beiden Jahrzehnte waren durch die sogennante Gründerkrise geprägt. Entstanden ist sie durch enorme Ausweitung der Kapazitäten und bessere Ausnutzung derselben. Es kam zu Überangeboten, Preisverfall und Investitionsrückgang. Auf dem Weltmarkt zeigten sich ähnliche Erscheinungen. Hinzu kamen noch die Reparationsleistungen aus Frankreich, davon schafften etwa 2,5 bis 3 Milliarden ein Ungleichgewicht an den Börsen. Die Gründerkrise ging aber von der Franko-Ungarischen Bank in Budapest aus und erfasste das ganze System, in den USA vor allem die Eisenbahnwerte. Sie war auch Teil einer Überspekulation. Von 1872 auf 73 trat an den deutsche Börsen ein Kursverfall von 46% auf. Trotzdem nahm die Beschäftigtenzahl und das Volkseinkommen zu.

Man versuchte die in Deutschland oft auch überhöhtem Preis durch Schutzzölle zu sichern. Es entstanden unter dem Druck der Krise Interessenvertretungen wie Kartellverbände, Preisabsprachen, Arbeitgeberverbände. Betroffen waren vor allem das Textil- und benachbarte Gewerbe, obwohl immer noch das wichtigste Gewerbe, die anderen steigerten weiter. Für die Agrarpreis wurden unter dem Druck des Weltmarktes Schutzzölle genommen.

Man kann von 1873 - 1893 von einer gewissen wirtschaftlichen Stagnation sprechen, die die Gründerkrise genannt wird. Es kann nicht von einem langen Depressionstal der deutschen Wirtschaft gesprochen werden, der ursprünglich Schwung war weg. Die Triebkräfte des Eisenbahnbaus reichten nicht mehr allein aus. Trotzdem kam es aber dann doch zu einem kontinuierlichen Weitersteigen der Wirtschaft bis 1914. 1893/95 kam eine Triebkraft. Damals wurde die Elektrizitätserwertung die neue Lokomotive vor dem Zug der deutschen Wirtschaft. Es kam zu einem zweiten Spurt. Der Automobilbau mit der Gründung von Daimler-Benz begann 1990. Großbritannien wurde überholt und Deutschland zur führenden Industriemacht Europas.

1.1.3.2 Die Bevölkerungsentwicklung

Das neunzehnte bis zum Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ist von einem kontinuierlichen Bevölkerunganstieg gekennzeichnet. Die Entwicklung im Deutschen Reich sieht wie folgt aus:

 

Jahr

Menschen in Millionen

1780

21

1800

23

1825

28

1850

35

1875

43

1900

56

1914

67

 

Dies ist innerhalb von etwa 130 Jahren eine Verdreifachung der Bevölkerung. Das heißt dann von der Bevölkerungsdichte je Quadratkilometer

 

1780

38

1914

125

Die Grundlage der Entwicklung war die verbesserte medizinische Versorgung. Auch wurde langfristig der Lebensstandard gehoben. Die hygienischen Verhältnisse besserten sich. Seuchen, Kriege mit viel Bevölkerungsverlust und Hungersnöte bleiben aus. Die Sterblichkeit pro Jahr und 1000 Bewohner sank von 28 auf 16, also um 43%. Der Geburtenüberschuss lag bis 11 bis 12 je 1000 Einwohner relativ hoc, obwohl sich die Zahl der Geburten je 1000 Einwohner von 40 auf 27 verringerte. Dabei wuchsen in den Gebieten mit starker Industrialisierung die Bevölkerung viel deutlicher. Dies hatte insgesamt für die Industrialisierung die Bedeutung:

Im Produktionsbereich wuchs die Zahl der Arbeitskräfte

Im Bereich der Nachfrage stieg mit der Bevölkerung auch der Verbrauch

Dazu kam es zu einem beschleunigten Urbanisierungsprozess. Lebten 1800 noch um 75% der Menschen in Orten unter 2000, so waren es 1914 viel weniger als die Hälfte. Etwa 25 Millionen wohnten in Orten unter 2000, je 20 Millionen in Orten bis zu 30.000 und darüber. Gerade die größeren Städte wuchsen nach 1880 sehr stark. Wären nicht viele Menschen ausgewandert, hätte sich die Zahl noch erhöht. Ein (vor allem aus östlichen Ländern) und Auswanderung hielten sich dann vor dem 1. Weltkrieg in etwas die Waage.

1.1.3.3 Die sozialen Folgen

1.1.3.3.1 Die Ausgangslage

Die Arbeiterfrage war die vorrangige soziale Frage des 19. Jahrhunderts. Es entstand eine neuartige und rasch wachsende Schicht der lohnabhängigen Arbeiter voll mit bisher unbekannten und nicht schnell zu lösenden Problemen. Es entstand das Industrieproletariat. Deshalb soll die Arbeiterfrage auch im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen stehen.

In Analogie zu dem englischen Staatsmann B. Disraeli 1845 kann man sagen, das in Deutschland zwei Nationen entstanden, zwischen denen keine Verkehr und keine Sympathie bestand, die in ihrem Wollen, Denken und Fühlen wie auf verschiedenen Planeten lebten und "durch eine verschiedene Erziehung gebildet und verschiedene Nahrung genährt wurden, die sich nach verschiedenen Sitten richteten und über die nicht dieselben Gesetze geboten."

Anfang des 19. Jahrhunderts litten die Leute ohne Arbeit und arme Leute Hunger, da die Agrarpreise sehr hoch und die Reallöhne niedrig waren. Durch sinkende Agrarpreise war diese Not dann später nur noch bei der Landbevölkerung und bei Arbeitslosen. Ab 1827 stiegen die Agrarpreise wieder und damit auch die Not. Es gab einen ausgeprägten Pauperismus (Armut - Verelendung), der auch noch wuchs. Dieser Pauperismus war vor allem auf dem Land verbreitet. Auch durch die Bauernbefreiung gerieten arme Bauern in Not, weil sie die Ablösungssummen nicht bezahlen konnten. Die Armen waren eine erhebliche und zunehmende Belastung für die Gemeinden.

1.1.3.3.2 Die Lage von 1835 - 1873

Im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts trat eine Verschlechterung der Einkommenslage auf. Das Reallohnniveau war zwar gestiegen, trotzdem war die Einkommenslage weiter Bevölkerungskreise schlecht. Viele Menschen hatten kein Land mehr und mussten deshalb die Lebensmittel kaufen, dafür waren etwa 2/3 des Einkommens auszugeben. Außerdem waren die Preise sehr marktabhängig.

Die Arbeitsbedingungen waren äußerst schlecht. Um einen normalen Wochenlohn zu erhalten mussten 90 und mehr Stunden gearbeitet werden. Zeit zum Schlaf gab es oft nur sechs Stunden. Um die Familie zu ernähren, musste die Frau mitarbeiten, Frauen am Bau waren eine Selbstverständlichkeit. Bei Kinderarbeit ab vier Jahren waren auch 13 Stunden am Tag und 11 Stunden Arbeit bei Nachtschicht an der Tagesordnung. Sie erhielten nur ein Viertel des Lohnes der Erwachsenen, obwohl diese nicht das Vierfache produzierten. Aus einem amtlichen Bericht der preußischen Regierung von 1824 sei zitiert: "Bleiche Gesichter, matte und entzündete Augen, geschwollene Leiber, aufgedunsene Backen, geschwollene Lippen und Nasenflügel, Drüsenschwellungen am Halse, böse Hautausschläge und asthmatische Zustände unterscheiden sie in gesundheitlicher Beziehung von anderen Kindern derselben Volksklasse, welche nicht in Fabriken arbeiten."

Hinzu kommen die schlechten Wohnverhältnisse. Die bis vier Quadratmeter pro Person, enge Bebauung, schlechte sanitäre Verhältnisse waren an der Tagesordnung. Die extremsten Auswüchse entstanden aber erst später. Fehlender Schutz vor Witterungseinflüssen bei Kleidung und Heizung taten ein Übriges. Ein Überangebot an Arbeitskräften verschlechterte die Situation erheblich.

Die Arbeitsbedingungen waren äußerst gesundheitsschädigend. Längerwährende Krankheit des Arbeiters stützten ihn und seine Familie in eine Existenzkrise. Lohnfortzahlung war unbekannt. Es war auch höchst unsicher, ob ein Arbeiter nach seiner Erkrankung wieder eingestellt wurde. Die Arbeitskraft konnte kaum über das 45. Lebensjahr hinaus erhalten werden. Das war noch bis zu Beginn des Ersten Weltkrieges so. In einer Maschinenfabrik in Esslingen waren 1910 86% der Arbeiter unter 40 Jahren. Altersversorgung gab es keine, es war auch bei den geringen Löhnen nicht möglich, eine solche durch Vermögensbildung aufzubauen. Wenn die Leistung abnahm sank auch der Lohn. Dies bedeutete ab dem 5. Lebensjahrzehnt eine erhebliche Lohnminderung.

Ab 1839 gab es in Preußen ein Gesetz, dass Kinderarbeit bis 9 Jahren verbot und Jugendliche schützte, zwischen 9-16 Jahren durften maximal 10 Stunden täglich gearbeitet werden. Letztlich war der Grund die Abnahme der Tauglichkeit der Rekruten. Die Kontrollmöglichkeiten waren aber gering. Der Frauenschutz beschränkte sich auf Tätigkeit in Bergwerken und anderen erschwerten Tätigkeiten.

Juristisch war der Arbeitgeber nahezu frei. Die Arbeitsverträge waren einseitige Diktate, sie waren fast ohne Rechtsgrundlage, reines Privat- vorwiegend Eigentumsrecht. Die diktierte Arbeitsordnung ersetzte lange Zeit das Arbeitsrecht. In einer Arbeitsordnung von 1846 waren von 26 Artikeln 15 Verbote angeordnet und entsprechende Strafen angedroht. Die Disziplin war streng und wurde mit Strafen aufrecht erhalten. Die menschliche Arbeitskraft fiel nicht unter die Kategorie Eigentum und war deshalb nahezu ungeschützt. Die Löhne waren kümmerlich, die Arbeitszeiten lang, die Kündigungsfristen kurz und es gab zahlreiche Kündigungsgründe. Erst 1845 wurde das Trucksystem verboten, Arbeiter mit Produkten der Firma zu entlohnen. Arbeitsunfälle waren sehr verbreitet. Wenn die Arbeiter und die Familie nicht in der Lage waren, diese Not zu überbrücken, traten die Gemeinden ein in Fortsetzung der vorindustriellen karitativen Regelungen, die auch oft von den Kirchen getragen worden waren. Wohlfahrt, Fürsorge und Sozialhilfe sind Begriffe von damals, dies sich bis heute erhalten haben.

Es wurden aber auch die ersten Betriebskassen und Hilfskassen gegründet. Die erste ist schon von 1717 bekannt, die Mehrzahl wurde ab 1835 gegründet, so z.B. Krupp 1936. Zuerst waren es Krankenkassen, etwa mit 20 Jahren Verzögerung kamen Alterskassen hinzu. In Preußen gab es vor der Einführung der Sozialversicherung Sozialeinrichtungen in 4850 Betreiben mit etwas über 600.000 Arbeitern. Was in Einzelnem davon wirklich für den Arbeiter nützlich war lässt sich aus dieser Zahl nicht ersehen. Mitte der 50er Jahre konnten die Gemeinden in Preußen Hilfskassen nach dem Versicherungsprinzip einrichten, weil die Gemeinden zur Entlastung ihrer Etats davon Gebrauch machten, ging die Zahl von Neugründungen von Betriebskassen zurück. Das ganze Versicherungssystem der Beitriebe blieb aber lückenhaft und deckte nicht die für den Lebensunterhalt notwendigen Leistungen.

1853 konnten sich noch zwei Drittel der Arbeiter eine Maschinenfabrik in Esslingen vom Arbeitslohn allein mit ihrer Familie nicht auskömmlich leben. Die Ernährung erfolgte überwiegend mit Brot und mit Butter, die oft so verfälscht war, das man sie kaum herunterwürgen konnte. Ein Viertel Kaffee und ein Pfund Gerste für Kaffee war dann alles. Das gemeinsame Kartoffelabendessen wurde vielleicht zweimal pro Woche durchs einen Salzhering, Quark oder eine mit Talg hergestellte Mehlschwitze ergänzt. Sonntags gab es für fünf Personen ein halb Pfund Rindfleisch. In der Fabrik gab es tägliche etwa 60 Gramm Käse oder eine Salzgurke zur Vesper. Kleidung und Schuhe wurden oft beim Trödler gekauft. Hausrat und Möbel war zumeist bei der Familiengründung schon alt. Es war bei dem wenigen Wohnraum auch nicht viel möglich.

Das Realeinkommen war von 1800 bis 1820 erheblich gestiegen, von 100 auf 240%, um dann auf 210 zu sinken auf diesem Niveau blieb es bis in die 80er Jahre. Im 2. Drittel des 19. Jahrhunderts war die Einkommenslage schlechter als um die Jahrhundertwende zuvor. Kurzfristige Schwankungen brachten immer wieder Hungerkrisen mit sich. Eigentlich wurde die Einkommenslage der gewerblich Arbeitenden von 1825-1855 schlechter, da hohe Arbeitslosigkeit herrschte und viele Familien sich vom Arbeitseinkommen einer Person ernähren mussten. Ganz im Gegensatz dazu stieg das Einkommen aus Kapital erheblich.

1.1.3.3.3 Die soziale Lage von 1873 - bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914

Etwa ab 1883 beginnt ein langfristiger stetiger Anstieg de realen Einkommen. Die Löhne stiegen von 1873-1914 real um 25%. Die reale Steigerung war bedingt durch den Rückgang der Getreidepreise zu Beginn des 20. Jahrhunderts und anfänglich einen Rückgang der Preis für gewerbliche Produkte. Es kamen natürlich durch die Urbanisierung auch neue Ausgaben hinzu, die die Menschen auf dem Land nicht hatten. Die Lohnverbesserung führte starken Abnahme in der Auswanderung ab Mitte der 80er Jahre, die Zuwanderer aus anderen Ländern übertraf bald die Zahl der Auswanderer, und der Geburtenüberschuss steigerte sich.

Die Industrie benötigte für ihre schnell wachsenden Betriebe Arbeitskräfte (Krupp hatte 1835 62, 1873 16.000 und 1914 38.000 Beschäftigte). Das Dienstleistungsgewerbe, Militär und Verwaltung, Verzehrer von Pensionen zogen überwiegend wegen des kulturellen Angebotes in die Städte. Die Bebauung der Städte spaltete sich auf in Villengegenden und dichtbebaute Arbeiterviertel. Die einkommensschwachen Schichten konnten keine hohen Mieten zahlen, die ständig steigenden Wohnkosten und die stärkere Belastung des Arbeitseinkommens durch die Wohnungsmiete führten zu einer Verschlechterung und Verdichtung der Wohnverhältnisse. Arbeitersiedlungen mit kleinem Garten und "Bergarbeiterkuh" (Ziege) waren fast schon das Paradies. Ein beheizbarer Raum zumeist auch Kühe war üblich. Die meisten kläglichen Behausungen kosteten 1904 mehr als 75 Mark. Eine Wohnung für fünf Personen hatte alles in allem etwa 18 qm. Mieterschutz gab es nicht die Spur. Der Wohnungswechsel war enorm, von 415.000 städtischen Wohnungen in Sachsen waren 1910 ein Fünftel noch kein Jahr und die Hälfte weniger als drei Jahre von demselben Mieter bewohnt.

Familienleben gab es unter solchen Verhältnissen kaum. Für ein Arbeiterfamilie begann der Tag um 4 in der Früh meist nach 5-6 Stunden Schlaf, dann kamen 12 Stunden Arbeitszeit etwa mit einer Stunden Pause, für Frauen etwas mehr. Immerhin war die Arbeitszeit schon von 14 auf 10 Studen gesunken. In dieser Situation waren die Kinder sich selbst überlassen und die Erziehung der arbeitenden Eltern am Abend beschränkten sich oft auf Durchprügeln und Einsperren, entsprechend war en auch die schulischen Leistungen, so dass de Status des Arbeiters fast erblich war.

1.2 Die Entstehung der Arbeiterbewegung

1.2.0 Grundansätze der entstehenden Arbeiterbewegung

In der Arbeiterbewegung sind vom Ansatz her drei Grundansätzen zu unterschieden, die aber oft auch gemischt waren.

Es gab politische Gruppierungen im Sinne heutiger politischer Parteien

Daneben bestanden Vereinigungen, die sich auf die eigentlichen Probleme der Arbeiter konzentrierten, sie waren mit den heutigen Gewerkschaften vergleichbar

Dann gab es Vereinigungen die außerhalb von Politik und der Durchsetzung von Arbeiterrechten arbeiteten, wie z.B. Arbeiterbildungsvereine

1.2.1 Die Entwicklung der Arbeiterbildung

Der Beginn der Arbeiterbewegung, der Erwachsenenbildung und der Arbeiterbildung fallen in Deutschland zeitlich fast zusammen. Anfang der dreißiger Jahre des 19. Jahrhunderts bilden sich im Ausland deutsche Auslandsvereine, ein Teil als Arbeiterbildungsvereine. Bildung und gesellschaftliche Verhältnisse hängen also eng zusammen. Dies ist ein Erbe der Aufklärung. Der Mensch und seine Gesellschaft sollen "vernünftig", damit "menschlich" gestaltet werden. Der Frühsozialismus nimmt diesen Zusammenhang in seiner Theorie auf. In Hamburg entsteht ein "Bildungsverein zur Hebung der arbeitenden Klasse". In den Bildungsvereinen kündigt sich ein Streben nach Verbesserung der sozialen Lage an, die vor und nach 1848 in sozialistische und kommunistische Bewegungen übergeht. Dabei werden auch bildungspolitische Ziele vertreten, z.B. allgemeiner unentgeltlicher Schulunterricht und es verbreitet sich das Schlagwort von Gustav Struve: "Wohlstand, Bildung und Freiheit für alle". In der Zeit der Reaktion nach 1848, endgültig 1854, werden alle Arbeitervereine, außer den konfessionellen Vereinen, in allen Bundesländern verboten, bzw. das vorhandene Verbot durchgesetzt.

Gegen Ende der 60er Jahre entwickeln sich in einer Liberalisierung neue Arbeiterbildungsvereine, wobei eine Diskussion darüber entsteht, ob die Durchsetzung des allgemeinen Wahlrechtes nicht mehr ein Mittel der Emanzipation der Arbeiter sei als die Bildung. Wilhelm Liebknecht formuliert 1872 in einem Vortrag das Wort: "Wissen ist Macht - Macht ist Wissen". Damit wollte er auch erklären, warum die Mächtigen sich das Wissen vorbehalten wollten. Nach Liebknecht konnte eine harmonische Entwicklung aller Fähigkeiten nur erreicht werden durch "Verkürzung der Arbeitszeit, durch Wechsel der Beschäftigung und eine wahrhaft menschliche Erziehung." Damit würde die Entfremdung der Arbeit aufgehoben. Dies widerspräche aber den Interessen der herrschenden Klasse. Hier wird das Thema nach menschenwürdiger Form des Lebens der Arbeiter erstmals umfassend formuliert. Für Liebknecht ist, wie für andere Sozialisten, die Kirche ein Werkzeug des Klassenstaates und ein guter Sozialist kann deshalb nur ein guter Atheist sein. Auch aus taktischen Gründen hat Liebknecht später Gewissensfreiheit auch in religiösen Fragen zugelassen. Das Endziel aber war die Überwindung der Religion. Diese Religionsfeindlichkeit in der sozialistischen Richtung wurde eine erhebliche Belastung für die Arbeiterbewegung. In diesem Konflikt der Väter des Sozialismus und Marxismus liegt die bis heute nicht aufgearbeitete Spannung zwischen Kirche und Arbeiterschaft mit begründet. Das gilt auch für das Verhältnis von Kirche und Sozialdemokratie und auch von weiten Kreisen in den Kirchen zu den Gewerkschaften. Dabei darf die Schuld nicht einseitig bei den Sozialisten und Marxisten gesehen werden. Die kirchliche Leitung war in der damaligen Zeit doch eher für den Erhalt der bestehenden Ordnung und damit der Arbeiterbewegung nicht besonders freundlich gesonnen.

Die Anfang der 90er Jahre von Liebknecht in Berlin eröffnete Arbeiterbildungsschule sah etwa 5.000 Arbeiter in ihren Kursen. Die Zahl sank aber schnell, weil der direkte Weg zur Emanzipation durch Bildung von den Arbeitern nicht erkannt werden konnte. Weniger die Einsicht in die gesellschaftlichen Zusammenhänge war gewünscht, dafür mehr Bildung in Stenographie, Buchführung, Rechnen und Deutsch.

Die herrschenden Schichten waren im vorigen Jahrhundert besonders gegen den nach ihrer Ansicht überspannten Bildungsdrang in der Volksschule - so auch der Kultusminister Eichhorn in Preußen 1840. Woanders wurden Arbeiterbildungsvereine gänzlich für überflüssig gehalten und deshalb aufgelöst, und der Generaladjutant Friedrich Wilhelms IV. Leopold von Gerlach erklärte 1837, er sei dagegen, "sich Dienstboten zu nehmen, die in der Schule etwas gelernt hätten ... sie (die Jugendlichen) müssen in wenigen Dingen unterrichtet aber mehr zur Erfüllung ihrer Pflichten, zur Treue und zum Gehorsam erzogen werden" War dies genau der Grund, warum kirchliche Arbeiterbildungsvereine nie dem politischen Auflösungsedikt verfielen?

In den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts wurde eine Gesellschaft für Verbreitung von Volksbildung gegründet, die die liberalen Arbeitervereine sammeln sollte. Ihre Stoßrichtung ging einerseits gegen konservative und sogenannten jesuitische Römlinge, andererseits gegen Kommunisten und Sozialdemokraten. Versucht wurde hier vor allem eine Abgrenzung zur entstehenden Katholischen Arbeiterbildung zu finden und ein Gegengewicht zu sozialdemokratische Arbeiterbildungsaktivitäten zu setzen.

Diese Spannungen heilten sich lange durch und gingen auch in die kirchliche Äußerungen ein, bzw. Wurden von diesen immer wieder neu angefacht. Es gilt aber, dass Arbeiterbildung immer ein Teil der Arbeiterbewegung war, es aber nicht leicht hatte, weil konkrete Fähigkeiten mehr gesucht waren als politische Erkenntnisse und daraus resultierende Handlungsmöglichkeiten. Das kam natürlich allen entgegen, die die bestehlenden Verhältnisse erhalten wollten.

1.2.2 Die Entstehung und Entwicklung der Gewerkschaften

Der Weberaufstand vom 4.-6. Juni 1844 in den schlesischen Orten Langenbielau und Peterswaldau war die erste proletarische Erhebung von großer und folgenreicher Bedeutung in Deutschland: Zum ersten Mal entluden sich soziale Spannungen des Vormärz (vor dem März 1848,Beginn der Revolution) in Gewalt und stießen auf ein breites öffentliches Interesse. Der Aufstand richtet sich gegen die Unternehmer, die für die katastrophalen Bedingungen der Weber verantwortlich waren. Ihre Lage hatte sich über Jahrzehnte verschlechtert, einmal wurde die Nachfrage geringer, zum anderen wuchs der englische Konkurrenzdruck. Diesem wurde mit niedrigeren Löhnen und höherer Arbeitszeit begegnet. Das führte zur Verelendung der Weber.

Der Aufstand begann in Peterswaldau beim Verlegerhaus der Gebrüder Zwanziger vergaben (Rohstoffankauf und Vertrieb erfolgten durch den Verleger, die auch die Preise diktierten), die durch besonders harte Lohnpolitik zu Reichtum gelangt waren. Die Weber legten die Arbeit am 4. Juni nieder, sammelten sich und forderten höheren Lohn. Als ihre Forderungen abgelehnt wurden, stürmten und verwüsteten sie die Gebäude, etwa 3000 Weber sowie anderer Arbeiter zogen nun von Fabrikanten zu Fabrikanten, teilweise kauften sich diese durch Zugeständnisse frei. Inzwischen griff das Militär ein, um Lohnauszahlungen zu regeln, es kam zu Ausschreitungen und das Militär beende den Aufstand gewaltsam .Über den Tag hinaus hatte aber dieser Aufstand seine Bedeutung. In der Kunst wurde er von Heinrich Heine, Gerhard Hauptmann und Käthe Kollwitz bearbeitet.

Die ersten Zusammenschlüsse der Arbeiter waren weniger ideologisch begründet, sondern gingen in der Regel um konkrete Anliegen durch die die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Arbeiter verbessert werden sollten. Von Bedeutung waren auch die Versicherungsvereine zur Selbsthilfe in Krankheit, im Sterbefall und bei Wanderungen. Streikvereine wurden eher von Fall zu Fall gebildet.

Nicht die Ärmsten wurden Vorkämpfer entsprechender Organisationen, sondern die Handwerker/Gesellen-Arbeiter. Tagelöhner und Heimarbeiter hatten weder Tradition noch Erfahrung und Selbstbewusstsein, weiterhin auch keine finanziellen Möglichkeiten , um ihre Aufbegehren in Organisationen zu verstetigen. Die Handwerksgesellen waren organisiert und empfanden die Ausgestaltung des Arbeits- und Lohnverhältnisse im Kapitalismus als einen Angriff auf ihre Standeswürde. Aber es war für sie schwieriger geworden Handwerksmeister zu werden und auch ihre Arbeit war durch die Maschinen zerstückelt worden. Sie wurden Träger des Organisationsgedankens. Sie schufen die ersten Verbände die teils berufsständische, teils radikale demokratische Ziele verfolgten. In diesen Zusammenhang gehörten auch die 1847 erstmals gegründeten Gesellenvereine. Genannt seien aber auch die katholischen Arbeitervereine (1849 Regensburg). Über beide wird später noch zu reden sein.

Als politische Reaktion darauf wurde in der Preußischen Gewerbeordnung von 1845 der Streik verboten und die Bildung von Verbindungen unter Fabrikarbeitern, Gesellen, Gehilfen oder Lehrlingen ohne polizeiliche Erlaubnis unter Strafe gestellt.

Die unter dem politischen Druck Ausgewanderten bildeten in Paris 1834 den "Bund der Geächteten" von dem sich 1837 der "Bund der Gerechten" abspaltete, der dann unter dem Einfluss von Marx und Engels 1847 in den Bund der Kommunisten überging.

Die Revolution von 1848 war eine bürgerliche Revolution aber unter erheblicher Beteiligung von Handwerkern und Arbeitern, die auf die Barrikaden gingen und auch für wirtschaftliche und soziale Ziele kämpften. In dieser Zeit wurde die Notwendigkeit einer Organisation erkannt, mit der Presse, Vereins- und Versammlungsfreiheit wurden dafür jetzt auch die Voraussetzungen da. So wurde 1848 der Allgemeine Arbeiterkongress nach Berlin einberufen, auf dem die "Arbeiterverbrüderung" gegründet wurde. Dazu wurden auch Forderungen zur sozialen Selbsthilfe, zur Gründung von Produktions- und Konsumgenossenschaften, zu 10-Studentag und zur sozialen Selbsthilfe aufgestellt. Einladender war das aktive Berliner "Zentralkomitee für Arbeiter" Weitere Forderungen zur Verbesserung der sozialen Lage kamen hinzu, z.B. die Beschäftigung von Arbeitslosen in Staatsanstalten, die Bildung von Musterwerkstätten und eine staatliche Hilfe für alle Hilflosen und Invaliden. Die sozialen Forderungen hatten aber in der Nationalversammlung in Frankfurt 1848 keine Resonanz.

Die erste Gewerkschaft gründeten 1848 in Mainz Delegierte von 12.000 Druckern und Setzern. Sie verlangten Schutz vor sozialem Abstieg bedingt Druck die Maschinen und Absicherung der Risiken von saisonaler Arbeitslosigkeit und ein Versicherungswesen. Anfangs hatten Prinzipale (Druckereibesitzer) die Bestrebungen mit getragen, als aber ein Setzer- und Druckertarif gefordert wurde kam es zu mehreren Arbeitskämpfen. Der Beschluss wurde aufgehoben und es wanderten Gesellen vom "Allgemeinen Deutschen Buchdrucker-Verein" in den dann gegründeten "Gutenberg-Bund" ab, der ursprünglich auch von den Prinzipalen mit getragen wurde. Er wollte sein Ziel durch Verhandlung erreichen. Diese Aktivitäten zeigten den Weg zu Gewerkschaften auf.

Nachdem in Deutschland sich die Reaktion 1849 politisch durchsetzte trat eine Phase des Stillstandes auf. Die kurz darauf erlassenen Polizeigesetze wurden ausgiebig genutzt, um jede Form von Selbstorganisation der Arbeiter zu zerschlagen. Zuerst lebten die Versicherungskassen weiter. Sie wurden aber zum Teil in staatliche Einrichtungen umgewandelt. In den Katholischen Vereinen, genossenschaftlichen Organisationen (gegründet wie z.B. durch den Westerwälder Raiffeisen) die nicht verboten wurden, lebten der Gedanke weiter. Im Gegenzug versuchte der Staat durch behutsame staatliche Eingriff die übelsten Missstände z.B. in der Kinderarbeit einzudämmen.

Inzwischen erhöhte sich die Zahl der Arbeiter aber immer mehr. E bildete sich eine Klassengesellschaft heraus. Kirchen und Parteien nahmen sich der Arbeiter an. Das Zentrum nahm 1877 den ersten Arbeiter in die Reichstagsfraktion auf.

Die zweite und eigentliche Gründungswelle der Gewerkschaften setzt 1861/62 mit der Gründung des Leipziger Buchdruckergehilfenvereins. Diese Gewerkschaftsidee verbreitete sich in zahlreichen Städten. Der "Dreigroschenstreik" (Einsatz für einen besseren Akkordlohn) 1865 in Leipzig führe zwar zu eine Niederlage der Buchdrucker aber zu einem Wachsen der Solidarität. Danach wurde 1866 der deutsche Buchdruckerverband gegründet. Die nächsten waren die Bergleute. Tausende von ihnen hatten 1867 eine Petition ohne Erfolg an das zuständige Ministerium geschrieben, deshalb kam es 1872 zum Streik. Trotz der Niederlage kam es danach zur Gründung der Bergarbeitergewerkschaft.

Die Erfahrung des Arbeitskampfes spielte bei allen Gründungen eine große Rolle. Die Zahl der Arbeitskämpfe erhöhte sich in der Konjunkturkrise um 1872/73 auf ??? 282 in Deutschland, viele Berufsgruppen gründeten Arbeiterverbände. 1968 wurde in Berlin der Allgemeine Deutsche Arbeiterschaftsverband (ADAV) gegründet. Das Ziel waren "die Wahrung und Förderung der materiellen Ziel der Arbeiterklasse." Dabei kam es zu einer Abspaltung der liberalen Richtung, diese wollten friedliche Konfliktregelungen und den Streik als letztes Mittel. Sie wurden als „Interessenvertreter der Kapitalisten" aus dem Saal verweisen. Sie bildeten dann die unter Hirsch den Hirsch-Dunkerschen Verband der „Deutschen Gewerkvereine". Hinzu kamen noch die internationalen Gewerkschaftsgenossenschaften die sich nach der Eisenacher SDAP von August Bebel und Karl Leibknecht richteten.

Im Jahr 1889 bildeten einige nationale Druckergewerkschaften das erste internationalen Gewerkschaftssekretariat. 1901 bildeten mehrere nationale Gewerkschaften den späteren Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB).

Die Niederlagen bei Streiks, die Härte der Arbeitgeber und der Krieg 1870/71 ließen die Gewerkschaften wieder schrumpfen. Es kam zu einer Krise in der wirtschaftlich schwierigen Situation 1873. Eine Einigung der Gewerkschaften kam nicht zustande. Die Bestrebungen gingen aber weiter. 1878 kam das von Reichskanzler Otto von Bismarck betriebene „Sozialistengesetz". Es richtete sich „wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie„ im Deutschen Reich. nachdem angebliche Anarchisten auf Kaiser Wilhelm I. zwei (gescheiterte) Attentate unternommen hatten, die den Sozialdemokraten zugeschrieben wurden. Der Staat erwies sich als so genannter Klassenstaat. Bereits zuvor hatte man die Arbeiterführer August Bebel und Wilhelm Liebknecht wegen Hochverrats inhaftiert. die sich gegen den deutsch-französischen Krieg ausgesprochen hatten, Die 1875 in Gotha gegründete Sozialistische Arbeiterpartei (SAP) sollte zerschlagen werden. Verboten wurden alle sozialdemokratischen, sozialistischen und kommunistischen Vereine, die den „Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung„ zum Ziel hatten dazu gehörten auch die Gewerkschaften. Das Gesetz richtete sich gegen die Organisationen, deren Publikationen und Versammlungen. Bei Zuwiderhandlungen konnten Geld- und Gefängnisstrafen verhängt werden. Nicht aufgelöst wurden die Vereine, die sich parteipolitisch für neutral erklärt hatten und nicht politisch an die Sozialisten und deren Leitungsanspruch in der Arbeiterbewegung anlehnten. Die neun Abgeordneten der SAP im Reichstag konnten jedoch weiterarbeiten, ebenso durfte sich die SAP weiterhin an Reichstagswahlen beteiligen. Tarnorganisationen entstanden. Das Gesetz war auf 2 1/2 Jahre befristet, wurde aber bis 1890 verlängert.

Ab 1880 im Bewusstsein des Sieges wurde die Aufmerksamkeit der Polizei geringer und es konnten sich wieder vorsichtig lokale Organisationen bilden und Decktiteln wie Fachvereine, Kranken- und Sterbekassen, Unterstützung bei Arbeitslosigkeit usw. bilden. 1888 gab es schon wieder 40 Zentralverbände.

Ab 1883 wurden die ersten Sozialversicherungsgesetze geschaffen. Sie waren schon in der Thronrede von Wilhelm I. 1881 angekündigt worden.

Die Krankenversicherung 1883 wurde zu zwei Dritteln von den Arbeitern, zu einem Drittel von den Arbeitgebern getragen. 1/3 der Mitglieder waren in den neuen örtlichen Krankenkassen, der Rest weiterhin in Betriebskassen, dies änderte sich aber zu Gunsten der örtlichen Kassen. Dabei waren neben den Arbeitern auch die Angestellten mit einem Einkommen von weniger als 2000 Mark. 1858 zählte man über 4.2 Millionen, 1914 über 15 Millionen Mitglieder. Geleistet wurde für ärztliche Behandlung, Arzneimittel und Krankengeld bei Arbeitsunfähigkeit ursprünglich für 13, später bis zu 26 Wochen.

Die Unfallversicherung von 1884 war ein berufsgenossenschaftliche Haftung für Arbeitgeber für Betriebsunfälle. Gezahlt wurden Krankenversorgung zur Wiederherstellung der Arbeitskraft, Erwerbsunfähigkeitsrente, Hinterbliebenenrente und Sterbegeld.

1889 wurde die Alters- und Invaliditätsversicherung geschaffen. Die Rente für ein vorgesehenes Arbeitseinkommen von 1000 Mark lag zwischen 142,50 und 390 Mark je nach Versicherungsdauer. Es war wirklich nur eine Mindestsicherung, keine Lebensstandardsicherung. Die Altersrente trat mit 70 Jahren ein, bei Einführung ohne Wartezeit, dann später eine Wartezeit von 23 Jahren. Vor dem ersten Weltkrieg wurden noch 10% der Renten als Altersrente bezahlt, aber 90% als Invalidenrente, die meisten erreichten also die Altersgrenze überhaupt nicht.

1911 wurde ein Angestelltenversicherung für Angestellte bis 5000 Mark geschaffen. Diese wurde nicht über Landesversicherungsanstalten sondern zentral über eine Reichsversicherungsanstalt in Berlin abgewickelt.

Ebenfalls 1911 wurden alle Gesetze in einer Reichsversicherungsordnung zusammengefasst. Eine Arbeitslosenversicherung scheiterte, die Gemeinden mussten weiterhin die Last der Armenversorgung vor allem auch der Arbeitslosen tragen, dabei wurden sie von den Kassen der Gewerkschaften unterstützt.

1888 wurde Wilhelm II. Kaiser von Deutschland. Wegen seiner militanten Außenpolitik und seiner sozialen Innenpolitik geriet er in Konflikt mit Bismarck, den er 1890 entließ. Im gleichen Jahr wurden die Sozialistengesetze aufgehoben. Bei Aufhebung hatte die SAP die ihre Wählerstimmen mehr als verdreifacht und war damit, jetzt als Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), stärkste Wählerpartei im Deutschen Reich.

Es wurden Arbeitsschutzgesetze eingeführt. Dazu gehörte die Bildung von Arbeiterausschüssen, die Sonntagsruhe die Höchstarbeitszeit für Frauen und Jugendliche auf 10-11 Stunden. Es wurden Gewerbegerichte eingeführt aus denen später die Arbeitsgerichte hervorgingen. Trotzt aller Maßnahmen stieg der Zulauf zur SPD und der Kaiser wandte sich wieder mehr konservativen Kreisen zu. Auch die Gesetzgebung gegen die Arbeiter sollte sich wieder verschärfen entsprechende Vorlage fanden aber im Reichstag nicht mehr die notwendige Mehrheit.

Die Streikbewegungen von 1889/90 boten den Anstoß zum Zusammenschluss der sozialdemokratischen Gewerkschaften. 1890 wurde die Gerneralkommission der Gewerkschaften Deutschlands gegründet. Die einzelnen Verbände bildeten Zentralverbände. Sie wurden von Berufsverbänden mehr und mehr zu Industrieverbänden. Der Dachverband war kein eigentlicher Zentralverband. Das Unterstützungwesen der Gewerkschaften wurde ausgebaut. Örtliche Arbeitersekretariate berieten die Arbeiter in rechtlichen Fragen. Trotz mancher ungelöster Organisationsfragen wuchs die Mitgliederzahl dauernd. Die freien Gewerkschaften hatten 1882 215.000 vor 1913 2.5 Millionen Mitglieder. Damit ließen sie die anderen Gewerkschaften hinter sich. Die Hirsch-Dunkerschen Gewerkvereine hatten zum gleichen Zeitpunkt etwa 106.000 Mitglieder, die 1894 gegründeten christlichen Gewerkschaften, über die später noch zu sprechen sein wird, waren inzwischen auf über 341.000 Mitglieder gestiegen. Auf dem Höhepunkt 1929 waren dies etwa fünf Millionen freie Gewerkschaften, ??? 1920 über 1.1 Millionen Christliche Gewerkschaften und 226.000 Hirsch-Dunkersche Gewerkvereine.

Gleichzeitig entwickelten sich als Gegenmacht auch die Organisationen der Arbeitgeberverbände. 1875 wurde der Centralverband deutscher Industrielle und 1895 der Bund deutscher Industrieller. Viele örtlich und regionale Organisationen schlossen sich bis 1913 zu 3670 Verbänden, davon 121 Reichsverbänden zusammen.

Es entstand aber die Frage, ob die freien Gewerkschaften der Partei gleichberechtigt waren oder ihr untergeordnet. 1875 anerkannten die Gewerkschaften den Primat der Politik und beschränkten sich auf den wirtschaftlichen Kampf. Die Konflikte bleiben aber nicht aus. Die Gewerkschaften emanzipierten sich immer mehr aus der Vormundschaft der SPD und entwickelten eigene politische Vorstellungen vor allem in der Sozialpolitik. 1902 wurde noch erklärt, das Gewerkschaftsbewegung und Sozialdemokratie eins seien. Gerade diese Verbindung führte ja auch zur Gründung und dem Wachsen der christlichen Gewerkschaften, die sich von der Sozialdemokratie nicht Religionsfeindlichkeit vorschreiben lassen wollten. Starke Kräfte der Partei wollten den politischen Generalstreik, die Gewerkschaften lehnten ihn ab. 1906 kam es im Mannheimer Abkommen zu einer Gleichberechtigung von Partei und Gewerkschaften.

1.2.3 Die Entwicklung der politischen Ideen und der Parteien

1.2.3.1 Die geistigen Strömungen in Frankreich und England

Die gedanklichen Entwicklungen sind vor allem in Frankreich durch die französische Revolution und in England durch die frühere Entwicklung der Industrialisierung zuhause.

Die Ziele der französischen Revolution, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit werden zu Grundlagen dieser Überlegung in Frankreich. Die neue Situation vor allem der arbeitenden Menschen zwingt auch zu neuen Überlegungen auf dieser Basis.

François Babeuf (1760-1797) gehörte der Generation der französischen Revolutionäre an und war Jakobiner. In der von ihm herausgegebenen Zeitung der "Volkstribun" veröffentlichte er 1795 sein Manifest der "Plebejer". Wichtige Elemente dieses Manifestes waren die Abschaffung des privaten Grundbesitzes und die gleichmäßige Verteilung sowohl des Bodens als auch der Ernteerträge. Er war der Auffassung, dass die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln den Gewerbefleiß nicht beeinträchtige, sondern erhöhe, weil keine Konkurrenz herrsche, sondern planmäßig gewirtschaftet würde. Er deutete ökonomischen Gegensatz als Krieg zwischen Reichen und Armen, verschiedene späterer Theorien werden schon vorwegnehmend angedeutet. Weil er das Direktorium stürzen wollte wurde er 1797 guillotiniert. Er gilt als Urvater des proletarischen Kommunismus.

Etienne Cabet (1788-1856) war eine französischer Sozialreformer und Publizist. Seine Theorien fanden eine große Anhängerschaft. Sie wurden nach seinem Roman Reise nach Ikarien als Ikarier bezeichnet wurden. Cabet nahm er an der Juli-Revolution teil, und anschließend wurde er in die Deputiertenkammer gewählt. Er wurde wegen Majestätsbeleidigung angeklagt; er floh nach London, wo er sich unter dem Einfluss der Schriften des englischen Humanisten Sir Thomas More aus dem 16. Jahrhundert sowie der Sozialreformbewegung Robert Owen's kommunistischen Ideen zuwandte. 1839 durfte Cabet nach Frankreich zurückkehren. 1849 wanderten Cabet und 280 seiner Anhänger in die Vereinigten Staaten aus und gründeten in Nauvoo (Illinois) eine Ikarier-Gemeinde. Diese Gemeinde umfasste nie mehr als 1 800 Mitglieder, und sie setzte nur wenige von Cabets Vorstellungen in die Tat um.

Sein Frühsozialismus wird häufig als utopischer Sozialismus bezeichnet. Er hatte ein positives und egalitäres Menschenbild. Die Ungleichheit der Menschen hielt er für einen gesellschaftlichen Effekt. Politische und soziale Gleichheit sind für ihn gut begründet. Er betrachtet eine solidarische Gütergemeinschaft für fruchtbringender als eine auf Privateigentum beruhende Konkurrenzgesellschaft. Die Gleichheit fängt schon im Erziehungssystem an, das bis zur Erwachsenenbildung geht. Die Gemeinschaft sollte eine Art Räterepublik sein. Er wollte sein System nicht mit Gewalt einführen, sondern in einer Übergangszeit von 50 Jahren ohne Blutvergießen eingeführt werden. Andererseits sah er auch ein gegenseitige Kontrolle des Lebenswandels vor, was ihm viele Gegner verschaffte.

Claude Henri de Rouvroy, Graf von Saint-Simon, (1760-1825entstammte einer verarmten Adelsfamilie, ging im Alter von 16 Jahren nach Amerika und nahm dort am Nordamerikanischen Unabhängigkeitskrieg teil. Er führte ein abenteuerliches Leben als Offizier, Bonvivant und Mäzen, erwarb Vermögen und verlor es. Während der Revolution und der folgenden Restauration formulierte Saint-Simon seine Gedanken zu einer neuen Ordnung der Gesellschaft. Er kritisierte den Adel und die und Geistlichkeit, die nach der Revolution wieder auf ihre alten Machtpositionen gelangte, als parasitär. Für ihn waren in der Zeit der beginnenden Industrialisierung die produktive "industrielle Klasse" sowohl Arbeiter, Bauern und Handwerker als auch Unternehmer und Bankiers, aber auch die Wissenschaftler, der Eckpfeiler der Gesellschaft Diese neue Klasse sollte Arbeit und Wohlstand zu schaffen und allen, vor allem auch den Ärmsten, zugute kommen zu lassen Eigentum sollte eingeschränkt werden. Es wird funktional aus Voraussetzung der Produktion gesehen. Er sah es als Aufgabe einer recht verstandenen Religion an, diese Entwicklung zu fördern und zu stabilisieren. In der Urkirche und im Mittelalter hätten die Herrschaftsmächte noch gewusst, dass die Stabilisierung der sozialen Ordnung ihre Aufgabe sei. Deshalb gilt Saint-Simon gilt als Begründer des religiös fundierten Sozialismus. Er strebte eine technokratische Eliteherrschaft an. Dies war kein echte Demokartei, Partizipation an der Politik wird nur durch Erfolge in Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst erreicht. Marx und Engels griffen auf seine Klassenbeschreibung zurück und entwickelten sie weiter.

Robert Owen (1771-1858) war ein britischer Unternehmer und Sozialreformer. Er war ab 1799 Mitbesitzer einer Baumwollspinnerei und verbot Kinderarbeit, beschränkte den Arbeitstag auf 10 1/2 Stunden und baute eine Mustersiedlung. Er vertrat die Auffassung, dass eine bessere Umwelt auch bessere Menschen hervorbrächte. Er schuf in der Siedlung vorbildliche Schulen und Läden, in denn die Arbeiter zum Selbstkostenpreis kaufen konnten. Sie Projekt war äußerst erfolgreich. Seine Reformen hatten Einfluss auf die englische Arbeitsschutzgesetzgebung. Ein Musterprojekt, das er in den USA durchführen wollte scheiterte an wohl der Unfähigkeit der Beteiligten.

Seine Erfolge in New Lanark brachte ihn mit vielen bedeutenden Persönlichkeiten zusammen. Dazu gehörten Königin Victoria, Großherzog Nikolaus von Rußland, der Präsident von Mexiko und der Präsident der USA. Er stieß aber mit seinen Ideen meist auf Misstrauen oder Desinteresse. Er verfasste viel sozialreformerische Schriften. Die Gewerkschaftsgründung, bei der er mitwirkte, zerbrach leider. Er rief eine Genossenschaftsbewegung ins Leben. Man kann ihn als den erfolgreichsten Frühsozialisten bezeichnen. Er war ein Kritiker des Geldes als Grund z.B. der Arbeitslosigkeit. Es müssten Assoziationen geschaffen werden, die die Waren direkt austauschten. Produkte müssten dem "Durchschnittswert der menschlichen Arbeit oder Kraft" bewertet werden. Geld sollte demnach Druck Arbeitszertifikate ersetzt werden. Mustersiedlungen, Gewerkschaften, Verkaufsassociationen, Genossenschaften sind nur einige seiner Ideen. Er ging zwar selbst zu Massendemonstrationen lehnte aber sozialrevolutionäre Gewalt ab. Hilfe zur Selbsthilfe könnte sein Konzept auch bezeichnet werden. Er entwickelte als Mitglied des Parlaments nach 1848 ohne Erfolg Gedanken zur Pacht und zur Zinssteuer sowie die Gründung von Volksbanken, die Kredite ohne Zinsaufschlag gewähren sollten.

Er entwickelte die Vision einer Gesellschaft, in der das moralische Verantwortungsgefühl des Einzelnen so weit entwickelt seien, dass jede Form der Regierung überflüssig sei. Deshalb wollte er alle Gewalten dezentralisieren und kommunalisieren, die Menschen sollten selbst über sich bestimmen können. Gewalt zur Durchsetzung von politischen Ideen lehnte er ab, im Idealzustand der Gesellschaft, er nannte ihn „Ordnung in der Anarchie„ würden die Menschen von selbst richtig Handeln. Proudhon musste von 1849 bis 1852 für seine Kritik an Louis Napoleon ins Gefängnis.

Charles Fourier(1772-1837) war ein Vertreter des utopischen Sozialismus. Er strebte eine Aufteilung des Staates in Genossenschaften an. Je etwa 300 Familien lebten demzufolge in einer großen Lebensgemeinschaft inmitten eines sehr produktiven landwirtschaftlich geprägten Raumes. In allen Gruppen sollte ein ausgefeilter Kanon das Zusammenleben sichern. Die Arbeit sollte nach Fähigkeit zugeteilt werden Alle Einkünfte gehörten der Gemeinschaft und verhalfen jedem zu einen sorgenfreien Leben. Die Institutionen von Ehe und Familie werden durch genau Vorschriften des Zusammenlebens ersetzt. Wichtig geworden ist Fourier für die Weiterentwicklung des Genossenschaftswesens.

Jean Joseph Louis Blanc (1811-1882) forderte die Ablösung der kapitalistischen Gesellschaft. 1840 gab er ein Schrift zum Thema "Die Organisation der Arbeit" heraus die bis 1850 neuen Auflagen erlebte. Er lehnte Revolutionen ab und sprach sich für eine gewaltfreie Umgestaltung der kapitalistischen Strukturen durch vom Staat unterstützte Arbeiterproduktionsgenossenschaften aus. Er entwickelte auch den Vorläufer des "ehernen Lohngesetzes" von Lassalle, nach dem die Konkurrenz unter den Arbeitern zur Abwärtsentwicklung der Löhne bis auf Minimallöhne führe.

Blanc war der Vertreter dessen, was mehr und mehr Sozialismus genannt wurde, während die Ansätze von Cabet für Kommunismus standen.

1.2.3.1 Von Weitling bis Marx und Engels

Von manchen wird Johann Gottlieb Fichte (1762-1814) als der "erste deutsche Sozialist der Neuzeit" bezeichnet. Er war ein Anhänger der französischen Revolution und der Philosophen Kant und Rouseau's. 1800 erschien sein Werk "der Handelsstaat". Es muss ein freiheitliches Gemeinwesen auf Vernunft begründet werden. Eigentum ist dazu da, das Leben aller Menschen in Würde zu gewähren, das hat der Staat zu garantieren. Das Liberale Wirtschaftssystem ist dafür ungeeignet, es muss ein ständisches Systems des Wirtschaftens entwickelt werden. Es gibt keine Arbeitslosigkeit, sondern eine gleichmäßige Verteilung der Arbeit. Um zu funktionieren muss sein Handelsstaat geschlossen sein, auch zum Ausland hin. Mit seinem Modelle wollte er einen weggehend mittelsständische egalitäre Gesellschaft schaffen.

Wilhelm Weitling, (1808-1871) war ein deutscher Frühsozialist und Publizist. Er wuchs in großer Armut auf. Als Wandergeselle kam er über Hamburg, Dresden, Prag nach Paris und schloss sich dort dem Bund der Geächteten an. 1839 beteiligte er sich an dem Aufstand gegen den König. Ab 1841 versuchte er in der Schweiz Arbeitervereine aufzubauen, er wurde im Zürcher Kommunistenprozess verurteilt und des Landes verwiesen. Über Preußen und England wanderte er in die USA aus, kehrte 1848 nach Europa zurück. In London entzweite er sich mit Karl Marx und ging wieder in die USA. Dort scheiterten seine Experimente mit urchristlich-kommunistischen Gemeinschaften. Er gab mit wenige Erfolg die Zeitschrift "Die Republik der Arbeiter" heraus und schuf eine erste kommunistische Theorie. Für ihn waren im Urzustand Eigentum und Herrschaft unbekannt. Das war "Zufriedenheit in Freiheit". Diese natürliche Ordnung muss im Kommunismus in einem "Paradies der Freiheit" wiedergewonnen werden. Es war brudermörderisch und ein himmelschreiender Akt der Ungerechtigkeit dass bei knapper werdendem Grund Menschen vom Bodenbesitz ausgeschlossen wurden. Die Durchsetzung des Privateigentums ist der Grund allen sozialen Übels. Sie bringt eine Gesellschaft von Egoisten hervor. Was danach an Wucher und Ausbeutung folgte war ein Ausfluss der Hölle. Auf dieser Baus entfaltete Weitling seine teilweise originellen Ideen des "harmonischen Zusammenlebens der Menschen".

Karl Heinrich Marx,(1818-1883) wurde am 5. Mai 1818 in Trier geboren. Er stammte aus einer jüdischen Familie, die christlich geworden war. Er war Philosoph und Nationalökonom, vor allem studierte er die Philosophie Hegels. Später wandte er sich mehr den Theorien Feuerbachs zu. Er war bei der Rheinischen Zeitung in Köln bald sogar als Chefredakteur, tätig, musste aber dem Druck des preußischen Staates weichen und ging 1843 nach Paris. Auch dort wurde er auf Druck der preußischen Regierung ausgewiesen und ging mit seiner Familie nach London. Dort traf er Engels mit dem er sich anfreundete, dieser unterstützte auch finanzielle seine Arbeit. Mit diesem gab er einer Reihe von wichtigen Veröffentlichungen heraus. Über Belgien kehrte er 1848 nach Deutschland zurück, musste aber nach dem Scheitern der Revolution wieder nach London zurückgehen, wo er auch starb. Mit Engels war er Mitglied im "Bund der Kommunisten" und entwarf mit diesem als Auftrag für den Bund das Kommunistische Manifest, das mit folgenden Sätzen anfängt:

"Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kommunismus. Alle Mächte des alten Europa haben sich zu einer heiligen Hetzjagd gegen dies Gespenst verbündet, der Papst und der Zar, Metternich und Guizot, französische Radikale und deutsche Polizisten."

Dieses Buch ist ein vernichtende Kritik an den bestehenden ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnissen und wendet sich an das internationale Proletariat mit dem Aufruf zum Klassenkampf.

Gemeinsam mit Friedrich Engels Begründer des sich wissenschaftlichen Sozialismus, später Marxismus genannt. Friedrich Engels, (1820-1895), sein Vater war Fabrikbesitzer und er erlernte den kaufmännischen Beruf und arbeitete später eine Filiale der Firma in England. Sie eigentliches Interesse galt der Philosophie. Mit seinem Geld konnte er Marx unterstützen. Er lernte ihn 1844 in Paris kennen. Nach einem kurzen Aufenthalt 1848 in Deutschland kehrte er nach England zurück und arbeitet erneut als Angestellter in einer Firma in Manchester, deren Teilhaber er später wurde. Er widmete sich aber überwiegend der wissenschaftlichen und politischen Arbeit und leitete ab 1870 die erste Internationale, die aber zusammenbrach, an der Gründung der zweiten Internationalen 1889 war er nicht unmittelbar beteiligt.

Die gedankliche und wissenschaftliche Leistung der beiden ist enorm. das Hauptwerk von Marx ist das "Kapitel"(1. Band 1867), der 3. Und 4. Band wurde von Engels nach dem Tod von Marx nach unterlagen vollendet. Dies Werk besonders begründete den wissenschaftlichen Ruhm von Marx, für Engels war es der "Anti-Dührung", die beste Darstellung der Grundlagen des Sozialismus. Von den vielen Denkansätzen von Marx und Engels soll hier kurz der auf den historischen Materialismus hingewiesen werden. Für sie war der Unterschied zwischen Kommunisten und Sozialisten eine Frage der Radikalität in Theorie und Praxis.

Mit dem Historischen Materialismus sollen die Entwicklung aller Gesellschaften erklärt werden. Der Mensch ist zuerst einmal ein Naturwesen, das in bestimmten gesellschaftlichen Zusammenhängen lebt. Vor allem Bewusstsein kommt zuerst einmal das Sein. In einer Gesellschaft sind die Produktivkräfte sind die Basis, die Verhältnisse der Produktion der Überbau. Für Marx und Engels ist die Geschichte aller bisherigen Gesellschaften eine Geschichte von Klassenkämpfen. Dazu Texte aus dem Kommunistischen Manifest:

"Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft (4) ist die Geschichte von Klassenkämpfen.

Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigner, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen.

In den früheren Epochen der Geschichte finden wir fast überall eine vollständige Gliederung der Gesellschaft in verschiedene Stände, eine mannigfaltige Abstufung der gesellschaftlichen Stellungen. Im alten Rom haben wir Patrizier, Ritter, Plebejer, Sklaven; im Mittelalter Feudalherren, Vasallen, Zunftbürger, Gesellen, Leibeigene, und noch dazu in fast jeder dieser Klassen wieder besondere Abstufungen.

Die aus dem Untergange der feudalen Gesellschaft hervorgegangene moderne bürgerliche Gesellschaft hat die Klassengegensätze nicht aufgehoben. Sie hat nur neue Klassen, neue Bedingungen der Unterdrückung, neue Gestaltungen des Kampfes an die Stelle der alten gesetzt.

Unsere Epoche, die Epoche der Bourgeoisie, zeichnet sich jedoch dadurch aus, daß sie die Klassengegensätze vereinfacht hat. Die ganze Gesellschaft spaltet sich mehr und mehr in zwei große feindliche Lager, in zwei große, einander direkt gegenüberstehende Klassen - Bourgeoisie Gesellschaft (5) und Proletariat...

Aber die Bourgeoisie hat nicht nur die Waffen geschmiedet, die ihr den Tod bringen; sie hat auch die Männer gezeugt, die diese Waffen führen werden — die modernen Arbeiter, die Proletarier.

In demselben Maße, worin sich die Bourgeoisie, d. h. das Kapital, entwickelt, in demselben Maße entwickelt sich das Proletariat, die Klasse der modernen Arbeiter, die nur so lange leben, als sie Arbeit finden, und die nur so lange Arbeit finden, als ihre Arbeit das Kapital vermehrt. Diese Arbeiter, die sich stückweise verkaufen müssen, sind eine Ware wie jeder andre Handelsartikel, und daher gleichmäßig allen Wechselfällen der Konkurrenz, allen Schwankungen des Marktes ausgesetzt.

Die Arbeit der Proletarier hat durch die Ausdehnung der Maschinerie und die Teilung (28) der Arbeit allen selbständigen Charakter und damit allen Reiz für den Arbeiter (29) verloren. Er wird ein bloßes Zubehör der Maschine, von dem nur der einfachste, eintönigste, am leichtesten erlernbare Handgriff verlangt wird."

Damit ist die Arbeit zu entfremdeter Arbeit geworden. Am Ende dieser Entwicklung steht die Weltrevolution mit der Aufhebung aller Klassen.

"Sind im Laufe der Entwicklung die Klassenunterschiede verschwunden und ist alle Produktion in den Händen der assoziierten Individuen konzentriert, so verliert die öffentliche Gewalt den politischen Charakter. Die politische Gewalt im eigentlichen Sinne ist die organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer andern. Wenn das Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse vereint, durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse aufhebt, so hebt es mit diesen Produktionsverhältnissen die Existenzbedingungen des Klassengegensatzes, der (80) Klassen überhaupt und damit seiner eigenen (81) Herrschaft als Klasse auf."

Beide haben sowohl die politischen Wissenschaften, die Ökonomie und Soziologie über lange Jahrzehnte beeinflusst, dieser Einfluss geht bis in unserer Zeit. Gerade die so genannten Kathedersozialisten, Professoren der Ökonomie wie Lujo Brentano und Gustav Schmoller, die sozialen Verhältnisse kritisierten und es als Aufgabe des Staates betrachten, diese zu ändern.

1.2.3.1 Die Entwicklung der sozialistischen Parteien

Ferdinand Lassalle (1825-1864) entwickelte das eherne Lohngesetz, wonach der Durchschnittslohn langfristig nicht über das Existenzminimum steigen würde, denn würde er sich verbessern, würden mehr Arbeiterehen geschlossen und das Arbeitsangebot würde höher und die Löhne wieder fallen. Er kämpfte auch für die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts. Die Theorien Lassalles beeindruckten sehr, er legte ein Programm für einen allgemein Deutschen Arbeiterkongress vor, und 1963 wurde der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) gegründet. Man wollte mit friedlichen Mitteln die Gesellschaft und den Staat verändern. Er wurde Opfer seines wohl etwas zweifelhaften Lebensstiles bei einem Duell.

Im gleichen Jahr gründete August Bebel (1840-1913) mit Anderen den marxistischen Verband Deutscher der Arbeitervereine. 1869 gründete August Bebel und Wilhelm Liebknecht (1826-1900, Vater von Karl Liebknecht) mit einigen Lassallianern in Eisenach die Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschlands (SDAP). Das Eisenacher Programm wurde verabschiedet, es war ein marxistisches Programm.

1875 vereinigten sich die Lassallianer offiziell mit der SDAP, das hing auch mit den Verboten durch die Sozialistengesetze zusammen. Die neue Verbindung nannte sich SAP. In der Zeit der Sozialistengesetze ab kämpfte die Partei ums Überleben. Es kam zum Gothaer Programm mit Gedanken des Programms von Lassalle, z.B. dem Vorschlag zur Einrichtung sozialistischer Produktionsgenossenschaften mit Staatshilfe. Dieses Programm wurde von Marx total verrissen.

"Die Chefs der Lassalleaner kamen, weil die Verhältnisse sie dazu zwangen... Man weiß, wie die bloße Tatsache der Vereinigung die Arbeiter befriedigt, aber man irrt sich, wenn man glaubt, dieser augenblickliche Erfolg sei nicht zu teuer erkauft. Übrigens taugt das Programm nichts, auch abgesehn von der Heiligsprechung der Lassalleschen Glaubensartikel."

Nach Aufhebung der Sozialistengesetze nannte sich die Partei in SPD um. Der Begriff Sozialdemokratie entstand 1843 in Frankreich und wurde 1849 ins Deutsche übernommen. Ziele des Sozialismus sollte mit denen der Demokratie in Verbindung gebracht werden. Die Partei gab sich ein neues Programm, das Erfurter Programm. Dies Partei stand dem internationalen Sozialismus von Karl Marx und weniger dem Denken von Lassalle nahe. Die inhaltliche Diskussion aber blieb weiterhin. Das 1891 von Kautsky entworfene Erfurter Programm war marxistisch geprägt, doch setzte sich bald eine gemäßigte, sozialreformerische Parteilinie durch. Zugleich verschärften sich der Richtungsstreit innerhalb der Partei und der Konflikt mit den Kommunisten, der die SPD gegen Ende der Weimarer Republik noch massiv beeinträchtigen sollte. Die Partei nahm sich auch der Frauenfrage an. Hier ist Clara Zetkin (1857-1933), die Herausgeberin der Frauenzeitschrift der SPD "Gleichheit" zu nennen.

Mit den Sozialistengesetzen ab versuchte Bismarck die sozialistischen Ideen ohne Erfolg zu bekämpfen. Nach deren Aufhebung nahm die Partei sie weiter stark zu. 1912 hatte sie 28% aller Sitze im Reichstag. Die SPD wurde zur stärksten Partei und zählte 1913 rund eine Million Mitglieder

1.3 Erste Antworten aus christlicher Sicht

1.3.1 Rückkehr zum Glauben und Barmherzigkeit üben reichen allein nicht

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren durch die Säkularisierung die herkömmlichen katholischen Strukturen im Wesentlichen zerstört worden. Dieses führte zu einer Neustrukturierung der katholischen Kirche in Deutschland. Ihr politischer Einfluss war nahezu vernichtet. Auch dies führte zu eine Neubesinnung auf vielen Ebenen. Dabei wurde aus der Situation heraus verständlich oft an alten Gedankengängen angeknüpft. Insgesamt entstand aber ein bemerkenswerter Neuaufbruch.

Lange Zeit waren die Antworten der Kirche zur sozialen Frage zumeist von der Aussage geprägt, dass die Arbeiter ihr Los ertragen müssten, das ja oft auch eine Strafe für Sünden sei. Andererseits wurde aber auch die christliche Barmherzigkeit betont, die zur Hilfe an die Armen verpflichtete. Teilweise bis in die 60er Jahre des 19. Jahrhunderts wurde die soziale Misere vor allem als religiöses und kirchliches Problem gesehen. Das Mittelalter wurde romantisch glorifiziert, Entchristlichung und Sittenzerfall hatten das Massenelend herbeigeführt. Kirchliche Pastoral und Karitas sollten diesem begegnen. Noch 1847 vertrat der apostolische Vikar von Luxemburg in einem Fastenbrief die Auffassung, dass der Rückgang des Einflusses der Kirche auf das öffentliche Leben die Ursache des Pauperismus (Verelendung) sei und empfahl als Abhilfe "christliche Almosen". Eine bedeutende katholische Zeitschrift war noch 1857 der Auffassung, dass das ganze ein moralische Problem sei und pries in etwa die wirtschaftliche Passivität katholischer Völker wie z.B. Spaniens. Auf dem Katholikentag von Mainz 1848 wurde zur Überwindung des Elends die Gründung von Elisabeth- und Vinzenzvereinen empfohlen, die ausgehende von Frankreich sicher große Bedeutung erhalten haben. Auf dem Katholikentag in Freiburg wurde 1859 gesagt, dass die Kirche der Industrialisierung ein Ende bereiten werden und "unsere Münster die schwindsüchtigen Nachbarn (gemeint Fabrikschlote) überleben werden. Die das eigentlich Neue und die strukturelle Seite der Problematik wurden nicht erkannt. Dies Auffassung vertrat im Wesentlichen in seiner führen Zeit als Pfarrer von Hopsten und St. Hedwig in Berlin Wilhelm Emanuel Freiherr von Ketteler (1811-1877) So suchte er 1848 auf dem Katholikentag in Mainz mit einer beachteten Stegreifrede die Lösung der Probleme bei der Kirche, weil der Staat nicht die Kraft dazu habe. Heilung bestand für ihn " in der Rückkehr zum Christentum". So fordert Josef Lingens (1818-1902) den Gesetzgeber (1854) auf, der Kirche die mit ihren wunderbaren Hilfsmitteln die Sache zu überlassen, erst wenn der reiche Industrielle erkenne, das sein Arbeiter seine Brüder seien, könne sich etwas ändern.

Auch Adolf Kolping (1813-1865) wollte vor allem den moralischen Halt, der wahre Grund des sozialen Elends vor allem auch der wandernden Gesellen sei dass das öffentliche Leben "von seinem wahren Grund gewichen, das Christentum verlassen hat". Mit seinen Gesellenvereinen entfaltete er aber in Gesellschaft und Kirche eine Bewegung, die auch sehr stark den Bildungsgedanken aufgriff und damit an der Tradition der Arbeiterbildungsvereine, wenn auch nicht so sozialkritisch" in gewisser Weis anknüpfte. Er wollte eine "Akademie im Volkston" gründen.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang vor allem, dass die Situation erkannt, wenn auch herkömmlich interpretiert und Maßnahmen ergriffen wurden, die sicher vor allem für den Einzelfall hilfreich waren. Damit waren dann aber auch grundsätzliche Überlegungen verbunden und strukturelle Entwicklungen eingeleitet. Hier müssen Johann Hinrich Wichern (1808 - 1881, Gründer und des Rauhen Hauses für verarmte Jugendliche und der Inneren Mission, seine Gedanken beeinflussten Kolping und Ketteler), Lorenz Werthmann (1858 - 1921, Gründer des Deutschen Caritasverbandes 1897, beeinflusst durch Ideen von Hitze und Leo XIII.), Pauline von Mallinkrodt (1817 - 1881, Blinden- und Waisenbetreuung und Mädchen- und Lehrerinnenbildung)und Maria Katharina Kaspar (1820 - 1898, Gründerin der Dernbacher Schwestern mit Armenpflege, Krankenpflege und Mädchenbildung) stellvertretend für viele andere genannt werden. Sie sind Ausdruck für eine äußerst lebendige Entwicklung der Kirchen durch ihre Glieder im sozialen Bereich, indem sie gezielt neue Herausforderungen aufgegriffen und strukturell neue Wege zu ihrer Linderung und Behebung gegangen sind.

Für eine strukturelle Analyse des Neuen der Industrialisierung war die Zeit noch nicht umfassend reif und die Erkenntnisinstrumente noch nicht gewachsen. Abgesehen von den oben zitierten Personen und anderen bestand in der Regel noch nicht die Auffassung, dass diese Probleme individualethisch (vom moralischen Verhalten der einzelnen Person) allein nicht zu lösen waren, sondern sozialethisches Denken (moralisch verantwortbare Strukturen) gefordert war. Aber das grundsätzliche Nachdenken begann. Dies soll noch einmal unter einigen Namen, die es getragen haben, weiter entfaltet werden.

1.3.1 Von der ständisch-sozialen Reorganisation zur Gesellschaftspolitik

Auf dem Boden einer romantisch verstandenen Ständeorganisation stand Franz von Baader (1765-1841) Er studierte Medizin und Bergbau, war Oberstbergrat in Bayern und widmete sich den größten Teil seines Lebens der Philosophie und Theologie. Als Theologe war er Autodidakt. Er wollte neben dem Klerus (1. Stand), dem Adel (2. Stand), den Handwerkern und den Bauern insofern sie frei waren (3. Stand) auch die Arbeiter als eigenen Stand haben, damit sie sich politisch darstellen könnten. Damit sollte die neu entstandene Arbeiterschaft eine rechtliche Verfassung bekommen. Als Anwälte ihrer Sache sollten die Priester dienen. „Wenn nun schon die Proletairs als vermögenslos nicht gleiche Rechte der Repräsentation den vermögenden Klassen haben, so haben sie doch das Recht, in den Ständeversammlungen ihre Bitten und Beschwerden in öffentlicher Rede vorzutragen, das heißt, sie haben das Recht der Repräsentation als Advokatie und zwar muß ihnen dieses Recht in konstitutionellen Staaten dermalen unmittelbar zugestanden werden, weil sie dasselbe bereits früher, wenn schon nur mittelbar, nämlich beim Bestande ihrer Hörigkeit, effektiv genossen haben. Diese Vertretung muß ihnen ... durch selbstgewählte Spruchmänner eingeräumt werden, denen man Anwälte weder Polizeibedienstete, noch überhaupt Bedienstete, noch Advokaten im engeren Sinne beigeben kann und soll sondern Priester, zu welchen sie auch allein ein Herz fassen können." (Über das dermalige Mißverhältnis der Vermögenslosen oder Proletairs..., München 1835)

Immerhin hat der Rückgriff auf eine romantisch verstandene Vergangenheit mit ihrem Ständesystem deutlich gemacht, dass ein 4. Stand, der Stand des eigentumslosen Proletariates entstanden ist, der als Stand nicht rechtlos sein darf. Die Frage muss also strukturell angegangen werden. Dass solche Vorstellungen, gerade auch nach der französischen Revolution, aber keine Zukunftskraft entwickeln konnten versteht sich fast von selbst.

Nicht weiter ging Ritter Franz Joseph von Buß (1803-1878) Im badischen Landtag hielt er die "Fabrikrede" 1837 in der er staatliche Sozialpolitik forderte, als früher Verfechter dieser Auffassung. Er sprach sich gegen das verhärtete Innungswesen aus, er wollte größere Handlungsfreiheit des Einzelnen, trotzdem hielt er an einer Ständestruktur fest. Aus ihrer Geschichte verstand er das deutsche Gemeinwesen von seiner Natur her als einen ackerbauenden Staat. Dieses sei durch übertriebene Fabrikation desorganisiert worden. Es müssten neue Körperschaften mit freier Untergliederung gegründet werden. Insgesamt erkannte er die Bedeutung der sozialen Frage und engagierte sich in den Pius-Vereinen, die schließlich zum Volksverein für das katholische Deutschland führten.

Wilhelm Emmanuel Freiherr von Ketteler (1811-1877) wurde 1850 Pfarrer von Mainz. Er war jetzt mit 39 Jahren jüngster Bischof in Deutschland. Als Pfarrer hatte er sich schon intensiv mit der sozialen Frage auseinandergesetzt. Seine Rede auf dem Mainzer Katholikentag und bei den 6 Mainzer Adventspredigten 1848 erregten große Aufmerksamkeit. Er war Reichstagsabgeordneter des Zentrum. Er setzte sich für die Rechte der Kirche ein und kämpfte eine Sozialreform in Auseinandersetzung mit liberalen und sozialistischen Lehren aus dem christlichen Glauben heraus. Darin hatte er deutlich seine Haltung geändert, dass nur die Kirche es ändern könne Dies wurde 1869 bei seiner berühmten Rede auf der Liebfrauenheide bei Offenbach deutlich. Er rief zur Organisation der Arbeiter auf, dabei war ihm aber auch der ideologische Zweispalt deutlich, der damit für katholische Arbeiter oft gegeben war. "Die Arbeiter zu organisieren, um mit gemeinschaftlicher Anstrengung ihre Interessen und Rechte geltend zu machen, ist berechtigt und heilsam, ja selbst notwendig, wenn der Arbeiterstand nicht erdrückt werden soll von der Macht des Geldes Dieser Konflikt, begründet in der wachsenden Religions- und Kirchenfeindlichkeit der sozialistischen Arbeiterbewegung und leider dann auch immer wieder gegen wohlwollende Sozialisten verfochten führte zu eigenständigen Organisationen im christlichen Bereich und damit zur Spaltung der Arbeiterschaft. "Auf der einen Seite seid ihr treue Kinder der katholischen Kirche, auf der anderen Seite könnt ihr diesen Bewegungen gegenüber nicht gleichgültig bleiben. Da tritt also an jeden von euch die Frage heran: Was ist an allen diesen Bewegungen, die durch den ganzen Arbeiterstand in Europa gehen, berechtigt, was ist an ihnen unberechtigt, was gefährlich? Inwieweit kann ich mich an denselben als Christ, als Katholik, ohne meine Religion und mein Gewissen zu verletzen, beteiligen, inwieweit nicht? Darüber muß ein gewissenhafter katholischer Arbeiter mit sich vollkommen im reinen sein."

Er beeinflusste entscheidend die Sozialpolitik des 19.Jahrhunderts. Schrieb u.a. "Freiheit, Autorität und Kirche" (1862) sowie "Die Arbeiterfrage und das Christenthum" (1864) . Er sprach sich gegen die herkömmlichen Stände aus, die das Problem nicht mehr lösen könnten. Er fordert freie Produktionsassociationen (Produktionsgenossenschaften) und trat für die Gewerkschaftsidee ein. Er gab auch Anregungen für die erste Sozialenzyklika. Durch seine Stellungnahme zu den sozialen Fragen förderte er das katholischen Vereinswesens, Siedlungswerke und hatte Einfluss auf die um 1870/71 gegründete Zentrumspartei. Auf seine Anregung entstand die Fuldaer Bischofskonferenz als ständige Einrichtung. Persönlich gab er sein ganzes Vermögen für soziale Zwecke aus.

Auf Kettelers Initiative hin wurde seit 1867 die Fuldaer Bischofskonferenz zur ständigen Einrichtung. Sein gesamtes Vermögen gab er für soziale Zwecke aus. Er war der "soziale Bischof" und die bedeutendste Gestalt des deutschen Katholizismus im 19.Jahrhundert. Das am 1891 im Reichstag angenommene Arbeiterschutzgesetz ist auch aus dem Geist Kettelers erwachsen. Noch vor seiner Entlassung sagte Bismarck: "Ohne Ketteler wären wir noch nicht so weit."

Das 1870 gegründete Zentrum unter der unumstrittenen Führung von Ludwig Windhorst (1812-1891) stand hinter dieser Entwicklung und sah dann im Kapital nicht mehr die Quelle allen Unheils, sondern stellte "Grundbesitz - Arbeit - und Kapital" als Träger der bürgerlichen Gesellschaft dar, die ein Gleichgewicht brauchen. Das Zentrum (vom Sitzen in der Mitte -Zentrum- des Reichstags) wurde zum politischen Arm des wieder erstarkenden Katholizismus. Dieser Programmentwurf von Münster wurde 1870 in Soest zum Wahlprogramm des Zentrums.

Franz Hitze (1851-1921) war Priester und der erste Professor für christliche Sozialwissenschaften der Universität Münster. Er war Mitglied des Reichstags und des Preußischen Abgeordnetenhauses. Mit dem Fabrikanten Franz Brandts (1834-1914) gründete er in Aachen 1880 zur "Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes" den Verband "Arbeiterwohl". Für sie sollte dadurch eine wirksame Bekämpfung der Missstände, die durch die Großindustrie hervorgerufen waren, auf der Basis des Christentums geschehen. Im Statut steht, dass Arbeitervereine gegründet werden sollen. Dazu waren sie durch eine päpstliche Äußerung von Leo XIII. ermutigt worden. Das Organ des Verbandes war die Zeitschrift "Arbeiterwohl". Der Verband bereitete durch seine Arbeit die Gründung des "Volksvereins für das katholische Deutschland" vor.

Den christlichen Sozialismus auf evangelischer Seite haben der Pfarrer Rudolf Todt (1838 – 1887) und der Hofprediger Adolf Stoecker (1835 – 1909) entwickelt. Die Änderung der sozialen Verhältnisse muss vom monarchischen Staat in Zusammenarbeit mit der evangelischen Kirche geleistet werden. Diese hatte vor allem die grundlegende Liebesgesinnung der einzelnen Christen zu wecken. Sie wollten damit auch die Behauptung widerlegen, dass nur die Sozialisten den Arbeitern helfen könnten. Sie gründeten mit anderen1877 den "Zentralverein für Sozialreform". 1878 gründete Stoecker zur politischen Durchsetzung dieser Gedanken die christlich-soziale Arbeiterpartei. Wegen der mangelnden Akzeptanz bei den Arbeitern wandte er sich dem leider Antisemitismus zu. Die Partei ging 1919 unter. Der sozialliberale Protestantismus trennt sich unter Friedrich Naumann (1860-1919) aber deutlich von der Linie Stoeckers, aber mit seinen eher liberalen Ideen konnte er sich nicht ins eiern Kirche durchsetzen. Sie politischen Ansätze konnte er bei der Entwicklung der Weimarer Verfassung einbringen. Die evangelischen Kirchenleitungen wirkten in den Fragen eher zurückhaltend.

1.4 Die Zeit war reif für eine päpstliche Äußerung

Der Prozess der Industrialisierung hatte ein neues Proletariat nahezu ohne Recht geschaffen. Es entwickelten sich soziale und politische Ideen die diese Entwicklung und ihre Folgen aufgriffen. Vor alle durch Bebel und Marx nahmen diese Ideen bedauerlicher Weise antikirchliche und antichristliche Züge an.

Im Katholizismus hatte von einer eigenständigen sozialen Idee bis hin zur Entwicklung der entsprechenden Organisationen eine insgesamt erfreuliche Entwicklung eingesetzt. Zuerst Laien, dann Priester und besonders Bischof Ketteler hatten eine intensiver Arbeit geleistet und auch das Wort des Papstes zur sozialen Situation durch ihre Arbeit und Anregungen mit vorbereitet. Die Spaltung zwischen der christlichen und sozialistischen Arbeiterschaft und ihrem Gedankengut war aber nicht zu schließen, sie wurde sogar eher noch verstärkt.

 

1.5 Fragen zu Kapitel 1

1.5.0 Vorbemerkung

Die Fragen sind aus dem jeweiligen Textabschnitt zu bearbeiten.

Die letzte Frage ist jeweils eine Frage zum Überlegen und sollte aus der persönlichen Erfahrung bearbeitet werden.

Bei Erarbeitung dieses Abschnittes in einem Arbeitskreis

sollte vor dem Gespräch der Text schon einmal privat gelesen sein

die Arbeitsrunde könnte mit einem Rundgespräch zur Überlegungsfrage 1.0.2 beginnen

dann Gruppenarbeit in vier Gruppen jeweils eine Gruppe zu jedem Unterkapitel

danach auf Folien vorstellen der Ergebnisse

abschließende Aussprache

 

 

1.5.1. Fragen zu 1.1 (Die Industrialisierung und ihre Folgen im 19. Jahrhundert)

 

1. Wo setzte die Industrialisierung und warum ein?

 

 

 

 

 

2. Was versteht man unter der ersten und zweiten Welle der Industrialisierung?

 

 

 

 

 

3. Wie entwickelt sich die Bevölkerung?

 

 

 

 

 

4. Wie entwickelte sich die soziale Lage der Bevölkerung?

 

 

 

 

 

5. Sagen Sie Ihre Meinung zur Stellungnahme von Christen?

 

 

 

 

1.5.2 Fragen zu 1.2 (Di Entstehung der Arbeiterbewegung)

 

1. Wie fing die Befreiung der Arbeiter an?

 

 

 

 

2. Wo kam es zu den ersten Aufständen?

 

 

 

 

 

3. Was bedeuten Marx und Engels für die soziale Frage?

 

 

 

 

 

4. Welche politischen Bewegungen entstanden?

 

 

 

 

 

5. Gibt es in Deutschland heute noch so etwas wie eine Arbeiterbewegung?

 

1.5.3 Fragen zu 1.3 - 1.4 (Erste Antworten aus christlicher Sicht/Die Zeit war reif für eine päpstliche Äußerung)

 

1. Wie war die erste Antwort von Christen?

 

 

 

 

 

 

2. Was bedeutete der ständische Lösungsansatz?

 

 

 

 

 

 

3. Welche Rolle spielte Ketteler im Zusammenhang der sozialen Frage?

 

 

 

 

 

 

4. Hat Ihrer Meinung nach die Kirche diese Frage richtig aufgegriffen?

 

 

 

2 Die Lehre der Päpste

2.0 Hinführung und Fragen

2.0.1 Hinführung

 

 

2.0.1.2 Literatur und Internet

2.0.1.2.1 Quellen und Literatur

Die Texte finden Sie überwiegend in O. von Nell-Breuning, J. Schasching, Texte zur katholischen Soziallehre, Köln (7) 1989,

Neuere text werden herausgegeben vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstr. 163, 53113 Bonn.

Die Liste finden Sie im Internet unter: www.dbk.de dort unter Veröffentlichungen

Kurzgefasste Einführungen zu den Enzykliken finden Sie bei

O. von Nell-Breuning, J. Schasching, Texte zur katholischen Soziallehre, Köln (7) 1989 in der Einführung

W. Kerber, H. Ertl, M. Hainz, Katholische Gesellschaftslehre im Überblick, 100 Jahre Sozialverkündigung der Kirche, Frankfurt 1991

O. von Nell-Breuning, Soziallehre der Kirche, Erläuterungen lehramtlicher Dokumente, Wien, München, Zürich 3 1983

Eine umfassende Sammlung vieler Text zur Soziallehre ist abgedruckt bei A.F. Utz, B. von Galen, Die katholische Sozialdoktrin, Aachen 1976 2 Bände. Hier sind auch die lateinischen Texte abgedruckt, die sonst in AAS (Acta Apostolicae Sedis - dem Amtsblatt des Vatikan) stehen. Dieser lateinische Text allein ist verbindlich, alles andere sind Übersetzungen, von denen es leider unterschiedliche gibt, was auch hier im Lehrbrief so ist. Dies hat aber in der Regel für uns keine größere Bedeutung. Diese Unterschiede der Übersetzungen gelten auch für das Internet. Hier finden Sie ggf. nicht in bisherigen Quellen aufgeführte Texte

2.0.1.2.2 Internet

Texte von Rerum novarum bis Centesimus annus, teilweise mit Volltextsuche
http://www.stjosef.at/CSL/

Schriften der Deutschen Bischofskonferenz
http://dbk.de/schriften/fs_schriften.html

Enzykliken ab Leo XIII nach Päpsten geordnet
http://www.vatican.va/holy_father/index_ge.htm

Beste Sammlung von Texten der Soziallehre
http://www.obing.de/zenz/links53.htm

Grundlagentext zur Christlichen Gesellschaftslehre
http://home.t-online.de/home/overkott/sozial.htm

http://www.ruf.uni-freiburg.de/theologie/forsch/sozenzy.htm
Texte der Enzykliken

Viele Fragen können Sie aus Büchern erarbeiten. Hier wird als Hilfsmittel auch das Internet empfohlen. Bedienen Sie sich zum Suchen entsprechender Begriffe einer
Suchmaschine z.B. http://www.altavista.de

 

2.0.2 Frage zum Überlegen

Was müsste Ihrer Meinung nach eine päpstliche Enzyklika in dieser Situation sagen?

 

 

 

 

 

 

2.1 Die päpstlichen Enzykliken

2.1.1 Von Rerum novarum bis Quadragesimo anno

Mit Rerum novarum beginnt die eigentliche klassische Soziallehre der Moderne. Natürlich hat es auch schon vorher Äußerungen zu sozialen Belangen gegeben so die von Pius III. 1537 über die Sklaverei, aber auch eine Reihe von Veröffentlichungen bis kurz vor „Rerum novarum" die meist zu Recht der Vergessenheit anheim gefallen sind, so auch eine Enzyklika von Leo XIII. 1878, noch überwiegend im alten Verständnis geschrieben. Da sollen Arbeitervereine gegründet werden, um die Arbeiter mit ihrem Los zufrieden zu machen. Von daher war von ihm Rerum novarum eigentlich kaum zu erwarten.

Dies berührt die Frage nach dem Wahrheitsanspruch dieser Lehren. Sie werden in den ersten Enzykliken vor allem auf das Naturrecht (die Lehre über das Wesen von Mensch und Welt, die sich nach der damaligen Auffassung, aus der Natur einer Sache ergaben). Diese Natur konnte mit dem Verstand erkennt werden. Das Evangelium erleuchtet den Verstand und vertieft seine Erkenntnisse. Diese Lehren wollen aber keine Dogmen sein, sondern sind immer auch von den zeitlichen Gegebenheiten, auf die sie hin sprechen, abhängig. Sie müssen deshalb auch immer wieder aus ihrem geschichtlichen Zusammenhang her entwickelt werden. Daraus entwickelte sich aber das Lehrsystem der katholischen Soziallehre, kein geschlossenes System, sondern eine offene Sammlung von Lehren, die immer weiter entfaltet wird.

In diesem offenen System spielen die päpstlichen Äußerungen eine große Rolle. Sie stehen zumeist in Enzykliken (Lehrschreiben). Die ersten beiden Worten geben ihnen den Namen.

In der ersten Phase spielen Rerum novarum und Quadragesimo anno die entscheidende Rolle. Sie werden Grundlagendokumente für die weitere Entwicklung der Soziallehre. Sie sollen deshalb vor allem behandelt werden, auf andere Dokument wird gleichwohl verwiesen.

2.1.1.1 1891 - Rerum novarum - Über die Arbeiterfrage

2.1.1.1.1 Der Anlass der Enzyklika

Die von Leo XIII herausgegebene Enzyklika war so etwas wie eine sozialpolitische Bombe. Heute kommt uns das nicht mehr so revolutionär vor, damals war es das aber, besonders für die katholische Kirche. Sie wurde damit zwar nicht zur Lokomotive der sozialen Befreiung der Arbeiterschaft, aber von da an war ihre Stimme im sozialen Bereich unüberhörbar.

Leo XIII. war Papst von 1878-1903, Berühmt wurde der vor allem innerkirchlich konservative Papst durch die erste päpstliche Enzyklika zu gesellschaftlichen und vor allem wirtschaftlichen Fragen. Er wurde als Vincenzo Gioacchino Pecci am 2. März 1810 in Carpineto bei Anagni geboren. In Viterbo studierte er Jura. Er setzte sein Studium an der päpstlichen Diplomatenschule und einer römischen Universität fort. 1837 zum Priester geweiht wurde er Monsignore und Gouverneur, 1843 Erzbischof und päpstlicher Gesandter in Brüssel. 1846 wurde er Bischof von Perugia, 1853 zum Kardinal ernannt und am 20. Februar 1878 zum Papst gewählt. Sein Todestag ist der 20. Juli 1903.

Lange hatten Katholiken und Vertreter der Amtskirche aus Deutschland, Vertreter der Amtskirche aus England, Irland und den Vereinigten Staaten den Papst gedrängt, zu den sozialen Fragen Stellung zu nehmen. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wurden sie im Rahmen der Industrialisierung immer drängender. Eine lohnabhängige Arbeiterschaft, das Proletariat war entstanden. Dies hatte es in der Massenerscheinung wie es jetzt vorhanden war in der Geschichte noch nicht gegeben. Das sind die Neuerungen (Rerum novarum = neuen Dinge), die der Papst anspricht Die Arbeiter in Europa und den USA lebten mit ihren Familien unter unsäglichen Verhältnissen, ihnen musste sich auch die Kirche zuwenden. Wer einigermaßen die Verhältnisse im damals entstehenden Kapitalismus verstehen will, muss sich die Verhältnisse in den armen Ländern der Dritten Welt ansehen. Damals entstand die Anhäufung von Kapital und zugleich die Armut der Arbeiter.

"1. Der Geist der Neuerung, welcher seit langem durch die Völker geht, mußte, nachdem er auf dem politischen Gebiete seine verderblichen Wirkungen entfaltet hatte, folgerichtig auch das volkswirtschaftliche Gebiet ergreifen. Viele Umstände begünstigten diese Entwicklung; die Industrie hat durch die Vervollkommnung der technischen Hilfsmittel und eine neue Produktionsweise mächtigen Aufschwung genommen; das gegenseitige Verhältnis der besitzenden Klasse und der Arbeiter hat sich wesentlich umgestaltet; das Kapital ist in den Händen einer geringen Zahl angehäuft, während die große Menge verarmt; es wächst in den Arbeitern das Selbstbewußtsein, ihre Organisation erstarkt; dazu gesellt sich der Niedergang der Sitten. Dieses alles hat den sozialen Konflikt wachgerufen, vor welchem wir stehen. Wie viel in diesem Kampfe auf dem Spiele steht, das zeigt die bange Erwartung der Gemüter gegenüber der Zukunft. Überall beschäftigt man sich mit dieser Frage, in den Kreisen von Gelehrten, auf fachmännischen Kongressen, in Volksversammlungen, in den gesetzgebenden Körperschaften und im Rate der Fürsten. Die Arbeiterfrage ist geradezu in den Vordergrund der ganzen Zeitbewegung getreten."

2.1.1.1.2 Die wichtigsten Themen: Eigentum, gerechter Lohn, Koalitionsfreiheit und Staatsintervention

Die Enzyklika erschien gleichzeitig mit dem Erfurter Programm der Sozialdemokraten, in dem sich der Marxismus gegen den Sozialismus von Ferdinand Lassalle durchgesetzt hatte. Privateigentum sollte abgeschafft werden. Diesen Kampf griff Leo auf - besser er ließ ihn sich aufdrängen - und betonte das Recht auf Privateigentum. Hier liegt auch begründet, dass die Auseinandersetzung zwischen dem Marxismus und der Kirche solche Unversöhnlichkeit entwickelte. So konnte der Eindruck entstehen, dass der Papst sich doch auf die Seite der Mächtigen geschlagen, was nun wirklich nicht stimmte. Er möchte, dass die Arbeiter so viel verdienten, dass sie für sich und ihre Familien Eigentum bilden könnten, die ersten Gedanken für "Vermögensbildung in Arbeiterhand". Der Gesellschaft wurde auch ein Gestaltungsrecht für die Eigentumsordnung zugestanden und dem Staat ein Interventionsrecht. Außerdem steht dieses Eigentumsrecht allen, damit auch den Arbeitern zu mit der Möglichkeit dies zu bilden und es trägt die Pflicht, den Notleidenden zu helfen.

"3. Zur Hebung dieses Übels verbreiten die Sozialisten, indem sie die Besitzlosen gegen die Reichen aufstacheln, die Behauptung, der private Besitz müsse aufhören, um einer Gemeinschaft der Güter Platz zu machen, welche mittels der Vertreter der städtischen Gemeinwesen oder durch die Regierungen selbst einzuführen wäre. Sie wähnen, durch eine solche Übertragung alles Besitzes von den Individuen an die Gesamtheit die Mißstände heben zu können, es müßten nur einmal das Vermögen und dessen Vorteile gleichmäßig unter den Staatsangehörigen verteilt sein.

10. Ein dringendes Gesetz der Natur verlangt, daß der Familienvater den Kindern den Lebensunterhalt und alles Nötige verschaffe, und die Natur leitet ihn an, auch für die Zukunft die Kinder zu versorgen, sie gegenüber den irdischen Wechselfällen instand zu setzen, sich selbst vor Elend zu schützen; er ist es ja, der in den Kindern fortlebt und sich gleichsam in ihnen wiederholt. Wie soll er aber jenen Pflichten gegen die Kinder nachkommen können, wenn er ihnen nicht einen Besitz, welcher fruchtet, als Erbe hinterlassen darf?"

Die Kirche ist befugt, zu diesen Fragen Stellung zu nehmen.

„ 13 ... Wir sagen mit allem Nachdruck: Läßt man die Kirche nicht zur Geltung kommen, so werden alle menschlichen Bemühungen vergeblich sein; denn die Kirche ist es, welche aus dem Evangelium einen Schatz von Lehren verkündet, unter deren kräftigem Einfluß der Streit sich beilegen oder wenigstens seine Schärfe verlieren und mildere Formen annehmen kann; sie ist es, die den Geistern nicht bloß Belehrung bringt, sondern auch mit Macht auf eine den christlichen Vorschriften entsprechende Regelung der Sitten bei jedem einzelnen hinwirkt; die Kirche ist ohne Unterlaß damit beschäftigt, die soziale Lage der niederen Schichten durch nützliche Einrichtungen zu heben; sie ist endlich vom Verlangen beseelt, daß die Kräfte und Bestrebungen aller Stände sich zur Förderung der wahren Interessen der Arbeiter zusammentun, und hält ein Vorgehen der staatlichen Autorität auf dem Wege der Gesetzgebung, innerhalb der nötigen Schranken für unerläßlich, damit der Zweck erreicht werde."

Der Arbeitgeber hat auch auf den Arbeiter und seine Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. Es wird behauptet, dass der Lohn schon deshalb gerecht sei, weil er frei vereinbart wurde. Der Arbeiter ist aber nicht frei, er muss arbeiten. Ihm bleibt keine andere Wahl. Gleichermaßen wurde gegen übermäßige Belastung protestiert. Der Wohlstand des Staates entstehe durch die Arbeit der Arbeiter. Das gelte es zu berücksichtigen. Die Arbeiter haben die Pflicht, ihre Arbeit treu zu erbringen.

„16...Die Pflichten, die hinwieder die Besitzenden und Arbeitgeber angehen, sind die nachstehenden: die Arbeiter dürfen nicht wie Sklaven angesehen und behandelt werden; ihre persönliche Würde, welche geadelt ist durch ihre Würde als Christen, werde stets heilig gehalten; Arbeit und Erwerbssorgen erniedrigen sie nicht, vielmehr muß, wer vernünftig und christlich denkt, es ihnen als Ehre anrechnen, daß sie selbständig ihr Leben unter Mühe und Anstrengung erhalten; unehrenvoll dagegen und unwürdig ist es, Menschen bloß zu eigenem Gewinne auszubeuten und sie nur so hoch anzuschlagen, als ihre Arbeitskräfte reichen."

Der Arbeiter hat das Recht auf einen gerechten Lohn. Er muss seinen Lebensunterhalt absichern. Er kann um der Pflicht, sein Leben zu erhalten, nicht darauf verzichten.

„34...Zwei Eigenschaften wohnen demzufolge der Arbeit inne: sie ist persönlich, insofern die betätigte Kraft und Anstrengung persönliches Gut des Arbeitenden ist; und sie ist notwendig, weil sie den Lebensunterhalt einbringen muß und eine strenge natürliche Pflicht die Erhaltung des Daseins gebietet. Wenn man nun die Arbeit lediglich, soweit sie persönlich ist, betrachtet, wird man nicht in Abrede stellen können, daß es im Belieben des Arbeitenden steht, in jeden verringerten Ansatz des Lohnes einzuwilligen; er leistet eben die Arbeit nach persönlichem Entschluß und kann sich auch mit einem geringen Lohne begnügen oder gänzlich auf denselben verzichten. Anders aber stellt sich die Sache dar, wenn man die andere, unzertrennliche Eigenschaft der Arbeit mit in Erwägung zieht, ihre Notwendigkeit. Die Erhaltung des Lebens ist heilige Pflicht eines jeden. Hat demnach jeder ein natürliches Recht, den Lebensunterhalt zu finden, so ist hinwieder der Dürftige hierzu allein auf die Händearbeit notwendig angewiesen.

Wenn also auch immerhin die Vereinbarung zwischen Arbeiter und Arbeitgeber, insbesondere hinsichtlich des Lohnes, beiderseitig frei geschieht, so bleibt dennoch eine Forderung der natürlichen Gerechtigkeit bestehen, die nämlich, daß der Lohn nicht etwa so niedrig sei, daß er einem genügsamen, rechtschaffenen Arbeiter den Lebensunterhalt nicht abwirft. Diese schwerwiegende Forderung ist unabhängig von dem freien Willen der Vereinbarenden. Gesetzt, der Arbeiter beugt sich aus reiner Not oder um einem schlimmeren Zustande zu entgehen, den allzu harten Bedingungen, die ihm nun einmal vom Arbeitsherrn oder Unternehmer auferlegt werden, so heißt das Gewalt leiden, und die Gerechtigkeit erhebt gegen einen solchen Zwang Einspruch."

Den Arbeitern wird das Recht zugestanden, sich in Vereinigungen zusammen zu schließen, das kann ihnen auch der Staat nicht vorenthalten. Vereinsrecht ist ein Recht des Staatsbürgers (Koalitionsfreiheit) Auf Arbeitervereine zu gegenseitigen Stützung, zu Lebenssicherung und Bildung wir hingewiesen. Dabei spielt die religiöse Bildung eine große Rolle. Der Papst fördert die Verbreitung von Arbeiterverbände, in denen sich christlich gesonnene Arbeiter um eine gerechte Lösung bemühen.

„44. In der Gegenwart ist die Lage der Arbeiter Gegenstand vielfachen Streites. Daß dieser Streit eine friedliche und gesetzmäßige Lösung finde, liegt nach beiden Seiten hin im höchsten Interesse des Staates. Die Frage wird aber durch die christlich gesinnten Arbeiter einer richtigen Lösung nähergeführt werden, wenn diese in gut organisierten Vereinigungen und unter weiser Führung denselben Weg einschlagen, welchen die Christen im Altertum der heidnischen Welt gegenüber zu ihrem eigenen Heil und dem der Gesellschaft eingehalten haben. Denn so stark auch die Macht des Vorurteils und der Leidenschaft ist, so wird dennoch überall, wo nicht ein verderbter Wille das Gefühl für Recht und Wahrheit abgestumpft hat, die öffentliche Gunst sich Männern zuwenden, welche Fleiß und Mäßigung auf ihre Fahne geschrieben haben; man wird gerne für Arbeiter Partei ergreifen, denen Billigkeit über den Gewinn und ernste Pflichttreue über alle andern Rücksichten geht. Die Verbreitung dieser Arbeiterverbände würde auch denjenigen Arbeitern zugute kommen und ihre Rückkehr zu besserer Gesinnung erleichtern, welche Glauben oder Sittlichkeit darangegeben haben. Auch sie erkennen oft genug, daß falsche Hoffnung und trügerischer Schein sie täuschte; sie fühlen es, wie hart sie von geldgierigen Herren behandelt, und daß sie nur nach der Höhe des Gewinnes, den sie ihnen bringen, gewertet werden. Es ist ihnen nicht verborgen, daß in den Verbänden, denen sie sich angeschlossen haben, an Stelle gegenseitiger Achtung und Liebe innere Zwietracht herrscht, die ja immer im Gefolge der gewissenlosen und glaubenslosen Armut auftritt. Wie gar viele dieser Unglücklichen, die körperlich gebrochen und geistig entmutigt sind, möchten solch erniedrigender Knechtschaft entrinnen; sie wagten es aber nicht, sei es, daß sie die Scham oder die Furcht vor Armut zurückhält. Diesen allen nun könnten die katholischen Arbeiterverbände große Hilfe bringen, wenn sie nämlich die Schwankenden zur Erleichterung ihrer schwierigen Lage in ihre Gemeinschaft einladen und den Zurückkehrenden Schutz und brüderliche Teilnahme erweisen würden."

Die Frage, ob der Staat Schutzgesetze und Arbeiterversicherungen schaffen dürfe und damit zugunsten der arbeitenden Menschen eingreifen dürfe, entscheidet Leo XIII. dahin, dass er dies sogar müsse. Das muss er vor allem, wenn sich Entwicklungen zeigen, die der Würde und den Menschenrechten entgegenlaufen und Gesundheit und Sitte gefährden.

„29... in allen diesen Fällen muß die Autorität und Gewalt der Gesetze innerhalb gewisser Schranken sich geltend machen. Die Schranken werden durch denselben Grund gezogen, aus welchem die Beihilfe der Gesetze verlangt wird. Nur soweit es zur Hebung des Übels und zur Entfernung der Gefahr nötig ist, nicht aber weiter, dürfen die staatlichen Maßnahmen in die Verhältnisse der Bürger eingreifen.

Wenn aber überhaupt alle Rechte der Staatsangehörigen sorgfältig beachtet werden müssen, und die öffentliche Gewalt darüber zu wachen hat, daß jedem das Seine bleibe, und daß alle Verletzung der Gerechtigkeit abgewehrt werde oder Strafe finde, so muß doch der Staat beim Rechtsschutze zugunsten der Privaten eine ganz besondere Fürsorge für die niedere, besitzlose Masse sich angelegen sein lassen. Die Wohlhabenden sind nämlich nicht in dem Maße auf den öffentlichen Schutz angewiesen, sie haben selbst die Hilfe eher zur Hand; dagegen hängen die Besitzlosen, ohne eigenen Boden unter den Füßen, fast ganz von der Fürsorge des Staates ab. Die Lohnarbeiter also, die ja zumeist die Besitzlosen bilden, müssen vom Staat in besondere Obhut genommen werden."

Dies ist eine deutliche Aussage gegen die schrankenlose Macht des Kapitals und ein Hinweis auf die Pflicht des Staates, die Schwachen durch seine Kraft zu schützen.

2.1.1.1.3 Die weitere Entwicklung

Eigentumsordnung, Lohngerechtigkeit, Koalitionsrecht und Staatsintervention waren die wichtigsten Aussagen der Enzyklika. Vor allem diese Elemente, die im Munde aus Papstes neu waren, für uns aber Selbstverständlich sind, entwickelten ihre Wirkgeschichte. Christliche Gewerkschaften und Arbeitervereine wurden gebildet.

Gerade darüber entstand in Deútschland ein unseliger Streit in der Kirche. Manche Bischöfe lehnten die Gewerkschaften ab, vordergründig, weil sie auch Nichtkatholiken aufnahmen, letztlich weil sie nicht unter der Autorität der Kirche standen und nicht von Priestern geleitet wurden. Es kam auf der Fuldaer Bischofskonferenz unter Leitung von Kardinal Kopp 1900 zum sogenannten Fuldaer Pastorale mit der Aussage , dass es keine Gewerkschaften, sondern nur Fachabteilungen in den von Priestern geleiteten Arbeitervereinen geben dürfe. Das führte zu erheblichen Spannungen unter den Arbeitervereinen, die mehrheitlich für Gewerkschaften eintraten. Mehr und mehr rückten Bischöfe von dieser Entscheidung in Fulda ab und baten den Papst um Klärung. Pius X. entschied 1912 in der Enzyklika „Singulari quadam" an die Bischöfe Deutschlands, dass die Kirche die Mitgliedschaft katholischer Arbeiter in interkonfessionellen Gewerkschaften „dulden" dürfe. Die Kirche in Deutschland hatte sich fast um den Erfolg der 1. Sozialenzyklika gebracht, Gott sei Dank hatten dabei katholische Arbeiter nicht mitgemacht.

Dann brach das große Völkermorden im 1. Weltkrieg aus. Die soziale Frage trat auf absehbare Zeit hinter dieser Katastrophe zurück. Die moderne Technik und auch Industrie zeigte, zu welchen Zerstörungen auch fähig war.

2.1.1.2 Quadragesimo anno

2.1.1.2.1 Die Situation und der Anlass der Entstehung

Die Nachkriegszeit in Deutschland war vor d von polischen Wirren nach dem Untergang des Kaiserreiches geprägt. Russland wird kommunistisch. August 1922 beginnt die Inflation als Folge der Kriegs- und Kriegsfolgekosten. Sie endet November 1923, eine neue Rentenmark wird mit einer Billion alter Mark Papiergeld verrechnet. Dann beginnt 1928/29 die Weltwirtchaftskrise. Nach dem großen Börsenkrach in New York 24./25. (schwarzer Freitag) Oktober 1929 gerät die USA im Verlaufe der Jahre nahezu in die völlige wirtschaftliche Krise. 1932 übersteigt die Arbeitslosigkeit in Deutschland die Grenze von 6 Millionen.

Worte wie „Börsenkrach" und „Wirtschaftskrise" wird man in dem Text vergeblich suchen. Die Massenarbeitslosigkeit und ihre Folgen werden aber aufgegriffen.

„74...Diese Arbeitslosigkeit, ganz besonders eine lang andauernde Massenarbeitslosigkeit, wie Wir sie während unseres Pontifikates erleben müssen, ist eine furchtbare Geißel: sie schlägt den einzelnen Arbeitslosen mit wirtschaftlicher Not und treibt ihn in sittliche Gefahren; sie vernichtet den Wohlstand ganzer Länder; ja, sie bedeutet eine Gefahr für öffentliche Ordnung, Ruhe und Frieden der gesamten Welt."

Der Text nicht aus der Situation heute geboren, obwohl er sich intensiv und sehr kritisch mit dem Wirtschaftssystem auseinandersetzt, sondern aus dem Anlass des 40. Jubiläums von Rerum novarum. (Quadragesimo anno = 40.).

„1. Vierzig Jahre sind verflossen, seit Unser Vorgänger seligen Angedenkens, Leo XIII., sein herrliches Rundschreiben Rerum novarum ergehen ließ. In dankbarer Freude ergreift der ganze katholische Erdkreis diesen Anlaß, um das Gedenken verdientermaßen feierlich zu begehen."

Für den Text steht Pius XI, er lebte von1857-1939 und war Papst 1922-1939. Er studierte unter anderem an der Gregoriana, der die päpstliche Universität in Rom. 1882 -1888 war er Professor für Dogmatik in Mailand. Von 1911-1918 war er Präfekt der Vatikanischen Bibliothek in Rom. 1921 wurde Nuntius in Polen und 1921 Erzbischof von Mailand ernannt und Kardinal.

Von deutscher Seite war der Jesuit Oswald von Nell-Breuning, Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Hochschule Frankfurt St. Georgen an der Abfassung intensiv beteiligt. Der Gewerkschaftsstreit in Deutschland wurde wohl dank seines Einflusses beendet, vom „dulden" kam es zum „gutheißen" (35 Einsicht in die Notwendigkeit in bestimmten Situationen). In Deutschland eskalierten aber ganz andere Probleme, die zum Zusammenbruch der Weimarer Republik führten und zum 3. Reich der NSDAP. Der Text lief bis zur Nachkriegszeit nahezu ins Leere.

Die Enzyklika hat drei Teile. Im ersten werden die Einflüsse der Enzyklika Rerum novarum auf Kirche, Staat und andere dargelegt. Der zweite Teil beschäftigt sich mit den unterschiedlichen Zuständigkeiten im Beriech des Sozialen. Im dritten Teil werden die Wandlungen sei Leo XIII. aufgearbeitet.

2.1.1.2.2 Die Wirkungen von Rerum novarum

Innerhalb der Kirche wurde die Enzyklika positiv aufgenommen und umgesetzt. Es bildete sich eine von Priestern und Laien getragenen Soziallehre heraus, an Universitäten und Bildungseinrichtungen wird sie gelehrt. Sie half den Arbeitern in ihrer Situation.

„23 Unverzüglich lud der Klerus, den Bischöfen nacheifernd, zu seinen sonstigen Seelsorgspflichten auch noch ein gewaltiges Maß volksbildnerischer und volkserzieherischer Arbeit auf seine Schultern, eine Arbeit, die sich gerade seelsorgerlich als überaus dankbar erwies. Die in beharrlich aufgewandter Mühe erreichte Durchbildung und Durchdringung der Arbeiterschaft mit christlichem Geist trug überdies in besonderem Maße dazu bei, den christlichen Arbeitern das wahre Bewußtsein ihres Wertes und ihrer Würde zu geben und sie instand zu setzen, in klarer Erkenntnis ihrer besonderen Rechte und Pflichten in Ehren und Treuen mit Erfolg den Weg sozialen und ökonomischen Aufstiegs zu beschreiten, ja auf diesem Wege sich selbst in Führung zu setzen."

Wohlfahrtseinrichtungen entstanden, Arbeitervereine bildeten sich.

Im staatlichen Bereich kamen die Arbeiter in den Blick der regierenden, Sozialpolitik begann.

Der Widerstand gegen christliche Arbeitervereinigungen ging zurück, es kam zu gemischten Gewerkschaften. Das in Rerum novarum gezeichnete Gesellschaftsbild war nicht weltfremd, die Saat ist zum guten Teil auf fruchtbare Erde gefallen.

„36. So haben dank dem päpstlichen Rundschreiben alle diese Arbeiter-Vereinigungen - wenngleich an zahlenmäßiger Stärke derzeit leider von den sozialistischen und kommunistischen Organisationen noch übertroffen - allenthalben einen so erfreulichen Aufschwung genommen und einen so bedeutenden Mitgliederbestand um ihr Banner geschart, daß in der einzelstaatlichen Sozialpolitik sowohl als bei zwischenstaatlichen sozialpolitischen Veranstaltungen ihr Einfluß spürbar ist in der Durchsetzung der rechtlichen und billigen Ansprüche der katholischen Arbeiter, in der Verwirklichung der Grundsätze gesunder christlicher Gesellschaftslehre."

2.1.1.2.3 Zu vertiefende Fragen

Eine Reihe von Fragen standen aber noch zu Klärung an, Missverständnisse mussten ausgeräumt werden, die Soziallehre weiter entwickelt werden. Darauf bezieht sich der 2. Teil.

Dabei wird deutlich betont, dass die Kirche keine Zuständigkeit über technische Fragen habe, aber wohl über die Frage von „gut und böse". Diese Kompetenz bringe sie ein. Dabei ist aber das Wirtschaftliche nicht vom moralischen unabhängig. Jeder Bereich hat von Gott gesteckte Ziele und ist letztlich eine Stufe zum letzen Ziel.

In der Eigentumsfrage wird betont, dass das Eigentum eine individuelle und eine soziale Seite habe. Eigentumsrecht und Eigentumsgebrauch sind zweierlei. Es gibt eine strenge Pflicht zur Nutzung des Eigentums zur Wohlfahrt, was zu einer angemessenen Lebenshaltung nicht benötigt wird. Das gilt z.B. auch für die Schaffung von Arbeitsplätzen.

„51. Die Verwendung sehr großer Einkünfte zur Schaffung von Arbeits- und Verdienst-Gelegenheit im großen Stil aber muß, wofern nur die Arbeit der Erzeugung wirklich wertechter Güter dient, nach den Grundsätzen des Englischen Lehrers (Anmerkung. Thomas von Aquin) als eine ausgezeichnete und hervorragende zeitgemäße Übung der Tugend der Großzügigkeit gelten."

Der Staat hat das Recht unter Rücksicht des Gemeinwohls Eigentumsrechte und –pflichten im Einzelnen zu bestimmen.

Der Wohlstand der Völker stammt aus der Arbeit. Arbeit und die schlichen Produktionsmittel (Kapital) sind aufeinander angewiesen.

„54. Lange genug konnte in der Tat das Kapital ein Übermaß für sich vorwegnehmen. Das ganze Erträgnis, die ganzen Überschüsse nahm das Kapital vorweg für sich in Anspruch, dem Arbeiter kaum die Notdurft für die Erhaltung der Arbeitskraft und ihre Reproduktion übriglassend. Nach einem unwiderstehlichen Naturgesetz der Wirtschaft sollte alle Kapitalakkumulation nur beim Kapitalbesitzer stattfinden können, während das gleiche Gesetz den Arbeiter zu ewiger Proletarität und zu einem Leben an der Grenze des Existenzminimums verdamme. So wenigstens lautete die Theorie. Zuzugeben wird sein, daß es im Leben doch nicht ständig und allgemein so hart her gegangen ist, wie die liberal-manchesterliche Theorie es wollte. Aber es läßt sich doch auch nicht in Abrede stellen, daß das ganze Schwergewicht gesellschafts-wirtschaftlicher Gegebenheit unablässig nach dieser Grenzlage hindrängte. Kann es wundernehmen, daß derart verkehrte Auffassungen, derart unberechtigte Ansprüche leidenschaftlich bekämpft wurden? Dabei standen die Enterbten, die sich solchergestalt um ihr angeborenes Recht auf wirtschaftlichen Aufstieg betrogen sahen, keineswegs allein."

Dabei wird eine völlige Zuschreibung der Erträge an die Arbeit auch abgelehnt. Trotzdem, die derzeitige Ausbeutung des Proletariats macht die Verärgerung verständlich und daraus entstehende Forderungen auf den ganzen Ertrag.

„58. Jedem soll also sein Anteil zukommen; im Ergebnis muß die Verteilung der Erdengüter, die heute durch den ungeheuren Gegensatz von wenigen Überreichen und einer unübersehbaren Masse von Eigentumslosen aufs schwerste gestört ist - keiner, der das Herz am rechten Fleck hat, kann sich darüber einer Täuschung hingeben - , wieder mit den Forderungen des Gemeinwohls bzw. der Gemeinwohlgerechtigkeit in Übereinstimmung gebracht werden."

Die Anhäufung von Gütern bei wenigen ist ein Zeichen für Ungerechtigkeit gegenüber dem Proletariat. Erträge müssen auch zur Vermögensbildung bei den Arbeitern beitragen. Dadurch wird das Proletariat überwunden. Lebensbedarf des Arbeiters und seiner Familie, Leistungsfähigkeit des Unternehmens und allgemeine Wohlfahrt, wie Arbeitsplätze für alle, die Arbeit suchen, müssen bei der Lohnbemessung berücksichtigt werden.

Die Gesellschaft muss durch die Reform der Zustände und der Gesinnung (Sittenverbesserung) verändert werden.

Das Prinzip der Subsidiarität muss eingehalten werden.

„79 ...dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es überaus nachteilig und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung. Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen."

Eine von sozialer Gerechtigkeit durchdrungene und von der öffentlichen Gewalt kraftvoll durchgesetzte und geschützt Rechts- und Gesellschaftsordnung muss der Wirtschaft ganz und gar das Gepräge geben. Dies ist das Grundkonzept einer sozialen Marktwirtschaft. Internationale Verträge zur wirtschaftliche Zusammenarbeit sind zu fördern.

2.1.1.2.4 Wandlungen seit Leo XIII.

Im 3. Teil werden Wandlungen seit Leo XIII. angesprochen.

Die Anhäufung des Kapitals in der Hand von wenigen führt zu erheblichen Verwerfungen.

„105. Am auffallendsten ist heute die geradezu ungeheure Zusammenballung nicht nur an Kapital, sondern an Macht und wirtschaftlicher Herrschgewalt in den Händen einzelner, die sehr oft gar nicht Eigentümer, sondern Treuhänder oder Verwalter anvertrauten Gutes sind, über das sie mit geradezu unumschränkter Machtvollkommenheit verfügen.

106. Zur Ungeheuerlichkeit wächst diese Vermachtung der Wirtschaft sich aus bei denjenigen, die als Beherrscher und Lenker des Finanzkapitals unbeschränkte Verfügung haben über den Kredit und seine Verteilung nach ihrem Willen bestimmen. Mit dem Kredit beherrschen sie den Blutkreislauf des ganzen Wirtschaftskörpers; das Lebenselement der Wirtschaft ist derart unter ihrer Faust, daß niemand gegen ihr Geheiß auch nur zu atmen wagen kann.

„107. Diese Zusammenballung von Macht, das natürliche Ergebnis einer grundsätzlich zügellosen Konkurrenzfreiheit, die nicht anders als mit dem Überleben des Stärkeren, d. i. allzu oft des Gewalttätigeren und Gewissenloseren, enden kann, ist das Eigentümliche der jüngsten wirtschaftlichen Entwicklung."

Die Verhältnisse werden härter, die staatliche Gewalt herabgewürdigt, es entsteht ein Internationaler Finanzimperialismus. Das Finanzkapital hält sich überall auf, wo es ein Beutefeld vermutet. Die dargelegten Prinzipien im Verhältnis von Kapital und Arbeit stehen dagegen, ein die Stelle vom extremen Einzelwohl muss wieder das Gemeinwohl stehen.

Auch der Sozialismus hat sich entwickelt und in mehrere Richtungen gespalten, den Kommunismus und den gemäßigten Sozialismus. Auch diesen lehnt Leo XIII. ab. Für ihn ist gleichzeitig Sozialist und Katholik sein ein unüberwindbarer Widerspruch.

„120. Enthält der Sozialismus - wie übrigens jeder Irrtum - auch einiges Richtige (was die Päpste nie bestritten haben), so liegt ihm doch eine Gesellschaftsauffassung zugrunde, die ihm eigentümlich ist, mit der echten christlichen Auffassung aber in Widerspruch steht. Religiöser Sozialismus, christlicher Sozialismus sind Widersprüche in sich; es ist unmöglich, gleichzeitig guter Katholik und wirklicher Sozialist zu sein."

Für die Lösung der Probleme bedarf es des Strebens nach Gerechtigkeit. Zu diesem muss die Liebe hinzukommen.

„137. Den Hauptanteil an allem aber muß die Liebe haben, die das Band der Vollkommenheit ist68. Einer großen Täuschung erliegen daher alle unbesonnenen Reformer, die einzig bedacht auf Herstellung der Gerechtigkeit - obendrein nur der Verkehrsgerechtigkeit - die Mitwirkung der Liebe hochmütig ablehnen. Gewiß kann die Liebe kein Ersatz sein für geschuldete, aber versagte Gerechtigkeit. Aber selbst wenn der Mensch alles erhielte, was er nach der Gerechtigkeit zu erhalten hat, bliebe immer noch ein weites Feld für die Liebe: die Gerechtigkeit, so treu sie auch immer geübt werde, kann nur den Streitstoff sozialer Konflikte aus der Welt schaffen; die Herzen innerlich zu verbinden vermag sie nicht. Nun ist aber die innere Gesinnungsverbundenheit unter den Beteiligten die feste Grundlage aller Einrichtungen zur Sicherung des sozialen Friedens und zur Förderung der Zusammenarbeit unter den Menschen. Das gilt gerade auch von den vortrefflichsten Veranstaltungen dieser Art. Ja, die Erfahrung lehrt immer wieder, daß ohne solche Gesinnungseinheit die weisesten Anordnungen zu gar nichts nütze sind. Ein wahres Zusammenwirken aller zu dem einen Ziel des Gemeinwohls ist daher nur dann möglich, wenn die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen sich ganz durchdringen lassen von dem Bewußtsein ihrer Zusammengehörigkeit als Glieder einer großen Familie, als Kinder eines und desselben himmlischen Vaters, wenn sie sich fühlen als ein Leib in Christo, "einer des andern Glied"69, so daß, "wenn ein Glied leidet, alle anderen mit ihm Leiden"70. Alsdann werden die vermögenden und einflußreichen Kreise ihre frühere Gleichgültigkeit gegenüber ihren weniger mit Erdengütern gesegneten Mitbrüdern in fürsorgliche und tätige Liebe wandeln; deren gerechtfertigten Ansprüchen werden sie großherzig entgegenkommen; allenfallsigen Fehlern und Mißgriffen gegenüber werden sie verstehende Nachsicht üben. Umgekehrt werden die Arbeiter allen Klassenhaß und Klassenneid, den die Hetzer zum Klassenkampf so geschickt aufzupeitschen verstehen, aufrichtig ablegen; sie werden den von der göttlichen Vorsehung innerhalb der menschlichen Gesellschaft ihnen zugewiesenen Platz nicht bloß willig einnehmen, sondern zu schätzen wissen in dem erhebenden Bewußtsein des Wertes und der Ehre, die einem jeden zukommen, der an seinem Platze rechtschaffen seinen Beitrag zum allgemeinen Wohl leistet; ja, sie dürfen sich sagen, in besonderer Weise demjenigen auf seinem Wege nachzufolgen, der, da er in der Herrlichkeit Gottes war, Handwerker hier auf Erden sein und für einen Handwerkerssohn gehalten werden wollte."

Die Apostel unter der Arbeiterschaft selbst müssen zuerst die Arbeiter sein.

„141...Um so weite Gesellschaftskreise nach ihrem Abfall von Christus wieder zu Christus zurückzuführen, braucht es eine Auslese wohl ausgebildeter Laienhelfer aus ihrer eigenen Mitte, die mit ihrer ganzen Denkweise und Willensrichtung aufs genaueste vertraut sind und in brüderlich freundwilliger Gesinnung den Weg zu ihren Herzen finden. Die ersten und nächsten Apostel unter der Arbeiterschaft müssen Arbeiter sein; ebenso müssen die Apostel für die Welt der Industrie und des Handels aus dieser selbst hervorgehen."

Diese zu suchen, zu bilden und zu schulen ist Aufgabe der Bischöfe und des Klerus. Schon der priesterliche Nachwuchs ist intensiv auf diese Aufgabe vorzubereiten.

2.1.1.2.5 Der Ertrag

Die Enzyklika geht von der Arbeiterfrage aus führt aber weiter zur Gesellschaft, die im Sinne des Evangeliums erneuert werden soll. Für dies Gesellschaft ist vor allem als Aufbauprinzip die Subsidiarität und als kritische Kraft die soziale Gerechtigkeit gefordert. Angezielt sie eine neue klassenfreie Gesellschaft.

Die Anhäufung des Kapitals in wenige Händen wird als der Kern der Auseinandersetzungen gesehen, es ist das Ziel das Proletariat durch gerechten Lohn und die Möglichkeit der Vermögensbildung zu überwinden.

Die christlichen Arbeiter müssen die ersten Apostel der Arbeiterschaft sein. Darauf sollen sie die Priester vorbereiten, sie selbst aber müssen auch in ihrem Studium darauf vorbereitet werden.

Die Enzyklika geht in ein hartes Gericht mit dem Kapitalismus, aber ebenso verdammt sie den Sozialismus, der sich damals, auch in der gemilderten Form, oft krischenfeindlich gebärdete. Gemeint waren die Verhältnisse von 1931, nicht die von heute, trotzdem hatten die radikalen Formulierungen wenig einladendes und förderten nicht die Gesprächsbereitschaft, sie hatten damit auch eine negative Wirkgeschichte, di viele Menschen in ihrem Gewissen oft unnotwendig belastet hat.

Die Äußerungen von Papst Pius XII. zum 50. Jubiläums machen noch einmal die wichtigsten Punkte deutlich und weisen darauf hin, dass diese beim Aufbau einer Nachkriegsordnung zur Anwendung kommen müssen.

Erstmals greift Pius XII. die Würde des Menschen in seiner Weihnachtsbotschaft von 1942 auf: „... Wer will, dass der Stern des Friedens über dem menschlichen Zusammenleben aufgehe und leuchte, der helfe zu seinem Teile mit an der Wiedereinsetzung der menschlichen Persönlichkeit in die ihr durch Gottes Schöpferwillen von Anbeginn verliehenen Würde."

In seiner Weihnachtsrundfunkbotschaft von 1944 betont Pius XII., dass das Weihnachtsfest das Fest der Menschenwürde sei an dem die Würde des Menschen (sowohl persönlich als auch sozial verstanden) gefeiert wird. Dieses Licht der Würde des Menschen leuchtet in die Finsternis der damaligen Zeit. Aber die Finsternis begreift es nicht. Der Papst macht weist darauf hin, dass sich eine Weltordnung bilden muss, die den dauerhaften Frieden will, erste Überlegungen dazu seien schon im Gange. Die Menschen wiedersetzen sich deutlich dem Anspruch der Diktatoren. Die Zukunft liegt in der Demokratie, die die Werte von Freiheit und Gleichheit achtet, bittere aber wichtige Erkenntnisse aus der Not entstanden.

Zum Mord an Millionen Juden kommen leider keine deutlichen Äußerungen, vermutlich hatte man Angst vor Repressionen. Dagegen hatte Pius XI. schon 1937 in der Enzyklika „Mit brennender Sorge" mit deutlichen Worten die Rechte der Kirche und Katholiken gegen den Nazistaat einfordert und die religiöse Ideologie des Nationalsozialismus deutlich verworfen. Deutschlich wurde gesagt, das unsittliche Gesetze nicht binden. Die Verlesung in den Gottesdiensten war für den Staat eine Überraschung und ein innen- und außenpolitisches Drama. Viele mussten dafür leiden.

In Deutschland konnte die Lehren der Enzyklika Quadragesimo anno ihre Wirksamkeit erst nach dem Krieg entfalten und haben sicher auch Einfluss auf den Aufbau unseres Gemeinwesens gehabt.

2.1.2 Die Zeit um das Zweite Vatikanische Konzil

2.1.2.1 Von Johannes XXIII. über das Konzil bis Paul VI.

Pius XII. hatte in seiner Weihnachtsansprache 1944 die in der Menschwerdung Gottes begründete Menschenwürde herausgehoben. Diese, die weltweiten Probleme und der Frieden werden die herausragenden Fragen der Weiterentwicklung der katholischen Soziallehre unter den beiden Konzilspäpsten Johannes XXIII. und Paul VI.

2.1.2.2 Mater et Magistra (Mutter und Lehrmeisterin) – die Jubiläumsenzyklika 1961.

2.1.2.2.1 Die Soziallehre wendet sich einem neuen Thema zu

Mater et Magistra erinnert an den 70. Jahrestag des Erscheinens von rerum novarum, an den 30 Jahrestag von Quadragesimo anno und an die Pfingstansprache von Pius XII. 1941. Gerechtes Arbeitsentgelt, Subsidiarität, Landwirtschaft, wirtschaftlichen Entwicklung, die Aufgabe der Kirche, sind die Themen, die die bisherige Soziallehre ergänzen. Internationale Zusammenarbeit kommt als neues Thema dazu, die Soziallehre weitet sich über die Probleme der Industrieländer aus und wird weltweit.

Sie wurde veröffentlicht von dem Konzilspapst Johannes XXIII.

Johannes XXIII. wurde er am 25. November 1881 in Sotto il Monte bei Bergamo Als Angelo Giuseppe Roncalli geboren. Priester wurde er 1904. Er wurde bischöflicher Sekretär und Professor für Kirchengeschichte. Im 1. Weltkrieg war er Sanitäter und später Feldgeistlicher. Er half die Kongregation für die Glaubensverbreitung neu zu organisieren. Ab 1925 war er päpstlicher Vertreter bzw. Nuntius in Bulgarien, Türkei, Griechenland und Frankreich. Im Dritten Reich verhalf er vielen Juden zur Flucht. 1953 wurde er zum Kardinal und Patriarchen von Venedig ernannt und nach dem Tod von Papst Pius XII. 1958 im Alter von 77 Jahren Papst. Sein Pontifikat wurde durch seine Bereitschaft zu Kirchenreformen eine neue Aufgeschlossenheit der Kirche bekannt. Er bereif das Zweite Vatikanische Konzil ein und förderte die Ökumene. Er starb am 30. Juni 1963 in Rom. Die Kirche hat ihn selig gesprochen.

2.1.2.2.2 Die Lehre der Vorgänger und ihre Weiterführung

Im I. Teil wird ein Überblick über die bisherige Soziallehre gegeben.

Im II. Teil erfolgen Klarstellungen und Weiterführungen der Lehre von Rerum novarum. In der Wirtschaft gilt die Privatinitiative, aber es bedarf auch des staatlichen Eingriffs, damit eine Wohlstandssteigerung verbunden mit sozialen Fortschritt für alle Bürger zustande kommt. Dieses Eingreifen unterliegt aber den Regeln der Subsidiarität. Eine besondere Sorge müssen rechtzeitige Maßnahmen gegen Massenarbeitslosigkeit sein.

„54. Es ist wahr, die Fortschritte der wissenschaftlichen Erkenntnis und Produktionstechnik geben augenscheinlich der staatlichen Führung heute in umfassenderem Maß als früher Möglichkeiten an die Hand, Spannungen zwischen den verschiedenen Wirtschaftszweigen, zwischen den verschiedenen Gebieten ein und derselben Nation wie zwischen den verschiedenen Nationen auf Weltebene zu mildern; die aus den Konjunkturschwankungen der Wirtschaft sich ergebenden Störungen zu begrenzen und durch vorbeugende Maßnahmen den Eintritt von Massenarbeitslosigkeit wirksam zu verhindern. Darum ist von der staatlichen Führung, die für das Gemeinwohl verantwortlich ist, immer wieder zu fordern, daß sie sich in vielfältiger Weise, umfassender und planmäßiger als früher, wirtschaftspolitisch betätigt und dafür angepaßte Einrichtungen, Zuständigkeiten, Mittel und Verfahrensweisen ausbildet."

Angemahnt wird ein gerechter Lohn, der dem Arbeiter für sich und die Seinen ein Leben unter meshcnewürdigen bedingugne ermöglicht.

„68. Schwerer Kummer bedrückt Uns angesichts der traurigen Tatsache, daß in vielen Ländern und ganzen Erdteilen zahllosen Arbeitern ein Lohn gezahlt wird, der ihnen selbst und ihren Familien wirklich menschenunwürdige Lebensbedingungen aufzwingt. Das hat gewiß zum Teil darin seine Ursache, daß in diesen Gebieten die industrielle Produktionsweise gerade erst eingeführt wurde oder noch nicht ausreichend fortgeschritten ist."

Kritik geht aber auch an die Reichen und Mächtigen in vielen dieser Länder, wegen ihrer Verschwendungssucht und dem unsachgemäßen Einsatz der Mittel.

„69. In einigen von diesen Ländern steht jedoch zu diesem Zustand äußersten Elends der Mehrzahl der Überfluß und hemmungslose Luxus weniger Reicher in schreiendem und beleidigendem Gegensatz; während in andern Ländern die Menschen übermäßig belastet werden, um in kurzer Zeit den nationalen Reichtum in einem Maße zu steigern, wie es ohne Verletzung von Gerechtigkeit und Billigkeit nun einmal nicht möglich ist; in andern wieder wird ein hoher Anteil des volkswirtschaftlichen Ertrages für ein falsch verstandenes nationales Prestige verschwendet, oder es werden ungeheure Summen für die Rüstung ausgegeben."

Alle müssen am wachsenden Reichtum einer Gesellschaft entsprechend beteiligt werden. Der Wohlstand eines Landes misst sich weniger an der Fülle der Güter, sondern an deren gerechter Verteilung. Dazu gehört auch, dass die Arbeiter in geeigneter Weise in Mitbesitz ihrer Unternehmen hineinwachsen. Die Verteilung der Ertragsanteile muss sowohl das volkswirtschaftliche, als auch das gesamtmenschliche Wohl berücksichtigen. Dazu gehört es auch, einer größtmöglichen Zahl von Arbeitern den Zugang zu Beschäftigung zu verschaffen. Auch das gesamtmenschheitliche Gemeinwohl muss in den Blick kommen, dazu gehört die Beteiligung an der Entwicklungshilfe.

Aus Gründen der Gerechtigkeit wird auch Mitbeteiligung im Betrieb gefordert. Deshalb sind kleinere Betriebe und Genossenschaften zu fördern. Hier wird unmittelbar Verantwortungsbewusstsein geweckt.

Unternehmerische und betriebliche Mitverantwortung der Arbeiter wird gefordert.

„91. Wie schon Unser Vorgänger sind auch Wir der Meinung, daß die Arbeiter mit Recht aktive Teilnahme am Leben des sie beschäftigenden Unternehmens fordern. Wie diese Teilnahme näher bestimmt werden soll, ist wohl nicht ein für allemal auszumachen. Das ergibt sich vielmehr aus der konkreten Lage des einzelnen Unternehmens. Diese ist keineswegs überall gleich, sie kann sogar in demselben Unternehmen rasch und grundlegend wechseln. In jedem Fall aber sollten die Arbeiter an der Gestaltung der Angelegenheiten ihres Unternehmens aktiv beteiligt werden. Das gilt sowohl für private als auch für öffentliche Unternehmen. Das Ziel muß in jedem Fall sein, das Unternehmen zu einer echten menschlichen Gemeinschaft zu machen; diese muß den wechselseitigen Beziehungen der Beteiligten bei aller Verschiedenheit ihrer Aufgaben und Pflichten das Gepräge geben."

„92 ... Unser Vorgänger Pius XII. sagte mit Recht: "Anderseits verlangt die wirtschaftliche und soziale Funktion, die jeder Mensch erfüllen möchte, daß die Tätigkeit die der einzelne entfaltet, nicht völlig dem Willen eines anderen untergeordnet sei" (Ansprache vom 8.10.1956, U-G 6193). Zweifellos muß ein Unternehmen, das der Würde des Menschen gerecht werden will, auch eine wirksame Einheitlichkeit der Leitung wahren; aber daraus folgt keineswegs, daß wer Tag für Tag in ihm arbeitet, als bloßer Untertan zu betrachten ist, dazu bestimmt, stummer Befehlsempfänger zu sein, ohne das Recht, eigene Wünsche und Erfahrungen anzubringen; daß er bei Entscheidungen über die Zuweisung eines Arbeitsplatzes und die Gestaltung seiner Arbeitsweise sich passiv zu verhalten habe."

Trotz vieler Änderungen z.B. in der Verschiebung von Eigentümern zu Management, von einer Höherbewertung der Arbeit, bleibt das Recht auf Privateigentum auch an Produktionsmitteln erhalten. Dabei ist das Einkommen aus Arbeit höher einzuschätzen als Einkommen aus Kapitalbesitz. Es muss aber nicht nur da recht auf Eigentum auch an Produktionsmitteln betont werden, sondern „mit gleichem Nachdruck muß alles unternommen werden, damit alle Kreise der Bevölkerung in den Genuß dieses Rechtes gelangen (113)" Eine breiter Streuung ist angesagt.

2.1.2.2.3 Es entstehen neue Seiten der sozialen Frage

Im folgenden beschäftigt sich die Enzyklika mit den Problemen der Landflucht und der Situation der Landwirtschaft. Moderne Landwirtschaftstechnik ist gefordert, aber der bäuerliche Familienbetrieb muss auch erhalten bleiben. Die Landbevölkerung muss Anschluss an die anderen Bevölkerungsgruppen gewinnen von der Verehranbindung bis zur Möglichkeit der Bildung. Dazu gehört auch die Übertragung der Sicherungssysteme auf die Landwirtschaft. Wenn diese Dinge nicht geschaffen werden, beginnt oder geht die Landflucht weiter. Auch ein sozialer Ausgleich zwischen der landwirtschaftbetreibenden Bevölkerung in unterschiedlichen Ländern ist gefordert.

In den kommenden Abschnitten wir erstmals umfassend zum Verhältnis zwischen armen und reichen Ländern Stellung genommen. Die Soziallehre wird global. Der allzu große wirtschaftliche Unterschied zwischen den Ländern stört den Frieden. Die Bereitschaft der Länder, Entwicklungshilfe zu leiten, hat in den letzten Jahren zugenommen.

„158. Da Wir alle Menschen als Unsere Söhne lieben, halten Wir es für Unsere Pflicht, hier feierlich zu wiederholen, was Wir schon einmal gesagt haben: "Uns alle gemeinsam trifft die Verantwortung für die Völker, die an Unterernährung leiden." Darum "muß bei den einzelnen, ja überhaupt, und zwar bei allen, ganz besonders aber beiden Wohlhabenden, das Bewußtsein für diese Pflicht geweckt werden" (Ansprache vom 3.5.1959)."

Überschüsse zum Beispiel in der landwirtschaftlichen Produktion sollen in diese Länder umgleitet werden. Deutlich spricht sich der Papst gegen die Vernichtung von Überschüssen aus. Das ist Nothilfe. Wichtiger aber ist es, die örtlichen Strukturen zu entwickeln.

„163. Maßnahmen dieser Art allein werden in vielen Fällen nicht ausreichen, um die nachhaltigen Ursachen von Hunger und Not schlagartig zu beseitigen. Meist wird rückständige Wirtschaftsweise die Schuld tragen. Um hier abzuhelfen, müssen alle gangbaren Wege versucht werden: man muß den Menschen zu einer guten fachlichen und beruflichen Ausbildung verhelfen; ferner muß ihnen Kapital zugeführt werden, um ihre Wirtschaft zeitgemäß auszustatten und weiterzuentwickeln."

Dabei darf den zu entwickelnden Länder nicht ihre Eigenart genommen und der Stil der schon entwickelten Länder aufgezwungen werden. Den diese Gefahr besteht durchaus, dass die empfangenden Länder nur den materiellen Wohlstand sehen und dafür Werte preisgeben, die bis dahin noch funktionierten. Dankbar wird das Engagement von vielen Katholiken in der Entwicklungshilfe anerkannt.

Dann wird zum Bevölkeungswachstum Stellung genommen.

„186. Für die Welt im ganzen wollen manche errechnen, die Menschenzahl werde sich in einigen Jahrzehnten vervielfachen, wogegen das Wachstum der Wirtschaft viel langsamer vor sich gehen werde. Daraus will man schließen, wenn die menschliche Fortpflanzung nicht irgendwie begrenzt werde, müsse das Mißverhältnis zwischen Bevölkerungszahl und verfügbarem Lebensbedarf sich in absehbarer Zeit noch verschärfen."

Dazu wird dann geantwortet:

„186. Für die Welt im ganzen wollen manche errechnen, die Menschenzahl werde sich in einigen Jahrzehnten vervielfachen, wogegen das Wachstum der Wirtschaft viel langsamer vor sich gehen werde. Daraus will man schließen, wenn die menschliche Fortpflanzung nicht irgendwie begrenzt werde, müsse das Mißverhältnis zwischen Bevölkerungszahl und verfügbarem Lebensbedarf sich in absehbarer Zeit noch verschärfen."

Der Papst setz auf Gottes Weisheit, die in der natur liegt und nur erkannt werden kann. Es ist Zuständigkeit der Familie, die Kinderzahl zu bestimmen. Für den Papst kommt dabei nur die natürliche Geburtenregelung in Frage.

„189. Zudem hat Gott in seiner Güte und Weisheit der Natur eine nahezu unerschöpfliche Ergiebigkeit mitgegeben und zugleich dem Menschen soviel geistige Fähigkeiten geschenkt, daß dieser mit Hilfe entsprechender Werkzeuge die Gaben der Natur zur Befriedigung seiner Lebensbedürfnisse nutzbar machen kann. Selbstverständlich dürfen, um die hier gestellte Frage von Grund auf zu lösen, nicht Wege eingeschlagen werden, die nicht nur der gottgegebenen Sittenordnung zuwiderlaufen, sondern die menschliche Fortpflanzung selbst ihrer Würde entkleiden. Vielmehr soll das menschliche Bemühen sich daraufrichten, durch umfassenden Einsatz von Technik und Wissenschaft sich eine immer bessere Kenntnis der Kräfte der Natur und damit eine immer vollkommenere Beherrschung der Natur zu erwerben. Im übrigen berechtigt der bis zum heutigen Tage auf dem Gebiete der Wissenschaft und Technik erzielte Fortschritt in dieser Hinsicht zu fast unbegrenzten Hoffnungen für die Zukunft."

Generell gilt, dass die Problem immer weltweiter werden und vom einem Staat allein nicht gelöst werden können. Die einzelnen Länder müssen sich gegenseitig helfen. Einvernehmen und Zusammenarbeit sind gefordert.

2.1.2.2.3 Die Neuordnung des gesellschaftlichen Lebens

Eine Neuordnung des gesellschaftlichen Lebens kann es ohne Gott nicht geben. Es geht um die Neuordnung der Gesellschaft in Wahrheit, Gerechtigkeit und Liebe. Dabei ist die Soziallehre der Kirche Grundlage. Ihre dauernde Gültigkeit wird betont.

„219. Nach dem obersten Grundsatz dieser Lehre muß der Mensch der Träger, Schöpfer und das Ziel aller gesellschaftlichen Einrichtungen sein. Und zwar der Mensch, sofern er von Natur aus auf Mit-Sein angelegt und zugleich zu einer höheren Ordnung berufen ist, die die Natur übersteigt und diese zugleich überwindet."

„223. Deswegen wünschen Wir dringend, dass man sich immer mehr in sie vertieft. Vor allem wünschen Wir, daß sie in den katholischen Schulen aller Stufen, ganz besonders aber in den Seminarien, als Pflichtfach vorgetragen werde; Wir wissen allerdings, daß dies in verschiedenen Anstalten bereits seit längerer Zeit in ausgezeichneter Weise geschieht. Außerdem soll die Soziallehre in die religiöse Bildungsarbeit der Pfarreien und der apostolischen Laienbewegungen aufgenommen werden. Sie soll auch mit allen Mitteln verbreitet werden, die die moderne Zeit bietet: durch Zeitungen und Zeitschriften, durch wissenschaftliche Publikationen und volkstümliche Schriften und schließlich durch Rundfunk und Fernsehen."

Bei der Verbreitung und Umsetzung der Soziallehre kommt den Laienaktivitäten ein große Bedeutung zu.

„233. Aus diesem Grunde fällt nach Unserer Meinung in der Bildungsarbeit den apostolischen Laienbewegungen eine wichtige Rolle zu. Sie ist besonders Aufgabe derer, die sich zum Ziel gesetzt haben, alle Aufgaben der Gegenwart aus christlichem Geist zu erfüllen. Hier können in der Tat viele Mitglieder in täglicher Aktion sich selbst bilden und dann auch die Jugend in die Verwirklichung solcher Aufgaben besser einführen."

Als die Methode mit der Soziallehre umzugehen wird die von Kardinal Cardijn in der CAJ eingeführte Dreischrittmethode dargestellt: Sehen – Urteilen – Handeln.

„236. Die Grundsätze der Soziallehre lassen sich gewöhnlich in folgenden drei Schritten verwirklichen: Zunächst muß man den wahren Sachverhalt überhaupt richtig sehen; dann muß man diesen Sachverhalt anhand dieser Grundsätze gewissenhaft bewerten; schließlich muß man feststellen, was man tun kann und muß, um die überlieferten Formen nach Ort und Zeit anzuwenden. Diese drei Schritte lassen sich den drei Worten ausdrücken: sehen, urteilen, handeln."

Deutschlich wir auch die Einhaltung des Gebotes er Sonntagsruhe gefordert

Die Arbeit der gläubigen Christen in diesem Bereich der Soziallehre setzt die Arbeit Jesu Christi fort, dadurch wird sein Reich in dieser Welt gefestigt. Deshalb seht am Ende des Textes auch eine Vision des Gottesreiches:

„262. Es geht um die Lehre der katholischen und apostolischen Kirche, der Mutter und Lehrmeisterin aller Völker. Ihr Licht erleuchtet, entzündet und entflammt. Ihre mahnende Stimme, himmlischer Weisheit voll, wendet sich an alle Zeiten. In ihrer Kraft liegt das rechte und wirksame Heilmittel für die wachsenden Nöte der Menschen, für die Sorgen und Bedrängnisse dieses vergänglichen Lebens. Mit dieser ihrer Stimme vereint sich in wunderbarer Weise jene uralte Stimme des Psalmisten, die unaufhörlich unser Herz stärkt und erhebt: "Lauschen will ich, was Gott der Herr zu mir redet: wahrlich, er redet Frieden, zu seinem Volk und seinen Frommen, denen, die sich von Herzen zu ihm kehren. Sicher, nah ist sein Heil allen, welche ihn fürchten, seine Herrlichkeit wird in unserem Lande wohnen. Begegnen werden sich Gnade und Treue, Recht und Friede einander umarmen. Treue wird aus der Erde sprossen, Gerechtigkeit nieder vom Himmel schauen. Der Herr wird uns seine Güter spenden und unser Land seine Frucht bescheren. Voraufgehen wird ihm Gerechtigkeit und Heil der Spur seiner Füße folgen" (Ps. 84, 9ff.)."

2.1.2.2.4 Kritische Würdigung

Das eigentlich neue an dieser Enzyklika ist da aufgreifen der Entwicklungshilfe. Hier nimmt sich sehr früh ein internationale Organisation dieses Themas an. Sicher ist manches davon überholt und manche Selbstsicherheit gerade auch im Problem des Bevölkerungswachstums nahezu widerlegt. Manche Autoren vertreten da die Auffassung, dass die Frage weniger individualethisch als sozialethisch angegangen werden muss, weil dieses Problem schon längst ein gesellschaftliches ist. Der Zusammenhang zwischen Armut und Kinderreichtum ist im Text noch nicht erarbeitet. Bei weiterem Wachstum gehen wir auf eine Ernährungskatastrophe zu und von der in der Enzyklika vertretene Wissenschaftsgläubigkeit, die alles schon richten wird, sind wir weit entfernt. Aids und BSE sprechen zudem eine eigene Sprache ((2000). Trotzdem bleibt der Verdienst der Enzyklika, dieses Thema in die Gesamtkirche und darüber hinaus eingeführt zu haben. Soziallehre erweist sich als etwas, das nach dem Erkenntnisstand immer weiter entfaltet werden muss, sie seit nie abgeschlossen.

Sie muss auch mit allen gesellschaftlichen Medien verbreitet werden, dazu gehört heute auch da Internet. Wichtig ist auch, dass sich Laienorganisationen dieses Themas annehmen.

2.1.2.3 Pacem in terris – Frieden auf Erden

2.1.2.3.1 Das Thema „Frieden" wird bearbeitet

Während bisher die Enzykliken sich bisher an die katholische Kirche, ihre Bischöfe, Priester und Gläubigen richtete, richtet sich die neue Enzyklika auch „an alle Menschen guten Willens". Sie wurde bald nach der Kubakrise und dem Bau der Berliner Mauer im 2. Konzilsjahr 1963 veröffentlicht von Johannes XXIII. (siehe 2.1.2.2.1)

Das Thema der Enzyklika ist der Frieden, in dieser Form auch neu in der Soziallehre. Auch die Menschenrechte werden intensiv aufgegriffen, die eher in der Soziallehre ein Randdasein gespielt hatten, weil sie aus der französischen Revolution kamen. Der Text ist klar gegliedert, die Kapitel schließen jeweils mit einem Hinweis auf die Zeichen der Zeit ab. Nicht mehr Befehl und Gehorsam wie noch bei Mater et magistra sind der Stil, sondern es wird dialogisch argumentiert, wie es seit dem Konzil üblich geworden ist.

Der Ordnung in der Natur widerspricht der Unfrieden und die Unordnung unter den Menschen, wie die Enzyklika sagt. Die Gesetze zum friedlichen Zusammenleben der Menschen müssen aus der Natur des Menschen genommen werden. Dort hat sie der Schöpfer eingeschrieben. Hier besteht also eine klare naturrechtliche Argumentation.

2.1.2.3.2 Die Ordnung unter den Menschen

Zuerst wird auf die unveräußerlichen Rechte des Menschen hingewiesen. Dies waren ja durch Pius XII. in seinen Weihnachtsbotschaften von 1942 und 1944 aufgegriffen worden.

„9. Jedem menschlichen Zusammenleben, das gut geordnet und fruchtbar sein soll, muß das Prinzip zugrunde liegen, daß jeder Mensch seinem Wesen nach Person ist. Er hat eine Natur, die mit Vernunft und Willensfreiheit ausgestattet ist; er hat daher aus sich Rechte und Pflichten, die unmittelbar und gleichzeitig aus sein er Natur hervorgehen. Wie sie allgemein gültig und unverletzlich sind, können sie auch in keiner Weise veräußert werden (vgl. Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1942; Johannes XXIII., Ansprache vom 4.1.1963)."

Als Menschenrechte erden aufgezählt: „11. Bezüglich der Menschenrechte, die Wir ins Auge fassen wollen, stellen Wir gleich zu Beginn fest, daß der Mensch das Recht auf Leben hat, auf die Unversehrtheit des Leibes sowie auf die geeigneten Mittel zu angemessener Lebensführung. Dazu gehören Nahrung, Kleidung, Wohnung, Erholung, ärztliche Behandlung und die notwendigen Dienste, um die sich der Staat gegenüber den einzelnen kümmern muß. Daraus folgt auch, daß der Mensch ein Recht auf Beistand hat im Falle von Krankheit, Invalidität, Verwitwung, Alter, Arbeitslosigkeit oder wenn er ohne sein Verschulden sonst der zum Leben notwendigen Dinge entbehren muß."

Außerdem werden moralische und kulturelle Rechte gefordert:12. Von Natur aus hat der Mensch außerdem das Recht, daß er gebührend geehrt und sein guter Ruf gewahrt wird, daß er frei nach der Wahrheit suchen und unter Wahrung der moralischen Ordnung und des Allgemeinwohls seine Meinung äußern, verbreiten und jedweden Beruf ausüben darf; daß er schließlich der Wahrheit entsprechend über die öffentlichen Ereignisse in Kenntnis gesetzt wird.

13. Zugleich steht es dem Menschen kraft des Naturrechtes zu, an der geistigen Bildung teilzuhaben, d.h. also auch das Recht, sowohl eine Allgemeinbildung als auch eine Fach- und Berufsausbildung zu empfangen, wie es der Entwicklungsstufe des betreffenden Staatswesens entspricht. Man muß eifrig darauf hinarbeiten, daß Menschen mit entsprechenden geistigen Fähigkeiten zu höheren Studien aufsteigen können, und zwar so, daß sie, wenn möglich, in der menschlichen Gesellschaft zu Aufgaben und Ämtern gelangen, die sowohl ihrer Begabung als auch der Kenntnis entsprechen, die sie sich erworben haben"

Unantastbar ist das Recht auf freie Gottesverehrung. Es gibt ein Recht auf Arbeitsmöglichkeit und gerechten Lohn. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit ist zu gewährleisten. Jeder hat das Recht am öffentlichen Leben aktiv teilzunehmen. Außerdem gibt es ein Recht auf Einwanderung und Auswanderung.

Den Rechten stehen die Pflichten gegenüber. Zuerst muss jeder die gleichen Rechte des anderen achten und dem anderen beisstehen. Es gehört zur Würde frei zu handeln nicht nur auf Zwang und Druck.

Es geht um ein „Zusammenleben in Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit"

Die Zeichen der Zeit weisen darauf hin, dass ein sozialer Aufstieg der Arbeiter festzustellen ist, dass Frauen sich immer mehr ihrer Menschenwürde bewusst werden und ihre recht und Pflichten wahrnehmen, dass sich die Auffassung, dass alle Menschen in ihrer Würde gleich sind verbreitet und behauptet.

2.1.2.3.3 Die Beziehung zwischen den Menschen und der Staatsgewalt innerhalb der politischen Gemeinschaften

Die menschliche Gemeinschaft braucht eine rechtmäßige Autorität. Ihre Anordnung müssen aus der Vernunft begründet sein, die letztlich in Gott ihren Ursprung und ihr Ziel haben. Gesetze gegen de Ordnung Gottes verstoßen sind im Gewissen nicht bindend.

„51. Da die staatliche Gewalt von der Ordnung der geistigen Wirklichkeit gefordert wird und von Gott ausgeht, können Gesetze oder Anordnungen die Staatsbürger innerlich nicht verpflichten, wenn die Staatslenker gegen diese Ordnung und deshalb gegen Gottes Willen Gesetze erlassen oder etwas vorschreiben; denn "man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen" (Apg. S, 29); in diesem Falle hört die Autorität ganz auf; an ihre Stelle tritt gräßliches Unrecht, wie der heilige Thomas von Aquin lehrt: "

„61. Wenn deshalb Staatsbehörden die Rechte der Menschen nicht anerkennen oder sie verletzen, stehen sie nicht nur mit ihrer Aufgabe in Widerspruch, es sind dann ihre Anordnungen auch ohne jede rechtliche Verpflichtung (Vgl. Pius XI., Enz. Mit brennender Sorge; Pius XI., Enz. Divini Redemptoris; Pius XII., Weihnachtsbotschaft 1942, U-G 219-271)."

Die Existenzberechtigung der staatlichen Gewallt beruht im Gemeinwohl. Dies muss von der Wahrung der Rechte und Pflichten der menschlichen Person her begründet werden. Dabei kann es zuweilen richtig sein, die Schwächeren zu stärken.

Der Staat muss die Menschenrechte achten und fördern. Der Staat muss Sorge dafür tragen, dass dem wirtschaftlichen auch der soziale Fortschritt entspricht. Eine auf den moralischen Geboten stehende Rechtsordnung trägt zum Gemeinwohl bei. Die Gewaltenteilung (Gesetzgebung, Verwaltung, Rechtsprechung) ist der Menschennatur angepasst. Dieser Staat braucht ein Verfassung, in dem die Grundrechte festgeschrieben, Wahl und Amtsausübung der Träger der Staatsgewalt und die Regeln der Beziehungen zwischen Bürgern und Staatsbehörden geklärt sind.

2.1.2.3.3 Die Beziehungen zwischen den politischen Gemeinschaften

Die Beziehungen unter den Staaten müssen auf der Wahrheit, Gerechtigkeit, Solidarität und Freiheit beruhen.

Sie müssen auf Wahrheit beruhen; Deshalb darf es keine Diskriminierung der Rassen geben. Wirtschaftliche und technologische Vorsprünge dürfen nicht zur Unterdrückung von Völkern missbraucht werden, sie sollen vielmehr zum gemeinsamen Fortschritt beitragen. Die Berichterstattung in den Medien müssen der Wahrheit entsprechen.

Sie müssen auf Gerechtigkeit beruhen: Dazu gehört beiderseitige Anerkennung der Rechte und Pflichten. Die Staaten haben ein Recht auf Entfaltung und den Erwerb der für den fortschritt notwendigen Mittel. Minderheiten dürfen nicht unerdrückt werden. Statt Waffengewalt ist unparteiische Schlichtung angesagt.

„93. Es kann natürlich vorkommen, wie es auch tatsächlich geschieht, daß die Vorteile, welche im Kampf der Interessen die politischen Gemeinschaften für sich zu erringen suchen, einander widerstreiten. Die daraus entstehenden Gegensätze sollen aber nicht mit Waffengewalt und nicht mit Trug und List gelöst werden, sondern, wie es sich für Menschen geziemt, in gegenseitigem Einvernehmen auf Grund reiflicher sachlicher Überlegung und unparteiischer Schlichtung."

In tätiger Solidarität: Die Staaten müssen einander helfen. Das Gehmeinwohl eines Staates ist nicht unabhängig vom Gemeinwohl der Menschheitsfamilie. Deshalb sollen auch die Begegnungen von Bürgern und Gruppen gefördert werden. Zum Abbau der vorhandenen Unterschiede in den Ressourcen ist internationale Zusammenarbeit notwendig.

Migranten und Arbeitsmigranten genießen den vollen Schutz des Rechtes der Person, diese können sie nicht verlieren.

„103. Da Wir, von Gott selbst bewegt, gegenüber allen Menschen die Gesinnung väterlicher Liebe hegen, betrachten Wir mit großem Schmerz das Los derer, die aus politischen Gründen aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Viele und unglaubliche Leiden begleiten ja ständig die große, in unserer Zeit wahrlich ungezählte Menge dieser Flüchtlinge.

105. Deshalb ist es angezeigt, an dieser Stelle daran zu erinnern, daß diese Flüchtlinge mit der Würde einer Person ausgestattet sind und daß ihnen die Rechte einer Person zuerkannt werden müssen. Diese Rechte können die Flüchtlinge dadurch, daß sie des Bürgerrechtes ihrer politischen Gemeinschaft beraubt wurden, nicht verlieren.

106. Zu den Rechten der menschlichen Person gehört es auch, sich in diejenige Staatsgemeinschaft zu begeben, in der man hofft, besser für sich und die eigenen Angehörigen sorgen zu können. Deshalb ist es Pflicht der Staatslenker, ankommende Fremde aufzunehmen und, soweit es das wahre Wohl ihrer Gemeinschaft zuläßt, dem Vorhaben derer entgegenzukommen, die sich einer neuen Gemeinschaft anschließen wollen."

Der Rüstungswettlauf muss aufhören, Waffen müssen reduziert und Atomwaffen verboten werden. Wirksame Rüstungskontrolle ist angesagt.

„115. Danach aber muß man mit Leidenschaft streben. Inder Tat, wer hätte nicht den brennenden Wunsch, daß des Krieges Unheil abgewendet, der Friede dagegen unversehrt bewahrt und täglich mehr gesichert werde?

116. Endlich ist der Friede von höchstem Wert für alle: für die einzelnen Menschen, für den häuslichen Herd, für die Völker und schließlich für die gesamte Menschheitsfamilie. Diesbezüglich hallt in Unseren Ohren noch die mahnende Stimme Unseres Vorgängers Pius XII. nach: "Nichts ist mit dem Frieden verloren. Aber alles kann mit dem Krieg verloren sein" (Pius XII., Rundfunkbotschaft vom 24.8.1939)"

Sie müssen in Freiheit gestaltet werden: Kein Land darf ein anderes dabei unterdrücken, oder sich ungebührlich in dessen Angelegenheiten einmischen.

Bei aller notwendiger Hilfe von Außen muss Entwicklung immer im betroffenen Land zuerst betrieben werden.

„123. Und doch muß man sich immer ,wieder vor Augen halten, daß man jenen Völkern so zu Hilfe kommen muß, daß sie ihre Freiheit unversehrt wahren können. Auch müssen sie wissen, daß bei diesem ,wirtschaftlichen Fortschritt und sozialen Aufstieg ihnen selbst die erste Verantwortung zukommt und daß sie dabei die Hauptarbeit zu leisten haben."

2.1.2.3.4 Die Beziehungen zwischen den einzelnen politischen Gemeinschaften und der Völkergemeinschaft

Angesichts der wachsenden Verflechtungen sind die einzelnen Staaten nicht mehr allein in der Lage, ihren Aufgaben nachzukommen. Es geht um das Wohl aller Völker. Deshalb bedarf es einer universellen politischen Gewalt, die Rücksicht auf die menschliche Person zu nehmen hat. Das Subsidiaritätsprinzip muss hier zur Anwendung kommen.

„145. Es ist daher zu wünschen, die Vereinten Nationen möchten ihre Organisation und ihre Mittel immer mehr der Weite und dem hohen Rang ihrer Aufgaben anzupassen imstande sein, damit bald die Zeit komme, in der diese Vereinigung die Rechte der menschlichen Person wirksam schützen kann; Rechte, die deswegen allgemein, unverletzlich und unveränderlich sind, weil sie unmittelbar aus der Würde der menschlichen Person entspringen. Und das um so mehr, weil die Menschen gegenwärtig in ihrer Nation mehr an der Gestaltung des öffentlichen Lebens teilhaben, mit lebhafterem Interesse die Anliegen aller Völker ununterbrochen verfolgen und sich immer mehr bewußt sind, daß sie als lebendige Glieder zur allgemeinen Menschenheitsfamilie gehören."

2.1.2.3.4 Pastorale Anweisungen

Die Gläubigen sind gefordert sich politisch zu engagieren. Die verantwortliche Kooperation mit Nichtkatholiken und ihren Bewegungen. Sei sollen keine unpassenden Kompromisse machen, aber nicht nur auf ihren eigenen Vorteil schauen, sondern darauf ob eine Zusammenarbeit einem guten Ziel dient

„156. Alle Menschen sollen vielmehr bedenken, daß, was sie bisher getan haben, nicht genügt, daß sie vielmehr noch größere und zweckmäßigere Anstrengungen machen müssen auf den Gebieten der wirtschaftlichen Produktion, in den Bereichen der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerorganisationen, der Berufsverbände, des öffentlichen Versicherungswesens, der Förderung der Kultur, auf dem Gebiet der Rechtspflege, der Politik, des Gesundheitswesens, des Sports und dergleichen. Das alles verlangt unsere Zeit des Atoms und des Einbruchs in den Weltenraum, ein Zeitalter, in dem die Menschheit ihren neuen Weg in grenzenlose Weite schon begonnen hat"

Zum Aufbau einer Freiensordnung im Sinne Jesu bedarf es des Gebetes um den Heiligen Geist.

„168. Es handelt sich hier um eine so hohe und so bedeutende Aufgabe, daß ein Mensch - sei er auch höchsten Lobes würdig und vom besten Willen beseelt - sie nie erfüllen könnte, wenn er sich nur auf seine eigene Kraft verließe. Daß die menschliche Gesellschaft soweit als möglich ein Abbild des Gottesreiches werde, dazu braucht es dringend der Hilfe des göttlichen Geistes."

2.1.2.3.4 Kritische Würdigung

Es geht nicht zuerst um konkrete Kriege und ihre Beendigung, sondern langfristig um den Aufbau einer Weltfriedensordnung. Dazu werden Kriterien bereitgestellt. Die in der französische Revolution und der nordamerikanischen Befreiung entstandenen Menschenrechte werden in die Soziallehre integriert. Die Menschenwürde wird Grundlage jeder staatlichen Gemeinschaft. Gegenseitige Hilfen sind angesagt, Entwicklungshilfe gefordert. Atomwaffen gehören zum Schrott. Rüstungskontrolle ist notwendig. Es bedarf einer Weiterentwicklung der UN auf eine internationale staatliche Autorität hin. Katholische Christen müssen sich in all diesen Bereichen engagieren und dürfen um des guten Zieles willen auch nicht ängstlich sein vor Kooperationen mit anderen. Nicht mehr Bevormundung durch den Klerus für die Laien ist angesagt, sondern Einbringen ihrer eigenen Sachkompetenz und dann Handeln nach dem Sittengesetz. Der Geist der Öffnung des Konzils wir allenthalben in diesem Dokument deutlich, Berührungsängste vor Sachfragen und Personen treten zurück.

2.1.2.4 Die Pastoralkonstitution Gaudium et spes

2.1.2.4.1 Das bedeutendste Dokument der katholischen Soziallehre

1965 beschlossen die 2300 Bischöfe des Zweiten Vatikanischen Konzils das bisher nach Auffassung vieler bedeutendste Dokument der Katholischen Soziallehre und wohl auch des Konzils, Gaudium et spes (Freude und Hoffnung). In diesem Dokument versucht die Kirche die Welt unbefangen und eher positiv zur Kenntnis zu nehmen. Im Unterschied zu vielen bisherigen Dokumenten argumentiert diese Konstitution zuerst theologisch. Vor allem Kardinal Suenens aus Belgien hatte ein solches Dokument gefordert. Es verkündet die Aufgabe des Volkes Gottes, die zeichn der zeit im Lichte des Evangeliums kritisch zu prüfen und sich für die Förderung der menschlichen Würde und das Gemeinwohl zu arbeiten.

Der Inhalt kann hier nur in der gebotenen Kürze dargestellt werden, es lohnt sich, wenigstens das eine oder anderer Kapitel selbst zu lesen.

2.1.2.4.1 Vorwort und Einführung

„1. Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände. Ist doch ihre eigene Gemeinschaft aus Menschen gebildet, die, in Christus geeint, vom Heiligen Geist auf ihrer Pilgerschaft zum Reich des Vaters geleitet werden und eine Heilsbotschaft empfangen haben, die allen auszurichten ist. Darum erfährt diese Gemeinschaft sich mit der Menschheit und ihrer Geschichte wirklich engstens verbunden."

So beginnt dieses Dokument. Es richtet sich nicht nur an die Mitglieder der Kirche, sondern an alle Christen und sondern an alle Menschen. Sie bietet der Menschheit ihre Mitarbeit am Aufbau einer brüderlichen Gemeinschaft an. Dazu muss die Kirche stets nach den Zeichen der Zeit suchen und sie im Licht des Evangeliums deuten.

Es geht ein teilgreifender Wandel vor sich, dies wird an einigen Beispielen deutlich gemacht. Der Geist des Menschen weitet sich aus, in Natur- und Geisteswissenschaft sind die neuen Erkenntnisse kaum noch zu überschauen. Die Menschheit versucht die daraus sich ergebenden Entwicklungen zu steuern, sie kommt von einem mehr statischen zu einem dynamischen Verständnis der Abläufe.

Nicht geringer sind die Wandlungen in der Gesellschaft, überlieferte Strukturen in vielen Bereichen weichen der Industriegesellschaft. Hinzu kommen Wandlungen im psychologischen, sittlichen und religiösem Verständnis. Breite Volksmassen z.B. geben die Religion völlig auf.

Es entstehen Störungen im Gleichgewicht der Welt, die Spannungen wachsen, ein Beispiel sind die Spannungen zwischen den armen und reichen Völkern. Gleichzeitig wäschst aber auch das Bewusstsein, dass der Mensch sich diesen Dingen stellen und damit umgehen lernen muss.

„10...Die Kirche bekennt überdies, daß allen Wandlungen vieles Unwandelbare zugrunde liegt, was seinen letzten Grund in Christus hat, der derselbe ist gestern, heute und in Ewigkeit. Im Licht Christi also, des Bildes des unsichtbaren Gottes, des Erstgeborenen vor aller Schöpfung, will das Konzil alle Menschen ansprechen, um das Geheimnis des Menschen zu erhellen und mitzuwirken dabei, daß für die dringlichsten Fragen unserer Zeit eine Lösung gefunden wird."

2.1.2.4.2 Erster Hauptteil: Die Kirche und die Berufung des Menschen

I. die Würde des Menschen

Der Mensch ist nach dem Bilde Gottes geschaffen. Er ist von seiner Natur her ein gesellschaftliches Wesen. Er steht aber auch immer unter der Auseinandersetzung von gut und böse. Durch die Verbindung von Leib und Seele wird die stoffliche Welt in das Lob des Schöpfers mit hineingenommen. Der Mensch überragt in seiner Vernunft die Dingwelt und hat Anteil am Licht des göttlichen Geistes.

„16...Das Gewissen ist die verborgenste Mitte und das Heiligtum im Menschen, wo er allein ist mit Gott, dessen Stimme in diesem seinem Innersten zu hören ist."

Frei kann der Mensch sich für dem Guten zuwenden. Sein Freiheit macht ihn Gott am ähnlichsten. Im Christusgeheimnis wir das Geheimnis des Menschen deutlich. Der Mensch ist über den Tod hinaus in die Gemeinschaft mit Gott berufen.

Die Anerkennung Gottes widerstreitet der Würde des Menschen nicht, wie Atheisten behaupten. Trotzdem muss zum richtigen Aufbau der Welt auch mit ihnen zusammengearbeitet werden.

II. Die menschliche Gemeinschaft

Technischer Fortschritt trägt viel zur Verflechtung der Menschen bei, kann aber nicht die Gemeinschaft der Personen vollenden. Gott möchte eine Menschheitsfamilie in der das Gebot der Liebe herrscht.

„25...Träger und Ziel aller gesellschaftlichen Institutionen ist und muß auch sein die menschliche Person, die ja von ihrem Wesen selbst her des gesellschaftlichen Lebens durchaus bedarf. Da also das gesellschaftliche Leben für den Menschen nicht etwas äußerlich Hinzukommendes ist, wächst der Mensch nach allen seinen Anlagen und kann seiner Berufung entsprechen durch Begegnung mit anderen, durch gegenseitige Dienstbarkeit und durch den Dialog mit den Brüdern. Unter den gesellschaftlichen Bindungen, die für die Entwicklung des Menschen notwendig sind, hängen die einen, wie die Familie und die politische Gemeinschaft, unmittelbarer mit seinem innersten Wesen zusammen; andere hingegen gehen eher aus seiner freien Entscheidung hervor. In unserer gegenwärtigen Zeit mehren sich beständig aus verschiedenen Ursachen die gegenseitigen Verflechtungen und Abhängigkeiten, und so entstehen mannigfache Verbindungen und Institutionen öffentlichen oder privaten Rechts. Obschon dieser Vorgang, den man als "Sozialisation" bezeichnet, gewiß nicht ohne Gefahren ist, bringt er doch viele Vorteile für die Festigung und Förderung der Eigenschaften der menschlichen Person und für den Schutz ihrer Rechte mit sich."

Das Gemeinwohl trägt dazu bei, dass sowohl die Gemeinschaft als auch der Einzelne oder Gruppen ihre Vollendung besser erreichen. Es nimmt aber mehr und mehr der Mangel an Gütern zu, während andere im Überfluss leben.

Was der Mensch für sein wirklich menschliches Leben braucht muss ihm zugänglich gemacht werden. „26...wie Nahrung, Kleidung und Wohnung, sodann das Recht auf eine freie Wahl des Lebensstandes und auf Familiengründung, auf Erziehung, Arbeit, guten Ruf, Ehre und auf geziemende Information; ferner das Recht zum Handeln nach der rechten Norm seines Gewissens, das Recht auf Schutz seiner privaten Sphäre und auf die rechte Freiheit auch in religiösen Dingen. Die gesellschaftliche Ordnung und ihre Entwicklung müssen sich dauernd am Wohl der Personen orientieren; denn die Ordnung der Dinge muß der Ordnung der Personen dienstbar werden und nicht umgekehrt."

Die Ordnung der Dinge muss sich am Wohl der Personen orientieren, die grundlegende Gleichheit aller Menschen muss immer mehr zur Anerkennung gebracht werden. „29.. Allzu große wirtschaftliche und gesellschaftliche Ungleichheiten zwischen den Gliedern oder Völkern in der einen Menschheitsfamilie erregen Ärgernis; sie widersprechen der sozialen Gerechtigkeit, der Billigkeit, der menschlichen Personwürde und dem gesellschaftlichen und internationalen Frieden."

„31...Bei allen muß daher der Wille zur Mitwirkung an gemeinsamen Werken geweckt werden. Anerkennung verdient das Vorgehen jener Nationen, in denen ein möglichst großer Teil der Bürger in echter Freiheit am Gemeinwesen beteiligt ist. "Teilhabe ist angesagt.

Eine der wesentlichen Forderungen für die Gestaltung der Welt ist die Solidarität, die Jesus und vorgelebt hat. „32... Diese Solidarität muß stetig wachsen bis zu jenem Tag, an dem sie vollendet sein wird und die aus Gnade geretteten Menschen als eine von Gott und Christus, ihrem Bruder, geliebte Familie Gott vollkommen verherrlichen werden."

III. Das menschliche Schaffen in der Welt

Das Schaffen der Menschen ist kein Gegensatz zu Gott, sondern ein Zeichen der Größe Gottes. Je mehr aber die Möglichkeiten der Menschen wachsen, umso mehr wächst auch ihre Verantwortung. Wichtiger als aller technischer Fortschritt ist aber das Wachsen von Gerechtigkeit, Brüderlichkeit und Humanität.

Es gibt eine richtig verstandene Autonomie des menschlichen Schaffens und Forschens.

36. Nun scheinen viele unserer Zeitgenossen zu befürchten, daß durch eine engere Verbindung des menschlichen Schaffens mit der Religion die Autonomie des Menschen, der Gesellschaften und der Wissenschaften bedroht werde. Wenn wir unter Autonomie der irdischen Wirklichkeiten verstehen, daß die geschaffenen Dinge und auch die Gesellschaften ihre eigenen Gesetze und Werte haben, die der Mensch schrittweise erkennen, gebrauchen und gestalten muß, dann ist es durchaus berechtigt, diese Autonomie zu fordern. Das ist nicht nur eine Forderung der Menschen unserer Zeit, sondern entspricht auch dem Willen des Schöpfers. Durch ihr Geschaffensein selber nämlich haben alle Einzelwirklichkeiten ihren festen Eigenstand, ihre eigene Wahrheit, ihre eigene Gutheit sowie ihre Eigengesetzlichkeit und ihre eigenen Ordnungen, die der Mensch unter Anerkennung der den einzelnen Wissenschaften und Techniken eigenen Methode achten muß. Vorausgesetzt, daß die methodische Forschung in allen Wissensbereichen in einer wirklich wissenschaftlichen Weise und gemäß den Normen der Sittlichkeit vorgeht, wird sie niemals in einen echten Konflikt mit dem Glauben kommen, weil die Wirklichkeiten des profanen Bereichs und die des Glaubens in demselben Gott ihren Ursprung haben."

Unser richtiges Schaffen weist hin auf die Vollendung durch Gott.

„39...Alle guten Erträgnisse der Natur und unserer Bemühungen nämlich, die Güter menschlicher Würde, brüderlicher Gemeinschaft und Freiheit, müssen im Geist des Herrn und gemäß seinem Gebot auf Erden gemehrt werden; dann werden wir sie wiederfinden, gereinigt von jedem Makel, lichtvoll und verklärt, dann nämlich, wenn Christus dem Vater "ein ewiges, allumfassendes Reich übergeben wird: das Reich der Wahrheit und des Lebens, das Reich der Heiligkeit und der Gnade, das Reich der Gerechtigkeit, der Liebe und des Friedens" Hier auf Erden ist das Reich schon im Geheimnis da; beim Kommen des Herrn erreicht es seine Vollendung."

IV. Die Autorität der Kirche in der Welt von heute

Die Kirche geht den Weg mit der Menschheit und ist gleichsam der Sauerteig und die Seele der in Christus zu erneuernden Menschheit. Sie verkündet die Frohbotschaft Christi von der Freiheit der Kinder Gottes und ist gegen alle Knechtschaft. Sie verkündet die Menschenrechte. Gemäß ihrer Sendung ist die Kirche an kein bestimmtes politisches, wirtschaftliches oder gesellschaftliches System gebunden. Für die Auseinandersetzungen über den besseren Weg unter Christen werden bestimmte Kriterien aufgestellt.

„43...Oftmals wird gerade eine christliche Schau der Dinge ihnen eine bestimmte Lösung in einer konkreten Situation nahelegen. Aber andere Christen werden vielleicht, wie es häufiger, und zwar legitim, der Fall ist, bei gleicher Gewissenhaftigkeit in der gleichen Frage zu einem anderen Urteil kommen. Wenn dann die beiderseitigen Lösungen, auch gegen den Willen der Parteien, von vielen andern sehr leicht als eindeutige Folgerung aus der Botschaft des Evangeliums betrachtet werden, so müßte doch klar bleiben, daß in solchen Fällen niemand das Recht hat, die Autorität der Kirche ausschließlich für sich und seine eigene Meinung in Anspruch zu nehmen. Immer aber sollen sie in einem offenen Dialog sich gegenseitig zur Klärung der Frage zu helfen suchen; dabei sollen sie die gegenseitige Liebe bewahren und vor allem auf das Gemeinwohl bedacht sein."

Die Laien haben in der Welt eine besondere Berufung, sie sind überall in der menschlichen Schicksalsgemeinschaft dazu berufen, Christi Zeugen zu sein.

„43...Die Laien sind eigentlich, wenn auch nicht ausschließlich, zuständig für die weltlichen Aufgaben und Tätigkeiten. Wenn sie also, sei es als Einzelne, sei es in Gruppen, als Bürger dieser Welt handeln, so sollen sie nicht nur die jedem einzelnen Bereich eigenen Gesetze beobachten, sondern sich zugleich um gutes fachliches Wissen und Können in den einzelnen Sachgebieten bemühen. Sie sollen bereitwilligst mit denen, die die gleichen Aufgaben haben wie sie, zusammenarbeiten. In Anerkennung der Forderungen des Glaubens und in seiner Kraft sollen sie, wo es geboten ist, mit Entschlossenheit Neues planen und ausführen. Aufgabe ihres dazu von vornherein richtig geschulten Gewissens ist es, das Gebot Gottes im Leben der profanen Gesellschaft zur Geltung zu bringen. Von den Priestern aber dürfen die Laien Licht und geistliche Kraft erwarten. Sie mögen aber nicht meinen, ihre Seelsorger seien immer in dem Grade kompetent, daß sie in jeder, zuweilen auch schweren Frage, die gerade auftaucht, eine konkrete Lösung schon fertig haben könnten oder die Sendung dazu hätten. Die Laien selbst sollen vielmehr im Licht christlicher Weisheit und unter Berücksichtigung der Lehre des kirchlichen Lehramtes darin ihre eigene Aufgabe wahrnehmen."

Das Gespräch mit der Weisehit der Philosophen ist zu suchen, um das Evangelium auch den Ansprüchen der Gebildeten angemessen zu verkünden. Dies dient auch der Inkulturation des Evangeliums.

2.1.2.4.3 Zweiter Hauptteil: Wichtige Einzelfragen

I. Die Würde von Ehe und Familie

Das Wohlergehen der menschlichen und christlichen Gesellschaft ist zutiefst mit dem Wohlergehen von Ehe und Familie verbunden. Die Ehe entsteht durch die freie Entscheidung der Partner und ist auf Treue und Dauer angelegt. Ehe ist auf Nachkommenschaft angelegt, sie dient aber auch der Liebe der Partner. Die Geburtenregelung darf nach Auffassung des Konzils nicht in den Formen gesehen, die das Lehramt in Auslegung des göttlichen Gesetzes nicht erlaubt hat.

„51...Gott, der Herr des Lebens, hat nämlich den Menschen die hohe Aufgabe der Erhaltung des Lebens übertragen, die auf eine menschenwürdige Weise erfüllt werden muß. Das Leben ist daher von der Empfängnis an mit höchster Sorgfalt zu schützen. Abtreibung und Tötung des Kindes sind verabscheuenswürdige Verbrechen."

Die Erziehung der Kinder ist auch Aufgabe des Vaters, der Mutter dürfen aus dieser Tätigkeit keine gesellschaftlichen Nachteile entstehen.

„52...So ist die Familie, in der verschiedene Generationen zusammenleben und sich gegenseitig helfen, um zu größerer Weisheit zu gelangen und die Rechte der einzelnen Personen mit den anderen Notwendigkeiten des gesellschaftlichen Lebens zu vereinbaren, das Fundament der Gesellschaft."

Der Staat hat Ehe und Familie deshalb zu fördern.

II. Kultureller Fortschritt

„53...Unter Kultur im allgemeinen versteht man alles, wodurch der Mensch seine vielfältigen geistigen und körperlichen Anlagen ausbildet und entfaltet; wodurch er sich die ganze Welt in Erkenntnis und Arbeit zu unterwerfen sucht; wodurch er das gesellschaftliche Leben in der Familie und in der ganzen bürgerlichen Gesellschaft im moralischen und institutionellen Fortschritt menschlicher gestaltet; wodurch er endlich seine großen geistigen Erfahrungen und Strebungen im Lauf der Zeit in seinen Werken vergegenständlicht, mitteilt und ihnen Dauer verleiht zum Segen vieler, ja der ganzen Menschheit."

Unter dieser Rücksicht gehört auch Arbeit zum kulturellen Gestalten. Wissenschaft und Technik ermöglichen neue Wege zur Ausbreitung der Kultur. Der Mensch muss trotz dieser Entwicklungen offen bleiben für das Evangelium. Die Kirche nutzt die Möglichkeiten der Kultur für die Verbreitung des Evangeliums.

Die Kirche hat sich dafür einzusetzen, dass das Recht aller auf eine menschliche und mitmenschliche Kultur auf der ganzen Welt anerkannt wird. Auch die Arbeitsbedingungen der Arbeiter und Landbevölkerung dürfen deren menschliche Kultur nicht beeinträchtigen. Alle müssen sich dafür einsetzen, dass die Frau am kulturellen Leben teilnehmen kann und diese Teilnahmen fördern. Die Kirche soll das Schaffen von Künstlern anerkennen. Die Gläubigen sollen sich bemühen, die Denkweisen anderer Menschen in enger Verbindung kennen zu lernen.

III. Das Wirtschaftsleben

Deutlich spricht das Konzil über das Ziel der Wirtschaft und nennt einige gravierende Missstände:

„63...Auch im Wirtschaftsleben sind die Würde der menschlichen Person und ihre ungeschmälerte Berufung wie auch das Wohl der gesamten Gesellschaft zu achten und zu fördern, ist doch der Mensch Urheber, Mittelpunkt und Ziel aller Wirtschaft.

...Nicht wenige Menschen, namentlich in den wirtschaftlich fortgeschrittenen Ländern, sind von der Wirtschaft geradezu versklavt, so daß fast ihr ganzes persönliches und gesellschaftliches Leben von ausschließlich wirtschaftlichem Denken bestimmt ist.

...Gerade zu der Zeit, da das Wachstum der Wirtschaft, vernünftig und human gelenkt und koordiniert, die sozialen Ungleichheiten mildern könnte, führt es allzu oft zu deren Verschärfung, hie und da sogar zur Verschlechterung der Lage der sozial Schwachen und zur Verachtung der Notleidenden. Während einer ungeheueren Masse immer noch das absolut Notwendige fehlt, leben einige auch in zurückgebliebenen Ländern - in Üppigkeit und treiben Verschwendung. Nebeneinander bestehen Luxus und Elend.

...Zwischen den wirtschaftlich fortgeschrittenen Völkern und anderen bildet sich ein ständig sich verschärfender Gegensatz heraus, der sogar den Weltfrieden gefährden kann."

Die Zweckbestimmung des Produktionsprozesses besteht nicht in Erzielung von Gewinn oder Ausübung von macht, sondern im Dienst am ganzen Menschen. Der wirtschaftliche Fortschritt darf nicht der Herrschaft des Menschen entgleiten, noch darf er Einzelmenschen oder Gruppen oder einigen Nationen ausgeliefert sein. Es sollen möglichst viele Menschen und soweit es sich um den zwischenstaatlichen bereich handelt alle Nationen aktiv daran betilgt sein. In wirtschaftlich schwachen Ländern wird das Gemeinwohl gefährdet, wenn man ihnen die Mittel für den produktiven Einsatz vorenthält.

„66...Um den Erfordernissen von Gerechtigkeit und Billigkeit Genüge zu tun, müssen ernsthafte Anstrengungen unternommen werden, um - unbeschadet der Rechte der menschlichen Person und der besonderen Veranlagung jedes einzelnen Volkes - die übergroßen und noch weiter zunehmenden Ungleichheiten der wirtschaftlichen Lage und die damit Hand in Hand gehende persönliche und soziale Diskriminierung möglichst rasch abzubauen."

Arbeitsemigranten dürfen in ihren Aufnahmeländern in keiner Weise bezüglich Lohn und Arbeitsbedingungen diskriminiert werden.

In der laufenden Automation der Wirtschaft muss Sorge dafür getragen werden, dass genügend Arbeitsplätze da sind und Versorge für Erkrankung und Alter geschaffen werden.

Es gibt verbindliche Grundsätze für das sozialökonomische Leben. Sie werden hier zusammengefasst dargestellt (67-72).

Arbeit hat Vorrang vor allen anderen Produktionsmittel, Die Arbeit „ist unmittelbarer Ausfluß der Person(67)" Jeder Einzelne hat eine Verpflichtung sowie ein Recht auf Arbeit, die Gesellschaft hat behilflich zu sein, dass genügend Arbeitslätze vorhanden sind. Im Unternehmen stehen Personen im Verbund, nach dem Bild Gottes geschaffene Menschen, deshalb ist die aktive Beteiligung aller an der Unternehmensgestaltung voran zu bringen. Bei der Regelung des Eigentums ist darauf zu achten, dass die Güter dieser Welt für alle bestimmt sind. Jeder hat das Recht für sich und sein Familie ausreichenden Anteil an den Erdengütern zu haben.

69...Wer aber sich in äußerster Notlage befindet, hat das Recht, vom Reichtum anderer das Benötigte an sich zu bringen." Das sagt das Konzil im Verweis auf Thomas von Aquin und neuere Autoren. Investoren sollen für ausreichende Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten sorgen, da gilt besonders auch für die Entwicklungsländer. Die Sozialpflichtigkeit des Eigentums hat ihre Begründung in der Widmung der Erdengüter an alle. In Entwicklungsländern gibt es oft riesigen wenig genutzten Landbesitz, die abhängigen Arbeitskräfte und Pächter verarmen, hier sind Reformen geboten und die nicht hinreichend genutzten Flächen ertragbringende aufzuteilen."

IV. Das Leben der politischen Gemeinschaft

Die Menschen wollen mehr bei der politischen Gestaltung mitwirken.

„75... . Unmenschlich ist es, wenn eine Regierung auf totalitäre oder diktatorische Formen verfällt, die die Rechte der Person und der gesellschaftlichen Gruppen verletzen." Christen sollen durch ihr pflichtbewusstes Handel für das Gemeinwohl beispielgebend sein. Die politischen Parteien dürfen ihre Sonderinteressen nicht über das Gemeinwohl stellen. Die politische Gemeinschaft und die Kirche sind je auf ihrem Gebiet autonom, im Dienst am gleichen Menschen besser leisten, wenn sie zusammenwirken. Die Kirche setzt ihre Hoffnungen nicht auf Privilegien, sie wird dies sogar zurückeben, wenn durch ihre Inaspruchnahme die Lauterkeit ihres Dienstes in Frage gestellt ist.

„76... Immer und überall aber nimmt sie das Recht in Anspruch, in wahrer Freiheit den Glauben zu verkünden, ihre Soziallehre kundzumachen, ihren Auftrag unter den Menschen unbehindert zu erfüllen und auch politische Angelegenheiten einer sittlichen Beurteilung zu unterstellen, wenn die Grundrechte der menschlichen Person oder das Heil der Seelen es verlangen.

V. Die Förderung des Friedens und der Aufbau der Völkergemeinschaft

Der Frieden ist nicht allein schon die Abwesenheit von Krieg, er lässt sich auch nicht nur durch ein Gleichgewicht der Kräfte oder durch ein Machtgebot der Starken sichern, er ist ein „Werk der Gerechtigkeit (Jesaja 32,17). Er ist niemals Besitz, sondern immer zu erfüllende Aufgabe.

„78... Soweit aber die Menschen sich in Liebe vereinen und so die Sünde überwinden, überwinden sie auch die Gewaltsamkeit, bis sich einmal die Worte erfüllen: "Zu Pflügen schmieden sie ihre Schwerter um, zu Winzermessern ihre Lanzen. Kein Volk zückt mehr gegen das andere das Schwert. Das Kriegshandwerk gibt es nicht mehr" (Jes 2,4)."

Das Völkerrecht bleibt und auch das Verbot von Handlungen, die diesem widersprechen, auch die Berufung auf blinden Gehorsam kann den nicht entschuldigen, der sie ausführt. Es soll weiter Sorge dafür getragen werden, das durch internationale Konventionen die Unmenschlichkeit der Kriegshandlungen gemindert werden. Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen muss möglich sein und gesetzlich geregelt werden. Solange es keine international Autorität gibt, kann einer Regierung das Recht auf sittlich erlaubte Verteidigung nicht abgesprochen werden.

„80... Deshalb macht sich diese Heilige Synode die Verurteilung des totalen Krieges, wie sie schon von den letzten Päpsten ausgesprochen wurde3, zu eigen und erklärt: Jede Kriegshandlung, die auf die Vernichtung ganzer Städte oder weiter Gebiete und ihrer Bevölkerung unterschiedslos abstellt, ist ein Verbrechen gegen Gott und gegen den Menschen, das fest und entschieden zu verwerfen ist."

Der Rüstungswettlauf ist kein sicherer Weg zum Frieden, er belastetet besonders die erfolgreiche Bekämpfung des Elends in der Welt. Eine Weltautorität wird zur Sicherung des Freidens gefordert.

„82 Es ist also deutlich, daß wir mit all unseren Kräften jene Zeit vorbereiten müssen, in der auf der Basis einer Übereinkunft zwischen allen Nationen jeglicher Krieg absolut geächtet werden kann. Das erfordert freilich, daß eine von allen anerkannte öffentliche Weltautorität eingesetzt wird, die über wirksame Macht verfügt, um für alle Sicherheit, Wahrung der Gerechtigkeit und Achtung der Rechte zu gewährleisten. Bevor aber diese wünschenswerte Autorität konstituiert werden kann, müssen die jetzigen internationalen höchsten Gremien sich intensiv um Mittel bemühen, die allgemeine Sicherheit besser zu gewährleisten. Da der Friede aus dem gegenseitigen Vertrauen der Völker erwachsen sollte, statt den Nationen durch den Schrecken der Waffen auferlegt zu werden, sollten alle sich bemühen, dem Wettrüsten ein Ende zu machen."

Es geht um den Aufbau einer internationalen Gemeinschaft. Um dafür den Frieden in der Welt aufzubauen, müssen die Ursachen des Krieges beseitigt werden. Die vom Konzil gewürdigten internationalen Institutionen sind erst Versuche, eine internationale Grundlage für eine Gemeinschaft der ganzen Menschheit zu schaffen. Die Entwicklungsländer müssen als Ziel des Fortschritts die volle menschliche Entfaltung ihrer Bürger haben. Sie dürfen sich nicht nur auf fremde Hilfe verlassen, sondern müssen ihre eigenen Ressourcen ins Spiel bringen. Die hochentwickelten Länder haben ein schwere Verpflichtung die aufstrebenden Völker dabei zu unterstützen. Unter Berücksichtigung des Subsidiaritätsprinzips hat die internationale Gemeinschaft die wirtschaftliche Verhältnisse weltweit zu so zu ordnen, dass sie den Normen der Gerechtigkeit entspricht. Die Christen sollen beim Aufbau dieser Ordnung von Herzen mitzuarbeiten.

„90. Eine hervorragende Form des internationalen Wirkens der Christen ist zweifellos die Mitarbeit, die sie einzeln und organisiert in den vorhandenen oder zu gründenden Institutionen zur Förderung der Zusammenarbeit unter den Nationen leisten. Darüber hinaus können die verschiedenen katholischen internationalen Organisationen auf vielfache Weise zum Aufbau einer friedlichen und brüderlichen Völkergemeinschaft beitragen. Sie verdienen gestärkt zu werden durch erhöhten Einsatz gut vorgebildeter Mitarbeiter, durch Vermehrung der notwendigen Hilfsmittel und durch geeignete Koordinierung der Kräfte... Schließlich ist zu wünschen, daß die Katholiken zur rechten Erfüllung ihrer Aufgabe in der internationalen Gemeinschaft eine tatkräftige und positive Zusammenarbeit anstreben mit den getrennten Brüdern, die sich gemeinsam mit ihnen zur Liebe des Evangeliums bekennen, und mit allen Menschen, die den wahren Frieden ersehnen. Aber angesichts der zahllosen Drangsale, unter denen der größere Teil der Menschheit auch heute noch leidet, hält es das Konzil für sehr zweckmäßig, ein Organ der Gesamtkirche zu schaffen, um die Gerechtigkeit und Liebe Christi den Armen in aller Welt zuteil werden zu lassen. Seine Aufgabe soll es sein, die Gemeinschaft der Katholiken immer wieder anzuregen, den Aufstieg der notleidenden Gebiete und die soziale Gerechtigkeit unter den Völkern zu fördern."

2.1.2.4.4 Abschließende Gedanken

Die Konstitution ist das umfassendste und wohl auch bisher beste Werk in der gesamtkirchlichen Soziallehre der Kirche, zumal wenn man bedenkt, dass 2300 Konzilsväter darüber befunden haben. Viele neue Themen wurden aufgegriffen und ausführlich abgehandelt, das betrifft die Frauenfrage und vor allem das Thema Krieg und Frieden. Die Rolle der Laien in der praktische Soziallehre wurde deutlich herausgestellt. Offenheit in den meisten angeschnittenen Fragen und den Kontakten zu anderen bewiesen. Beim Lesen der Pastoralkonstitution muss man bedenken, dass sie inzwischen (2001) über 35 Jahre alt ist. Die Entwicklungen sind weitergegangen. Manches hat sich gelöst, so die Konflikte zwischen Ost und West, manches wird kritischer gesehen, so die technische Entwicklung, noch nicht diskutiert wurde die ökologische Frage, die heute so brennend geworden ist. Das schmälert aber keineswegs die Bedeutung dieses wichtigen Dokumentes.

2.1.2.5 Populorum progressio – über die Entwicklung der Völker

2.1.2.5.1 Grundsätzliche Zuwendung zur gerechten Entwicklung der Völker

Die Enzyklika von Paul VI. erschien 1967. Sie ist ganz dem Thema der Entwicklungshilfe gewidmet. Sie ist auch aus der unmittelbaren Anschauung des Papstes erwachsen, 1960 nach Lateinamerika und 1962 nach Afrika. Er entwirft eine christliche Vision von Entwicklung. Die Enzyklika will aber mehr als die Schreiben vorher zum unmittelbaren handeln anregen.

Paul VI. wurde am 26. September 1897 in Concesio als Giovanni Battista Montini geboren. 1954 wurde er Erzbischof von Mailand. 1958 wurde er zum Kardinal ernannt. Papst war er von 1963 bis 1978. Er führte den Vorsitz während der letzten Phase des Zweiten Vatikanischen Konzils. Paul VI. starb am 6. August 1978 in Castel Gandolfo.

2.1.2.5.2 Der Text

„ 1. Die Entwicklung der Völker wird von der Kirche aufmerksam verfolgt: vor allem derer, die dem Hunger, dem Elend, den herrschenden Krankheiten, der Unwissenheit zu entrinnen suchen; derer, die umfassender an den Früchten der Zivilisation teilnehmen und ihre Begabung wirksamer zur Geltung bringen wollen, die entschieden ihre vollere Entfaltung erstreben. Das Zweite Vatikanische Konzil wurde vor kurzem abgeschlossen. Seither steht das, was das Evangelium in dieser Frage fordert, klarer und lebendiger im Bewußtsein der Kirche. Es ist ihre Pflicht, sich in den Dienst der Menschen zu stellen, um ihnen zu helfen, dieses schwere Problem in seiner ganzen Breite anzupacken, und sie in diesem entscheidenden Augenblick der Menschheitsgeschichte von der Dringlichkeit gemeinsamen Handelns zu überzeugen."

I Umfassende Entwicklung des Menschen

Die Menschen wollen Freisein von Elend, gesicherten Lebensunterhalt, Gesundheit und Beschäftigung...bessere Bildung. Vor allem die Völker, die kürzlich frei geworden sind wollen einen angemessenen Platz in der Völkerfamilie einnehmen. Dazu sind die bisherigen Mittel nicht ausreichend, die Konflikte haben weltweites Ausmaß angenommen und im Aufeinaderprallen traditioneller Kulturen mit der Industriekultur zerbrechen herkömmliche Strukturen.

Die Kirche hat sich treu der Weisung Jesu schon immer bemüht, den Völkern, denen sie den Glauben brachte, zur menschlichen Entfaltung zu führen. Heute bedarf es auch einer klaren Konzeption auf wirtschaftlichen, sozialem, kulturellen und geistigem Gebiet. Die Kirche muss schon auf dieser Erde das Himmelreich aufrichten. Dazu eröffnet sie eine umfassende Sicht des Menschen.

„14...Entwicklung ist nicht einfach gleichbedeutend mit ,wirtschaftlichem Wachstum. Wahre Entwicklung muß umfassend sein, sie muß jeden Menschen und den ganzen Menschen im Auge haben..."

„15. Nach dem Plan Gottes ist jeder Mensch gerufen, sich zu entwickeln, weil das Leben eines jeden Menschen von Gott zu irgendeiner Aufgabe bestimmt ist. Von Geburt an ist allen keimhaft eine Fülle von Fähigkeiten und Eigenschaften gegeben, die Frucht tragen sollen. Ihre Entfaltung, Ergebnis der Erziehung durch die Umwelt und persönlicher Anstrengung, gibt jedem die Möglichkeit, sich auf das Ziel auszurichten, das ihm sein Schöpfer gesetzt hat. Mit Verstand und freiem Willen begabt, ist der Mensch für seinen Fortschritt ebenso verantwortlich wie für sein Heil..."

„17. Der Mensch ist aber auch Glied der Gemeinschaft. Er gehört zur ganzen Menschheit. Nicht nur dieser oder jener, alle Menschen sind aufgerufen, zur vollen Entwicklung der ganzen menschlichen Gesellschaft beizutragen..."

Wachstum ist notwendig, damit der Mensch mehr zum Menschen werde, es ist aber nicht Selbstzweck.

Die Erde ist von Gott den allen Menschen und Völkern mit allem was sie enthält übergeben. Alle anderen Rechte auch das Eigentum sind diesem Grundgesetz untergeordnet. Deshalb kann es auch, wenn wie z.B. Großgrundbesitz dem Gemeinwohl hemmend im Wege steht, in manchen Fällen enteignet werden. Industrialisierung ist für die Entwicklung unentbehrlich.

„26...Im Gefolge dieses Wandels der Daseinsbedingungen haben sich unversehens Vorstellungen in die menschliche Gesellschaft eingeschlichen, wonach der Profit der eigentliche Motor des wirtschaftlichen Fortschritts, der Wettbewerb das oberste Gesetz der Wirtschaft, das Eigentum an den Produktionsmitteln ein absolutes Recht, ohne Schranken, ohne entsprechende Verpflichtungen der Gesellschaft gegenüber darstellt. Dieser ungehemmte Liberalismus führte zu jener Diktatur, die Pius XI. mit Recht als die Ursache des finanzkapitalistischen Internationalismus oder des Imperialismus des internationalen Finanzkapitals brandmarkte. Man kann diesen Mißbrauch nicht scharf genug verurteilen. Noch einmal sei feierlich daran erinnert, daß die Wirtschaft ausschließlich dem Menschen zu dienen hat."

Die Zeit eilt. Revolution ist aber auszuschließen, außer in der Situation langer Gewaltherrschaft, die die Rechte der Person schwer verletzt und dem Gemeinwohl ernsten Schaden zufügt. Unser Entwicklungswerk verlangt kühne bahnbrechende Umwälzungen. Verschiedene Programme sind notwendig für den Staat, die Industrie und Verbände, auch ein Programm zur Steigerung der Produktion, das aber dem Menschen dienen muss. Begonnen werden muss ein Entwicklungsplan alles mit einer Grundausbildung. Die traditionelle Kultur ist zu schützen. Für die Entwicklung sind durchaus plurale Trägerschaften möglich.

II Solidarische Entwicklung der Menschheit

Es bedarf der Hilfe für die Schwachen. Da ist jeder Einzelne angesprochen.

„47...Es geht darum, eine Welt zu bauen, wo jeder Mensch, ohne Unterschied der Rasse, der Religion, der Abstammung, ein volles menschliches Leben führen kann, frei von Versklavung seitens der Menschen oder einer noch nicht hinreichend gebändigten Natur; eine Welt, wo die Freiheit nicht ein leeres Wort ist, wo der arme Lazarus an derselben Tafel mit dem Reichen sitzen kann52. Das fordert von diesem ein hohes Maß an Hochherzigkeit, große Opfer und unermüdliche Anstrengungen Jeder muß sein Gewissen erforschen, das ihn auf diese neuen Forderungen für unsere Zeit hinweist. Ist er bereit, auf seine Kosten die Werke und Aufgaben zugunsten der Ärmsten zu unterstützen? Mehr Steuern zu zahlen, damit die öffentlichen Stellen ihre Entwicklungshilfe intensivieren können? Höhere Preise für Einfuhrgüter zu zahlen, damit die Erzeuger einen angemessenen Verdienst erhalten? Notfalls seine Heimat zu verlassen, wenn er jung ist, um den zu höherer Zivilisation aufstrebenden Nationen zu helfen?"

Aber auch die reichen Staaten sind gefordert. Die Pflicht der Solidarität besteht auch für die Völker. Der Überfluss der reicheren Länder muss den ärmeren zustatten kommen. Was einmal zugunsten der Verwandten galt, das gilt für die Hilfeleistung jetzt für die Weltnöte. Die Hilfe muss abgestimmt werden, das ist oft wirksamer als Hilfe je nach Situation dem einzelnen zu überlassen. Teile der Rüstungsausgaben sollen zur Schaffung eines Weltfonds umgewidmete werden, um so den notleidenden Menschen zu helfen. „55... Aber jeder sei davon überzeugt: es geht um das Leben der armen Völker, es geht um die Eintracht der Bürger in den Entwicklungsländern, es geht um den Frieden der Welt."

Der Handelaustausch muss gerechter werden. „57...Die hochindustrialisierten Nationen exportieren vor allem Fertigprodukte, während die unterentwickelten Wirtschaften nur Agrarprodukte und Rohstoffe exportieren können. Dank dem technischen Fortschritt steigt deren Wertschätzung rasch, und sie finden einen guten Absatz. Dagegen unterliegen die Produkte der unterentwickelten Länder breiten und jähen Preisschwankungen, an eine sich steigernde Wertschätzung ist gar nicht zu denken. Daraus entstehen für die wenig industrialisierten Nationen große Schwierigkeiten, wenn sie aus ihren Exporterlösen ihren öffentlichen Haushalt ausgleichen und ihre Entwicklungspläne verwirklichen wollen. Die armen Völker werden dabei immer ärmer, die reichen immer reicher."

Der Wettbewerb zwischen den armen und reichen Ländern muss gerecht und zugleich sozial sein. Auch andere Probleme hemmen die Entwicklung, Stammesfehden, Hautfarbe, Nationalismus und Rassismus auch in den armen Ländern selbst sind ein große Belastung. Sie müssen verschwinden weil sie dem Aufbau eine solidarischen Gesellschaft entgegenstehen. Die Welt ist krank, weil die brüderlichen band unter den Menschen und Völkern fehlen.

„Entwicklung, der neue Name für Friede.

76. Die zwischen den Völkern bestehenden übergroßen Unterschiede der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, wie auch der Lehrmeinungen, sind dazu angetan, Eifersucht und Uneinigkeit hervorzurufen und gefährden so immer wieder den Frieden."

Die einzelnen Völker müssen gewiss der Baumeister ihres eigenen Fortschritts sein. Aber sie werden es nicht isoliert schaffen.

„78. Diese internationale Zusammenarbeit auf Weltebene braucht Institutionen, die sie vorbereiten, aufeinander abstimmen, leiten, bis eine Rechtsordnung geschaffen wird, die allgemein anerkannt ist. Von ganzem Herzen ermutigen Wir die Organisationen, die bisher schon das Werk der kulturellen Entwicklung der Völker in die Hand genommen haben, und Wir wünschen, daß ihre Autorität wachse. "Ihre Aufgabe ist es", so sagten Wir vor den Vertretern der Vereinten Nationen in New York, "nicht einige, sondern alle Völker einander brüderlich näherzubringen.., Wer sieht nicht die Notwendigkeit ein, allmählich zur Errichtung einer die Welt umfassenden Autorität zu kommen, die imstande ist, auf der rechtlichen wie auf der politischen Ebene wirksam zu handeln"

Manche halten diese Hoffnungen zwar für utopisch. Aber sie sind notwendig.

„80... Auf diesem Weg müssen wir alle solidarisch sein. Darum hatten Wir es für unsere Pflicht, allen die gewaltige Bedeutung dieses Anliegens und die dringende Notwendigkeit der Aufgabe vor Augen zu stellen. Jetzt schlägt die Stunde der Tat: das Leben so vieler unschuldiger Kinder, der Aufstieg so vieler unglücklicher Familien zu einem menschlichen Leben, der Friede der Welt, die Zukunft der Kultur, stehen auf dem Spiet. Alle Menschen, alle Völker haben ihre Verantwortung zu übernehmen."

Die Katholiken und alle Christen sind aufgerufen, an diesem Werk der Entwicklung mitzuwirken, dieser Ruf geht aber auch an alle Menschen. Alle, die den Ruf der notleidenden Völker gehört haben werden als Apostel einer wahren und gesunden Entwicklung betrachtet.

„87...Von ganzem Herzen segnen Wir euch, und Wir rufen alle Menschen guten Willens auf, sich mit euch brüderlich zu verbinden. Denn wenn heute niemand mehr bezweifeln kann, daß Entwicklung gleichbedeutend ist mit Frieden, wer wollte dann nicht mit ganzer Kraft an dieser Entwicklung mitarbeiten? Gewiß niemand. Darum laden Wir alle ein, auf Unsern Ruf der Sorge eine hochherzige und mutvolle Antwort zu geben im Namen des Herrn".

2.1.2.5.2 „Entwicklung, der neue Name für Friede."

Entwicklung ist nicht mehr nur eine Sache von einigen Engagierten, sondern eine Sache aller Menschen und der ganzen Welt. Es geht um den Frieden der ganzen Menschheit. Die Menschheitsfamilie wird bei dieser himmelschreienden Ungerechtigkeit nicht in Frieden leben. Alle sind aufgerufen, an diesem Werk der Entwicklung mitzuwirken. Letztlich bracht diese Weltaufgabe eine Weltautorität, nicht irgendwann, sondern möglichst schnell.

2.1.2.6 Octogesimo adveniens - 80jährige Jubiläum von Rerum novarum

2.1.2.6.1 Ein apostolisches Schreiben des Papstes

Dieses Schreiben ist keine Enzyklika, sondern an den Präsidenten der Päpstlichen Kommission „Justitia et Pax" Kardinal Maurice Roye gereichet. Warum dies so ist, lässt sich nicht genau sagen, der Text kann wie ein Enzyklika verstanden werden. In dem Schreiben werden die Ortskirchen mit in die Verantwortung für die Gerechtigkeit hineingezogen. Dadurch kommen auch die unterschiedlichen Verhältnissee in den Blick. Es folgt dann eine Auseinandersetzung mit den großen gesellschaftlichen Strömungen, besonders dem Liberalismus und Marxismus. Alle Christen werden eingeladen, auf die jeweilige Situation die biblischen Grundsätze anwendend mutig zu handeln.

2.1.2.6.1 Die Ortkirchen sind angefragt

Dass verlangen nach Gerechtigkeit und Frieden und gegenseitige Achtung der Menschen und Völker wächst. Die Bedingungen unter denen Christen zu leben und zu wirken haben sind nach Länder, politischen Verhältnissen und kulturellen Gegebenheiten sehr unterschiedlich. Deshalb ist es schwierig für alle ein gültiges Wort zu sagen oder passende Lösungen zu wissen.

„4... Diesen einzelnen christlichen Gemeinschaften also obliegt es, mit dem Beistand des heiligen Geistes, in Verbundenheit mit ihren zuständigen Bischöfen und im Gespräch mit den anderen christlichen Brüdern und allen Menschen guten Willens, darüber zu befinden, welche Schritte zu tun und welche Maßnahmen zu ergreifen sind, um die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Reformen herbei zuführen, die sich als wirklich geboten erweisen und zudem oft unaufschiebbar sind.

Bei ihren Bemühungen um diese Reformen sollten die Christen sich vor allem erneuern in en ihrem Vertrauen auf die Kraft des Evangeliums und die Eigenständigkeit seiner Forderungen. Das Evangelium ist nicht deswegen als veraltet anzusehen, weil in ganz anderen sozialen und kulturellen Verhältnissen verkündet, niedergeschrieben und in die Praxis des Lebens eingeführt wurde. Der Geist des Evangeliums, seine Lehren und Ermahnungen, wozu noch die in jahrhundertelanger christlicher Übung erworbene Erfahrung kommt, spenden immer wieder neue Kraft zur Bekehrung der Menschen und die Vervollkommnung des Gemeinschaftslebens."

2.1.2.6.2 Neue Probleme

Die Urbanisierung führt zu neuen Menschenmassen in den Städten mit Elendsvierteln, vielen Problemen, einem neuen Proletariat und neuen Formen der Ausbeutung. Dadurch werden auch die Generationskonflikte verstärkt.

Die Gleichberechtigung der Frau im kulturellen, wirtschaftlichen und polischen Leben ist anzuerkennen.

Die Kirche wendet ihre besondere Sorge den neuen Armen zu, den Behinderten, beschränkt Leistungsfähigen, Alten und am Rande der Gesellschaft Lebenden. Sie will sie ausfindig machen und ihre Würde verteidigen.

Es dürfen keine Gesetze beibehalten werden, die Rassenvorurteile beinhalten.

Gegenüber Gastarbeitern und Flüchtlingen ist die Engherzigkeit der Aufnahmeländer aufzugeben, sie müssen das Recht der Aus- und Einwanderung haben und ihnen ist die Einbürgerung zu erleichtern. Familien muss da Nachkommen ermöglicht werden.

Infolge seines Tuns bahnt sich eine neue Katastrophe an. Verschmutzung, Abfälle, neue Krankheiten, absolute Zerstörungsgewalt drohen:

„21... plötzlich wird der Mensch sich heute bewusst, infolge seiner unbedachten Ausbeutung der Natur laufe er Gefahr, dies zu zerstören und Opfer ihrer auf ihn selbst zurückschlagenden Schändung zu werden. "

2.1.2.6.2 Ansprüche und Ideologien

Durch das Wachsen an Bildung und Wissen wir das Streben nach Freiheit und Mitbestimmung immer deutlicher. Den Armen gebührt eine besondere Solidarität. Deshalb zielen Gesetze auch auf Gerechtigkeit und Gleichheit. Die doppelte Forderung von Gerechtigkeit und Gleichheit zielt auf ein bestimmte Gestalt demokratischer Gesellschaften. Christen haben sich an der konkreten Gestaltung zu beteiligen.

Marxismus und Liberalismus sind Ideologien, die letztlich entweder die Freiheit oder die Würde einer menschlich wohlgeordneten Gesellschaft missachten. Wenn Ideologien heute zurückgehen, dann ist darauf zu achten, dass nicht ein allgemeiner Positivismus entsteht, in dem die Technik alles beherrscht. Auch bei dem entstehenden Konsumrauch muss immer wilde gefragt werden, welchen Wert das letztlich hat. Es muss auf die Grenzen und Schäden eines rein quantitativen Wachstums hingewiesen werden, die stärker Betonung der qualitativen Seite wird mit recht gefordert.

„41... Beschaffenheit und namentlich Echtheit der menschlichen Beziehungen, der Grad der Mitbestimmung und Mitverantwortung sind für die künftige Gesellschaft nicht weniger bedeutsam und wichtig als die Menge und Vielfalt der produzierten und dem Verbraucher zugeführten Güter."

Im Gegengewicht zur wachsenden Technokartei müssen Formen eiern echten Volksherrschaft gefunden werden. Auf diese Weise verwandeln sich lose Menschengruppen allmählich in Partnerschaften und Lebensgemeinschaften.

2.1.2.6.3 Aufruf zum Einsatz

Trotz der gewaltigen Aufgabe sind Christen getragen durch die Hoffnung auf Jesus Christus und sein Werk. Die Kirche ruft die Christen zur zweifachen Aufgabe auf: die Welt mit christlichem Geist zu beseelen und sie neu zu gestalten, damit die Strukturen zu vervollkommnen, und den wirklichen Erfordernissen der heutigen Zeit anzupassen.

2.1.2.6.4 Erträge

Neue Fragen werden aufgegriffen, Urbanisierung, die neuen Armen und vor allem auch erstmals in einem solchen Zusammenhang die Ökologie. Erstaunlich ist der Einsatz für Demokratie und der intensive Aufruf an die Christen an deren Gestaltung und damit an der Gestaltung einer Gesellschaft mit mehr Gerechtigkeit mitzuwirken.

2.1.2.7 De iustitia in mundo – Gerechtigkeit in der Welt

2.1.2.7.1 Zum Dokument

1971 kam die Bischofssynode der Weltkirche in Rom zusammen und veröffentlichte das Dokument „de iustitia in mundo" (Gerechtigkeit in der Welt). Ein Dokument, das noch mehr als die Konzilsdokumente aus der Sicht der Weltkirche geschrieben ist. Der Kampf für die Gerechtigkeit erwächst für sie aus dem Erlösungswerk Christi. Zur Sendung der Kirche gehört es nicht, fertige Lösungen vorzutragen, sondern für die personale Würde und die Grundrechte des Menschen einzutreten. Ungerechtigkeit ist eine Sünde.

2.1.2.7.2 Einleitung

Die Bischöfe nehmen die schweren Ungerechtigkeiten wahr, „3...die sich wie ein Netz von Beherrschung, Bedrückung und Ausbeutung um die Welt schlingen, die Freiheit ersticken und einem Großteil der Menschen verwehren, eine gerechte und brüderliche Welt zu bauen."

Das neue Bewusstsein für mehr Gerechtigkeit lässt ganze Völker danach streben, sich aus dieser Lage zu befreien. Der Einsatz für Gerechtigkeit wird als wesentlicher Bestandteil der Verkündigung der Frohen Botschaft gesehen.

2.1.2.7.3 Gerechtigkeit auf Weltebene

Es besehen starke Kräfte eine weltumspannende Einheitsgesellschaft zu entwickeln. Weit verbreitet ist die Überzeugung von der Gleichheit der Menschen. Neue Spannungen wurden aber nicht verhindert. So ist jetzt auch die Biosphäre gefährdet. Der Ressourcenverbrauch der reichen Länder hat ein Ausmaß erreicht, das wesentliche Voraussetzungen für ein Leben auf dieser Erde unwiederherstellbar geschädigt würden, wenn diese Schädigung bei der gesamten Menschheit Platz greifen würde.

„22...Verletzt wird die Gerechtigkeit sowohl durch repressive Maßnahmen der Staatsgewalt als auch durch eigenmächtige Gewalttätigkeit einzelner in alten und neuen Formen der Unteedrückung, die bis zur äußersten Grenze der Integrität gehen."

Es gibt ein recht auf Fortschritt. Echter Fortschritt ist verbunden mit Wachstum und Partnerschaft. Die Verwirklichung der Gerechtigkeit bedarf der verantwortungsbewussten Zusammenarbeit. Es gibt zuviel Bedrückungen auf der Welt.

2.1.2.7.4 Die Frohbotschaft und die Sendung der Kirche

Im Alten Testament offenbart sich Gott als Befreier der Unterdrückten und Anwalt der Armen. Christus hat das Verhältnis des Menschen zu Gott unlösbar verknüpft mit seinem Verhallen zum Mitmenschen. Der Glaube muss sich in Liebe und Dienst am Nächsten auswirken.

„36... Der Auftrag, das Evangelium zu verkünden, erfordert heute den ungeteilten Einsatz für die volle Befreiung des Menschen, und zwar von Stund an und für die ganze Dauer seines irdischen Daseins."

Die Kirche hat das Recht und die Pflicht für Gerechtigkeit einzutreten und rechtswidrige Züge zu rügen. Das Zeugnis von dem im Evangelium enthaltenen Gebot der Liebe hat sichtbar zu werden bei den Einrichtungen der Kirche und bei jedem Christen. Es ist nicht Aufgabe der Hierarchie, fertige Lösungen anzubieten, wohl gehört zu ihrer Aufgabe die Verteidigung und ggf. der kämpferische Einsatz für die personale Würde und die Grundrechte.

2.1.2.7.4 Der Vollzug der Gerechtigkeit

Wer für Gerechtigkeit eintritt muss zu alleeerst selbst gerecht handeln. Dazu gehört auch die arbeitsrechtliche Behandlung der Laienmitarbeiter einschließlich Entlohnung und sozialer Sicherheit. Dazu gehören Meinungs- und Gewissensfreiheit , Verteidigung in Gerichtsverfahren, Beteiligung bei der Vorbereitung von Entscheidungen und die Einführung von Räten auf allen Ebenen. Die Kirche hat auch im Gebrauch der irdischen Dinge vorbildlich zu sein. Wir müssen uns fragen, wie vorbildlich unser Lebensstil ist, wenn wir predigen, Abermillionen Hungernder auf der Welt zu essen zu geben.

Es muss eine Erziehung zur Gerechtigkeit geben. „52... Die Erziehung muss dringend auf eine ganz und gar menschliche Lebensweise in Gerechtigkeit, Liebe und Einfachheit" gerichtet sein. Eine solche Erziehung ist nie abgeschlossen. Zum In halt dieser Erziehung gehört die Achtung der Person und ihrer Würde. An erster Stelle leistet die Familie diese Erziehung, außerdem tragen kirchliche Institute, anderer Bildungseinrichtungen Gewerkschaften und politische Parteien dazu bei. Auch die Liturgie muss uns immer wieder an diesen Auftrag der Kirche erinnern. Die Kirche muss der Welt ein Beispiel vor Augen führen durch eine viel engere Zusammenarbeit zwischen de der Kirchen der reicheren und armen Ländern.

International gehört dazu, dass die Menschenrechtserklärung der Vereinten Nationen von allen Regierungen ratifiziert und vorbehaltlos eingehalten wird. Die internationalen Institutionen sind zu unterstützen bi ihrem Einsatz gegen Wettrüsten und Waffenhandel. Es muss für die reichen Länder ein fester Vomhundertsatz für die Entwicklungsländer eingeführt werden, die Rohstoffe müssen gerecht bezahlt werden und die Märkte der reichen Länder müssen zum Teil auch zu Vorzugsbedingungen für die Ausfuhr industrieller Erzeugnisse der Entwicklungsländer geöffnet werden. Auch die fast monopolartige Macht der Industrienationen auf dem Gebiet von Frischung, Investition, Schifffahrt und Versicherung muss abgebaut werden. Die Eigenverantwortlichkeit der Entwicklungsländer ist zu stärken. Die reichen Länder müssen mit den Reserven der Erde verantwortlich umgehen. Es gibt ein Recht auf Fortschritt.

„64 8.) Damit das Recht auf Fortschritt verwirklicht wird,

darf es keinem Volk verwehrt werden, sich seiner kulturellen Eigenart gemäß zu entwickeln,

sollte in Zusammenarbeit mit den anderen jedes Volk selbst der eigenen Baumeister seines wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts sein.

sollte jedes Volk als tätiges und verantwortliches Glied der menschlichen Gemeinschaft seinen Beitrag zu deren allgemeinen Wohl erbringen in Gleichberechtigung mit allen anderen."

Die Synode wendet sich an alle Menschen, besonders die Unterdrückten und Armen, und lädt sei ein, Mitarbeiter Gottes zu erden am Bau einer Welt menschlichen Welt im Sinne der Schöpfung.

2.1.2.7.4 Abschließende Gedanken

In diesem Schreiben wird deutlich und konkret gesprochen. Es stellt klare Forderungen auf, nimmt aber auch die Kirche selbst in Pflicht. Sie kann nicht zu Dingen aufrufen, die sie selbst nicht tut. Es muss ein Umdenken beginnen, da vor allem schon in der Erziehung deutlich wird. Die Ungerechtigkeit in der Welt ist eine Sünde, die der Botschaft des Evangeliums, der wir verpflichtet sind, widerspricht.

2.1.2.8 Evangelii nuntiandi – Die Verkündigung des Evangeliums

2.1.2.8.1 Soziallehre gehört zur Verkündigung des Evangeliums

Zuerst einmal ist das Apostolische Schreiben (formal keine Enzyklika) ein Text, der sich nicht unmittelbar mit Fragen der Soziallehre beschäftigt. Er greift aber ein wichtiges Problem der modernen Sozialverkündigung, die Theologie der Befreiung im 3. Hauptteil auf. Diese war in Südamerika entstanden und hatte wegen ihres teilweise verwandten Modells der Analyse „Unterdrücker (Kapitalisten) und Unterdrückte (Arbeiter), das an den historischen Materialismus erinnerte, Augeindersetzungen vor allem in der manchen Kreisen des Vatikans provoziert. Hier wird dieses Thema aufgegriffen und ein gemeinsamer Weg aufgezeigt. Das Kapitel soll hier vorgestellt werden, wobei der Hinweis darauf erfolgt, dass über die Theologie der Befreiung im nächsten Kapitel ausführlich gehandelt wird.

2.1.2.8.2 III. Der Inhalt der Evangelisierung

„Die von der Kirche verkündete Botschaft Christi, das Evangelium, enthält wesentlich das Zeugnis von Gott als dem Schöpfer und liebenswürdigen Vater und die Bezeugung Christi als Sohn Gottes, der gesandt ist, allen Menschen das Heil anzubieten durch die Berufung in das Reich Gottes."

Zur Kernbotschaft gehört, dass Gott für uns ein liebender Vater ist, wir sind Kinder Gottes und untereinander Brüder. Christus ist der menschgewordene Sohn Gottes, der gekommen ist, um das Heil zu bringen, ein Heil das alle Grenzen übersteigt. Die Predigt muss prophetisch auf das Jenseits hinweisen, das ein eschatologisches Heil ist, das seien Anfang gewiss schon in diesem Leben hat, aber sich erst in der Ewigkeit vollendet. Es ist ein Verkündigung der Hoffnung, die Verkündigung der Liebe Gottes zu uns, und unserer Liebe zu ihm, die Verkündigung der Bruderliebe, die aus der Liebe Gottes entspringt, das ist der Kern des Evangeliums.

Evangelium und Leben des Menschen fordern sich. Deshalb gehört zur Evangelisierung angepasst an die je verschiedenen Situationen die Botschaft von der Person, von der Familie, das Zusammenleben in der Gesellschaft, über das internationale Leben, der Frieden, die Gerechtigkeit; „eine Botschaft der Befreiung, die in unseren Tagen besonders wichtig ist"

„(29)Es ist bekannt, mit welchen Worten auf der letzten Synode zahlreiche Bischöfe aus allen Kontinenten vor allem Bischöfe aus der Dritten Welt, mit einem pastoralen Akzent gerade über die Botschaft der Befreiung gesprochen haben, wobei die Stimme von Millionen von Söhnen und Töchtern der Kirche, die jene Völker bilden. Miterklungen ist. Völker, wie wir wissen, die sich mit all ihren Kräften dafür einsetzen und kämpfen, dass all das überwunden wird, was sie dazu verurteilt, am Rande des Lebens zu bleiben: Hunger, chronische Krankheit, Analphabetentum, Armut, Ungerechtigkeiten in den internationalen Beziehungen und besonders im Handel, Situationen des wirtschaftlichen und kulturellen Neokolonialismus, der mitunter ebenso grausam ist wie der alte politische Kolonialismus. Die Kirche hat, da die Bischöfe erneut bekräftigt haben, die Pflicht zu helfen, dass diese Befreiung von Millionen menschlicher Wesen zu verkünden; die Pflicht zu helfen, dass diese Befreiung Wirklichkeit wird, für sie Zeugnis zu geben und mitzuwirken, damit sie ganzheitlich erfolgt. Dies steht durchaus im Einklang mit dem Evangelium"

Zwischen Evangelisierung und menschlicher Förderung und Befreiung bestehen enge Verbindungen. Man kann den Schöpfungsplan nicht von dem Erlösungsplan trennen. Man kann das gebot der Liebe nicht verkündigen, ohne Gerechtigkeit und Frieden zu fördern. Die vom Evangelium verkündete Befreiung ist ganzheitlich, sie ist offen auf Gott. Menschlicher Strukturen zu schaffen ist richtig, es muss aber auch eine Bekehrung der Herzen geben. Zur Befreiung gehört auch Religionsfreiheit.

Die Kirche lehnt jede Gewalttätigkeit als Weg zur Befreiung ab.

„38...Die Befreiung, die das Evangelium verkündet und vorbereitet, ist jene, die Christus selbst dem Menschen durch sein Opfer verkündet und geschenkt hat."

2.1.2.8.3 Schlussgedanken

Dieses Wort des Papstes ist einmal eine Klarstellung für die Theologie der Befreiung und hat ihr Raum in der Kirche gegeben, es verortet aber auch die Soziallehre in der kirchlichen Verkündigung.

2.1.3. Die Enzykliken Johannes Paul II.

2.1.3.1 Hinführung

Johannes Paul II. wurde am 18. Mai 1920 in Wadowice (Polen) Karol Wojtyla geboren (*1920), studierte Philosophie und Literatur an der Universität Krakau. Während des Zweiten Weltkrieges arbeitete er in einem Steinbruch. 1946 wurde er zum Priester geweiht. Er war Universitätspfarrer und wurde 1958 Weihbischof 1964 Erzbischof von Krakau. 1967 wurde er zum Kardinal ernannt. Papst ist er seit 1978 als erster Nichtitaliener seit 1523. Am 13. Mai 1981 wurde er bei einem Attentat auf dem Petersplatz schwer verletzt. Er unternahm über 40 Reisen (Stand 2001)

Seine erste Sozialenzyklika Laborem exercens erschien 1981, sie war wieder eine Jubiläumsenzyklika zu Rerum novarum. 20 Jahre nach Populorum progressio erschien Sollicitudo rei socialis und zum 100jährigen Jubiläum 1991 Centesimus annus. Arbeit, Entwicklung und Frieden sind die großen Themen.

2.1.3.2 Laborem exercens – über die menschliche Arbeit

2.1.3.2.0 Die Absicht der Enzyklika

Die Enzyklika stellt die soziale Frage wie Rerum novarum, zu deren Gedenken sie erscheint, in den Mittelpunkt. Dabei schöpft der Papst noch aus seinen polnischen Erfahrungen. Der Schlüssel zur Sozialen Frage ist für die ihn das Wesen der Arbeit. Daran anschließend entwickelt er eine Spiritualität der Arbeit.

2.1.3.2.1 Einführung

„Durch die Arbeit muss der Mensch sein tägliches Brot verdienen", so fängt die Enzyklika an. Arbeit ist aber mehr als Broterwerb. „1... . Die Arbeit ist eines der Kennzeichen, die den Menschen von den anderen Geschöpfen unterscheiden, deren mit der Erhaltung des Lebens verbundene Tätigkeit man nicht als Arbeit bezeichnen kann; nur der Mensch ist zur Arbeit befähigt, nur er verrichtet sie, wobei er gleichzeitig seine irdische Existenz mit ihr ausfüllt. Die Arbeit trägt somit ein besonderes Merkmal des Menschen und der Menschheit, das Merkmal der Person, die in einer Gemeinschaft von Personen wirkt; dieses Merkmal bestimmt ihre innere Qualität und macht in gewisser Hinsicht ihr Wesen aus."

Die Welt der Arbeit hat sich erheblich verändert. Die Technik hat neue Möglichkeiten erschlossen, durch Strukturänderungen können viele Menschen zumindest zeitweise arbeitslos werden. Dies muss im Interesse des arbeitenden Menschen von der Kirche analysiert werden, denn die Arbeit erweist sich dabei immer mehr als Dreh- und Angelpunkt der gesamten sozialen Frage.

2.1.3.2.2 Die Arbeit und der Mensch

„4...Die Kirche schöpft bereits aus den ersten Seiten des Buches Genesis die Überzeugung, daß die Arbeit eine fundamentale Dimension menschlicher Existenz auf Erden darstellt.... Der Mensch ist unter anderem deshalb Abbild Gottes, weil er von seinem Schöpfer den Auftrag empfangen hat, sich die Erde zu unterwerfen und sie zu beherrschen. Indem er diesen Auftrag erfüllt, spiegelt der Mensch und jeder Mensch das Wirken des Weltenschöpfers selber wider...Die Arbeit - als »transitive« Tätigkeit aufgefaßt, das heißt als ein Wirken, das vom Menschen als Subjekt ausgeht und auf ein äußeres Objekt gerichtet ist - setzt eine spezifische Herrschaft des Menschen über die »Erde« voraus und bestätigt und entwickelt ihrerseits diese Herrschaft."

Arbeit geht vom Menschen als Subjekt aus und spiegelt subjektiv gesehen die Tätigkeit des Weltenschöpfers wieder. Objektiv kann Arbeit als Technik verstanden werden, die der Mensch im Verlauf der Jahrtausende entwickelt hat.

Jesus hat selbst gearbeitet. Dadurch wird deutlich, dass die Würde der Arbeit nicht so sehr von dem was gemacht wird kommt, sondern von der Person, die Arbeit leistet.

„6 Bei einer solchen Sicht verschwindet geradezu die Grundlage der in der Antike gemachten Einteilung der Menschen in verschiedene Gruppen nach der Art der von ihnen verrichteten Arbeit. Damit soll nicht gesagt sein, daß die menschliche Arbeit, objektiv verstanden, nicht irgendwie bewertet und qualifiziert werden könne oder dürfe, sondern lediglich, daß die erste Grundlage für den Wert der Arbeit der Mensch selbst ist, ihr Subjekt. Hiermit verbindet sich sogleich eine sehr wichtige Schlußfolgerung ethischer Natur: So wahr es auch ist, daß der Mensch zur Arbeit bestimmt und berufen ist, so ist doch in erster Linie die Arbeit für den Menschen da und nicht der Mensch für die Arbeit."

Arbeit wird auch immer wieder als Ware dargestellt. Der Grundfehler des Kapitalismus darf sich nicht wiederholen, dass der Mensch den sachlichen Produktionsmitteln gleichgestellt wird. Gemäß der Würde der Arbeit ist der Mensch derer Subjekt, als Urheber und Ziel, dem die ganze Gütererzeugung zu dienen hat.

Die Arbeiterfrage und die damit verbundenen Probleme haben als berechtigt soziale Reaktion einen Sturm der Solidarität ausgelöst. Diese Auflehnung war sozialmoralisch gerechtfertigt. Diese Solidarität kann auch bei der abhängig arbeitenden Intelligenz gefordert sein. Auch international müssen solidarische Beziehungen aufgebaut werden, um soziale Gerechtigkeit in verschiedenen Ländern zu verwirklichen. „8...Diese Solidarität muß immer dort zur Stelle sein, wo es die soziale Herabwürdigung des Subjekts der Arbeit, die Ausbeutung der Arbeitnehmer und die wachsenden Zonen von Elend und sogar Hunger erfordern. Die Kirche setzt sich in diesem Anliegen kraftvoll ein, weil sie es als ihre Sendung und ihren Dienst, als Prüfstein ihrer Treue zu Christus betrachtet, um so wirklich die »Kirche der Armen« zu sein."

Die Arbeit ist trotz aller Mühe ein Gut für den Menschen. „9... Dennoch ist die Arbeit mit all dieser Mühe - und in gewissem Sinne vielleicht gerade aufgrund dieser Mühe - ein Gut für den Menschen. Wenn dieses Gut das Zeichen eines »bonum arduum« - um mit dem heiligen Thomas von Aquin zu sprechen -, eines »schwierigen Gutes«, an sich trägt, so bleibt die Arbeit als solche doch ein Gut für den Menschen, und zwar nicht nur ein »nützliches« oder ein »angenehmes«, sondern ein »würdiges«, das heißt der Würde des Menschen entsprechendes Gut, ein Gut, das diese Würde zum Ausdruck bringt und sie vermehrt. Wenn man die ethische Bedeutung der Arbeit genauer bestimmen will, muß man in erster Linie diese Wahrheit vor Augen haben. Die Arbeit ist ein Gut für den Menschen - für sein Menschsein -, weil er durch die Arbeit nicht nur die Natur umwandelt und seinen Bedürfnissen anpaßt, sondern auch sich selbst als Mensch verwirklicht, ja gewissermaßen »mehr Mensch wird«"

Die Arbeit darf nicht gegen den Menschen eingesetzt werden z.B. in der Ausbeutung. Der Mensch muss durch die Arbeit die Möglichkeit haben, mehr Menschen zu werden. Familie ermöglicht die Arbeit und ist ihre erste Schule.

2.1.3.2.3 Der Konflikt zwischen Arbeit und Kapital

Der reale sozioökonomische Konflikt mit Klassencharakter zwischen Arbeitern und Untennehmern fand seinen Ausdruck im ideologischen Kampf zwischen Liberalismus und Marxismus. Es gilt deutlich zu machen, dass es einen Vorrang der Arbeit vor dem Kapital gibt.

„12... . Dieses Prinzip betrifft direkt den Produktionsprozeß, für den die Arbeit immer eine der hauptsächlichen Wirkursachen ist, während das Kapital, das ja in der Gesamtheit der Produktionsmittel besteht, bloß Instrument oder instrumentale Ursache ist. Dieses Prinzip ist eine offensichtliche Wahrheit, die sich aus der ganzen geschichtlichen Erfahrung des Menschen ergibt."

Kapital als die Gesamtheit der Produktionsmittel ist nach und nach von den Menschen erarbeitet worden. Wer diese Mittel bedienen will, muss sich die Frucht der Arbeit jener Menschen aneignen, die diese Instrumente geschaffen haben. Auch im Produktionsprozess bleibt der Primat des Menschen gegenüber dem Kapital. Der Arbeit kommt vor dem Kapital wesentlicher und wirksamer Vorrang zu. Dies Sicht, Arbeit vom Kapital zu trennen und einen Gegensatz daraus zu konstruieren als seien sie zwei auf einer Ebene gestellte Produktionsmittel enthält den grundlegenden Irrtum des Ökonomismus. Dies könnte auch der „Irrtum des Materialismus" genannt werden, weil der Ökonomismus überzeugt ist vom „Vorrang des Materiellen".

Das private Eigentumsrecht ist durch die Bestimmung der Güter für alle diesem untergeordnet. Die Produktionsmittel darf man nicht gegen die Arbeit besitzen, sondern nur für diese. Dadurch wird die Verwirklichung des ersten Prinzips der Eigentumsordnung deutlich, dass die Güter für alle da sind. Es ist ein harter Kapitalismus der die Unantastbarkeit der Produktionsmittel als Dogma verteidigt.

„14... In diesem Licht gewinnen die zahlreichen, von den Fachleuten der katholischen Soziallehre und auch vom obersten kirchlichen Lehramt vorgebrachten Anregungen besondere Bedeutung. Sie betreffen das Miteigentum an den Produktionsmitteln, die Mitbestimmung, die Gewinnbeteiligung, die Arbeitnehmeraktien und ähnliches. Unabhängig von der konkreten Möglichkeit, diese verschiedenen Anregungen zu verwirklichen, bleibt es offensichtlich, daß die Anerkennung der richtig verstandenen Stellung der Arbeit und des arbeitenden Menschen im Produktionsprozeß verschiedene Anpassungen des Rechtswesens auf dem Gebiet des Eigentums an Produktionsmitteln erfordert."

„15... Wenn der Mensch arbeitet und sich dabei der Gesamtheit der Produktionsmittel bedient, so möchte er zugleich, daß die Früchte dieser Arbeit ihm und den anderen zugute kommen und daß er bei diesem Arbeitsprozeß Mitverantwortlicher und Mitgestalter in der Werkstätte sein darf, in der er tätig ist."

2.1.3.2.4 Die Rechte des arbeitenden Menschen

Die Rechte, die der Arbeit entspringen, stehen im Zusammenhang der Menschenrecht. Arbeit ist eine Verpflichtung, weil sie dem Menschen vom Schöpfer aufgetragen ist. Der Mensch schuldet die Arbeit der Familie, den Mitmenschen, der Gesellschaft und der Menschheitsfamilie. Nicht die Gewinnmaximierung ist der Maßstab für den Lohn der Arbeiter sondern seine objektiven Rechte.

Es gibt den unmittelbaren Arbeitgeber aber auch den mittelbaren Arbeitgeber. Er ist das ganze sozioökonomische System. Der Begriff des unmittelbaren Arbeitgebers lässt sich auf jedes einzelne Land und vor allem auf den Staat anwenden., ja auf internationale Institutionen. Er ist vor allem verantwortlich, dass die Arbeitslosigkeit bekämpft wird und den Arbeitlosen ausreichende Mittel zukommen. Durch internationale Verträge soll er darauf hinwirken, dass die gravierenden Unterschiede im Lebensunterhalt in den verschiedenen Ländern immer geringer werden.

Die gerechte Entlohnung für die Arbeit eines Erwachsnen, der Verantwortung für eine Familie trägt, muss reichen, eine Familie zu gründen, angemessen zu unterhalten und ihr Fortkommen zu sichern.

„19...Es wird einer Gesellschaft zur Ehre gereichen, wenn sie es der Mutter ermöglicht, sich ohne Behinderung ihrer freien Entscheidung, ohne psychologische oder praktische Diskriminierung und ohne Benachteiligung gegenüber ihren Kolleginnen der Pflege und Erziehung ihrer Kinder je nach den verschiedenen Bedürfnissen ihres Alters zu widmen."

Gesundheitsfürsorge, regelmäßige wöchentliche Ruhezeit, die zumindest den Sonntag umfassen soll, Urlaub, Recht auf Ruhestandsbezüge und die Absicherung für die Folgen von Arbeitsunfällen, Anspruch auf Arbeitsräume, die nicht gesundheitsgefährdend sind, sind Recht der Arbeitnehmer.

Die Arbeitnehmer haben das Recht sich in Gewerkschaften zusammenzuschließen, sie sind Vorkämpfer für soziale Gerechtigkeit. Der Kampf ist ein Kampf für ein gerechtes Gut, aber kein Kampf gegen andere. Die gewerkschaftlichen Forderungen dürfen nicht ausarten in Gruppen- oder Klassenegoismus und müssen die allgemeine Wirtschaftslage eines Landes berücksichtigen. Die Gewerkschaften haben nicht die Funktion politischer Parteien oder sollten auch nicht in zu enger Verbindung mit ihnen stehen.

„20... Bei ihrem Einsatz für die berechtigten Forderungen ihrer Mitglieder bedienen sich die Gewerkschaften auch der Methode des Streiks, das heißt der Arbeitsniederlegung als einer Art von Ultimatum, das sich an die zuständigen Organe und vor allem an die Arbeitgeber richtet. Sie wird von der katholischen Soziallehre als eine unter den notwendigen Bedingungen und in den rechten Grenzen erlaubte Methode anerkannt. Auf dieser Grundlage müßte den Arbeitnehmern das Recht auf Streik garantiert werden, ohne daß ihre Teilnahme daran negative Folgen für sie nach sich zieht."

Der Streik muss äußerste Mittel bleiben. Die für das Zusammenleben notwenigen Dienstleistungen müssen gewahrt werden. Der Streik darf nicht missbraucht werden, das kann zur Lähmung des ganzen sozioökonomischen System führen, das Gemeinwohl schädigen und damit den Arbeiter selbst.

Viele Landarbeiter werden unangemessen behandelt. Sie müssen wieder richtig eingeschätzt werden.

Auch Behinderte sind Subjekte mit angeborenen heiligen Rechten. Die Gemeinschaft hat die Pflicht, ihnen ihrer Situation angemessene Arbeitsplätze anzubieten.

Für die eingewanderten Arbeitnehmer müssen die gleichen Kriterien gelten wie für jeden anderen Arbeitnehmer des betreffenden Landes."

2.1.3.2.5 Zur Spiritualität der Arbeit

Arbeit ist Mitarbeit am Schöpfungswerk Gottes. Auch Jesus hat gearbeitet. Arbeit kann auch zum kleinen Teil Kreuztragen sein, das aber den Schimmer der Auferstehung schon in sich trägt.

2.1.3.2.6 Ein umfassendes Konzept

In dieser Enzyklika werden die bisherigen Ansätze zur Arbeit aufgegriffen und in ein System eingeführt, die Arbeit als Menschenwürde ist die Mitte des Ansatze, Arbeit hat immer Subjektcharakter, ist nie ein einfacher Produktionsfaktor. Kapital ist ein Instrument, erarbeitet von der Arbeit von Personen, das letztlich dem Menschen und der Arbeit zu dienen hat.

2.1.3.3 Sollicitudo rei socialis – die soziale Sorge der Kirche

2.1.3.3.0 Hinführung

Die Enzyklika über die Soziale Sorge der Kirche erscheint im Dezember 1987 20 Jahre nach Populorum progressio, der ersten Enzyklika zur Entwicklungshilfe. Was den Papst bedrängt, ist das sich in dieser Zeit die Lage der meisten Entwicklungsländer nicht verbessert hat. In vielen Ländern kam es zum Stillstand, in anderen sogar zum Rückschritt.

„16...Man muß klar aussprechen, daß sich die Gesamtlage trotz der lobenswerten Anstrengungen, die in den letzten zwanzig Jahren von den Industrieländern, von den Entwicklungsländern sowie von den internationalen Organisationen unternommen worden sind, um einen Ausweg aus dieser Situation oder wenigstens ein Heilmittel gegen einige ihrer Symptome zu finden, erheblich verschlimmert hat."

Eine vierte Welt ist entstanden. Das ist die Ausgangslage dieser Enzyklika.

2.1.3.3.1 Einleitung

Aus dem Evangelium her deutet die Soziallehre im Beistand des Heiligen Geistes mit Hilfe rationaler Reflexion und wissenschaftlicher Erkenntnisse die Ereignisse der Geschichte und will die Menschen dahin führen, dass sie zu verantwortlichen Gestaltern werden. Die Soziallehre ist gekennzeichnet von Kontinuität und Erneuerung. Weil die geschichtlichen Bedungnen sich ändern, muß sie auch neue Antworten geben.

Populorum progressio behält ihre ganze Kraft eines Appells an das Gewissen, aber der Begri ff der Entwicklung muß umfassender und differenzierter dargelegt werden.

2.1.3.3.2 Das Neue an der Enzyklika Populorum progressio

Populorum progressio über nimmt das Grundmotiv der Pastoralkonstitution Gaudium et spes, sich in besonderer Weise der Bedrängten anzunehmen. Das Problem der Entwicklung und Unterentwicklung der Völker wird aufgegriffen.

Neu ist vor allem der Hinweis auf den ethischen und kulturellen Charakter der Entwicklung und die Notwenigkeit, dass sich die Kirche dazu äußert. Sie erklärt, dass die soziale Frage ein weltweites Ausmaß erlangt hat und legt den reichen Ländern die Pflicht zur Solidarität ans Herz. Für sie ist „Entwicklung ein neuer Name für Friede". Krieg und die Vorbereitung dazu ist der größte Feind einer umfassenden Entwicklung.

2.1.3.3.3 Das Bild der heutigen Welt

Der Optimismus von vor 20 Jahren ist verflogen. Trotz mancher Erfolge macht die Welt unter der Rücksicht von Entwicklung eher einen negativen Eindruck. Viele Millionen sind ohne Hoffnung, weil sich ihre Lage fühlbar verschlechtert hat.

„14... Vielleicht ist dies nicht der angemessene Ausdruck, um die wahre Realität wiederzugeben, insofern er den Eindruck eines statischen Phänomens vermitteln könnte. Dies aber ist nicht so. Im Fortschritt der Industrieländer und der Entwicklungsländer hat es in diesen Jahren eine unterschiedliche Beschleunigung gegeben, die zu noch breiteren Abständen führt. So gelangen die Entwicklungsländer, vor allem die ärmsten unter ihnen, allmählich in die Lage eines sehr schweren Rückstandes."

Außerdem werden die Menschenrechte eingeschränkt, hinzu kommen die Unterlassungen der Machthaber der Entwicklungsländer. Es heißt heute mehr denn je von der Entwicklung: „17...Entweder nehmen alle Nationen der Welt daran teil, oder sie ist tatsächlich nicht echt."

Es gibt typische Probleme der Unterentwicklung, die in wachsendem Maß auch entwickelte Länder treffen. Das ist die Wohnungsnot, die Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung, die internationale Verschuldung, die auch zu einer härteren Form von Unterentwicklung führen kann.

Es gibt politische Ursachen dieses Rückstandes. Das ist zu einem die Existenz von zwei Blöcken mit ihren Gegensätzen, wahrlich nicht die geringste Ursache für den Stillstand. Dies geht bis in die ideologische Gegensätze der Entwicklungsländer hinein. Jeder der Blöcke birgt auf seine Weise das Risiko zum Imperialismus. Der Gegensatz der Blöcke scheint sich aber langsam zu mildern. Es wird von diesen Blöcken zuviel Geld in die Rüstung gesteckt, anstatt dass es dem Elend der darbenden Menschen dient. Sowohl die Produktion als auch der Handel mit Waffen ist ein schwerer Misstand. Typisch für Konflikte auf der Welt sind die Millionen von Flüchtlingen und der Terrorismus. Das demografische Problem wird gesehen und vor falschen Lösungen gewarnt.

Es gibt auch positive Aspekte. Überall lebt die Sorge für die Menschenrecht unter Frauen und Männern auf. Es wächst das Bewusstsein eines gemeinsamen Schicksals, die Begrenztheit der Ressourcen wird deutlich und viele Organisationen setzen sich für mehr Frieden und Wohlfahrt ein. Einige Entwicklungsländer konnten sogar Selbstversorgung in der Ernährung erreichen.

2.1.3.3.4 Die wahre menschliche Entwicklung

Entwicklungshilfe ist kein gradliniger Prozess in die Vollkommenheit, sondern begründete Sorge um das Schicksal der Menschen. Entwicklung besitzt eine ökonomische Dimension, erschöpft sich aber nicht darin.

Der Maßstab der Entwicklung liegt in der Gottesebenbildlichkeit des Menschen.

„29...Der Mensch erhält so eine gewisse Verwandtschaft mit den anderen Geschöpfen. Er ist berufen, sie zu gebrauchen, sich um sie zu kümmern, und ist - immer nach dem Genesisbericht (2,15)- in den Garten versetzt mit der Aufgabe, ihn zu bebauen und zu hüten, über allen anderen Geschöpfen, die von Gott seiner Herrschaft unterstellt sind (vgl. Gen 1, 25-26)."

Der Auftrag ist auch nach dem Sündenfall geblieben, aber schwerer geworden. Wegen der Misserfolge und der Schwierigkeit der Aufgabe dürften man aber nicht die Aufgabe zurückweisen, das Los des ganzen und aller Menschen zu verbessern. Der Glaube an Christus erhellt das Wesen der Entwicklung von Innen, das alles fügt sich in den Plan, den Menschen an Gottes Herrlichkeit teilnehmen zu lassen. Deshalb sieht die Kirche die Verpflichtung, die Entwicklung als eine Verpflichtung ihres pastoralen Dienstes.

Entwicklung erfordert Zusammenaarbit, es ist nicht nur die Pflicht von einzelnen, sondern eine Pflicht für alle. Gegenseitig bei der Ökumene mithelfen und vieles auch mit den Gläubigen anderer Religionen zu machen. Entwicklung darf nicht den eigenen Glauben aufzwingen wollen.

Wahre Entwicklung und Achtung der Menschenrechte gehören zusammen. Es ist ein Entwicklung in Freiheit und Solidarität.

Entwicklung kann nicht von der Achtung der Geschöpfe absehen, sie dürfen nicht rein nach wirtschaftlichen Erfordernissen betrachtet werden, sondern der Natur eine jeden Wesens und seiner Wechselbeziehung in einem geordneten System ist Rechnung zu tragen. Bei allem ist auch auf die Begrenztheit der Ressourcen und die Lebensqualität der Bevölkerung zu achten.

2.1.3.3.5 Eine theologische Analyse der modernen Probleme

„36... Deshalb ist zu betonen, daß eine in Blöcke geteilte Welt, die von starren Ideologien gestützt werden und wo statt gegenseitiger solidarischer Abhängigkeit verschiedene Formen von Imperialismus vorherrschen, nur eine Welt sein kann, die "Strukturen der Sünde" unterworfen ist. Die Summe der negativen Faktoren, die sieh in einem Sinne auswirken, der zu einem echten Bewußtsein vom umfassenden Gemeinwohl und von der Aufgabe, diese zu fördern, im Gegensatz steht, macht den Eindruck, in Personen und Institutionen eine Barriere zu schaffen, die nur schwer zu überwinden ist."

Die Strukturen der Sünde haben in persönlichen Sünden ihre Wurzeln, die auf Dauer solche Strukturen herbeiführen, die sich verfestigen und so zur Quelle weiterer Sünden werden. Zwei wichtige Verhaltensweisen dieser Strukturen der Sünde sind „die ausschließliche Gier nach Profit und das Verlangen nach Macht, mit der Absicht, anderen seinen Willen aufzuzwingen (37)."

Für Christen heißt die Änderung im biblischen Sinne Umkehr. Zeichen solcher Umkehr sind das Wachsen der Erfahrung der gegenseitigen Abhängigkeit und das Mitempfinden mit Ungerechtigkeiten die in fernen Ländern begangen werden. Daraus kann dann Solidarität erwachen. Die die größeren Einfluss haben müssen sich für die Schwächeren verantwortlich fühlen. Die Kirche fühlt sich an die Seite der Armen gerufen. Es muss ein internationales System ohne Hegmonomiestreben aufgebaut werden, das die Gleichheit aller Völker ernst nimmt. Alle sind zum Festmahl des Lebens eingeladen. Der Weg der Solidarität ist zugleich der Weg zum Frieden.

2.1.3.3.6 Einige besondere Orientierungen

Die Kirche hat keine technischen Lösungen anzubieten, aber ein Wort zu sagen zur Natur von Unterentwicklung und den Zielen und Hindernissen von Entwicklung. Darin erfüllt sie Ihren Verkündigungsbeitrag. Sie leistet ihren Hauptbeitrag dazu, wenn sie die Wahrheit über Christus, über sich selbst und über den Menschen verkündet und auf die konkrete Situation anwendet, zur Erreichung dieses Ziels benutzt sie ihre Soziallehre.

Dies Soziallehre ist kein dritter Weg zwischen liberalistischem Kapitalismus und marxistischem Kollektivismus, sondern die genauen Ergebnisse einer Reflexion über die komplexe Wirklichkeit menschlicher Existenz und seiner Gesellschaft im Licht des Glaubens. Die kirchliche Soziallehre muss sich mehr als früher einer intentionalen Sicht öffnen.

Die Option für die Armen ist ein besondere Form der Ausübung der christlichen Liebe, sie gilt für das Leben eines jeden Christen und seinen Lebensstil und den Entscheidungen des Geerbauchs seiner Güter. Sie gilt auch für die Entscheidungen in Wirtschaft und Politik und muss Vorrang erhalten in den Programmen der Nationen und internationalen Einrichtungen.

Vier Bereiche sind besonders reformbedürftig. Das internationale Handlessystem diskriminiert heute oft industrielle Produkte aus Entwicklungsländern. Die Große Fluktuation in Kursen und Zinsen im heutigen Weltwährungssystem ist zum Schaden der armen Länder. Nicht selten werden unterentwickelten Ländern nutzlose Technologien aufgedrängt. Die Menschheit braucht einen höheren Gras an internationaler Ordnung.

Entwicklungsländer sollen ihre eigene Verantwortung wahrnehmen. Sie sollen die Selbstverwirklichung der Bürger fördern, den Informationsfluss fördern und die Grundausbildung stärken. Sie müssen die Prioritäten prüfen und oft ihre politischen Institutionen reformieren. Durch Zusammenarbeit könnten sie ihre Kraft stärken.

2.1.3.3.7 Schluss

„46... Es ist richtig hinzuzufügen, daß Streben nach Befreiung von jeder Form der Knechtschaft von Mensch und Gesellschaft ein edles und berechtigtes Anliegen ist. Darauf zielt gerade die Entwicklung hin"...

Alle sind aufgerufen und sogar verpflichtet die Maßnamen der Solidarität für die Armen zu verwirklichen. Die Söhne und Töchter der Kirche müssen hierbei Beispiel sein. Ein besonderer Aufruf zur Kooperation wird an Christen, Juden, Muslime und alle Anhänger der großen Weltreligionen gerichtet.

„48... Nichts von dem, was man durch die solidarische Anstrengung aller und mit Hilfe der Gnade Gottes in einem bestimmten Augenblick der Geschichte verwirklichen kann und muß - auch wenn es unvollkommen und nur vorläufig ist -, um das Leben der Menschen "menschlicher" zu gestalten, wird verloren oder vergeblich sein."

2.1.3.3.8 Einige Gedanken danach

Nur einige Ansätze der Enzyklika sollen hier nochmals betont werden. Soziallehre ist Teil der Verkündigung. Zur Botschaft gehört die Option für die Armen. Es gibt Strukturen der Sünde, die vor allem durch die Haltung von Profitsucht und ungezügelter Machtgier entstehen und diese Haltung immer wieder provozieren. Dagegen hilft nur Umkehr zu Solidarität.

2.1.3.4 Die ökologische Krise – eine gemeinsame Veraantwortung

2.1.3.4.0 Zum Thema des Briefes

E ist üblich, dass der Papst zum Weltfriedenstag am 1. Januar eine Botschaft verfasst. 1990 ging sie zum Thema Ökologie. Der Untertitel lautet: „Friede mit Gott dem Schöpfer, Friede mit der ganzen Schöpfung.

„1...HEUTZUTAGE gibt es ein wachsendes Bewußtsein, daß der  Weltfriede nicht nur durch den Rüstungswettlauf, regionale Konflikte und fortdauernde Ungerechtigkeiten zwischen Völkern und Nationen bedroht ist, sondern auch durch einen Mangel an GEBÜHRENDER RÜCKSICHT AUF DIE NATUR, durch das Plündern natürlicher Ressourcen und durch einen fortschreitenden Verlust an Lebensqualität. Das Gefühl von Ungewißheit und Unsicherheit, die solch eine Situation hervorruft, ist ein Boden für Gruppenegoismus, Gleichgültigkeit gegenüber anderen und Unehrlichkeit.

Angesichts einer weitgehenden Umweltzerstörung, kommen überall Menschen zu dem Schluß, daß wir die Güter der Erde nicht mehr weiter so gebrauchen können wie in der Vergangenheit. Die Öffentlichkeit im Allgemeinen und genauso politisch Verantwortliche sind über dieses Problem besorgt, und Experten verschiedenster Fachrichtungen erforschen ihre Ursachen. Außerdem bildet sich mittlerweile ein neues ÖKOLOGISCHES BEWUßTSEIN heraus, das weniger heruntergespielt, sondern vielmehr ermutigt werden sollte, sich zu konkreten Programmen und Initiativen zu entwickeln."

2.1.2.4.1 I Und Gott sah, dass alles gut war

Am Anfang schuf Himmel und Erde, so beschreiben es die ersten Kapitel der Bibel. Gott sah, dass seine Schöpfung gut war, ja sogar sehr gut war, bevor er sie dem Menschen gab, der. Die Menschen sollten die Herrschaft über die Schöpfung ausüben, sie aber zerstörten die bestehende Harmonie: „3...Die ganze Schöpfung verfiel der Sinnlosigkeit, während sie auf geheimnisvolle Weise darauf wartete erlöst zu werden und eine glorreiche Freiheit zu erlangen zusammen mit allen Kindern Gottes (vgl. Röm 8,20-21)."

Nach dem Tod und der Auferstehung Jesu ist auch die Schöpfung erneuert: „4. Christen glauben, daß der Tod und die Auferstehung Christi das Werk der Versöhnung mit dem Vater vollendete, der durch ihn alles versöhnen wollte. "Alles im Himmel und auf Erden wollte er zu Christus führen, der Friede gestiftet hat am Kreuz durch sein Blut." (Kol 1,20) So wurde die Schöpfung erneuert (vgl. Offb. 21,5). Einst der Knechtschaft der Sünde und des Todes verfallen (vgl. Röm 8,21), hat sie nun ein neues Leben empfangen während "wir einen neuen Himmel und eine neue Erde erwarten, in denen die Gerechtigkeit wohnt" (2 Petr 3,13). So hat der Vater "uns das Geheimnis seines Willens kundgetan... Er hat beschlossen, die Fülle der Zeiten heraufzuführen in Christus alles zu vereinen, alles was im Himmel und auf Erden ist." (Eph 1,9-10)."

Es ist die tiefe Einsicht vorhanden, dass die Schöpfung leidet. Menschen Fragen, wie die Schäden zu heilen sind, ob es einen moralischeren Gebrauch der Schöpfung gibt.

2.1.2.4.2 II Die ökologische Krise ein moralisches Problem

Es ist die Würde des Menschen, verantwortlich am Schöpfungshandeln Gottes teilzuhaben. Leider hat dieses Handeln in Industrie und Landwirtschaft schädliche Langzeiteffekte hervorgerufen. Wir dürfen nicht in einen Bereich des Ökosystems eingreifen ohne die Folgen für anderen Bereichen zu beachten, auch mit Rücksicht auf die kommenden Generationen. In vielen Fällen sind die Schäden nicht mehr umkehrbar.

„6... Die allmähliche Verringerung der Ozonschicht and den entsprechenden "Triebhauseffekt" hat jetzt krisenhafte Ausmaße erreicht als eine Folge industriellen Wachstums, einer massiven Verstädterung und einem extrem gestiegenem Energieverbrauch. Industrieller Müll, das Verbrennen fossiler Energieträger, unbegrenztes Abholzen von Wäldern, der Gebrauch bestimmter Pflanzenschutzmittel, Kühlmittel und Treibgase - all das schädigt bekanntlich die Atmosphäre und die Umwelt. Die daraus folgenden meteorologischen und atmosphärischen Veränderungen reichen von einer Gesundheitsschädigung bis zu einer möglichen künftigen Überschwemmung niedrig liegender Landteile."

Es geraten unter der Berufung auf Fortschritt empfindliche ökologische Gleichgewichte ins Wanken. Schließlich kann man mit Sorg die biologische Forschung betrachten: „7... Wir sind noch nicht in der Lage, die biologische Störung zu beurteilen, die sich aus einer wahllosen genetischen Veränderung und von der gewissenlosen Entwicklung neuer Formen von pflanzlichem und tierischem Leben ergibt, geschweige denn aus einem nicht hinnehmbaren Experimentieren hinsichtlich den Ursprüngen des menschlichen Lebens selbst. Es ist selbstverständlich, daß auf jedem Gebiet, das so empfindlich ist wie dieses, eine Gleichgültigkeit gegenüber ethischen Normen oder ihre Zurückweisung die Menschheit an die unmittelbare Schwelle der Selbstzerstörung führen würde."

Respekt vor dem Leben und der Würde des Menschen ist eine Norm für jeden wissenschaftlichen, industriellen und wirtschaftlichen Fortschritt.

2.1.2.4.3 III Auf der Suche nach einer Lösung

„8...Die Menschheit ist berufen, diese Ordnung zu erforschen und zu untersuchen mit der nötigen Sorge und sie zu gebrauchen bei Bewahrung ihrer Intaktheit."

Die Güter der Erde sind für alle da, es kann nicht angehen, dass einige wenige die Ressourcen verschwenden, während andere immer mehr ins Elend absinken: „8... Heute lehrt uns die dramatische Bedrohung eines ökologischen Zusammenbruchs, wie sehr Gier und Selbstsucht - sowohl individuell als auch kollektiv - im Widerspruch zur Schöpfungsordnung stehen, einer Ordnung, die gekennzeichnet ist durch wechselseitige Abhängigkeit." Es besteht die Notwendigkeit, auf internationaler Ebene zu handeln: „9... Das Recht auf eine sichere Umwelt wird heute immer nachdrücklicher dargelegt als ein Recht, daß in eine modernisierte Menschenrechtscharta aufgenommen werden muß."

2.1.2.4.4 IV Die dringende Notwendigkeit einer neuen Solidarität

Es bedarf einer neuen Solidarität auch mit den Entwicklungsländern. Die Institutionen können nicht Standards fordern, diese selbst nicht einhalten. Schwellenländer dürfen nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen. Die Wälder dürfen nicht weiter abgeholzt, -nichterneuerbare unbegrenzt ausgebeutet werden. Für Giftmüll muss eine Lösung zur Endlagerung gefunden werden. Ohne die Einbeziehung der Situation der strukturellen Armut in der Welt sind diese Probleme nicht lösbar. Es drohen uns neue Gefahren im Krieg: „10... Trotz der internationalen Abmachungen, die chemische, bakteriologische und biologische Kriegsführung verbieten, ist es eine Tatsache, daß Laboratorien weiter daran forschen, neue Offensivwaffen zu entwickeln, die das Gleichgewicht der Natur verändern können."

Eine Lösung wird nicht zu finden sein, wenn die moderne Gesellschaft nicht ernsthaft auf ihren Lebensstil achtet. Erziehung für ökologische Verantwortung ist gefordert mit einem Umdenken im Verhältnis zur Umwelt.

Die ökologische Frage gehört in den Zusammenhang de Suche nach Frieden. Es liegt im Universum eine Ordnung, die respektiert werden muss. Diese Ordnung gilt es für kommende Generationen zu bewahren. Dies ist eine moralische Frage. Aus ihrem Glauben her sind Christen besonders aufgerufen, sich für die Schöpfung einzusetzen.

„16... 1979 habe ich den Heiligen Franz von Assisi als einen himmlischen Patron über jene ausgerufen, die die Ökologie voranbringen (vgl. Apostolischer Brief Inter Sanctos: AAS 71 [1979], 1509f). Er gibt Christen ein Beispiel eines ursprünglichen und tiefen Respekts vor der Unversehrtheit der Schöpfung. Als ein Freund der Armen, der von Gottes Geschöpfen geliebt wurde, lud der Heilige Franz die ganze Schöpfung ein - Tiere, Pflanzen, Naturgewalten, sogar Schwester Sonne und Bruder Mond -, Gott die Ehre zu geben und ihn zu preisen. Der arme Mann aus Assisi gibt uns einen schlagenden Beweis dafür, daß, wenn wir mit Gott im Frieden sind, wir uns dem Aufbau des Friedens mit der ganzen Schöpfung besser widmen können, der untrennbar ist vom Frieden zwischen allen Menschen... Es ist meine Hoffnung, daß der Geist des Heiligen Franziskus uns helfen wird den Sinn der "Brüderlichkeit" mit all den guten und schönen Dingen, die der allmächtige Gott geschaffen hat, zu bewahren. Und mag er uns an unsere ernste Pflicht erinnern, sie zu respektieren und sie mit Sorge über sie zu wachen, im Lichte der größeren und höheren Brüderlichkeit, die in der menschlichen Familie existiert."

Abschließende Gedanken

Hier wird zum ersten Mal umfassend in de Soziallehre die Ökologie aufgegriffen. Sie ist nicht mehr einfach eine Frage von einigen Engagierten. Sie muss zu einer Charta der Schöpfungsrechte führen, die international verbindlich ist. Gerade die Verwerfungen in der Umweltverschmutzung und im Ressourcenverbrauch zwischen armen und reichen Völkern sind Anlass zu neuen Spannungen und zu Unfrieden. Der Friede muss auch die Schöpfung mit einbeziehen. Es gibt eine neue Brüderlichkeit mit der Schöpfung.

Trotz dieser Botschaft steht eine Enzyklika in der Frage der Umwelt dringend an.

2.1.3.5 Centesimus annus – zum hundertsten Jahrestag von Rerum novarum

2.1.3.5.0 Einhundert Jahre offizielle katholische Soziallehre

Am 1. Mai dem Gedächtnis des hl. Josef des Arbeiters erschien die Enzyklika on Johannes Paul II. zum ein zum hundertsten Jahrestag von Rerum novarum, der ersten Sozialenzyklika. Sie ist eine Art Wiederlesen dieser Enzyklika unter den Bedingungen von heute. Natürlich drängt sich vom Termin her das Jahr 1989 auf, der Zusammenbuch des Kommunismus mit alle seinen Fragen und es wird darüber zu sprechen sein, ob nun der Kapitalismus dass Siegersystem sei.

2.1.3.5.1 Einleitung

„...1. Der hundertste Jahrestag der Verkündigung der Enzyklika meines ehrwürdigen Vorgängers Leo XIII., die mit den Worten Rerum novarum (1)beginnt, zeigt in der Gegenwartsgeschichte der Kirche und auch in meinem Pontifikat ein Datum an, dem beachtliche Bedeutung zukommt. War doch dieser Enzyklika das Privileg beschieden, daß ihrer die Päpste seit dem vierzigsten Jahrestag ihrer Veröffentlichung bis zum neunzigsten mit feierlichen Dokumenten gedachten. Man kann sagen, ihr Gang durch die Geschichte hat seinen Rhythmus von anderen Schreiben erhalten, die die Enzyklika in Erinnerung riefen und sie zugleich aktualisierten."

Die erste Sozialenzyklika entstand an der Wende von einer alten zu einer neun Gesellschafts- und Wirtschaftsform. Die Arbeit wurde wie Ware auf dem Markt gehandelt. Die Folge war die Spaltung der Gesellschaft in zwei Klassen. Dazu nahm der Papst Stellung. Er lies sich anregen von vielfachen Vorarbeiten auch von wissenschaftlichen Studien von Laien. In der Mitte steht der Wert der Arbeit: „6....Mit der Absicht, durch seine Enzyklika den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit zu klären, verkündete Leo XIII. die Grundrechte der Arbeiter. Deshalb stellt die Würde des Arbeiters und damit die Würde der Arbeit überhaupt den Schlüssel für die Lektüre der Enzyklika dar."

In der Verteidigung des Vereinigungsrechtes ist auch ein Grund für Arbeitervereine und Gewerkschaften zu sehen, die ja nicht immer gewollt waren. Ganz wichtig ist der Enzyklika auch der gerechte Lohn, der ausreichend sein muss sich und die Seinen angemessen zu unterhalten. Gegen Liberalismus und Marxismus begründet er eine Gesellschaft aus dem Prinzip der Solidarität. Eindeutig verteidigt die Würde der Person. Christen müssen entschieden Stellung nehmen im Kampf für soziale Gerechtigkeit.

2.1.3.5.2 II. Kapitel Auf dem Weg zum „Neuen" von heute

In einem ersten Teil wird darauf hingewiesen, dass die Päpste immer schon das Ungenügen sozialistischer Systeme deutlich gemacht haben. Ihr Untergang war von den Fehlern im Konzept her nicht aufzuhalten: „12... Man mag sich darüber wundern, daß der Papst seine Kritik an den Lösungen, die sich für die »Arbeiterfrage« anboten, beim Sozialismus ansetzte. Dieser trat damals noch gar nicht — wie es später tatsächlich geschah — in Gestalt eines starken und mächtigen Staates mit allen ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten auf. Der Papst urteilte jedenfalls richtig, wenn er die Gefahr sah, die darin bestand, daß der breiten Masse eine scheinbar so einfache und radikale Lösung der »Arbeiterfrage« vorgelegt wurde."

Die Enzykliken hatten aber auch Einfluss auf die Gestaltung der gesellschaftlichen Ordnung: „15... Die Enzyklika und mit ihr das soziale Lehramt hatten in den Jahren der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert einen vielfältigen Einfluß. Dieser Einfluß zeigt sich in zahlreichen Reformen auf dem Gebiet der Sozialgesetzgebung, der Altersversorgung, der Krankenversicherung, der Unfallverhütung, immer im Hinblick auf eine umfassendere und größere Achtung vor den Rechten der Arbeiter."

Das letzte Jahrhundert ist dass Jahrhundert mit den meisten Kriegstoten und Völkermorden. Die Enzyklika hat auf das Hasspotential hingewiesen, dass sich auch gerade dann im Nationalsozialismus und Bolschewismus äußerte: „Die Enzyklika Rerum novarum hat sich gegen die Ideologien des Hasses zur Wehr gesetzt und Wege der Gerechtigkeit zur Überwindung von Gewalt und Feindschaft aufgezeigt. Möchte die Erinnerung an jene schrecklichen Ereignisse das Handeln aller Menschen beeinflussen, insbesondere das der Verantwortlichen der
Völker unserer Zeit. Einer Zeit, in der neues Unrecht neuen Haß nährt und neue Ideologien am Horizont auftauchen, die die Gewalt verherrlichen."

In den letzten einhundert Jahren lief ein Prozess der Dekolonisation. Viele Länder haben das recht zur Selbstbestimmung erhalten. Aber noch viele sind aus ihrer Stammessituation noch nicht zu Nationen verwachsnen und haben auch oft nicht die Kenntnisse für zeitgemäßes Wirtschaften.

Die Reaktion der Völkergemeinschaft auf das Morden im und um den 2. Weltkrieg war die Gründung der Vereinten Nationen. Sicher haben sie ihre Ziel noch nicht erricht. Das Recht des Einzelnen und das Recht der Völker ist gewachsen: „21...„Nimmt man auch diese Entwicklung mit Genugtuung zur Kenntnis, so kann man doch nicht die Tatsache übersehen, daß die Gesamtbilanz der verschiedenen Entwicklungshilfen keineswegs immer positiv ist. Den Vereinten Nationen ist es bis jetzt nicht gelungen, an Stelle des Krieges ein wirksames Instrumentarium zur Lösung internationaler Konflikte auszuarbeiten. Das erscheint als das dringendste Problem, das die internationale Gemeinschaft zu lösen hat."

2.1.3.5.3 III. Kapitel: Das Jahr 1989

„22. Von der eben geschilderten und in der Enzyklika Sollicitudo rei socialis bereits ausführlich dargestellten Weltlage her begreift man die unerwartete und vielversprechende Tragweite der Geschehnisse der letzten Jahre. Ihr Höhepunkt waren sicher die Ereignisse des Jahres 1989 in den Ländern Mittel- und Osteuropas; sie umfassen aber einen größeren Zeitbogen und einen breiteren geographischen Horizont. Im Laufe der achtziger Jahre brechen nacheinander in einigen Ländern Lateinamerikas, aber auch Afrikas und Asiens diktatorische, von Unterdrückung gekennzeichnete Regimes zusammen; in anderen Fällen beginnt ein schwieriger, aber erfolgreicher Übergang hin zu gerechteren und demokratischen politischen Strukturen. Einen wichtigen, ja entscheidenden Beitrag hat dabei der Einsatz der Kirche für die Verteidigung und die Förderung der Menschenrechte geleistet."

All dies wurde ohne Waffengewalt erreicht. Nicht durch einen Krieg, sondern durch den Einsatz von Menschen für die Menschenrechte ist die Situation gemeistert worden. Dazu hat auch die Kirche ihren Beitrag geleistet. Das Wirtschaftssystem des Kommunismus hat sich als untauglich erwiesen und brach zusammen.

„26... Die Krise des Marxismus beseitigt nicht die Situationen von Ungerechtigkeit und Unterdrückung in der Welt; von ihnen holte sich der Marxismus seinen Zulauf, indem er sie als sein Werkzeug benutzte. Allen denen, die heute auf der Suche nach einer neuen und authentischen Theorie und Praxis der Befreiung sind, bietet die Kirche nicht nur ihre Soziallehre und überhaupt ihre Botschaft über den in Christus erlösten Menschen, sondern auch ihren konkreten Einsatz und ihre Hilfe für den Kampf gegen die Ausgrenzung und das Leiden an."

„27. Die zweite Folgerung betrifft die Völker Europas. In den Jahren, in denen der Kommunismus herrschte und auch schon vorher wurden zahlreiche individuelle und soziale, regionale und nationale Ungerechtigkeiten begangen. Viel Haß und Groll hat sich aufgestaut. Es besteht die Gefahr, daß sich nach dem Zusammenbruch der Diktatur diese Gefühle des Hasses und des Zornes neu entladen und ernste Konflikte und Trauer auslösen, sobald die moralische Kraft und das bewußte Bemühen, von der Wahrheit Zeugnis zu geben, nachlassen. Es ist zu wünschen, daß vor allem in den Herzen jener, die für die Gerechtigkeit kämpfen, nicht Haß und Gewalt triumphieren und in allen der Geist des Friedens und der Vergebung wachse."

Für den moralischen und wirtschaftlichen Wiederaufbau bedarf es großer Anstrengungen. Für einige Länder Osteuropas beginnt jetzt eigentlich die Nachkriegszeit. Ihnen muss geholfen werden. Dabei dürfen aber nicht die Entwicklungsländer ins Hintertreffen geraten.

2.1.3.5.4 IV. Kapitel: Das Privateigentum und die universale Bestimmung der Güter

Leo XIII. stellte das Recht auf Eigentum heraus. Dabei weist er darauf hin, das die Güter dieser Welt für alle bestimmt sind. Die nachfolgenden Päpste haben diese doppelte Funktion des Eigentums immer wieder deutlich gemacht. Der Ursprung des Eigentums liegt in der Arbeit: „31...Durch die Arbeit gelingt es dem Menschen, sich unter Gebrauch seines Verstandes und seiner Freiheit die Erde zu unterwerfen und zu seiner würdigen Wohnstatt zu machen. Auf diese Weise macht er sich einen Teil der Erde zu eigen, den er sich durch Arbeit erworben hat. Hier liegt der Ursprung des Privateigentums. Natürlich hat der Mensch auch die Verantwortung, nicht zu verhindern, daß andere Menschen ihren Anteil an der Gabe Gottes erhalten, ja, er muß mit ihnen zusammenarbeiten, so daß sie miteinander über die ganze Erde
herrschen."

„32. Aber besonders in der heutigen Zeit gibt es noch eine andere Form von Eigentum, der keine geringere Bedeutung als dem Besitz der Erde zukommt: Es ist das der Besitz von Wissen, von Technik und von Können. Der Reichtum der Industrienationen beruht zu einem viel größeren Teil auf dieser Art des Eigentums als auf dem der natürlichen Ressourcen."

Dieses neue Eigentum wird immer bedeutender für die Industrie. Der Mensch mit seinem Wissen gewinnt zunehmend an Bedeutung, die Bedeutung der materiellen Güte tritt zurück. Daraus entstehen neue Unternehmungen und Betrieb, viele gewinnen nicht mehr den Zugang dazu. Man braucht sie einfach nicht mehr, das kann vor allen den Menschen in der Dritten Welt geschehen. Für viele Menschen gilt: „33...Viele andere Menschen leben, auch wenn sie nicht völlige Randexistenzen sind, in einem Milieu, wo der Kampf um das Notwendigste den absoluten Vorrang hat. Dort herrschen noch die Regeln des Kapitalismus der Gründerzeit mit einer Erbarmungslosigkeit, die jener der finstersten Jahre der ersten Industrialisierungsphase in nichts nachsteht. In anderen Fällen ist noch der Boden der Grundfaktor der Wirtschaft. Jene aber, die ihn bebauen, sind von seinem Besitz ausgeschlossen und befinden sich in der Lage halber Sklaven. In solchen Fällen kann man noch heute wie zur Zeit von Rerum novarum von einer unmenschlichen Ausbeutung sprechen. Trotz der großen Veränderungen, die in den fortgeschrittenen Gesellschaften stattgefunden haben, ist das menschliche Defizit des Kapitalismus mit der daraus sich ergebenden Herrschaft der Dinge über die Menschen keineswegs überwunden; ja, für die Armen kam zum Mangel an materiellen Gütern noch der Mangel an Wissen und Bildung hinzu, der es ihnen unmöglich macht, sich aus ihrer Lage erniedrigender Unterwerfung zu befreien."

Die Menschen dürfen nicht auf das Niveau von Ware herabgedrängt werden. Hier setzt der Kampf der Gewerkschaften ein. Hier kann wirklich vom Kampf gegen eine Wirtschaftssystem gesprochen werden, in dem die absolute Vorherrschaft des Kapitals gilt. Gewinn ist für eine Untenehmen wichtig, aber es gibt noch zusätzliche menschliche und moralische Faktoren. Man sieht daraus deutlich, dass nach dem Untergang des Kommunismus der Kapitalismus das einzig siegreiche Modell sei, nicht tragbar ist. Die ganze internationale Gemeinschaft muss dafür eintreten, dass nicht ganze Länder am Rande liegen bleiben. Eine solche Wirtschaft ist vor allem an immer mehr Konsum orientiert. Die Menschen wollen genießen, das ist nicht unbedingt schlecht: „36... Nicht das Verlangen nach einem besseren Leben ist schlecht, sondern falsch ist ein Lebensstil, der vorgibt, dann besser zu sein, wenn er auf das Haben und nicht auf das Sein ausgerichtet ist. Man will mehr haben, nicht um mehr zu sein, sondern um das Leben in Selbstgefälligkeit zu konsumieren. Es ist daher notwendig, sich um den Aufbau von Lebensweisen zu bemühen, in denen die Suche nach dem Wahren, Schönen und Guten und die Verbundenheit mit den anderen für ein gemeinsames Wachstum jene Elemente sind, die die Entscheidungen für Konsum, Sparen und Investitionen bestimmen. In diesem Zusammenhang kann ich nicht allein an die Pflicht der Nächstenliebe erinnern, das heißt die Pflicht, mit dem eigenen »Überfluß« und bisweilen auch mit dem, was man selber »nötig« hat, zu helfen, um das bereitzustellen, was für das Leben des Armen unentbehrlich ist."

Gleichfalls besorgniserregend ist die Frage der Ökologie. Der Mensch vergisst, dass die Urschenkung von Gott kam: „37... Statt seine Aufgabe als Mitarbeiter Gottes am Schöpfungswerk zu verwirklichen, setzt sich der Mensch an die Stelle Gottes und ruft dadurch schließlich die Auflehnung der Natur hervor, die von ihm mehr tyrannisiert als verwaltet wird."

Neben der Naturökologie bedarf es inzwischen auch einer Humanökologie, dazu gehört in erster Linie der Schutz der Familie, und Arbeitsökologie, die den Menschen menschengerecht leben und arbeiten lässt. Der Staat muss die gemeinsamen Güter verteidigen, als auch für die natürliche und menschliche Umwelt eintreten.

Die Entfremdung von der Ausbeutung, die der Marxismus brandmarkte, ist im Westen im wesentlichen überwunden. Nicht überwunden ist die Entfremdung des Menschen von dem Überschreiten seiner selbst zu Gott und dem Nächsten, dem eigentlichen Ziel seines Lebens.

Es stellt sich die Eingangsfrage, ob die nach dem Scheitern des Kommunismus der Kapitalismus die siegreiche Lösung sei? Es gibt auch in den Ländern der Dritten Welt eine Fülle von Unterdrückung und Ausbeutung, Massen von Menschen leben immer noch im Elend, in den Industrieländern sind Menschen von sich selbst entfremdet.

„42...Die marxistische Lösung ist gescheitert, aber in der Welt bestehen nach wie vor Formen der Ausgrenzung und Ausbeutung, insbesondere in der Dritten Welt, sowie Erscheinungen menschlicher Entfremdung, besonders in den Industrieländern, gegen die die Kirche mit Nachdruck ihre Stimme erhebt. Massen von Menschen leben noch immer in Situationen großen materiellen und moralischen Elends. Der Zusammenbruch des kommunistischen Systems beseitigt sicher in vielen Ländern ein Hindernis in der sachgemäßen und realistischen Auseinandersetzung mit diesen Problemen, aber das reicht nicht aus, um sie zu lösen. Es besteht die Gefahr, daß sich eine radikale kapitalistische Ideologie breitmacht, die es ablehnt, sie auch nur zu erwägen, da sie glaubt, daß jeder Versuch, sich mit ihnen auseinanderzusetzen, von vornherein zum Scheitern verurteilt sei, und ihre Lösung in einem blinden Glauben der freien Entfaltung der Marktkräfte überläßt."

2.1.3.5.4 V. Kapitel: Staat und Kultur

Papst Leo XIII. Vertrat schon damals das Prinzip des Rechtsstaates mit der Gewaltenteilung. Heute besteht die Gefahr des Totalitarismus, die keine andere Auffassung zulässt und Minderheiten unterdrückt. Dieses system steht in der Gegnerschaft zur Kirche und möchte alle gesellschaftlichen Gruppierungen aufsaugen. Im Gegensatz dazu wird die Demokratie geschätzt.

„46. Die Kirche weiß das System der Demokratie zu schätzen, insoweit es die Beteiligung der Bürger an den politischen Entscheidungen sicherstellt und den Regierten die Möglichkeit garantiert, sowohl ihre Regierungen zu wählen und zu kontrollieren als auch dort, wo es sich als notwendig erweist, sie auf friedliche Weise zu ersetzen. Sie kann daher nicht die Bildung schmaler Führungsgruppen billigen, die aus Sonderinteressen oder aus ideologischen Absichten die Staatsmacht an sich reißen."

Die Kirche lehnt Fanatismus und Fundamentalismus ab. Der Christ bietet in Freiheit seine Wahrheit an. Im Dialog wird er jedem Beitrag an Wahrheit Achtung zollen, der ihm begegnet.

Die Kirche achtet die Autonomie der Demokratie, sie wird aber überall für die Menschenwürde eintreten.

Der Staat hat in einer Markwirtschaft vor allem die Sicherheit der Währung zu garantieren und eine geordnete Verwaltung zu haben. Er kann zwar niemand zwingen, Arbeitsplätze anzubieten, muss aber die Unternehmen dabei unterstützen, Arbeitsplätze zu schaffen bis hin zur Krisenintervention. Er muss eingreifen, wenn Monopole die Entwicklung behindern. Er kann stellevertretend einspringen, wenn in Bereichen die wirtschaftlichen Einrichtungen nicht vorhanden oder schwach ausgebildet sind. Bezüglich des Wohlfahrtsstaates gilt auch das Subsidiaritätsprinzip. Das gilt auch für den Bereich der Fürsorge für die Menschen in den verschiedensten Bereichen, hier ist auch die Kirche bereit, mitzuhelfen. Er muss die Sozialpolitik und dabei vor allem die Familienpolitik fördern.

Jede Gesellschaft ist in jeder Generation neu auf der Suche nach Wahrheit, die über die Generationen hinweg geht. Gerade die jüngere Generation hinterfragt die alten Werte, ob sie auch für die Zukunft Bestand haben. Richtig ist dies, wenn dabei Irrtümer und veraltete Traditionen verlassen werden.

Die Kirche fördert ein Kultur des Feiedens. Dazu gehört auch die Bereitschaft zur Hilfe für den Nächsten in Stunden der Not. „51... Die Hl. Schrift spricht zu uns ständig über den tätigen Einsatz für den Bruder und konfrontiert uns mit einer Mitverantwortung, die alle Menschen umfassen soll." Diese Forderung umfasst letztlich die ganze Menschheit.

„Nie wieder Krieg", hat der Papst verschiedentlich gesagt, es müssen neue Wege gefunden werden: „52...Wie in den einzelnen Staaten endlich der Zeitpunkt kam, wo an die Stelle des Systems der persönlichen Rache und Vergeltung die Herrschaft des Gesetzes trat, so ist es jetzt dringend notwendig, daß in der internationalen Völkergemeinschaft ein ähnlicher Fortschritt stattfindet."

2.1.3.5.6 VI. Kapitel Der Mensch ist der Weg der Kirche

„53. Angesichts des Elends des Proletariats sagte Leo XIII.: »Mit voller Zuversicht treten Wir an diese Aufgabe heran und im Bewußtsein, daß Uns das Wort gebührt ....; so könnte das Stillschweigen eine Verletzung Unserer Pflicht scheinen«.(107) Die Kirche hat in den letzten hundert Jahren wiederholt ihre Stellungnahme zum Ausdruck gebracht, indem sie die Entwicklung der sozialen Frage aus der Nähe verfolgte...Daraus folgt, daß die Kirche den Menschen nicht verlassen darf und daß »dieser Mensch der erste Weg ist, den die Kirche bei der Erfüllung ihres Auftrags beschreiten muß ..., den Weg, der von Christus selbst vorgezeichnet ist und unabänderlich durch das Geheimnis der Menschwerdung und der Erlösung führt«."

„54. Die heutige Soziallehre hat besonders den Menschen im Auge, insofern er in das komplizierte Beziehungsgeflecht der modernen Gesellschaften eingebunden ist. Die Humanwissenschaften und die Philosophie dienen dazu, die zentrale Stellung des Menschen in der Gesellschaft zu deuten und ihn in die Lage zu versetzen, sich selbst als »soziales Wesen« besser zu begreifen. Allein der Glaube enthüllt ihm voll seine wahre Identität. Von dieser Identität geht die Soziallehre der Kirche aus. Ihr Ziel ist es, unter Zuhilfenahme sämtlicher Beiträge der Wissenschaften und der Philosophie dem Menschen auf dem Weg zu seinem Heil beizustehen."

„62. Meine (Johannes Paul II.!)vorliegende Enzyklika hat in die Vergangenheit geblickt, sie ist aber vor allem auf die Zukunft ausgerichtet. Wie Rerum novarum steht sie gleichsam an der Schwelle des neuen Jahrhunderts und will dessen Kommen mit Gottes Hilfe vorbereiten."

2.1.3.5.6 Schlussgedanken

Die Enzyklika ist ein Wiederlesen von Rerum novarum verbunden mit einem Kurzgang durch die Soziallehre der Kirche in ihren wichtigsten Punkten. Vieles wird aufgegriffen und weiterentfaltet, anders nur bestätigt. Neu ist vor allem das Kapitel über den Zusammenbruch des Kommunismus und daraus entstehend die Frage, ob nun der Kapitalismus das siegreiche System sei. Die Enzyklika verneint dies unter Hinweis auf die sozialen Realitäten. Es geht nach wie vor um eine solidarische Ordnung in der die Menschenwürde in der Mitte steht.

Themen wie Entwicklungshilfe, Ökologie, gerechter Staat, internationale Weltordnung und Frieden werden besonders hervorgehoben.

2.1 Zusammenfassung

Mit der Enzyklika „Rerum novarum" schaltete sich die Kirche 1891 für die damalige Zeit wie mit einem Paukenschlag in die Diskussion ein. Diese wurde systematisch weitergeführt mit Quadragesimo anno 1931. Durch die politischen Auseinandersetzungen und den Krieg wurde sie für Deutschland erst nach 1945 bedeutsam und hat Gedanken zum Aufbau unseres Gemeinwesens gegeben. Mit Johannes XXIII. und dem Konzil wendet sich die Kirche den Themen der ganzen Welt zu und ist nicht mehr nur auf die Probleme der Industrieländer beschränkt. Globales Denken setzt sehr früh ein. Armut, Gerechtigkeit und Frieden sind die großen Themen, die kritisch die weltweiten Prozesse begleiten. Dies führt Johannes Paul II. konsequent weiter. In seiner Enzyklika „Laborem exercens" schreibt er eine Art Magna Charta der Arbeit. In Centesimus annus zum Jubiläum 1991 fasst er die ganze Entwicklung von 1891 ab nochmals zusammen.

 

2.1 Fragen zu Kapitel 2

2.3.1 Fragen zu 2.1.1 Von Rerum novarum bis Quadragesimo anno

1. Was war der Anlass der Enzyklika Rerum novarum?

 

 

 

 

 

 

2. Was sind die wichtigsten Themen, davon eines etwas ausführlicher darstellen?

 

 

 

 

 

 

3. Wie sieht Quadragesimo anno das Verhältnis von Arbeit und Kapital?

 

 

 

 

 

4. Welche Phänome zeigen sich beim Kapital besonders?

 

 

 

 

 

 

5. Sind dies ihrer Meinung noch Fragen, die heute auch noch ihre Bedeutung haben?

 

2.3.2 Fragen zu 2.1.1 Die Zeit um das Zweite Vatikanische Konzil

1. Welchem neuen Thema wendet sich die Soziallehre in Mater et Magistra zu?

 

 

 

 

 

 

2. Was wird in „Pacem in terris" zum beherrschenden Thema?

 

 

 

 

 

 

3. Wie ist die Pastoralkonstitution „Gaudium et spes einzuschätzen und welche neuen Themen dpricht sie vor allem an?

 

 

 

 

 

 

4. Welchen neuen Namen gibt die Enzyklika „Populorum progressio" dem Frieden?

 

 

 

 

 

 

5. Mit welcher neuen Form der Theologie, die auf manche herausfordernd wirkt, setzt sich „Evangelii nuntiandi auseinander?

 

 

 

 

 

3 Stimmen aus den Kirchen Deutschlands, der Weltkirche und der Ökumene

3.0 Hinführung und Fragen

3.0.1 Hinführung

Etwas zeitversetzt zu den päpstlichen Äußerungen entfaltet sich auf der Ebene der regionalen Kirchen und Bischofskonferenzen ein immer breiterer Strom von Lehrtexten zu gesellschaftlichen Fragen. Auch die Evangelische Kirche, hier eingegrenzt auf Äußerungen aus Deutschland, entwickelt vor allem nach dem 2. Weltkrieg eine eigene Form der Veröffentlichung zu gesellschaftlichen Fragen in den Denkschriften. Die soll auch im wesentlichen ein zeitlich Grenze sein, Schriften von vorher werden an anderer Stelle zur Sprache kommen. Hinzu kommen mehr und mehr Texte, die schon von Anfang an ökumenisch abgefasst sind. E ist verständlich, dass hier nur exemplarisch einige Texte kurz vorgestellt werden können. Manches ist auch im 1. Teil z.B. in der Frage nach Frieden und Gerechtigkeit zur Sprache gekommen und soll hier nicht wiederholt werden. Anderes, so z.B. die Veröffentlichungen aus Südamerika werden in der nächsten Einheit unter dem Thema der Befreiungstheologie aufgegriffen werden. Schwerpunkt wird das Thema Entwicklungshilfe, Dritte Welt, Eine Welt sein. Dabei können immer nur kurze Hinweise gegeben und nur wenige Texte vorgestellt werden und diese nur auszugsweise, da der Platz dafür nicht reicht. Es wird aber Wert darauf gelegt, dass möglichst viel Originaltext dargestellt wird.

3.0.2 Frage zum Überlegen

Welche sozialen Probleme aus einem Erdteil sind ihnen bekannt?

3.0.3 Literatur und Internet

3.0.3.1 Quellen und Literatur

Die Quellen zum folgenden Kapitel sind bezüglich Deutschland in entsprechenden Veröffentlichungen des Sekretariates der Deutschen Bischofskonferenz nachzulesen. Sie sind zu erhalten – sofern nicht vergriffen: Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz, Kaiserstr. 163, 53113 Bonn. Im Anhang der dort herausgegebenen Hefte finden sie alle Veröffentlichungen aufgelistet unter den Abschnitten:

Die deutschen Bischöfe

Verlautbarungen des Apostolischen Stuhles

Stimmen der Weltkirche

Der Vorsitzende der DBK

Arbeitshilfen

Gemeinsame Texte

Die Texte aus den Ländern der Dritten Welt sind meistens, wenn nicht unter Stimmen der Weltkirche angeben, aus WELTKIRCHE, Dokumente aus Afrika, Asien und Lateinamerika, Ein gemeinsamer Dienst der Werke Adveniat, Misereor, Renovabis

3.0.3.1 Internet

Christliche Gesellschaftslehre im Internet http://www.obing.de/zenz/links52.htm, dort ist die beste Textsammlung

Grundlagentext zur Christlichen Gesellschaftslehre
http://home.t-online.de/home/overkott/sozial.htm

Texte der Bischofskonferenz neueren Datums finden Sie unter

http://www.dbk.de

 

3.1 Äußerungen der Kirchen Deutschlands

3.1.0 Die Kirchen Deutschlands

Die katholische Kirche Deutschlands zählt (1994) bei 81,3 Millionen Einwohnern 34,3% (= 27,9 Millionen) Katholiken, die 36% (=29,2 Millionen) sind evangelische Christen. Es gibt etwa 2 Millionen Muslime (davon 50.000 Deutsche) , 0,6 Millionen Orthodoxe und 37500 Juden. Ca 30 Prozent der Einwohner sind nicht getauft, davon sehr viele in den neuen Bundesländern. Es gibt 27 (Erz)Bistümer. Die Kirche hat vor allem durch die Kirchensteuer ein gutes Einkommen. Sie ist in aller Welt bekannt durch ihre Hilfswerke. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK)besteht seit 1848. Die 24 lutherischen, reformierten und unierten Landeskirchen sind in der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) zusammengefasst. Ihre Text erscheinen in der Kompetenz des Rates der EKD.

Beide Kirchen haben eine reiche Tradition in gesellschaftspolitischen Äußerungen, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, die evangelische Kirche in bedeutenden Denkschriften, die katholische Bischofskonferenz in Hirtenschreiben. In den letzten Jahren kommt es erfreulicher weise immer mehr zu gemeinsamen Worten.

Im bisherigen Verlauf sind schon einige Dokumente der deutschen katholischen und das gemeinsame Worte der Kirchen zur sozialen und wirtschaftlichen Fragen "Für ein Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit", das in einem umfassenden Konsultationsprozess entstand, vorgestellt worden. Solche Text werden auch weiterhin dargestellt werden.

Hier folgen jeweils neuere Texte. Ein Wort der Katholischen Bischöfe über neuere Fragen der Gentechnik und Biomedizin wird den Anfang machen, es folgt eine Studie des Beirats des Beauftragten des Rates der EKD für Umweltfragen, danach wird das gemeinsame Wort über Mitbürger anderer Muttersprache in unserem Land vorgestellt. Zum Abschluss steht ein Hinweis auf den konziliaren Prozess der Kirchen in Europa und weltweit über Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung.

3.2.1 Aus der katholischen Kirche

Der Mensch: sein eigener Schöpfer? So lautet der Titel eines Wortes der Deutschen Bischofskonferenz zu Fragen von Gentechnik und Biomedizin.

Im ersten Teil auf das Jahr der Lebenswissenschaften hingewiesenen:

" In der Bundesrepublik Deutschland steht das Jahr 2001 unter dem Motto „Jahr der Lebenswissenschaften„. Alle gesellschaftlichen Kräfte sind in diesem Jahr besonders dazu aufgeru-fen, über die Eigenart und die Auswirkungen dieser Wissenschaften nachzudenken. Zu den Lebenswissenschaften zählen unter anderem die Biowissenschaften mit den Agrarwissenschaften und der Bioinformatik, die Biomedizin und die Pharmazie. Die Lebenswissenschaften wecken viele Erwartungen, Hoffnungen und Befürchtungen. Sie werden unser Wissen über den Menschen erweitern. Man hofft auf neue Möglichkeiten, schwere Erkrankungen zu diagnostizieren, zu heilen oder ihre Auswirkungen zu lindern. Neue Erkenntnisse fordern aber die Prüfung, ob deren Nutzung ethisch verantwortet werden kann. Schon bislang haben Naturwissenschaft und Technik in den Augen vieler Menschen ihren Verheißungsglanz und ihre moralische Unschuld eingebüßt. Die derzeitige Diskussion orientiert sich an diesen unterschiedlichen Erfahrungen; entsprechend heftig verläuft sie.

Wir Bischöfe greifen diese Diskussion auf, weil uns die Anfragen, die uns erreichen, zeigen, dass viele Menschen verunsichert sind und vom christlichen Glauben Orientierung erwarten. Richtig verstanden umfasst der Begriff Lebenswissenschaften ja nicht nur naturwissenschaftliche Forschung im engeren Sinne, sondern bezieht sich auch auf die reichhaltigen Beiträge von Religion, Anthropologie, Kulturwissenschaft, Philosophie und Ethik zum Verständnis des Lebens. Glaube und Theologie sowie die ethischen Traditionen enthalten beachtenswerte Gesichtspunkte für die aktuelle Diskussion, denn in ihnen sind ein breites Wissen und eine tiefe Lebenserfahrung über den Umgang mit der Welt und deren lebensdienlicher Gestaltung aufbewahrt, die für die Lebenswissenschaften klare Beurteilungskriterien bieten."

Das Bild des Menschen ist in der Bibel zu Grunde gelgt, es kann zusammengefast werden in dem Begriff der "Menschenwürde":

"Das biblische Menschenbild und insbesondere die Menschenwürde bilden den Rahmen für menschliches Handeln. Auch nichttheologische Begründungen führen zu der Erkenntnis, dass die Menschenwürde dem Menschen allein schon aufgrund seines Menschseins zukommt und jeder rechtlichen Regelung vorgängig ist. In diesem Sinne bildet das Prinzip der Menschenwürde, in dem die Unantastbarkeit auch der körperlichen Existenz des Menschen verankert ist, zugleich die Grundlage unserer demokratischen Verfassung.

Es bedarf jedoch weiterer Überlegungen, um zu bestimmen, wie im konkreten Fall zu han-deln ist. Hier kommt es zunächst auf die Rechtfertigung der Ziele an: Ist das, was man erreichen möchte, moralisch zu billigen oder nicht? Dann sind die Mittel zu prüfen: Ist auch der Weg moralisch vertretbar, mit dem man das Ziel erreichen will? Von hoher Bedeutung ist schließlich auch die Abschätzung der Folgen gentechnischen Handelns: Welcher Nutzen ist zu erwarten, welcher Schaden ist zu befürchten?"

Die folgenden Ausführungen gehen dann auf die Ziel, Mittel und Folgen dieser Forschung ein.

Das Human-Genom-Projekt

Seit dem 26. Juni 2000 gilt das menschliche Genom als entschlüsselt. Dieser Meilenstein der Forschung ist aber zunächst einmal ein digitales Konstrukt, ein aus den Buchstaben A, G, C und T zusammen gesetzter Text. Es wird noch einige Zeit dauern, bis die Forscher das Gelesene auch verstehen und umsetzen können, bis sie die jeweiligen Funktionen als solche und in ihrem Zusammenwirken erkannt haben.

Das Genomprojekt trägt dazu bei, das Phänomen des Lebens und die Entwicklung des Individuums besser zu verstehen. Man erhofft sich auch gezieltere Diagnosen, da viele Krankheiten durch genetische Faktoren beeinflusst werden. Schon jetzt werden in Deutschland Gentests für über hundert Krankheiten angeboten. Mit ihrer Hilfe kann man nicht nur bestehende Erkrankungen feststellen, sondern auch Veranlagungen für Krankheiten, die sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit erst in Zukunft auswirken können.

In diesem Zusammenhang muss man sehen, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur die allerwenigsten Erbkrankheiten geheilt werden können. Wie geht man mit dem Wissen über eine Krankheit um angesichts der Tatsache, dass man nicht sicher weiß, ob sie auftreten wird, bzw. dass es noch keine Heilung für sie gibt? Eine solche Situation kann unerträglich sein. Daher muss die Möglichkeit, mehr über sein Erbgut zu erfahren, ein Angebot bleiben, und der Einzelne darf nicht gezwungen werden, bestimmte Tests in Anspruch zu nehmen. Das „Recht auf Nichtwissen„ als Teil des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung gehört zu den verfassungsmäßig verbrieften Persönlichkeitsrechten. Um das Ergebnis eines Gentests sinnvoll einordnen und in seinen Konsequenzen verstehen zu können, bedarf es neben einer ausführlichen medizinischen dringend auch einer wertorientierten Beratung durch Fachleute vor und nach dem eigentlichen Test.

Weil es sich bei genetischen Daten um sehr persönliche Gesundheitsdaten handelt, müssen sie vor Unbefugten geschützt werden. Auch wenn solche genetischen Testverfahren grundsätzlich nicht unerlaubt sind, sind die mit ihnen verbundenen Probleme zu klären. Angesichts der Gefahr, dass der Mensch auf das Biologische reduziert wird, halten wir fest, dass der Mensch mehr ist als die Summe seiner Gene. Eine deterministische Sicht, die den Menschen allein auf seine genetische Ausstattung reduziert, verkennt beispielsweise die soziale Verankerung und emotionale Einbindung, seine Freiheit und seine Verantwortung für die Lebensführung.

Genetische Diagnostik

Bisher finden Gentests vor allem bei der pränatalen Diagnostik Anwendung. Sie wird schwangeren Frauen, bei denen ein bestimmtes Risiko besteht, angeboten, um festzustellen, ob der im Mutterleib heranwachsende Embryo mit einer Krankheit oder einer Behinderung behaftet ist. In den meisten Fällen kann die Geburt eines gesunden, im Sinne des Tests unbelasteten Kindes vorhergesagt werden. In manchen Fällen besteht die Möglichkeit, schon vor oder unmittelbar nach der Geburt eine Therapie einzuleiten. Oft aber wird der Embryo, wenn bei ihm eine Krankheit oder Behinderung festgestellt wurde, abgetrieben. Ein solcher Entschluss ist ethisch nicht zu billigen. Es ist selbstverständlich, dass Eltern sich ein gesundes Kind wünschen, aber dies darf nicht dazu führen, dass kranke Kinder abgelehnt und getötet werden. Eltern sollten deshalb schon im Vorfeld bedenken, in welche Konflikte sie eine pränatale Diagnostik führen kann. Diese können in der genetischen Beratung bedacht werden.

Eine neue Anwendungsform der genetischen Diagnostik ist die Präimplantationsdiagnostik. Mit ihr wird ein im Reagenzglas erzeugter Embryo, dessen Existenz als Mensch mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt, auf seine erbliche Belastung hin überprüft. Nur wenn der Embryo als erblich unbelastet getestet worden ist, wird er anschließend in die Gebärmutter der Frau übertragen. Im Fall einer Belastung wird er vernichtet. Gegenüber der zuvor genannten Pränataldiagnostik ist die Präimplantationsdagnostik von ganz anderer ethischer Qualität. Sie ist in jeder Hinsicht und von vorne herein auf Selektion von menschlichem Leben ausgerichtet und daher ist ihr aus ethischer Sicht entschieden zu widersprechen. Sie muss daher in Deutschland auch weiterhin verboten bleiben.

Genetische Tests an Neugeborenen sind nur dann als sinnvoll einzuschätzen, wenn dadurch frühzeitig schwere Erkrankungen erkannt, ihnen vorgebeugt und diese behandelt werden können. Zurückhaltung bzw. Verzicht ist bei der genetischen Diagnostik solcher Krankheiten angeraten, die nicht behandelt werden können. Dem Träger möglicher Erbkrankheiten bleiben nämlich unter Umständen viele Chancen verschlossen, etwa in der Ausbildung, bei der Arbeitssuche, im Beruf oder sogar im Hinblick auf die Ehe. Wenn solche grundlegenden Weichenstellungen im Blick auf die eigene Lebensführung von anderen vorgenommen werden, ist die Autonomie des Kindes in einer mit seiner Menschenwürde unvereinbaren Weise bedroht. Durch das aufgedrängte genetische Wissen wird ihm die Unbefangenheit gegenüber seiner Zukunft geraubt.

Prädiktive, also voraussagende Gentests an Arbeitnehmern dürfen im Rahmen von medizinischen Eignungsuntersuchungen vor dem Abschluss eines Arbeitsvertrages weder verlangt, noch angenommen, noch sonstwie verwertet werden. Dies dient dem Schutz des Arbeitnehmers vor Diskriminierung aufgrund seiner genetischen Disposition. Legitimer Weise kann ein Arbeitgeber bei der Auswahl von Bewerbern jedoch deren gegenwärtige auch gesundheitliche Tauglichkeit für den vorgesehenen Arbeitsplatz prüfen. Wo arbeitsplatzspezifische Gesundheitsgefährdungen vorliegen, muss die Sicherheit des Arbeitsplatzes verbessert, nicht aber der Bewerber auf künftige Resistenz gegenüber den Gefährdungen geprüft werden.

Ähnlich zu beurteilen sind genetische Analysen für die Aufnahme in eine Kranken- oder Lebensversicherung. Auch hier dürfen prädiktive Tests weder verlangt, noch angenommen, noch verwertet werden. Der Anspruch eines Einzelnen auf Beistand durch die Solidargemeinschaft ist höher zu bewerten als das Recht des Versicherungsgebers auf größtmögliche Transparenz, dies gilt auch für Menschen mit genetischen Belastungen.

Gentherapie

Das ständig zunehmende Wissen über die genetischen Grundlagen von Krankheiten führt zu dem neuen Therapiekonzept, Krankheiten direkt an ihrem Ursprungsort, den defekten Genen, zu heilen oder – durch Behebung der Krankheitsursache - gar nicht erst zum Ausbruch kommen zu lassen. Wir sprechen hier von der Gentherapie, bei der zwischen somatischer Gentherapie und Keimbahntherapie unterschieden wird. Die somatische Gentherapie wird an Körperzellen durchgeführt, ein Heilungserfolg betrifft nur die behandelte Person und nicht auch deren Nachkommen. Wie bei konventionellen Therapieformen ist zu prüfen, ob die Methode sicher ist, die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird und der Patient nach Aufklärung frei zustimmt.

Um einen vererbbaren Gendefekt nicht nur bei einer betroffenen Person, sondern auch bei all ihren Nachkommen auszuschalten, müsste er direkt an den Keimzellen, also den Ei- oder Samenzellen oder an der befruchteten Eizelle behoben werden. Diese sogenannte Keimbahntherapie verbietet sich vor allem aus drei Gründen: Erstens ist die gegenwärtige Methode noch nicht ausgereift, um auf den Menschen angewendet zu werden; das Risiko ist zu groß. Zweitens wird für die weitere Entwicklung verbrauchende Embryonenforschung notwendig. Drittens besteht die Gefahr des Missbrauchs zur Menschenzüchtung. Denn niemand kann heute den Krankheitsbegriff zureichend eingrenzen bzw. eine solche Eingrenzung durchsetzen.

Klonen

Das Ziel, Krankheiten zu heilen, die bislang nur gelindert werden konnten, verfolgt man auch mit dem sogenannten „therapeutischen Klonen„. Der Ausdruck „therapeutisch„ ist hier allerdings irreführend. Einmal abgesehen davon, dass man noch gar nicht weiß, ob überhaupt und wenn ja, wann einmal auf diesem Weg Krankheiten geheilt werden, ist der Weg, auf dem man das Ziel erreichen will, ethisch unvertretbar. Dazu müssen nämlich durch Klonen menschliche Embryonen hergestellt werden. Diese dienen nur als Rohstoff zur Entnahme embryonaler Stammzellen. Dabei darf nicht übersehen werden: Beim therapeutischen Klonen wird menschliches Leben, das immer zugleich personales und von Gott bejahtes Leben ist, zum Ersatzteillager degradiert. Auch medizinischer Nutzen kann kein Verfahren mit menschlichen Lebewesen rechtfertigen, das die unantastbare Würde dieses Lebens in Frage stellt. Hier ist den deutlichen Hinweisen zu folgen, dass sich die genannten medizinischen Ziele auf anderem Wege erreichen lassen; z.B. über die Gewinnung von Stammzellen aus dem Körper des erwachsenen Menschen (adulte Stammzellen).

Vom therapeutischen Klonen zu unterscheiden ist das sogenannte reproduktive Klonen, also die komplette Herstellung der genetischen Kopie eines schon bestehenden Menschen. Es verbietet sich vor allem aus zwei Gründen. Aufgrund des Herstellungsverfahrens wird dem Klon die sonst übliche Mischung mütterlicher und väterlicher Gene vorenthalten. Außerdem wird der geklonte Mensch instrumentalisiert. Er wird nicht um seiner selbst willen erzeugt, sondern mit bestimmten Absichten, als Mittel zum Zweck, z. B. als Kopie eines als besonders vorzugswürdig erachteten Menschen, vielleicht eines berühmten Zeitgenossen, oder aber als Ersatzteillager für Organspenden. Zu Recht wird dieses Verfahren weltweit geächtet. Den einzelnen Stimmen, die sich seit neuestem gegen diese Ächtung in der Wissenschaft wehren, muss entschieden widersprochen werden.

Arzneimittel

Bei der Herstellung von Arzneimitteln schließt die Gentechnik insofern eine Lücke, als bestimmte Arzneimittel auf anderem Weg überhaupt nicht oder nur mit größerem Aufwand, geringerer Sicherheit und Reinheit hergestellt werden können. Im Hinblick auf den ethisch gebotenen Gesundheitsschutz wäre es unverantwortlich, auf die durch die Gentechnik eröffneten neuen Möglichkeiten der Herstellung von Arzneimitteln zu verzichten. Die Bedeutung der anderen Arzneistoffe wird durch die gentechnische Herstellung einiger Produkte nicht geschmälert. Auch sie haben nach wie vor ihre Berechtigung bei der Behandlung von Kranken.

Patente auf Leben

Eine Sonderfrage der Gentechnik ist die der Patentierung. Patente sind Schutzrechte für Erfindungen und Leistungen. Wer Neues schafft, soll auch Nutzen und Gewinn davon haben. Es ist allerdings fraglich, ob die klassischen Patentrechtsgrundsätze, die im 19. Jahrhundert entwickelt wurden und an unbelebter Materie orientiert sind, auch auf das Gebiet der belebten Natur übertragen werden können. Organe, Gewebe, Zellen und Gene werden vom Menschen nicht erfunden, sondern in der Schöpfung aufgefunden. Wir gehen von dem Grundsatz aus, dass Leben als solches allen gehört und nicht patentiert werden kann. Lebewesen und deren Teile sind nicht patentierbar, auch wenn sie biotechnische Veränderungen tragen. Lediglich das Wissen von Funktionen in derart veränderten Lebewesen sowie Verfahren, mit denen veränderte Lebewesen hergestellt werden können, sind patentierbar.

Der Mensch muss Verantwortung übernehmen

Das Potenzial der Gentechnik, von dem hier die Rede war, verführt die einen zu einer Machbarkeits-Euphorie, die anderen zu einer völligen Ablehnung. Beides ist falsch. Es gilt, ethisch richtige Ziele und Methoden in der Gentechnik zu unterstützen, falsche Zielsetzungen der Gentechnik zu durchschauen und weder alles zu glauben, was sie verspricht, noch alles zu tun, was sie ermöglicht. Gefordert sind Sensibilität und die Fortentwicklung moralischer Kompetenz. Insbesondere gilt es, die Würde des Menschen, die Grundrechte auf Leben und körperliche Unversehrtheit, ebenso wie die Selbstbestimmungsrechte und die Persönlichkeitsrechte zu achten und so einer Kultur des Lebens zum Durchbruch zu verhelfen.

Das Verhalten des Christen gegenüber den einzelnen Anwendungsbereichen der Gentechnik kann je unterschiedlich bestimmt sein von Zustimmung, Wachsamkeit, Betroffenheit und Widerstand.

Wir begrüßen die Bereitschaft der Politiker/innen und Wissenschaftler/innen, die in diesem Text besprochenen Themen in der Öffentlichkeit zur Diskussion zu stellen. Voraussetzung für ein Gelingen dieser Diskussion ist allerdings auch eine geeignete Information der Diskussionsteilnehmer über das Ergebnis und die Grenzen eines solchen Diskussionsprozesses. Wir warnen davor zu glauben, diese Fragen mit Hilfe von Mehrheitsentscheidungen klären zu können. Menschenwürde ist nicht disponibel; sie liegt der staatlichen Gewalt voraus und bindet sie (Art. 1 GG). Der Wert menschlichen Lebens von seinem Anfang bis zu seinem Ende gehört zu jenen Vorgegebenheiten, über die nicht abgestimmt werden kann. Dies sagt uns auch unsere Verfassung (Art. 19,2 GG).

Das Nachdenken über den Menschen selbst darf in einem solchen gesellschaftlichen Diskurs nicht zu kurz kommen. Es muss überdies deutlich werden, dass ökonomische Gründe nicht hinreichen, um bestimmter ethisch nicht vertretbarer Forschung oder ethisch problematischen Verfahren zum Durchbruch zu verhelfen. Hinter manchen gentechnischen Forschungen und Entwicklungen verbergen sich auch zuweilen massive wirtschaftliche Interessen, die zu einer industriellen Verwertung und Nutzung des Menschen führen können.

An die Forscher in diesem Bereich ergeht der Appell, dass sie die menschendienliche Perspektive nicht aus den Augen verlieren. Zur Verantwortung des Forschers gehört es, dass er die Chancen und Risiken seines Forschungsgegenstandes verantwortungsbewusst überprüft, einer sorgsamen Folgenabschätzung unterzieht und über sein Tun gewissenhaft Rechenschaft gibt.

Das Parlament ist gefordert, durch entsprechende Gesetze der Komplexität, den Risikodimensionen, den Zukunftswirkungen und den ethischen Implikationen der Gentechnik Rechnung zu tragen.

Der christliche Glaube bewahrt uns vor Machbarkeits- und Erlösungsphantasien, die an wissenschaftliche Erkenntnisse und technische Errungenschaften angehängt werden. Er bewahrt uns auch vor der Anerkennung moralisch bedenklicher Ziele sowie moralisch falscher Mittel. Glaube und Vernunft sind nach der Enzyklika „Fides et ratio„ die „Flügel„ der praktischen Weisheit. Was wir im Glauben annehmen, steht vernünftigen Gründen offen. Was gemäß der sittlichen Vernunft falsch ist, haben wir im Glauben mit zu bekämpfen oder, was gut und richtig ist, anzuerkennen. Alle, die in der Kirche und Gesellschaft Sorge tragen für eine bessere Erfassung der angesprochenen Probleme, sind dazu aufgerufen, den Fortschritt der Lebenswissenschaften mit Verantwortung zu begleiten.

Augsburg, den 7. März 2001"

3.2.2 Eine Denkschrift der EKD - Gewalt gegen Frauen

3.2.2.0 Eine zweiteilige Studie

Präses Kock von der EKD veröffentlichte am 10. Juli 2000 einen Gesamtbericht "Gewalt gegen Frauen als Thema der Kirche" Bei dem Bericht geht es zuerst auch um Gewalt in der Kirche, aber auch um gesellschaftliche Fragen. Dieser Bericht steht im Zusammenhang mit der ökumenischen Dekade "Kirchen in Solidarität gegen Frauen". Der Text soll zu Schritten bei der Überwindung von Gewalt ermutigen. Es folgt zuerst der Pressebericht zur Veröffentlichung und dann einige Texte der umfassenden zweiteiligen Studie.

3.2.2.1 Die Vorstellung in der Presse

"Die "Ökumenische Dekade - Kirchen in Solidarität mit den Frauen" hat im zurückliegenden Jahrzehnt die Bereitschaft, "Gewalt gegen Frauen" in Kirche und Theologie zum Thema zu machen, wesentlich gefördert. Im Auftrag des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) arbeiteten in den Jahren 1997 bis 1999 zwei Kommissionen an kirchenspezifischen Fragen der Gewalt gegen Frauen. Im Gütersloher Verlagshaus ist jetzt das Arbeitsergebnis unter dem Titel "Gewalt gegen Frauen als Thema der Kirche - Ein Bericht in zwei Teilen" erschienen.

Die Synode der EKD hatte im November 1999 den Gesamtbericht nachdrücklich begrüßt. Mit seiner Veröffentlichung verbindet die EKD die Hoffnung, "dass dieser Text zu konkreten Schritten bei der Überwindung von Gewalt ermutigt und dass er gerade von Frauen, die selbst Gewalt erlitten haben, als selbstkritische Besinnung der Kirche anerkannt werden kann", schreibt der EKD-Ratvorsitzende Präses Manfred Kock im Vorwort. Der Text wolle helfen, die theologische, pädagogische und seelsorgerliche Kompetenz in der Konfrontation mit der Gewalt gegen Frauen zu erweitern, heißt es weiter. "Gewaltüberwindende Prozesse" sollen angeregt, Auseinandersetzungen mit dem Thema begleitet und die Suche nach Lösungen unterstützt werden, so Präses Kock.

Im ersten Teil des Berichtes werden unter sozialwissenschaftlicher Fragestellung Hinweise gegeben zum Problemfeld, zu kirchlich-diakonischen Hilfen und zur Weiterarbeit unter theologischen Aspekten. Der zweite Teil stellt sich der Frage nach den Wirkungen theologischer und kirchlicher Traditionen: in welcher Weise sie Gewalt gegen Frauen einerseits begünstigen oder legitimieren, andererseits aber auch zur Überwindung dieser Gewalt beitragen können. Zwar gehöre es zu den grundlegenden Aussagen christlicher Theologie, dass die Kirchen Gewalt in jeder Form ablehnen, schreiben die Verfasser. Dies sei aber bisher nicht deutlich genug auf die Ausübung von Gewalt gegen Frauen bezogen worden."

3.2.2.2 Aus dem Bericht

"I. Teil 1. Beschreibung des Arbeitsauftrages

Das Studienvorhaben geht auf folgenden Beschluß der 6. Tagung der 8. Synode der EKD im November 1995 in Friedrichshafen zurück:

"Die Synode bittet den Rat, ein Studienvorhaben zum Thema 'Gewalt gegen Frauen' zu initiieren.

Das Frauenstudien- und -bildungszentrum in Gelnhausen (Anna-Paulsen-Haus) soll zusammen mit dem Sozialwissenschaftlichen Institut der EKD, den Frauenreferaten der Gliedkirchen und der EKD, dem Diakonischen Werk der EKD, der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland e.V. sowie der Evangelischen Männerarbeit in Deutschland e.V. das Thema kirchenspezifisch untersuchen.

- Personale, strukturelle und kulturelle Gewalt sowie die Wechselwirkungen zwischen diesen drei Gewaltformen sollten geklärt werden.

- Erfahrungen von erlittener Gewalt aus der Arbeit mit Gewaltopfern sowie aus Projekten und Initiativen zur Linderung und Prävention von Gewalt sollten beschrieben und im Zusammenhang analysiert werden. Hieran sollte sich eine theologische Reflexion anschließen. Dabei sollte in den theologischen Traditionen sowohl nach Wurzeln der Gewaltüberwindung gesucht werden wie nach jenen, die Gewalt begünstigen oder religiös legitimieren.

- Es soll nach Möglichkeiten gesucht werden, die Problematik in den verschiedenen Bereichen der Kirche aufzugreifen und politische Forderungen zur Eindämmung von Gewalt gegen Frauen zu unterstützen.

Die Ergebnisse der bisherigen Vorarbeiten der Frauenreferate der Gliedkirchen sollten dabei aufgenommen werden. Die Arbeit sollte bis 1997 abgeschlossen sein und das Ergebnis der Synode in einem Bericht vorgestellt werden."

Dieser Beschluß steht im Zusammenhang mit früheren Beschlüssen. Maßgebend für die EKD sind in diesem Zusammenhang:

Die Beschlüsse der Synode von Bad Krozingen 1989 zur "Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche", in dem es unter 7.2. "Hilfen für Frauen unter besonderen Belastungen" u.a. heißt:

"Körperliche und seelische Mißhandlungen an Frauen und Mädchen müssen heute nicht mehr verschwiegen werden. Probleme der Gewalt an Frauen und Mädchen innerhalb und außerhalb der Familie werden auch öffentlich diskutiert, dies ist gut. Die Ursachen dieser Gewalt sind nicht nur in individuellen, sondern auch in gesellschaftlichen Situationen zu suchen. (...) Die Kirche hat mißhandelte Frauen noch viel zu wenig im Blick."

Der Beschluß steht zugleich im Kontext der "Ökumenischen Dekade - Solidarität der Kirchen mit den Frauen (1988 - 1998)", deren Ziele u. a. darin bestehen, "Frauen zu befähigen, unterdrückende Strukturen in der Gesellschaft weltweit, in ihrem Land und ihrer Kirche in Frage zu stellen" und "die Kirchen zu veranlassen, sich selbst von Rassismus, Sexismus und Klassendenken sowie von Lehren und Praktiken, die Frauen diskriminieren, zu befreien"; er berücksichtigt insbesondere die Empfehlung der Schlußkonsultation des Ökumenischen Gruppenbesuchs des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) im Februar 1995, kirchenspezifische Forschungsprojekte zur Gewaltproblematik zu initiieren.

Anläßlich der 4. Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 haben die mit den Beschlüssen von Bad Krozingen eingegangenen Verpflichtungen zur gerechten Gestaltung der Gemeinschaft von Frauen und Männern eine nochmalige Bekräftigung erfahren durch die Bitte der EKD-Synode 1995 an den Rat, "sich bei der Bundesregierung für die zügige Umsetzung der Ergebnisse der 4. Weltfrauenkonferenz einzusetzen und sich darum zu bemühen, daß sie auch in der kirchlichen Arbeit Anwendung finden."

Das Thema "Gewalt" war in einem weiteren Diskussionszusammenhang bereits Gegenstand von Beratungen und Beschlüssen im Rat und anderen Gremien der EKD.

Der Beschluß der EKD-Synode 1994 "Zum Engagement gegen die Gewalt" und die Bitte des Rates an die Kammer für Öffentliche Verantwortung, auf dem Hintergrund des von der Jugendkammer vorgelegten Votums "Jugend und Gewalt" die Frage einer umfangreicheren Ausarbeitung sowie gemeinsamer kirchlicher Maßnahmen im Blick auf das Gewaltproblem zu prüfen, waren eine Reaktion auf die eskalierende fremdenfeindliche Gewalt Jugendlicher. Es sollten Bemühungen um Eindämmung und Prävention von Gewalt, die von der Jugendpolitik angestoßen worden waren, unterstützt werden.

Die Diskussion innerhalb der EKD erweiterte sich durch die Einbeziehung des 1994 beschlossenen ÖRK-Programms "to overcome violence", erbrachte aber für den Problemausschnitt "Gewalt gegen Frauen" keine unmittelbar verwertbaren Ergebnisse.

Der Anstoß zu dem Studienvorhaben "Gewalt gegen Frauen" kam vielmehr aus der kirchlichen und diakonischen Praxis. Mit dem Auftrag, die kirchenspezifischen Aspekte der Problematik zu untersuchen, wird der Tatsache Rechnung getragen, daß trotz zahlreicher Aktivitäten der speziell im Gewaltbereich arbeitenden Einrichtungen das Thema in der breiten kirchlichen Öffentlichkeit kaum diskutiert wird. Der Beschluß der Synode verweist deshalb auf die bereits vorliegenden Arbeiten zum Thema aus Bildungs- und Beratungseinrichtungen, kirchlichen Werken und Verbänden, Frauenreferaten und gliedkirchlichen Arbeitsgruppen und benennt die Einrichtungen, die sich an der Zusammenführung und Auswertung der bisherigen Vorarbeiten beteiligen sollen.

Der Rat hat die Anregung der Synode aufgegriffen und im Februar 1996 eine Arbeitsgruppe zur Durchführung des Studienvorhabens nach einem vom Kirchenamt vorgelegten Konzept mit Verfahrensvorschlag eingesetzt. Diese Koordinierungsgruppe umfaßte Vertreter und Vertreterinnen aller im Synodenbeschluß genannten Institutionen. Darüber hinaus wurden die Kammer für Öffentliche Verantwortung und die Ökumenische Projektgruppe zur Dekade gebeten, sich durch Entsendung eines Mitglieds an dem Vorhaben zu beteiligen.

Mit der knappen Terminierung wurde die Dringlichkeit der mit dem Studienvorhaben intendierten Auseinandersetzung unterstrichen. Zum anderen sollte gewährleistet sein, daß erste Ergebnisse des Studienvorhabens als Beitrag der EKD in die Endauswertung der Ökumenischen Dekade "Solidarität der Kirchen mit den Frauen (1988 - 1998)" zur 8. Vollversammlung des ÖRK aufgenommen werden können.

Angesichts der begrenzten zeitlichen und personellen Ressourcen konzentrierte sich die Koordinierungsgruppe auf folgende Aufgabenschwerpunkte:

- Klärung der Gewaltbegriffe

- Auswertung der Erfahrungen aus der Arbeit mit Gewaltopfern sowie aus Projekten zur Prävention von Gewalt

- Reflexion der Leitbilder in Theologie und Kirche, die die Einstellung zu Gewalt prägen

- Aufzeigen von Handlungsansätzen zu Gewaltprävention im kirchlichen und allgemein politischen Bereich.

Durch die Zusammensetzung der Koordinierungsgruppe war die Möglichkeit eines interdisziplinären Ansatzes gegeben, der an Erkenntnisse aus den einschlägigen kirchlichen Arbeitsfeldern anknüpft und diese sowohl mit der theologisch-ethischen als mit der sozialwissenschaftlichen Diskussion zu vermitteln versucht.

Die Koordinierungsgruppe konstituierte sich im Mai 1996. Sie traf sich insgesamt fünfmal und führte eine Konsultation durch. Die Bestandsaufnahme wurde im Werkvertrag erstellt.

2. Möglichkeiten und Grenzen dieses Berichtes

Der Beschluß der Synode und der Auftrag des Rates zur Durchführung dieses Studienvorhabens wurde vor allem von Frauen und ihren Verbänden und Einrichtungen in der Kirche dankbar begrüßt. Viele haben sich seit langem mit dem Thema "Gewalt gegen Frauen" beschäftigt und darauf gewartet, daß die verfaßte Kirche und ihre Gremien es auf die Tagesordnung setzen. Im kirchlichen Bereich hat es seinen Tabu-Charakter noch nicht ganz verloren - anders als in der Gesellschaft insgesamt, die sich spätestens seit der Gründung des ersten autonomen Frauenhauses 1976 in Berlin praktisch, politisch und wissenschaftlich damit auseinandersetzen mußte. Es gibt in der Kirche eine Diskrepanz in der Problemwahrnehmung zwischen der Diakonie und einem großen Teil der kirchlichen Frauenbewegung einerseits und kirchlichen Gremien und Leitungsorganen sowie der wissenschaftlichen Theologie andererseits, die zu überwinden ein gesamtkirchliches Interesse ist. Das Studienvorhaben ist ein wichtiger Schritt dazu; der vorliegende Bericht ein erster Baustein. Bei seiner Bearbeitung stießen die Beteiligten auf grundsätzliche Fragen und Schwierigkeiten, die dem Thema immanent sind, aber auch einiges mit der kirchlich-theologischen Perspektive auf das Thema zu tun haben.

Gemäß dem Ratsauftrag handelt der Bericht von Gewalt gegen Frauen; er geht nicht näher auf das damit zusammenhängende Problem von Gewalt gegen Kinder in ihrer sexistischen Ausprägung des "Mißbrauchs" ein. Sexuelle Gewalt gegen Jungen und Partnergewalt von Frauen gegen Männer werden nicht behandelt, obwohl es sie, wie wir wissen, auch gibt. Die empirische Häufigkeit von Gewalt gegen Frauen durch Männer und ihre strukturelle Verankerung in unserer Gesellschaft machen zunächst die Focussierung auf dieses Problem notwendig.

Gewalt gegen Frauen aus der Perspektive der Opfer zu betrachten, darf nicht bedeuten, sie als "Frauenthema" zu definieren. Die Beiträge von Männern bzw. der Männerarbeit für das Studienvorhaben sind unverzichtbar. Die Diskussionen in der Koordinierungsgruppe und während einer Konsultation haben exemplarisch die Chancen und Schwierigkeiten eines Dialogs von Frauen und Männern über dieses Thema erkennen lassen. Es gibt ein vielfältiges Engagement von Männern gegen Männergewalt und es gibt - individuell betrachtet - keine geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Verurteilung von Gewalt. Gleichwohl gibt es immer wieder Kommunikationsbarrieren und Widerstände, wenn in einer patriarchatskritischen Sicht dem männlichen Geschlecht eine höhere Gewaltbereitschaft zugeschrieben wird. Männer wollen - zurecht - nicht pauschal auf die Täterseite gestellt werden. Gerade die gegen Gewalt Engagierten empfinden den Dialog mit Frauen mitunter als schwierig, wenn die Ebenen der gesellschaftlich-strukturellen Analyse und die der individuellen Verantwortlichkeit nicht sauber getrennt werden.

Die komplexe Wechselwirkung zwischen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und individueller Verantwortung ist mit dem Begriff "strukturelle Gewalt" umschrieben. Der Bericht enthält in Kapitel II eine Orientierung über die verschiedenen Gewaltbegriffe und versucht, sie soweit zu klären, wie es für diesen Zusammenhang erforderlich ist. Die Vielschichtigkeit von Gewaltformen und Gewalterfahrungen wird aber immer - außer im Falle physischer Gewalt - zu Definitions- und Abgrenzungsproblemen führen, die auch dieser Bericht nicht lösen kann. Er referiert den Stand der sozialwissenschaftlichen Diskussion, wohlwissend, daß unterschiedliche Verständnisse damit nicht aufgehoben sind.

Der Auftrag, das Thema "Gewalt gegen Frauen" kirchenspezifisch zu untersuchen, beinhaltet - jedenfalls nach dem Verständnis der Koordinierungsgruppe - auch den Blick auf innerkirchliches Gewaltgeschehen. Dieses stieß auf Schwierigkeiten. Es gibt keine verläßlichen Daten über Art und Umfang von Gewalt gegen Frauen im kirchlichen Bereich, was nicht heißt, daß es das Problem an sich nicht gäbe. So kann es eine Chance des Studienvorhabens sein, dieses ins Bewußtsein zu rufen, zu bearbeiten und für Abhilfe zu sorgen.

Den größten Teil des Textes macht die Bestandsaufnahme zu kirchlichen und diakonischen Aktivitäten aus. Sie sind ein eindrucksvoller Beleg für das schon seit langem bestehende Engagement der Kirchen in diesem Problemfeld, bezogen auf die Gesellschaft als Ganzes. Das als Anlage beigefügte Materialheft soll einen Eindruck von der Vielfalt der kirchlichen Aktivitäten vor Ort geben. Der Text verweist immer dann darauf, wenn ein einzelnes Projekt exemplarischen Charakter hatte.

Mit dem Teil des Synodenauftrags, der eine Reflexion von prägenden theologischen und kirchlichen Leitbildern zum Umgang mit Gewalt wünschte, stieß die Koordinierungsgruppe an die Grenzen dessen, was unter den gegebenen zeitlichen und personellen Bedingungen leistbar war. Im Februar 1997 führte sie eine Konsultation mit Vertreterinnen und Vertretern aller theologischen Disziplinen zu diesem Thema durch1. Trotz beachtlicher Einzelergebnisse wurde deutlich, daß im Rahmen dieses Berichts der Auftrag der Synode zur theologischen Reflexion nicht hinreichend erfüllt werden kann. Der Bedarf an theologischer Grundlagenforschung, an theologisch fundierter Reflexion und theologisch begründeten Handlungsmaximen zu diesem Themen- und Problemkomplex ist so groß, daß eine gesonderte und vertiefte Behandlung dringlich erscheint. So hat sich die Koordinierungsgruppe - wenn auch mit großen Bedenken - entschlossen, diesen Teil zunächst auszuklammern und einen weiterführenden Auftrag an eine neu zusammengesetzte Arbeitsgruppe zu erbitten. Um den Fragehorizont anzudeuten, wurde in den Bericht ein Exkurs aufgenommen. Es ist die vergleichende Zusammenfassung von Positionen der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland (EFD) und der Männerarbeit der EKD.

Schon während der bisherigen Bearbeitung des Themas wurde deutlich, welch große Hoffnungen und Erwartungen sich daran knüpfen, daß die Evangelische Kirche in Deutschland, wie auch schon viele Landeskirchen und die Ökumene, einen mutigen Blick auf diesen Teil der gesellschaftlichen und kirchlichen Wirklichkeit richtet, der wie kein anderer einer Gemeinschaft von Frauen und Männern entgegensteht."

Die Kirche muss ein sicherer Ort für Gewaltbetroffenen sein. Dazu wird dann im V. Kapitel des II. Teils mit der Überschrift "Handeln" Stellung genommen. Helfen müssen dazu Verkündigung und Gottesdienst, Seelsorge und Religionspädagogik, hier muss das Thema Gewalt gegen Frauen und Gewaltfreiheit aufgegriffen werden. aufzugreifen. Aber auch in Leitung und Organisation muss dies deutlich werden.

"4. Organisation und Leitung

Auf allen Ebenen und in allen Bereichen kirchlicher Arbeit muß das Problem der Gewalt gegen Frauen thematisiert werden und müssen Verfahrensweisen zum Umgang mit Fällen von Gewalt im Raum der Kirche entwickelt und publik gemacht werden. Menschen, die als Opfer oder Täter von Gewalt betroffen sind und Rat und Hilfe suchen, dürfen nicht noch zusätzlich gegen Tabuschranken und Nichtverstehen, gegen Verschweigen und Verharmlosung ankämpfen müssen. Die Landeskirchen müssen ihre arbeits- und dienstrechtlichen Vorschriften überprüfen, wie sexuelle Gewalt und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz Kirche sanktioniert wird, welche Möglichkeiten der Anzeigen und Beschwerden und welche Strukturen der Beratung und Begleitung gegeben sind. (Vorbildlich dazu das Papier der Evangelischen Kirche von Westfalen (hg.), Handreichung zum Umgang mit sexueller Gewalt, Mai 1998, und Evangelische Kirche im Rheinland (hg.), Abschlußbericht des Runden Tisches "Gewalt gegen Frauen" - Analyse und Empfehlungen für kirchenleitendes Handeln, Mai 1998.) Die kirchlichen Lebensordnungen müssen das Thema aufgreifen und deutlich machen, daß Männer und Frauen, die in einem kirchlichen oder diakonischen Beruf oder Ehrenamt arbeiten, eine besondere Verantwortung haben. Männer, die als Pfarrer, Seelsorger, Therapeuten, Berater, Religionspädagogen, Pfleger, Erzieher, Sozialarbeiter, Erwachsenenbildner, Jugendreferenten tätig sind, müssen sich immer wieder klar machen, daß ihnen ein Vertrauensvorschuß entgegengebracht wird, den sie unter keinen Umständen für einen sexuellen Übergriff mißbrauchen dürfen, auch nicht, wenn die Initiative vordergründig von dem jeweiligen Gegenüber ausgeht.

"Die Kirche ist berufen, ein sicherer Ort zu sein". Unter diesem Motto engagieren sich viele Gemeinden in den USA und inzwischen auch in Deutschland, um Gewalt gegen Frauen im Raum der Kirche zu verhindern. Das Motto geht zurück auf ein Programm zur Gewaltprävention in der Kirche auf gesamtkirchlicher und auf Gemeindeebene in der Evangelisch-lutherischen Kirche in Amerika, initiiert von Joanne Chadwick, der Leiterin der Frauenkommission der ELKA. In Deutschland läuft z.B. in der Evangelischen Landeskirche in Württemberg eine Kampagne, die das Programm "Die Kirche - ein sicherer Ort" unter dem Titel "Verbündete Kirche - Gewalt gegen Frauen und Mädchen wahrnehmen und überwinden" aufnimmt und Aktivitäten in weiteren Landeskirchen anregt.

Eine Kirche, die ein "sicherer Ort" gegen Gewalt sein will, muß als "Zufluchtsort" (sanctuary) erkennbar werden und Sanktionen (sanctions) ergreifen. Nicht zufällig enthalten diese beiden zentralen Begriffe des Programms das Wort "sanctus" - heilig. Kirche ist ein heiliger Ort, weil und soweit in ihr Gottes unbedingter Schutz und Parteinahme für die Schwachen, Verfolgten und Benachteiligten erfahrbar wird. Zu den sicheren Zufluchtsorten gehören nicht nur Frauenhäuser, sondern auch Gottesdienste, Gemeindeveranstaltungen und die Wohnungen von Gemeindegliedern. Besonders sie müssen ein Zufluchtsort sein, in dem Frauen und Mädchen sicher sein können, keine Gewalt zu erfahren. Zu den Sanktionen gehören nicht nur Disziplinarmaßnahmen und rechtliche Schritte, sondern auch das Bemühen, daß die wirkmächtigen sozialen Sanktionen Scham und Schande die richtigen treffen. Oft sind es gerade die betroffenen Frauen, die glauben, sich schämen zu müssen, während die Täter auf wortloses Einverständnis und faktische Komplizenschaft rechnen können. (L. Macdonald a.a.O. S. 70f)

Gemeinden, die sich auf dieses Programm öffentlich verpflichten, machen sich z.B. in ihren Gremien und in ihrer Bildungsarbeit über das Ausmaß und die gesellschaftlichen Ursachen von sexueller Gewalt kundig; informieren sich über örtliche Hilfsangebote, Notrufe, Schutzhäuser, Beratungsstellen und verbreiten diese Information in ihren Räumen und in ihren Veröffentlichungen; unterstützen diese Hilfseinrichtungen gegenüber staatlichen Sparmaßnahmen oder werden selbst Träger einer Einrichtung; bringen zuständige Stellen und Einrichtungen an einen Tisch; stellen ihre Räume für Selbsthilfegruppen zur Verfügung; bieten qualifizierte Seelsorge, Beratung und Gruppen für von Gewalt betroffene Frauen und Männer an; veröffentlichen Verfahrensweisen und Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Mitarbeitern, die sich schuldig machen; machen Gewalt gegen Frauen zum Thema im Gottesdienst. Neben diesen konkreten Handlungsansätzen sind in einem weiterem Sinne auch die Bemühungen um die Gleichstellung von Frauen und Männern in den Strukturen der Kirche für die Gewaltthematik relevant. Eine gleichwertige und zahlenmäßig ausgewogene Beteiligung von Frauen in kirchlichen Ämtern und Leitungsfunktionen und von Männern in der praktischen diakonischen Tätigkeiten und im sozialen Ehrenamt muß langfristig dazu beitragen, daß die Geschlechtshierarchie abgebaut, neue Rollenvorbilder für Männer und Frauen entstehen und die Kommunikations- und Beziehungsfähigkeit zwischen Frauen und Männern eingeübt wird."

3.2.3 Ein gemeinsames Wort zu Fremden in unserem Land

3.2.3.1 Zur Statistik

In der Bundesrepublik Deutschland lebten 1999 7.343.591 Ausländer. Davon waren aus der Türkei 28,0%, aus der BR Jugoslawien (Serbien/Montenegro) 10,0%, aus Italien 8,4%, aus Griechenland 5,0%, aus Polen 4,0%, aus Kroatien 2,9%, aus Österreich 2,5% aus, aus Bosnien und Herzegowina 2,3%, Portugal 1,8, aus Spanien 1,8% um nur die größten Zahlen zu nennen. Besonders schwer tut sich der Staat mit den Flüchtlingen und ihrer Behandlung, gerade die Kurdenproblematik und die Kriege auf dem Balkan machen dies deutlich.

Zu diesen Fragen ist ein gemeinsames Wort der Kirchen in Deutschland 1997 erschienen. ".… und der Fremdling, der in deinen Toren ist." Gemeinsames Wort der Kirchen zu den Herausforderungen durch Migration und Flucht Herausgegeben vom Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland und dem Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland.

In der Einführung sagte Pastor Uwe Kühne von der ACK (Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen) "Es ist das erste Mal, daß die beiden großen Kirchen in Deutschland mit den anderen Mitgliedskirchen der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland e.V. eine Stellungnahme zu einer aktuellen, gesellschaftspolitischen Herausforderung erarbeitet haben und gemeinsam der Öffentlichkeit vorstellen."

In der Einleitung wird auf die Zielrichtung hingewiesen:

"Der Titel des Gemeinsamen Wortes „... und der Fremdling, der in deinen Toren ist„- ein Zitat aus dem Alten Testament - weist auf eine lange theologische Tradition der Auseinandersetzung mit dem Schicksal und dem Recht des Fremden hin. Diese biblische Verankerung des Themas, der ein zentraler Teil dieser Veröffentlichung gewidmet ist, mag manchen nicht bewußt sein. Sie bildet aber die Grundlage und die Zielrichtung für die Verpflichtung und das Engagement der Kirchen, aus dem Geist des Evangeliums für Menschen einzutreten, die in ihren Rechten, ihrer Würde, ihrem Wohlergehen oder ihrer Existenz bedroht sind." ...

(128.) Auswanderung aus der Heimat aufgrund von Not, der Erfahrung von Unterdrückung, Fremde und Heimatlosigkeit sowie die Befreiung in eine neue Zukunft hinein, das sind Grunddaten einer Theologie in Israel und bleiben gültige Erfahrungen in seiner Glaubensgeschichte.

(129.) Diese Geschichte setzt sich fort im Neuen Testament. Nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte machte die junge Kirche ähnliche Erfahrungen. Aufgrund einer heftigen Verfolgung mußten die Angehörigen der Urgemeinde aus Jerusalem fliehen. Migranten und Flüchtlinge, die nach Phönizien, Zypern und Antiochien kamen, brachten dorthin die Frohe Botschaft von Jesus Christus. In Antiochien gingen die judenchristlichen Migranten und Flüchtlinge auf die Griechen zu. Diese nahmen die neue Botschaft an und verstanden sie im kulturell religiösen Kontext neu. Ein wechselseitiges Verstehen und Bezeugen setzte ein. Es fanden noch heftige Auseinandersetzungen statt, bis dieser Prozeß von der judenchristlichen Gemeinde akzeptiert wurde. Lebenswelten prallten zusammen. Aber auf diesem Wege wuchs die Kirche (Apg 11 u. 15)."

Des weiteren werden ethische Fragen in diesem Zusammenhang bearbeitet. Dabei scheint es manchmal so zu sein, dass das Konzept etwas hinter der Soziallehre des Vatikans zurückbleibt. Das betrifft vor allem die Diskussion des rechtes auf Zuwanderung. Ein Fortschritt zu jenem Zeitpunkt war es aber, das überhaupt von Zuwanderung gesprochen wird. Aufgefordert wird aber zu einer positiven Grundhaltung zu dem Grundproblem der Migration und der daraus sich ergebenden Zuwanderung. Gleichzeitig müssen die Fluchtursachen bekämpft werden.

"...(130.) Aufbruch, Auswanderung, Migration, Flucht und Fremde sind nicht vorübergehende Phänomene unserer Zeit, sondern sind und bleiben Grundgegebenheiten des Lebens in dieser Welt. Sie dürfen nicht einseitig negativ gesehen werden. Migration bedeutet auch Begegnung mit anderen Menschen, mit anderen Sprachen und Kulturen. Sie bedeutet auch Erweiterung des Horizontes und Ergänzung. Daraus erwachsen neue Chancen für Wachstum und Reifen.

(134.) Grundlage für alles menschliche Zusammenleben ist die Anerkennung, daß jeder Mensch seinem Wesen nach Person ist. Seine Würde liegt darin, daß er geist- und vernunftbegabt ist, fähig, nach der Wahrheit zu fragen, sie zu erkennen und sich in Freiheit für das Gute zu entscheiden. Darin kommt ihm ein fundamentales Selbstbestimmungsrecht zu. Als Person ist jeder Mensch ursprünglicher Träger von Grundrechten, die in der Menschenwürde wurzeln und deshalb von besonderen Bestimmungen des Menschen (zum Beispiel durch Geschlecht, Rasse, beruflichen Status, Vermögensverhältnisse, Gesundheit, Familienstand, Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft oder zu einem Staat) unabhängig sind. Die Grundrechte werden ihm durch keine innerweltliche Instanz „verliehen„. Die Grundrechte bewirken zum Beispiel, daß das Recht auf Leben unbedingt gewährleistet und geschützt sein muß. Dieses Grundrecht auf Leben schließt aber auch das Recht auf Unversehrtheit des Leibes ein. Wenn darum der Mensch an Leib und Leben bedroht ist, hat er Anspruch auf Schutz.

(135.) Das Asylrecht nach Artikel 16a Abs. 1 GG („Politisch Verfolgte genießen Asylrecht„) in Verbindung mit der Genfer Flüchtlingskonvention schützt in seinem Kern Menschen, die politisch verfolgt sind, das heißt, die wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit, ihrer Religion, ihrer Nationalität, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugungen an Leib, Leben und Freiheit bedroht sind.

(138.) Der Mensch hat das Recht, innerhalb der Grenzen seines Staates seinen Wohnsitz frei zu wählen. Es muß ihm auch grundsätzlich erlaubt sein, sofern gerechte Gründe dazu raten, in andere Staaten auszuwandern und sich dort um Aufnahme zu bemühen. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Staat ändert nämlich nichts daran, daß jeder Mensch zugleich Mitglied der ganzen Menschheitsfamilie und Bürger der universalen Lebens- und Rechtsgemeinschaft aller Menschen bleibt. Obwohl das Recht auf freie Niederlassung in den Rechtsbereich gehört, der sich mit den Grundrechten berührt, gilt eine solche Freizügigkeit nicht unbedingt. Denn die Niederlassung der Menschen in einem anderen Staat ist immer damit verbunden, daß sie in bereits bestehende Strukturen des Zusammenlebens und -arbeitens eintreten. Dies ist der Grund dafür, warum der aufnehmende Staat das Recht und die Pflicht hat, auch in dieser Hinsicht das Gemeinwohl zu sichern. Er trägt mit die Verantwortung dafür, daß die bestehenden sozialen Strukturen einerseits die Aufnahme von Migranten und ihr Hineinwachsen in den Arbeitsmarkt, in den Wohnungsmarkt und in das kulturelle und politische Gefüge gewähren, daß andererseits diese sozialen Strukturen nicht überfordert werden.

(139.) Daher gibt es zwar ein Recht auf Auswanderung, aber nicht ein Recht auf Einwanderung. Dies darf jedoch nicht zu einer Politik führen, die weithin auf Abwehr und Abschottung eingestellt ist. Jede Gemeinschaft braucht eine positive Grundhaltung gegenüber der Grundgegebenheit von Migration und damit verbundener Zuwanderung.

...(147.) Es ist ebenso notwendig, die Zuwanderung von Menschen, die sich nicht auf das Asylrecht berufen können, gesetzlich zu verbessern. Vordringlich ist dabei die praktikable Ausgestaltung der Aufnahme von Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlingen. Vor dem Hintergrund der fortschreitenden Integration in Europa und der weltweiten wirtschaftlichen Vernetzung ist es jedoch ebenso dringlich, daß die tatsächlich stattfindende Arbeits- und Wirtschaftsmigration gesteuert, begrenzt und sozial gestaltet wird.

(148.) Zuwanderungsregelungen können nur dann wirksam sein, wenn zugleich die Fluchtursachen bekämpft werden. Dies ist eine politische Querschnittsaufgabe, in der Friedenspolitik, Rechtspolitik und Wirtschaftspolitik zu einer in sich schlüssigen Entwicklungspolitik zusammengeführt werden.

(149.) Eine Gesamtregelung der Zuwanderung bliebe Stückwerk ohne eine rechtliche und soziale Integration und ohne wirksame Verbesserungen bei der politischen Mitbestimmung und den Bürgerrechten. Dazu gehört, den kulturellen Bedingungen der aufnehmenden Gesellschaft Rechnung zu tragen und auch vorhandene Vorbehalte und Befürchtungen ernst zu nehmen."

Die Kirchen und Gemeinden sind aufgerufen, sich den aus der Migration ergebenden Fragen zu stellen:

"...(261.) Die christlichen Gemeinden selbst bedürfen immer wieder der Aufforderung und der Ermutigung, das Zusammenleben mit Menschen anderer Religionen und Kulturen im dialogischen Geist zu wagen und zu gestalten. Gerade hier sind die Tugenden der Toleranz konkret einzuüben. Eine positive Einstellung zu Minderheiten muß erreicht werden, damit sich ein friedliches und fruchtbares Zusammenleben im Sinne eines Gemeinwohls für alle entwickeln kann. Viele Begegnungen im Alltag finden bereits aus dem Geist der Mitmenschlichkeit und des partnerschaftlichen Respekts statt.

(262.) Den Kirchen kommt aus ihrem Auftrag auch ein Wächteramt zu. Sie treten für die Menschenwürde und die daraus fließenden Rechte für alle Menschen ein. Christen können Gott, den Vater aller, nicht anrufen, wenn anderen Menschen, die auch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen sind, die geschwisterliche Haltung verweigert wird. Deshalb widersprechen die christlichen Kirchen jeder Diskriminierung von Menschen und jedweder Ausgrenzung wegen Rasse oder Hautfarbe, wegen Stand, Herkunft oder Religion.

(263.) In einer pluralistischen Gesellschaft haben sich die Kirchen vor allem für die Gestaltung der politischen Rahmenbedingungen aus christlichem Geist einzusetzen, um die Menschenrechte und Menschenwürde für jeden zu sichern. Sie müssen sich deshalb als gesellschaftliche Kräfte in einem demokratischen Gemeinwesen an der öffentlichen Diskussion und der fachlichen Begleitung entsprechender Gesetzgebungsverfahren engagiert beteiligen."

3.2 Äußerungen aus der Weltkirche

3.2.0 Die Weltkirche

Die Kirche auf der ganzen Welt zählt zur Zeit (1993) über ein Milliarde Mitglieder (1010.3 Mio.) bei knapp 20% der Weltbevölkerung, die damals etwa 5,6 Milliarden, jetzt über 6 Milliarden beträgt.. Es gibt sie in nahezu allen Ländern der Erde. Sie zählt etwa 1800 Bistümer und 500 Erzbistümer. Unter den 33% Christen der Weltbevölkerung stellt sie mit 56,7% die größte Gruppe, die Evangelischen Christen stellen etwa 20%, die Orthodoxen knapp 10%, die Anglikaner 4,1%. Muslime machen 17,6%, Hindus 13,3% und Buddhisten 5,75 aus. Von den Katholiken auf der Welt leben weitaus die meisten nicht mehr in Europa (290 Millionen etwa 30% in Europa), trotzdem ist die Europazentriertheit der Kirche immer noch sehr groß. Deshalb sollen hier auch Texte aus der Weltkirche zu Wort kommen, von den USA über Südamerika, Afrika, Asien bis Ozeanien. Dies kann aber bei der Fülle der vorliegenden Texte nur ein zeitlich und inhaltlich kleiner Ausschnitt sein. Diese Texte machen aber deutlich, wie die Kirche an vielen Stellen der Welt bemüht ist, ihren Einfluss auf größere Gerechtigkeit hin auszuüben.

3.2.1 Armut in einem reichen Land - die Bischöfe der USA äußern sich

3.3.1.0 Zur Situation von Nordamerika und den USA

Nordamerika mit den Staaten USA und Kanada ist der reichste Kontinent der Welt. Rechnet man noch Mexiko dazu so ändert sich die erheblich. Auch Grönland wird noch dazu gerechnet. Die Aussagen über Mexiko dürften eher Gemeinsamkeiten mit Südamerika haben. Die USA haben etwa 274 Millionen Einwohner und Kanada rund 29 Millionen, während in Mexiko ungefähr 92 Millionen und auf Grönland etwa 55 000 Menschen leben. Insgesamt weist das größere Nordamerika damit eine Bevölkerung von etwa 382 Millionen Menschen auf.

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind mit 9,8 Millionen km² das drittgrößte Land der Welt und hatten 1999 274 Millionen Einwohner, davon 23% katholisch. 73% sind Weiße, 13% Schwarze, 9% Hispanics, 4% Asiaten und weniger als 1% Indianer. Die Kirche hat 360 Bistümer und 48 Erzbistümer, sie ist besonders stark um Schulwesen mit 238 Hochschulen und Universitäten (700 000 Studierende) und mit Schulen in denen etwa 2,7 Millionen Schüler lernen, bei völliger Trennung von Kirche und Staat und ohne Kirchensteuer. Die USA ist hat die kräftigste und modernste Wirtschaft der Welt. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt (2000) 30.200 US-§. Das ist Spitzenklasse. In Deutschland ist es geringer mit 23.560 US-§. Trotz dieses Reichtums beklagen die US-amerikanischen Bischöfe schon 1986 die Armut im Land hart angeprangert.

3.2.1.1 "Wir können es nicht zulassen, den Kampf gegen die Armut aufzugeben"

10 Jahre nach dem Aufruf "wirtschaftliche Gerechtigkeit für alle" ist erneut 1996 ein Hirtenbrief der US-amerikanischen Katholischen Bischofskonferenz erschienen. Aus diesem wird im folgenden zitiert.

Es geht um das Ziel des Wirtschaftens, dass nicht einfacz nach Prodduktiosnzahlen betimmt werden kann.

"...Unser Hirtenbrief bestand darauf, daß unser Wirtschaftssystem nicht nur danach beurteilt werden darf was produziert wird, sondern auch danach, welche Auswirkungen es auf das menschliche Leben hat, ob es die Würde der menschlichen Person schützt oder bedroht und inwieweit es das Gemeinwohl fordert."

"Wir betonten, daß wirtschaftliche Entscheidungen menschliche Konsequenzen und moralisches Gewicht haben: Sie helfen oder hindern Menschen, sie stärken oder schwächen Familien, sie fördern oder beeinträchtigen Gerechtigkeit in unserem Land. Unser Hirtenbrief wollte kein Wirtschaftsprogramm sein, vielmehr eine moralische Herausforderung und ein Aufruf zum Handeln. Wir riefen zu einem "Neuen Amerikanischen Experiment der Beteiligung und Zusammenarbeit für das Gemeinwohl auf ein Experiment, dessen Verwirklichung bis heute noch auf sich warten lässt".

"Zehn Jahre nach "Wirtschaftliche Gerechtigkeit für Alle" ist es notwendig, daß die Nation die Botschaft dieses Hirtenbriefs noch einmal hört und auf ihre bleibenden Herausforderungen antwortet. Zu einer Zeit, in der eine große öffentliche Debatte geführt wird, muß die katholische Kirche weiterhin für Kinder die in Armut leben, und für Arbeiterfamilien eintreten. Unser Land muß sein Haushaltsdefizit verringern, das Wohlfahrtswesen reformieren, seine Entwicklungshilfe neu gestalten und seine nationalen Prioritäten reorganisieren. Das grundlegende moralische Maß dieser politischen Entscheidungen jedoch liegt darin, welche Auswirkungen sie auf die Armen in unserer Mitte haben, insbesondere auf Kinder und Familien, die gegen wirtschaftliche, soziale und moralische Bedrängungen ankämpfen, vor denen sie dennoch arm und machtlos bleiben.

Arme Kinder, Beschäftigte und Familien werden nicht von mächtigen Lobbyisten vertreten, doch sie haben die größten Bedürfnisse. Wir begrüßen eine breite Debatte über das Wirtschaftsleben, doch können wir es nicht zulassen, den Kampf gegen Armut und wirtschaftliche Ungerechtigkeit aufzugeben.. . ."

Es sieht so aus, dass die Wirtschaft zu einer Spaltung der Nation führt.

"In diesem Jubiläumsschreiben erneuern wir unsere Forderung nach größerer wirtschaftlicher Gerechtigkeit in einer Wirtschaft von ungewöhnlicher Stärke und Kreativität, aber mit zu wenig wirtschaftlichem Wachstum, das zu ungerecht verteilt ist. Es hat zuweilen den Anschein, daß die Kraft und die Produktivität der US-amerikanischen Wirtschaft dazu führt daß drei Nationen nebeneinander leben:

-Die eine floriert und produziert im neuen Informationszeitalter und kommt dabei mit den neuen wirtschaftlichen Herausforderungen gut zurecht.

-Eine zweite wird bedrängt durch abnehmende Realeinkommen und den globalen wirtschaftlichen Wettbewerb. Die betroffenen Menschen fragen sich, ob sie ihre Arbeitsplätze und Krankenversicherung behalten werden, ob sie sich die Hochschulausbildung oder katholische Schulen für ihre Kinder leisten können.

-Eine dritte Gruppe wird immer entmutigter und verzweifelter. Sie wird die amerikanische Unterklasse genannt, und ihre Kinder wachsen erschreckend arm auf, und dies in einer der reichsten Nationen der Erde. Ihre Frage am Ende eines jeden Monats lautet, ob sie die Miete, Lebensmittel oder Heizkosten zahlen können."

Das kann Christen nicht ruhig lassen.

"Als glaubende Menschen sind wir davon überzeugt, daß wir eine Familie und nicht miteinander konkurrierende Klassen. sind. Wir sind Schwestern und Brüder und keine wirtschaftlichen Einheiten oder Statistiken. ...Zehn Jahre nach dem Hirtenbrief bleibt es klar, daß die moralische Testfrage unserer Gesellschaft lautet ob die Armen, die Schwachen und die Schutzlosen gut leben können. Und hinter diesem Standard bleiben wir sehr weit zurück".

Zuerst wird ein Blick zurück gemacht auf den Wirtschaftshirtenbrief von 1986. Es soll kein neuer Grundsatzbrief entstehen, sondern die Leitlinien des ersten Briefes, dessen Jubiläum begangen wird, eingeschärft werden.

"...Da wir auf diesen Jahrestag aufmerksam machen, fragen wir die katholische Kirche nach ihren weiterführenden Aktivitäten und zwar:- mit Blick zurück auf den Wirtschaftshirtenbrief und seine Hauptthemen-; mit Blick auf die US­Wirtschaft ein Jahrzehnt später: Welche Fortschritte wurden gemacht und welche Probleme bleiben bestehen?- mit Blick nach vorn auf zukünftige Herausforderungen im Lichte unserer sich entwickelnden katholischen Sozialverkündigung."

Die Bedeutung des 1. Briefes wird noch einmal in Erinnerung gerufen.

"...Die größte Leistung unseres Wirtschaftshirtenbriefes bestand darin, uns daran zu erinnern, daß das Streben nach wirtschaftlicher Gerechtigkeit eine Aufgabe des Glaubens und ein Imperativ des Evangeliums ist. Für einige Katholiken war diese Botschaft eine Bestätigung einer lange vertretenen Überzeugung. Für andere war es eine unangenehme Auseinandersetzung mit einem Teil der katholischen Tradition, dem sie zuvor nie begegnet waren Die Forderung nach wirtschaftlicher Gerechtigkeit ist keine politische Vorliebe oder eine ideologische Wahl, sondern eine Antwort auf die Heilige Schrift und eine Forderung der katholischen Soziallehre."

Die wichtigsten Aussagen des Briefes werden nochmals kurz zusammengefasst dargestellt.

"...-Die Wirtschaft existiert, um dem Menschen zu dienen, und nicht umgekehrt.

-Das Wirtschaftsleben sollte durch moralische Prinzipien und ethische Normen geformt sein.

-Wirtschaftliche Entscheidungen sollten daran gemessen werden, ob sie das menschliche Leben, die Menschenwürde und die Menschenrechte fördern oder bedrohen.

-Ein Grundanliegen muß die Unterstützung der Familie und das Wohlergehen der Kinder sein.

-Ein moralischer Maßstab jeder Wirtschaft ist die Frage nach den Schwächsten."

Die Enzyklika "Centesimus annus" von 1991 schärft den Einsatz für "Solidarität und Gerechtigkeit nochmals ein.

" Diese Enzyklika bot besondere Herausforderungen für die Katholiken in den USA. Während die Enzyklika Demokratie und Marktwirtschaft anerkannte, bestand sie darauf, daß diese sich an dem Gemeinwohl und an dem Dienst für die Menschenwürde und Menschenrechte orientieren müssen. ...Der Katechismus der katholischen Kirche bestätigt die katholische Lehre, daß die Wirtschaft den Menschen dienen muß und den Grenzen der moralischen Ordnung und den Forderungen sozialer Gerechtigkeit unterworfen ist."

Die amerikanischen Bischöfe anerkennen die Kriterien der Marktwirtschaft fordern aber auch gleichzeitig eine "Option für die Armen".

"...-Die Zahl der in Armut lebenden Amerikaner ist von 33 Millionen auf 37 Millionen gestiegen, obwohl die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft in den vergangenen Jahren gewachsen ist. Wirtschaftliche Zwänge. der Zerfall der Familie und das Handeln bzw. die Untätigkeit der Regierung haben zusammen dazu geführt, daß mehr als ein Fünftel unserer Kinder in Armut aufwächst in einer der reichsten Nationen der Erde.

-Arbeitslosigkeit, Hunger und Obdachlosigkeit plagen unsere Nation immer noch. Millionen Menschen bemühen sich um Arbeit, können aber keine finden. Innerhalb der letzten zehn Jahre ist die Zahl der Menschen, die trotz Vollzeitbeschäftigung ihre Familie nicht aus der Armut heben können, steil angestiegen. Zur Zeit stellen sie 18 Prozent der Beschäftigten dar.

Ein Überblick

Die Armen und die Mittelklasse sehen sich mit einer wachsenden wirtschaftlichen Unsicherheit konfrontiert. Gehälter stagnieren trotz jüngster Produktivitätszuwächse, und Firmen, die ihre Kosten reduzieren wollen, gehen dazu über, Teilzeit- und Aushilfskräfte einzustellen, oft auf Kosten des Familieneinkommens.

- In den letzten zehn Jahren mußten 234000 landwirtschaftliche Familienbetriebe aufgeben, und der gesamte Armutsanteil von Landwirten schwankt weiter um 20 Prozent. Landstädte verschwinden, und Agrarland und Nahrungsmittelverarbeitung konzentrieren sich immer mehr in immer weniger Händen.

- Diskriminierung, Arbeitsplatzmangel, geringe Ausbildung und andere Faktoren machen es für Afro-Amerikaner und "Hispanics" immer wahrscheinlicher, arbeitslos und arm zu bleiben. 44 Prozent der afro-amerikanischen Kinder und 36 Prozent der Kinder von "Hispanics" wachsen in Armut auf.

- In den vergangenen, 15 Jahren ist die Kluft zwischen reich und Arm in Amerika immer größer geworden. Es hat sich gezeigt, daß 1993 die 20 Prozent Haushalte mit dem höchsten Einkommen eine Einkommensverbesserung von ca. $ 10 000 erzielen konnten. Im Gegensatz dazu erlitten die 20 Prozent mit den niedrigsten Einkommen einen Einkomensverlust von ca. $ 1200. In einer Zeit wirtschaftlichen Wachstums erleiden viele Familien eine Abnahme ihrer Realeinkommen.

- Familiäre und soziale Faktoren tragen weiter zu Armut und wirtschaftlichem Druck bei. Man geht davon aus, daß ein Neugeborenes, dessen Mutter verheiratet ist und einen Hochschulabschluß hat, deren Ehemann arbeitet oder die selbst einen Arbeitsplatz hat, zu 8 Prozent das Risiko trägt, in Armut aufzuwachsen. Ein Neugeborenes, dessen Mutter nicht verheiratet, ohne Hochschulabschluß und ohne Arbeitsplatz in der Familie ist, hat ein Arrnutsrisiko von 80 Prozent. (...)

- Die Nation häuft weiter Schulden an und belastet damit sowohl unsere Wirtschaft als auch unsere Kinder. (...) Die Bruttoverschuldung auf Bundesebene ist von $ 1,8 Billionen 1985 auf $ 4,7 Billionen 1994 gestiegen.

- Wirtschaftliche Fragen sind immer mehr globale Fragen angesichts eines wachsenden Wettbewerbs, Interpendenz im Handel."

Die Bischöfe weisen daraufhin, dass die Zahl der Menschen, die dauernd in Hunger leben von 500 Millionen 1985 auf 800 Millionen 1995 gestiegen ist 1,3 Milliarden Menschen leben in Armut.

" Unsere gegenwärtige Wirtschaft ist durch einen beträchtlichen Widerspruch gekennzeichnet. Gewinne und Produktivität wachsen, während das Realeinkommen vieler Beschäftigter und das Sicherheitsgefühl abnimmt. Sogar vermögende Eltern fragen sich, ob ihre Kinder so gut wie sie leben werden. Einige Unternehmen streichen Arbeitsplätze und florieren, während ihre Arbeiter den Preis für das "Downsizing" ("Verschlankung"; d. Red) zahlen. In einer Zeit, in der staatliche Hilfe für arme Arbeiter und Familien immer mehr abnimmt, übersteigen die Kongreßausgaben für neue Waffen den Bedarf des Pentagons und werden mehr durch den Beschäftigungsbedarf als durch Verteidigungskriterien gerechtfertigt. Wir scheinen weit entfernt zu sein von "wirtschaftlicher Gerechtigkeit für Alle".

"...Es gibt keinen Konsens darüber, wie dieser Trend zu erklären ist. Die Abnahme gewerblicher Arbeitsplätze, die rapide technologische Veränderung, die Globalisierung der Wirtschaft, der verminderte Einfluß der Gewerkschaften, die Erosion des Mindestlohns und die Kosten der Krankenversicherung haben alle zu einer Verminderung des realen Familieneinkommens beigetragen..."

Die wachsende Einkommenskluft und die verminderten Sozialleistungen führen auch zu neuen Spannungen in der Gesellschaft.

"... Mittlerweile haben individuelle Entscheidungen und unmoralisches Verhalten, das zu einem Anstieg unehelicher Geburten, Gewalt, Drogenkonsum und sich verändernden Familienstrukturen beiträgt, eine bedeutende Einwirkung sowohl auf Familien als auch auf die Wirtschaft. Wir wissen, daß Armut und wirtschaftliche Ungerechtigkeit aus Diskriminierung und destruktivem persönlichen Verhalten resultieren, aus unklugen Entscheidungen von Unternehmen und unsensiblem Verhalten im öffentlichen Sektor."

Es geht aus der katholischen Tradition darum, die betroffenen Familien zu stärken und die Armut abzubauen. Dazu werden einige prinzipielle Fragen gestellt:

"...Angesichts dieses Jahrestages möchten wir zu lebhaftem Dialog und prinzipiengeleitetem Handeln über eine breite Palette von Fragen und Anliegen ermutigen, einschließlich:

-Wie kann unsere Nation zusammenarbeiten, um den Skandal von soviel Armut mitten unter uns besonders unter unseren Kindern, zu überwinden?

-Wie kann unsere Kirche eine führende Rolle dabei übernehmen, diejenigen, die Machtpositionen besetzen, aufzufordern, wirtschaftliches Wachstum, Arbeitsplatzsicherheit, angemessene Gehälter und größere Möglichkeiten zu fördern?

Ein Blick nach vorn

-Welches sind die moralischen Verpflichtungen und die Grenzen des Marktes, des Staates und des Bereichs der Wohlfahrtspflege? Wie können Wirtschaft, Arbeit, die verschiedenen Regierungsebenen sowie intermediäre Organisationen wie Kirchen, Wohlfahrtsverbände und Selbsthilfegruppen zusammenarbeiten, um die wirtschaftliche Ungerechtigkeit und Ausbeutung in unseren Gemeinschaften (communities) zu überwinden?

-Wie können die Würde und die Rechte der Arbeiter geschützt und gesteigert werden in einer Wirtschaft, in der steigender Wettbewerb, häufiges "Downsizing" und abnehmende gewerkschaftliche Organisationen Viele Arbeiter mit einem Risiko belasten?

-Wie können US-amerikanische Arbeiter und Unternehmen überleben und gedeihen in einer Welt, in der andere Nationen durch Minimallöhne und Minimalsozialleistungen konkurrieren?

-Wie kann die wirtschaftliche Macht unserer Nation in der Welt genutzt werden, um eine gerechtere globale Wirtschaft aufzubauen? Wie können Handel und Entwicklungspolitik Hoffnung erbringen für eine immer noch hungernde und leidende Welt?...

-Wie können wir den großen wirtschaftlichen Druck, der Familien und familiäre Faktoren (wie z. B. abwesende Väter, Mütter im Teenageralter, hohe Scheidungsrate) aushöhlt und so viele Kinder in Armut läßt, abwenden? Wie können wir Familien in ihrer wichtigen moralischen, sozialen und ökonomischen Rolle unterstützen?

-Wie kann unsere Gesellschaft die Sorge für "die Letzten unter uns" und das Gemeinwohl zu einer zentralen Überlegung bei der Entwicklung der Haushalts-, Umwelt- und anderer Innenpolitik werden lassen?

-Wie können wir mit unserer eigenen Arbeit, Produktivität, Konsumverhalten und Lebensstil zu den Bedürfnissen einer hungrigen Welt beitragen?

-Wie kann die Nation den verschiedenen sozialen und wirtschaftlichen Kräften begegnen, die sowohl städtische als auch ländliche Gemeinden als Stätten unverhältnismäßiger Armut und Entmutigung zurücklassen?

-Wie können wir der Rassenungleichheit, die es heute in unserer Nation gibt, begegnen?

-Wie können wir die wachsende ethnische und rassische Distanz zwischen den verschiedenen (Bevölkerungs)Gruppen und die fortdauernden Einwirkungen von Diskriminierung auf das Wirtschaftsleben überwinden?

-Wie kann die Kirche das, was sie anderen über wirtschaftliche Gerechtigkeit, Menschenwürde und Rechte der Arbeiter predigt, in ihrem eigenen Leben und ihren eigenen Institutionen praktizieren? .."

Die katholische Kirche hat in dieser Situation "Brückenfunktion". Ihre Mitglieder sind in allen Gruppen zu finden. "...Wir sind Geschäftsführer und Senatoren, Gewerkschaftsführer und kleinere Unternehmer, eingewanderte landwirtschaftliche Arbeiter und obdachlose Kinder...Zehn Jahre nach dem Hirtenbrief müssen wir unserer Kirche helfen, ihren Sinn für Solidarität zu erneuern, und unserer Gesellschaft, ein Gefühl von nationaler Zusammengehörigkeit wiederzuentdecken und mehr nach dem Gemeinwohl zu streben als nach unseren eigenen engen wirtschaftlichen und anderen Interessen...Wir können die Anwälte eines erneuerten Gesellschaftsvertrags sein zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zwischen Empfängern und Zahlern von Unterstützungsleistungen, zwischen Investoren und Managern, die langfristiger Entwicklung den Vorrang geben vor kurzfristigen Gewinnen, die Respekt und Sicherheit im Austausch gegen verantwortliche und harte Arbeit bieten und die die Schutzlosen schützen, besonders unsere Kinder. "

Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit sollen wieder auf dies Fragestellung gerichtet werden. Auch alle kirchlichen Organisationen sollen sich mit diesen Thermen auseinandersetzten, das gilt auch für alle Gemeinden. Die Sozialverkündigung und das Gebet zu diesen Problemen sind Teil der Gemeindearbeit. Dies ist nicht etwas zusätzliches sondern wesentlicher Bestandteil kirchlichen Arbeitens. Deshalb erneuern die Bischöfe die Verpflichtung:

"...Es war jedoch schon immer klar, daß das Streben nach größerer wirtschaftlicher Gerechtigkeit sich nicht in erster Linie durch Erklärungen religiöser Gruppen, sondern auf dem allgemeinen Marktplatz vollzieht- wo Investitionen getätigt, Verträge verhandelt, Produkte hergestellt, Arbeiter eingestellt und Politik gemacht wird. Die Suche nach wirtschaftlicher Gerechtigkeit findet auch im öffentlichen Feld statt. (...)

Wir erneuern den Aufruf unseres Hirtenbriefes an Gläubige, ihre Wahlmöglichkeiten auf dem Markt und in der Arena der Öffentlichkeit gemäß den Werten der Heiligen Schrift und den moralischen Prinzipien der katholischen Kirche zu bilden. Was auch immer unsere wirtschaftliche Position, unsere politische Orientierung und unsere ideologischen Vorlieben sein mögen, wir sind als Katholiken aufgerufen, für eine Wirtschaft zu arbeiten, die respektvoller mit menschlichem Leben und menschlicher Würde umgeht.

Wir mögen, was Eigenarten und Vorlieben betrifft, unterschiedlich sein, aber laßt uns zusammenkommen- über wirtschaftliche, ideologische und ethnische Grenzen hinweg-, um für eine Gesellschaft und eine Wirtschaft zu arbeiten, die mehr Gerechtigkeit und Möglichkeiten besonders für die Armen bietet. ..."

3.2.1.1 Gewissen der Nation

Durch diese Briefe werden die katholischen Bischöfe etwas wie ein Gewissen der Nation. Vor wenigen Jahrzehnten waren sie eher noch ein Randgruppe, jetzt wird ihr Wort gehört, ob es aber Konsequenzen hatte, das kann durchaus gefragt werden. Jedenfalls machen die amerikanischen Bischöfe deutlich darauf aufmerksam, was hinter der glänzenden Fassade auch steckt und wie damit umgegangen werden muss. Die Option für die Armen, die soziale Gerechtigkeit und das Gemeinwohl werden angesichts einer wachsenden Spaltung der Gesellschaft in arm und reich eingefordert.

3.2.2. Brasilien und 500 Jahre "Entdeckung" Südamerikas

3.2.2.0 Stellvertretend für ganz Südamerika

Südamerika ist mit 12% der Landfläche der viertgrößte der sieben Kontinente (nach Asien, Afrika und Nordamerika). Kontinent dehnt sich von der Karibik im Norden bis zum Kap Hoorn im Süden über eine Länge von 7 400 Kilometern aus In Südamerika leben mit rund 304 Millionen Einwohnern 6 % der Weltbevölkerung. Auf dem Kontinent gibt es zehn lateinamerikanische Staaten und drei andere Staaten, die auf westeuropäische Kolonisierung zurückgehen. Überwiegend ist spanisch die Amtssprache, in Brasilien portugiesisch.

Die Eroberung begann mit der Landung von Kolumbus auf den westindischen Inseln 1492. Die Eroberung war (ähnlich wie in Nordamerika) von einem Völkermord an den Indios begleitet. Später wurden dann als Arbeitskräfte Negersklaven aus Afrika, die dort geraubt worden waren, ins Land geschafft. Die bedeutendsten Bevölkerungsgruppen sind die Nachkommen der präkolumbischen Bewohner, der Spanier, Portugiesen und Schwarzafrikaner sowie Mestizen (Abkömmlinge von europäischen und indianischen Eltern) und Mulatten (Abkömmlinge von europäischen und afrikanischen Eltern). Die zahlenmäßig größten Gruppen indianischer Abstammung leben in den Hochlandregionen der Zentralanden. Die Religion ist zu 90% katholisch, andere Konfessioen stellen nur Minderheiten dar. Unter der offiziellen Religon sind gerade ind er afrikanischen Tradition noch entsprechende Kulte am Leben.

Nahezu allen Ländern ist eine verbreitete Armut gemeinsam, gerade die Bevölkerung mit afrikanischer Abstammung oder Mulatten sind stark davon betroffen. Wirtschaftlich geht es für die armen Gruppen nur wenig vorwärts. Erfreulich ist die Abnahme der Militärdiktaturen in den letzten Jahren. Die Landwirtschaft hat vor allem für die Selbstversorgung Bedeutung. Die Industrialisierung begrenzt sich vorrangig auf die Stadtregionen. Die Spaltung zischen arm und reich ist eklatant.

In Brasilien sind die Portugiesen die zahlenmäßig stärkste europäische Gruppe (44% der Bevölkerung sind weiß), hier leben mehr Schwarzafrikaner und Mulatten als in jedem anderen südamerikanischen Land. Von ursprünglich Vier Millionen Indios gibt es nur noch 250.000. Der Skalvenhandel brachte von 1532-1850 3,6 Millionen schwarzafrikanische Arbeitssklaven ins Land. Brasilien ist das größte Land Südamerikas und besitzt davon die Hälfte der Landfläche. Waldgebiete, vor allem der Regenwald am Amazonas decken 2/3 der Fläche, aber es wird wegen der Ausdehnung der Besiedlung und dem Holzverkauf viel gerodet.

Etwa 20 Millionen der 80% Katholiken an der Bevölkerung von 159 Millionen sind zugleich Anhänger afro-brasiliansicher Kulte (z. B. Candomblé). Es gibt 253 Bistümer für die etwa (1919) 126 Millionen Katholiken.

Die Agglomeration Sao Paulo hat über 10 Millionen Einwohner, ein Ergebnis des Geburtenüberschusses und der Landflucht (75% städtische, 25% ländliche Bevölkerung), Favelas (Slumsiedlungen) sind die Folge. Wirtschaftlich ist Brasilien das industrialisierteste Land in Südamerika, es gehört zu den sogenannten Schwellenländern (Bezeichnung für Entwicklungsländer, die im Begriff sind, sich zum Industriestaat zu entwickeln) aber der Gegensatz zwischen Reichtum und Armut ist nach wie vor äußerst krass. Armut, Arbeitslosigkeit, ethnische Differenzen, Korruption und Gewalt sind einige der herausragenden Problem des Landes.

3.2.2.1 Brasilien - 500 Jahre Dialog und Hoffnung

3.2.2.1.1 Hirtenbrief der Bischofskonferenz an die brasilianische Gesellschaft und die Gemeinden

In einem ersten Teil laden die Bischöfe zum gesellschaftlichen Dialog ein und sprechen auch die Narben an, die bei einem solchen Jubiläum wieder neuer aufbrechen.

"Die Brasilianische Bischofskonferenz (CNBB - Conferência Nacional dos Bispos do Brasil) kam vom 26. April bis 3. Mai 2000 im Küstenort Porto Seguro (Bundesstaat Bahia) zu ihrer 38. Generalversammlung zusammen. Hier (in der Nähe) war vor 500 Jahren die erste Messe auf brasilianischem Boden gefeiert worden. Die Generalversammlung stand deshalb ganz im Zeichen der 500-Jahrfeier der Evangelisierung Brasiliens. Zum Abschluss ihres Treffens verabschiedeten die Bischöfe den folgenden thematischen und programmatischen Hirtenbrief.

1. Um 500 Jahre Evangelisierung in Brasilien feierlich zu begehen, haben wir Bischöfe der Katholischen Kirche uns vom 26. April bis 3. Mai 2000 in Porto Següro, im Bundesstaat Bahia, versammelt. Hier wurde vor fünf Jahrhunderten die erste Heilige Messe auf unserem Boden zelebriert. Vereint mit der ganzen Nation, wollten wir diesen Anlass nutzen, um über unsere Vergangenheit nachzudenken und zu aktuellen und künftigen Herausforderungen Stellung zu nehmen.

2. Unser erster Gedanke geht zu Gott. Ihm danken wir für die Gabe des Evangeliums und die unzähligen Wohltaten, die er uns in den fünf Jahrhunderten schenkte.

3. Wir wollen in diesem historischen Augenblick unsere Überlegungen und Hoffnungen mit allen dazu offenen Bürgerinnen und Bürgern Brasiliens teilen. Niemand soll ausgeschlossen sein. Dieser Dialog setzt sich im Austausch der Kirche mit der zivilen Gesellschaft fort, der in diesen 500 Jahren nicht immer konfliktlos war. Wir verpflichten uns weiter zum offenen Dialog, nicht nur mit den christlichen Gemeinden, sondern auch mit Vertretern anderer Bevölkerungsgruppen.

4. In unseren Tagen ist der Dialog innerhalb der brasilianischen Gesellschaft nicht einfach. Das zeigte sich im Zusammenhang mit den Gedenkfeiern anlässlich der 500 Jahre. Wir hoffen dennoch, dass unser Beitrag eine Annäherung zwischen den verschiedenen sozialen Schichten, zwischen Kulturen und Religionen, zwischen Staat und Volk, zwischen Elite und Massen, zwischen Traditionen sowie vergangenen Verhaltensnormen und aufkommenden Bestrebungen, vor allem unter Jugendlichen, bewirkt.

5. Unser Dialog wirft auch einen Blick auf die Vergangenheit, um die erlittenen Verletzungen und Narben zu erkennen, um Wege der Versöhnung und Gemeinsamkeiten in der Gegenwart zu suchen und unsere Verantwortung und Verpflichtung für die Zukunft festzulegen.

6. Bei der Vertiefung unserer Überlegungen beschränken wir uns nicht nur auf das Aufzählen von Fakten, sondern erneuern unser Bewusstsein und bekräftigen unsere Verpflichtung zu einem großmütigen Einsatz, genährt von der Hoffnung, getragen von der Person, dem Leben und der Botschaft Jesu Christi, die Quelle unseres Glaubens. Wir bekennen, dass er »Weg, Wahrheit und Leben« für die Welt ist. Zweitausend Jahre nach seiner Geburt, von der Kirche mit dem großen Jubiläum gefeiert, ist er immer das Licht für die Menschheit."

Sie rufen bewusst die Vergangenheit in Erinnerung auch mit dem Anteil er Kirche an der Schuld durch die Verbindung von Thron und Altar..

"18. Die in ihrer Mehrheit versklavten indigenen Völker wurden nach und nach durch Schwerstarbeit, durch Krankheiten, durch kulturelle Entwurzelung, durch Kriege und Massaker bis auf wenige ausgerottet. Nach dem Scheitern der indigenen Versklavung verschleppten die Kolonialherren Menschen aus Schwarzafrika für die Sklavenarbeit auf den Fazendas und in den Minen. Das ist einer der dunkelsten Aspekte der Kolonisierung. Sooft der Mensch nicht respektiert wird, gereicht das zum Schaden aller."

Die Bischöfe bitten vor allem die Indios und die Schwarzen um Verzeihung, die oft bis heute nicht voll in ihren Bürgerrechten anerkannt werden.

"21. Trotz vieler positiver Aspekte in der Vergangenheit gibt es negative Belege, Folge auch von Fehlern von Christen. Ohne unsere Vorfahren beschuldigen zu wollen, fühlen wir uns gedrängt, um Verzeihung zu bitten für das, was objektiv gegen das Evangelium war und zutiefst die menschliche Würde und viele unserer Brüder und Schwestern verletzte. Den Indios wurden Grund und Boden, das Leben, ja sogar der Lebenswille genommen. Den Schwarzen wurde die Freiheit geraubt, die Pflege ihrer Kultur und die Bewahrung ihrer Erinnerungen erschwert. Bis heute werden ihre Bürgerrechte nicht vollwertig anerkannt. Ein Teil des Volkes ist zudem extremen Entbehrungen ausgesetzt. Diese haben ihre Wurzeln in der langen Geschichte des Ausgeschlossenseins von der brasilianischen Gesellschaft. Die arme Bevölkerung, die Indios und Schwarzen, sind Gläubiger einer immensen sozialen Schuld, angehäuft während der Jahrhunderte, in denen sich das brasilianische Volk formierte.

Auch die Gründung der brasilianischen Bischofskonferenz 1952 führte zu einem Wandel der Einstellung der Kirche. Werke wurden gegründet, die die Kirche näher an das marginalisierte (am Rande Stehende) und leidende Volk brachten, die im Evangelium grundgelegte Option für die Armen verwirklicht, im Zusammenhang damit entstanden in den 8500 Pfarreien 100.000 Basisgemeinden. Wichtig sind auch die Schritte in der Ökumene, die zu einem neuen Verständnis und zu neuen Formen der Kooperation zwischen einigen christlichen Kirchen führten.

Der Blick muss sich zur weiteren Veränderung auf die Zukunft richten

"IV An der Zukunft bauen

35. Die brasilianische Gesellschaft ist reich an Mitteln, Kenntnissen und Menschen, um die Zukunft zu gestalten, die dem Volk Würde und Hoffnung gibt. Diese Gestaltung liegt in den Händen aller Brasilianer, entsprechend ihren Bedingungen und Möglichkeiten. Sie kann nicht einfach an die Regierung oder die politische Klasse abgetreten werden, die ihre Tätigkeit auch überdenken müssen, um den Grundbedürfnissen des Volkes Rechnung zu tragen. Alle sollen als Partner nach Wegen für das gemeinsame Wohl und die Entwicklung des Landes suchen. Die Kirche, als Institution wie als Gemeinschaft der Gläubigen, offen für den Dialog mit allen Brasilianern, will ihren Beitrag für das Gemeinwohl leisten und einige Überlegungen und Vorschläge präsentieren:

5 Vgl. Sollicitudo Rei Socialis, Nr. 36.

1. Verantwortung übernehmen für die Gemeinde und die Gesellschaft

36. Die erste Verpflichtung aller und jedes Einzelnen - gegen die aktuelle Tendenz des Individualismus und des Korporativismus ist die Verantwortung für die eigene Gemeinde und die Gesellschaft als Ganzes. Das erfordert demokratische Partizipation auf allen Ebenen. Demokratie darf sich nicht nur auf die Wahlen beschränken, verbunden mit der Erwartung, dass die Gewählten alle Probleme während ihres Mandats lösen. Im Gegenteil, eine wirkliche Demokratisierung verlangt von den Bürgern Mitverantwortung für die Verwaltung der öffentlichen Güter Schulen, Gesundheitsstationen, Gemeindebudgets - und die Aufgabe, die öffentliche Verwaltung anzuleiten und zu kontrollieren mittels paritätischer Räte, wie im Gesetz vorgesehen, oder die gegründet werden können, um die Transparenz der öffentlichen Stellen zu garantieren und die Beteiligung der Bürger zu erhöhen..."

37. Diese demokratische Partizipation wird den Staat näher an die tatsächlichen Interessen der Bevölkerung führen und verhindern, dass seine Dienste nur wenigen vorbehalten bleiben. Seine Reduzierung auf den »Mindeststaat« zeigt sich in der Schwächung der sozialen Rechte und einer Gesellschaft, die nur den Gesetzen des Marktes ausgesetzt ist.

38. Folglich ist es notwendig, die Sorgfalt bei der Auswahl der Volksvertreter und bei der Begleitung der Tätigkeiten der Gewählten zu erhöhen. Vor Neuwahlen sollen die Programme der Parteien gerecht geprüft sowie die Arbeit ihrer Parlamentarier und Machthaber analysiert werden. Wir wollen unsere Gemeinden und pastoralen Organisationen ermutigen, Möglichkeiten der politischen Bildung anzubieten, die Programme der Parteien zu studieren und andere Initiativen zu fördern - Broschüren, Vorträge, Diskussionen, Schulungen für Glauben und Politik - als Beitrag für eine bessere Überlegung bei der Auswahl innerhalb des politischen Angebots.

39. Trotz vieler Schwierigkeiten, darunter das Misstrauen der öffentlichen Meinung abzubauen, ist die Partizipation am politischen Leben durch die Parteien weiterhin von Bedeutung. Allerdings erwartet man auch von ihnen ein würdiges Verhalten entsprechend ihrer wichtigen Aufgabe. Wir bitten besonders die Parteien, sich um eine strenge Auswahl von qualifizierten, kompetenten und anständigen Kandidaten zu bemühen. Nicht weniger wichtig ist die Partizipation bei den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen, die gewaltfrei das Leben und die legitimen Interessen der Bevölkerungsschichten verteidigen.

40. Derzeit suchen viele Menschen ihre Bürgerrechte in einer anderen Form der sozialen und politischen Beteiligung wahrzunehmen. Großzügig stellen sie sich als Freiwillige zur Verfügung, zum Schutz der Umwelt, bei der Unterstützung sozialer Initiativen, leisten medizinische Versorgung, bieten kostenlos ihre Dienste irn Bildungsbereich an, besonders dort, wo noch entsprechende öffentliche Strukturen fehlen. Einige dieser Bewegungen organisieren sich auf nationaler und internationaler Ebene als Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs).

41. Wir laden unsere katholischen Institutionen (Pfarreien, Basisgemeinden, pastorale Organisationen, Bewegungen, Verbände) ein, ihre Sozialarbeit in Partnerschaft mit öffentlichen Einrichtungen, mit anderen Kirchen und mit NGOs zu verstärken. Es ist allgemein bekannt, dass die demokratische Partizipation nicht nur rechtliche Instrumente erfordert, die sie erleichtern, sondern vor allem die aktive, sie stützende Präsenz der Organisationen und eine »Kultur«, die anspornt. Ohne Zweifel können in diesem Bereich soziale Medien, Institutionen, Verbände und Schulen mit katholischem Hintergrund einen großen Beitrag leisten.

2.. Mindestbedingungen für den Lebensunterhalt garantieren

42. Die Verpflichtung der ganzen zivilen Gesellschaft erfordert klare Zielsetzungen. Als vorrangiges Gebot gilt für uns die Tilgung der sogenannten sozialen Schuld. Es ist uns bewusst, dass die Verwirklichung der sozialen Gerechtigkeit keinen Aufschub duldet. Ein erster Schritt ist die Garantie minimaler Bedingungen für den Lebensunterhalt im Einklang mit der Menschenwürde. Auch wenn es schwierig ist, kann diese Richtlinie mit der Hilfe aller verwirklicht werden. Eine Diskussion ist notwendig, auf welche Weise ein dauerhaftes Ergebnis erzielt werden kann und wie zu verhindern ist, dass die Finanzmittel für soziale Programme zweckentfremdet werden und die bedürftige Bevölkerung leer ausgeht. Es gibt bereits Initiativen mit guten Ergebnissen wie die Schulbeihilfe. Sie verpflichtet die Familien, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Um der Korruption oder Verschwendung vorzubeugen, soll ein Programm ein Mindesteinkommen garantieren. Auch besteht offenkundig die Notwendigkeit von Wohnraum, Kanalisation, verbesserter Gesundheitsversorgung und der Aufwertung der öffentlichen Schulen. Erforderlich sind auch die Hilfe für landwirtschaftliche Familienbetriebe, eine beschleunigte Agrarreform, eine entsprechende Agrarpolitik, die Aufwertung der Bäuerin und des Bauern, eine garantierte Versorgung mit Nahrungsmitteln zu niedrigen Kosten.

43. Das Phänomen der Arbeitslosigkeit verdient spezielle Aufmerksamkeit, da sie sich in den letzten Jahren zum Teil besorgniserregend, ja tragisch entwickelt hat. Die Arbeitslosigkeit soll durch eine Politik bekämpft werden, die die Gründung neuer Arbeitsplätze erleichtert, etwa durch die Versetzung von Arbeitern von einem Sektor in einen anderen Sektor der Wirtschaft. Dieser Wechsel in einen anderen Bereich kann zeitaufwendig sein. In diesem Fall fordert die soziale Gerechtigkeit zumindest eine befristete Arbeitslosenversicherung. Diese Versetzung erfordert eine Ausbildung für die Arbeit und ihre bessere Bewertung durch Schulung und neue Qualifikation, die von der öffentlichen Hand und gemeinnützigen Einrichtungen angeboten werden sollen.

44. In den letzten Jahren wurden in vielen Ländern erfolgreich Kredite an Arme vergeben, bei denen die Banken niedrige Zinsen verlangten. Die öffentliche Hand sowie der private Sektor könnten neben gemeinnützigen Organisationen und religiösen Verbänden in dieser Hinsicht viel bewirken.

45. Die Garantie auf Leben muss bei der Empfängnis beginnen und die Kindheit soll besondere Unterstützung erfahren, wenn wir die Zukunft nicht gefährden wollen. Wir schlagen den Regierungen und der Gesellschaft eine gemeinschaftliche Aktion vor, um ein Leben in Würde und Hoffnung für alle Kinder zu sichern und das verwerfliche Bild der Unterernährung, der Kinderarbeit und der fehlenden Grundschulen aus der Welt zu schaffen.

3. Die gerechte Einkommensverteilung fördern

46. Wir sind überzeugt, dass Maßnahmen wie ein garantiertes Mindesteinkommen oder für die Armen zugängliche Kredite wirtschaftliches Wachstum mit sich bringen, bei gleichzeitiger gerechter Verteilung des Einkommens. Es steht uns nicht zu, mögliche Alternativen der Wirtschaftspolitik oder technische Aspekte der Frage zu diskutieren, aber es ist unsere Verantwortung, einige Prinzipien zur ethischen Orientierung aufzuzeigen. »Es ist strenge Pflicht der Gerechtigkeit, dass die fundamentalen menschlichen Bedürfnisse gestillt werden (...). Diesen notleidenden Menschen muss geholfen werden, sich das nötige Wissen zu erwerben, in den Kreis der internationalen Beziehungen einzutreten, ihre Anlagen zu entwickeln, um Fähigkeiten und Ressourcen besser einbringen zu können. Noch vor der Logik des Austausches gleicher Werte und der für sie wesentlichen Formen der Gerechtigkeit gibt es etwas, das dem Menschen als Menschen zusteht, das heißt auf Grund seiner einmaligen Würde. Dieses ihm zustehende Etwas ist untrennbar verbunden mit der Möglichkeit, zu überleben und einen aktiven Beitrag zum Gemeinwohl der Menschheit zu leistens.

47. Der Ex-Präsident des Internationalen Währungsfonds (IWF) gesteht: »Seit 15 Jahren haben wir den Eindruck, dass der Markt mit der Ethik nicht umgehen kann. Dass Gerechtigkeit und Erfolg im Widerspruch standen. Heute ist uns klar, dass dies nicht der Wahrheit entspricht. Wir stellen fest, dass die partizipative Demokratie zum Beispiel besser für die wirtschaftliche Entwicklung ist als die Diktatur. Heute erkennen wir, dass die Suche nach sozialem Fortschritt die Armut vermindert und ein Faktor für ein nachhaltiges Wachstum sein kann«

48. Die Soziallehre der Kirche bewertet die Marktwirtschaft als ethisch zulässig, sofern sie in eine feste Rechtsordnung oder innerhalb regulierender Normen eingebettet ist, die effiziente Produktivität und umfassende Kommerzialisierung garantieren, die allen sozialen Schichten den Zugang zu den Produktionsgütern verschafft, sie daher in den Dienst der menschlichen Person stellt.

6 Centesimus Annus, Nr. 34.

7 Vgl. Entrevista de Michel Camdessus ä revista Repüblica, AbriI2000, p. 46-52.

8 Vgl. Centesimus Annus, Nr. 42.

9 Vgl. Studie der Brasilia nischen Kommission Justitia et Pax und IBRADES: Pela etica na gestäo do sistema financeiro na cionaL Edii;öes Loyola, Säo Paulo 2000.

49. Nun, eine »feste Rechtsordnung« ist das, was wir für unser Land fordern und was unserer Meinung nach eine notwendige Bedingung für soziale Gerechtigkeit und demokratische Entwicklung ist. Im aktuellen Umfeld der Globalisierung fehlt diese rechtliche Regulierung für wirtschaftliche Aktivitäten im Weltplan und ist eine dringende Forderung. Auch wenn es noch keine wirksame internationale Gesetzgebung gibt, ist unsere eigene Gesetzgebung dringend an die neuen Bedingungen der Wirtschaft und des aktuellen Finanzsystems anzupassen. Erforderlich sind klare Spielregeln und volle Transparenz der öffentlichen Verwaltung.

50. In unserem Land beklagen wir diese fehlende Transparenz und die Vermischung zwischen dem Öffentlichen und Privaten. Die öffentlichen Verwalter und Mittel stehen zu oft im Dienst eigener Interessen. Dabei handelt es sich um Entscheidungen über Güter des Staates, die allen gehören, die auf die Interessen weniger abzielen, meist auf die der Mächtigsten. Die öffentliche Meinung beklagt, dass der Staat, der seine wirtschaftlichen Aktivitäten privatisiert und Verantwortungen seiner Kompetenz (zum Beispiel Teile der Bildung, Pensionswesen, Sozialhilfe, Gesundheitsversorgung) privaten Initiativen anvertraut, seine finanziellen Mittel zur Sanierung von Banken (privat oder staatlich) oder zur Zahlung von gigantischen Zinsen einsetzt, wobei zwar die Verluste verteilt aber nicht die Gewinne ausgeschüttet werden.9 Neben der »neoliberalen« Politik ohne ethische Ausprägung ist hier auch die archaische und antidemokratische Vorgangsweise zu kritisieren, die Einzelne zum Nachteil der Mehrheit fördert.

4. Gegen Korruption und Straffreiheit antreten

51. Es ist noch hinzuzufügen, dass die entsprechende rechtliche Struktur ohne wirksame begleitende Bekämpfung der Korruption und Straffreiheit keinen Erfolg haben wird. Internationale und brasilianische Beobachter bescheinigen unserem Land ein hohes Ausmaß an Korruption. Wir stellen die erkennbaren Anstrengungen der Regierung, vor allem um Steuerhinterziehungen zu verhindern oder die Landspekulation zu

bekämpfen, nicht in Abrede. Aber offensichtlich steht das hohe Niveau der Korruption in Beziehung zur Straffreiheit der Schuldigen. Wenn die Skandale an die Oberfläche gelangen oder die Untersuchungen Betrug und Verbrechen enthüllen, werden die Hauptschuldigen selten bestraft. Wir appellieren an die Mitglieder der Judikative, auf allen hierarchischen Ebenen alle vorgesehenen Rechtsmittel auszuschöpfen, um Verfahren zur Aufklärung der Korruption zu beschleunigen und die wirklich Schuldigen zu bestrafen. Wenn möglich, sollten Verfahrensnormen geändert werden, die Prozesse verzögern können.

52. Die Korruption erstreckt sich auf die fundamentalen Mechanismen der Demokratie die Wahlen - und darum haben wir die Initiative der Kommission Justitia et Pax gegen Wahlkorruption unterstützt, die der Kongress aufgenommen hat und als Gesetz verabschiedete. Daneben appellieren wir an alle Staatsbürger, die Wahlkorruption zu bekämpfen, damit den Kandidaten wie den Wählern klar wird, dass diese Praxis die Grundlage der Demokratie untergräbt und das Vorherrschen der Ungerechtigkeit steigert.

53. Ein anderer schwerwiegender Anschlag auf das demokratische Leben leitet sich vom gegenwärtigen Misstrauen ab, das die drei Gewalten umgibt. Die Vielzahl der Anklagen der Korruption und des Betrugs, die Repräsentanten gegeneinander einbringen, die fehlende Klarheit und Schnelligkeit bei der Aufklärung von Vorwürfen und der Bestrafung der Schuldigen löst bei der öffentlichen Meinung Enttäuschung und Misstrauen in die demokratischen Institutionen aus. Die katholische Kirche drängt darauf, die demokratischen Institutionen wie die Autonomie der drei Gewalten, die Informationsfreiheit und die Manifestation der Bürgerrechte zu würdigen. Gleichermaßen tritt sie für die ethische und religiöse Bewusstseinsbildung ein, als Weg zur Überwindung der aktuellen Krise, die die Grundlagen der demokratischen Beziehungen schwächt.

54. Ein großer Teil der Bevölkerung erleidet hautnah die Gewalt, die vor allem in Städten vom organisierten Verbrechen ausgeht und Unsicherheit verbreitet. Die Ursachen dieses steigenden und alarmierenden Phänomens, das täglich Dutzende Opfer fordert, sind unter anderen die Schwächung der gemeinschaftlichen Bindungen, die steigende Marginalisierung von Bürgern, der Konsum und Handel von Drogen, die Korruption des für die öffentliche Sicherheit verantwortlichen Apparats und die herrschende Straffreiheit.

5. Das ethische Bewusstsein stärken

55. Die Stärkung des ethischen Bewusstseins bei öffentlichen Aktivitäten und in der Parteipolitik wie bei der Nutzung der Ressourcen der Nation ist nicht nur eine Bestrebung der Kirche sondern der gesamten zivilen Gesellschaft. Das Volk erwartet nicht nur von den Regierenden und Politikern, sondern von allen Eliten eine deutlichere und wirksamere Verpflichtung für die nationalen Interessen. Wir richten einen Appell an die Besitzenden, dass sie in die Entwicklung des Landes investieren, Arbeitsplätze und Wohlstand für alle Brasilianer schaffen. Wir beklagen den schreienden Widerspruch zwischen der Anhäufung einer belastenden Auslandsund Inlandsschuld, die den Staat und alle Bürger bedrückt, und den offenen oder verschleierten Transfer von brasilianischem Kapital ins Ausland. 10

56. Aus dem Fortschritt in Wissenschaft und Technologie ergeben sich neue ethische Fragestellungen an unsere Generation. Die Kirche sorgt sich um den vollen Respekt des Lebens von der Empfängnis bis zum Mysterium des Todes. Angesichts der steigenden Möglichkeiten, in den biologischen Kreislauf von Menschen, Tieren und Pflanzen einzugreifen, ist Vorsicht bei allen Interventionen geboten, die auf das Leben, besonders das menschliche, negative Auswirkungen haben könnten. Es kann nicht wie ein manipulierbares Obiekt je nach Belieben behandelt werden, denn es hat an sich Wert und das Recht auf unverletzliche Existenz.

57. Die Stärkung des ethischen Bewusstseins muss unbedingt die persönliche wie familiäre Dimension betreffen, etwa die Stärkung des Ehesakraments, das sich durch göttliche Initiative zwischen Mann und Frau vollzieht. Wir beobachten die Verbreitung einer Lawine von Werten, die im Widerspruch zur menschlichen Natur stehen. Als Beispiele dafür stehen unter anderen: Kinderfeindlichkeit, freiwillige Sterilisierung, Befürwortung der Euthanasie.

6. Eine Gesellschaft fördern, die die Unterschiede respektiert

58. Es ist notwendig, andere Aspekte der Demokratie in unserem Land zu verstärken: das friedliche Zusammenleben verschiedener Ethnien, Kulturen und religiöser Ausdrucksformen, den Respekt gegenüber der Vielfalt, die Wertschätzung des bis heute diskriminierten Teils der Bevölkerung.

59. Auch die katholische Kirche ist zu einer ernstlichen Überprüfung ihres Denkens und ihrer Haltungen aufgerufen. Wir können keine Form der Diskriminierung, Unterdrückung und Gewalt gegen Menschen akzeptieren, die unsere Geschwister sind, Kinder des gleichen himmlischen Vaters. Nicht gutheißen können wir ein Konzept, das die Frauen verachtet, wenn wir die Unbefleckte Mutter Gottes hochschätzen und sie als Patronin Brasiliens verehren. Wir müssen nicht nur unsere Haltung überdenken, sondern auch mit offenem Geist den berechtigten Forderungen der Bewegungen - der Indios, der Schwarzen, der Frauen und anderer - Gehör schenken, die in organisierter Form Menschengruppen vertreten, die in der Vergangenheit diskriminiert wurden und in der Gegenwart gemeinsam für die Gleichheit ihrer Rechte eintreten. Wir fühlen uns zur Verteidigung der Vielfalt der Kulturen verpflichtet, mit besonderer Aufmerksamkeit auf die afro-brasilianische und indigene Bevölkerung. Wir übernehmen die Verpflichtung, die Einhaltung der Verfassungsverfügungen zu fordern, wie die Demarkierung und Regulierung der indigenen Gebiete und der Überreste der Quilombos. 10.a

7, Die Umwelt bewahren

60. Wir haben die Verantwortung, die Plünderung der Natur zu verhindern, um den künftigen Generationen keine verschmutzte und verwüstete Erde zu hinterlassen. Unsere Verpflichtung ist größer, da Brasilien über außergewöhnliche Naturreichtümer verfügt. Erwähnt seien hier Wasser und Wälder: zwei Ressourcen, die weltweit knapper werden und geschützt werden müssen nach dem Prinzip der nachhaltigen Entwicklung, die wieder herstellt, was verbraucht wurde. Unglücklicherweise ist das, was wir beobachten, die Ausbeutung der Wälder und die Verschmutzung von Luft und Wasser. Unsere bischöflichen Mitbrüder in Amazonien befürchten, dass der Wald in weniger als 25 Jahren zerstört sein wird, wenn es im aktuellen Rhythmus weitergeht.11 Es ist dringend notwendig, dass die brasilianische Nation zum Wohl der gesamten Menschheit wirksam auf diese Gefahr reagiert, der folgenschweren Bedrohung gegenübertritt, die die ganze Welt besorgt, auch um äußere Eingriffe zu verhindern.

61. Die Umweltfrage stellt sich in Brasilien auch im städtischen Raum, wo sich rund 80% der Bevölkerung konzentrieren. Der physische, soziale und wirtschaftliche Verfall sowie der ökologische Abbau in den brasilianischen Städten sind besorgniserregend. Es ist Dringlichkeit der öffentlichen Politik gefordert - Bund, Bundesstaaten, Gemeinden, miteinander verbündet - um der Situation zu begegnen und eine Umkehr der Tendenzen herbeizuführen. Man schätzt (ausgehend von den Daten aus 1995) einen Mangel an 5,6 Millionen Wohnungen, davon 4 Millionen im urbanen Bereich. Die Wasserversorgung ist für 67

der brasilianischen Bevölkerung (88 % in den städtischen Zonen) gewährleistet, aber nur für 31 % der Bevölkerung ist eine Kanalisation vorhanden, was einen Anstieg der Verschmutzung des Wasserkreislaufes und die Verbreitung von Krankheiten bedeutet, verbunden mit der Gefahr von Epidemien, die auf verschmutztes Wasser zurückgehen. Die Zunahme des motorisierten Transports verursacht eine immer gefährlicher werdende Luftverschmutzung.

10 Vgl. ebenda. Der »Export« von brasilianischem Kapital erfolgt durch »Contas CC5.

10a Quilombos Fliehdörfer der der Sklaverei entkommenen Schwarzen.

11 Vgl. Silveira, Vilma, Quinhentos anos de desmatamento, in: Jomal do Brasil, 18.4.2000, p. 12. Die Vereinten Nationen schätzen, dass derzeit weltweit für sechs Hektar abgeholzten Waldes nur ein Hektar aufgeforstet wird. Jüngste Studien des World Wide Fund for Nature (WWF) zeigen den Rückgang der Wald flächen in Brasilien seit dem Jahr 1500 auf.' 93% des Mata Atlântica, 50% des Cerrado und 15% des Floresta Amazönica. Das sind insgesamt 2, 7 Millionen km2zerstörter Wald. In Amazonien wurden in den letzten 25 Jahren 551.000 km2 abgeholzt Das ist ein Gebiet in der Größe von Frankreich.

12 Vgl. Tertio Millennio Adveniente, Nr. 6.

13 Evangelium Vitae, Nr.2.

V Die Kirche im Dienst der Hoffnung

62. Wir stehen am Anfang eines neuen Jahrtausend, von dem die brasilianische Nation erwartet, ihre Identität besser entfalten zu können, vor allem frei von dem, was sie bisher daran hinderte: Abhängigkeit, Ungleichheit, Missachtung, Diskriminierung. Viele haben Angst, genährt durch jüngste Krisen und Schwierigkeiten, dass das brasilianische Volk in nächster Zukunft enormen Hürden gegenübersteht.

63. Voll Vertrauen wollen wir unseren Glauben erneuern. Wir verkündigen, dass Jesus Christus unsere Hoffnung ist. Seine Gegenwart in unserer Mitte ist die Garantie, dass der Samen des Evangeliums nicht abstirbt oder durch die Kraft des Bösen zerstört wird. Aus ihm werden Ähren mit vielen Körnern und der Baum, der vielen Vögeln Zuflucht bietet.

64. Das Evangelium weist auf neue und geheimnisvolle Reichtümer der Zukunft hin. Die christliche Religion lehrt uns, die Schönheit der Schöpfung und den Heilsplan Gottes zu achten. Er steht uns bei, die Sünde und Schwachheit zu überwinden und neue Horizonte der Hoffnung zu entdecken. Die in Jesus Christus begründete Religion ist die Religion des Lobpreises. Sie ist die Erneuerung des Lebens, um die Herrlichkeit Gottes zu loben (Vgl. Eph 1,12). Die ganze Schöpfung ist Ausdruck seiner Herrlichkeit; in der persönlichen Sphäre ist der Mensch der Ausdruck der Herrlichkeit Gottes, eingeladen zu einem Leben in der Fülle Gottes.

65. Der christliche Glaube vereint die Liebe zu Gott und die Liebe zu den Mitmenschen. Die eine kann ohne die andere nicht authentisch sein. »Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott!, aber seinen Bruder hasst, ist er ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, kann Gott nicht lieben, den er nicht sieht« (1 Joh 4,20). Mit anderen Worten: »Das Evangelium von der Liebe Gottes zum Menschen, das Evangelium von der Würde der Person und das Evangelium vom Leben sind ein einziges, unteilbares Evangelium.13 Darum entspringt unsere Reflexion und unsere Analyse der brasilianischen Realität aus dieser geschwisterlichen Liebe, der uneingeschränkten Solidarität mit jenen, die unser Vaterland lieben."

Diese Solidarität soll sich besonders aber auch auf die notleidenden Völker Afrikas und Asiens ausdehnen. Sie muss von vielen getragen werden. Ich Dankbarkeit erinnern die Bischöfe an alle, die in den unterschiedlichsten Bereichen von der Kirche, über Politik bis zum Einsatz für Straßenkinder und Drogensüchtige sich gegen die Strukturen der Sünde und Gewalt einsetzen, die der Grund allen Übels sind. Deshalb setzen sie ihre Hoffnung auch auf Christus, der einen neuen Weg frei gemacht hat.

Die Bischöfe der katholischen Kirche in Brasilien

Quelle: WELTKIRCHE 4/2000 101

3.2.3 Afrika - Ein geschundener Kontinent

3.2.3.0 Zur Situation Afrikas

Afrika ist der zweitgrößte Kontinent der Erde. Es hat eine Fläche von 30.330.000 Quadratkilometern, das sind 22 Prozent der gesamten Landfläche der Welt. Damit ist es an Landfläche dreimal so groß wie Europa. In Afrika wohnen etwa 675 Millionen Menschen; das sind 13 Prozent der Weltbevölkerung.

Afrika kann hinsichtlich der Gestaltung seiner Oberfläche in drei Haupteinheiten eingeteilt werden: die Tafelländer von Nordafrika mit der Sahara im Süden, die Tafelländer von Mittel- und Südafrika sowie das Bergland Ostafrikas.

Eigentliche Industrie gibt es nur in wenigen Ländern. Sie leidet aber oft an Kapitalmangel oder ihre Produkte, wie z.B. Kupfer aus Sambia haben auf dem Weltmarkt keine Bedeutung mehr. Afrika war Kolonie vieler westlicher Länder, nach dem 2. Weltkrieg setzte eine Unabhängigkeitsbewegung ein, die 1960 ihren Höhepunkt hatte. Heute sind fast alle Staaten politisch unabhängig. Die finanzielle und wirtschaftliche Abhängigkeit ist meist geblieben, ja noch stärker geworden. An den derzeitigen Entwicklungen hat die Vergangenheit als Kolonie und die heutige wirtschaftliche Abhängigkeit großen Anteil. Fallende Weltmarktpreise für landwirtschaftliche Produkte, Erdölkrisen, fallende Preise für Güter des Bergbaus, Überschuldung, Klimakatastrophen mit Dürrephasen, Bürgerkriege, daraus entstehende Flüchtlingsströme, Bereicherung der Mächtigen und Verarmung der anderen, überwiegend geringes Pro-Kopf-Einkommen insgesamt, Korruption und die Ausbreitung der Immunschwäche AIDS und Malaria, hohe Kindersterblichkeit und geringe Lebenserwartung, verbreiteter Analfabetimus und Tribalismus (Stämmeegoismus) sind nur einige der Negativfaktoren vieler Länder. Gott sei Dank nimmt der Trend zur Abkehr von Diktatoren und der Hinwendung zum Mehrparteiensystem zu. Insgesamt ist Afrika der wirtschaftlich ärmste Kontinent mit noch einmal großen Unterschieden unter den Ländern. Die jüngerer Generation hat einen hohen Bevölkerungsanteil, hier wird Zukunft erhofft und auch notwendig.

Das Christentum ist die am weitesten verbreitete Religion in den unterschiedlichsten Konfessionen. Nordafrika wurde im 1. Jahrhundert christianisiert, ist damit weitaus länger christlich als Deutschland. Der Islam ist die zweitgrößte Religion in Afrikas und dehnte sich seit der Gründung im 7. Jahrhundert immer mehr aus. Etwa 15 Prozent der afrikanischen Völker praktizieren traditionelle Religionen.

Die Katholiken machen etwa 14% der Bevölkerung aus. Es gibt in Afrika 419 Bistümer (Jurisiktionsbezirke). Es gibt verschieden regionale Bischofskonferenzen aber auch ein Symposion aller Bischofskonferenzen. In manchen vor allem islamischen Ländern haben es die Kirche und die Katholiken sehr schwer, erinnert sei nur an den Südsudan.

3.2.3.1.1 Kriege in Zentralafrika

Vom 12. bis 15. November 1999 fand in Nairobi/Kenia die satzungsgemäße Vollversammlung der Vereinigung der Bischofskonferenzen Zentralafrikas statt. Zu dieser Vereinigung zählen die Bischofskonferenzen Ruandas, Burundis und der Demokratischen Republik Kongo (Zaire). In ihren Gebieten herrscht ist vielen Jahren Bürgerkrieg. Mit diesen und seinen Folgen setzen sich die Bischöfe dieser Länder auseinander.

 

3.2.3.1.2 "Ihr alle aber seid Brüder" (Mt 23,8): Beendet die Kriege!

"...Das Drama der Kriege

3. Seit vier Jahrzehnten und besonders im Verlauf dieses Jahrzehnts erdulden unsere Völker die Schrecken des Krieges: Verluste an Menschenleben, Plünderung, beschleunigte Verarmung, endemische Krankheiten, Zerstörung von sozioökonomischen Infrastrukturen. Der Krieg hat den Zerfall der menschlichen Werte - besonders die Achtung vor dem Leben und der menschlichen Person - mit sich gebracht, sowie eine große Zahl von Flüchtlingen, Vertriebenen oder umgesiedelten Bevölkerungsteilen, von Witwen und Waisen. Er hat sogar zum Völkermord geführt. Heute noch stachelt er an zu Hass und Zwietracht, verstärkt Gegensätzlichkeiten und ethnozentrische Gefühle.

Die Situation unserer Kirchen

4. In dieser tragischen Situation bezahlt die Kirche einen schweren Tribut: Bischöfe, Priester, Ordensmänner, Ordensfrauen und Laien haben ihr Engagement im Dienst des (1 Vgl. Gaudium et Spes Nr. 1).

Volkes Gottes mit ihrem Leben bezahlt. Stätten und Gegenstände zur Religionsausübung sind entweiht, das pastorale Leben ist gestört worden. Wenn man die Zerstörungen betrachtet, wäre man versucht zu denken, diese Kriege hätten die Kirche zum Hauptziel.

Für einen dauerhaften Frieden

5. Der Frieden ist im Augenblick die vorrangige Bestrebung aller Völker unserer Region. Ein dauerhafter Frieden kann sich nur im Dialog unter den verschiedenen Söhnen eines jeden unserer Länder verwirklichen. Dieser Dialog muß abzielen auf eine ehrliche Versöhnung, gegründet auf Gerechtigkeit und Verzeihung. Dieser Dialog muss gleichermaßen abzielen auf die Errichtung einer durch Konsens entstandenen konstitutionellen Ordnung und auf die Errichtung eines Rechtsstaates, der von einer demokratischen Kultur getragen wird. Es muss außerdem einen Dialog zwischen den Staaten unserer gesamten Region geben. Dieser Dialog zwischen Staaten kann nur unter folgenden Voraussetzungen gelingen:

Achtung der Souveränität und der territorialen Unversehrtheit eines jeden Landes;

Achtung der Rechte von Einzelpersonen;

Achtung der Rechte von Organisationen.

Dazu unterstützen wir alle Initiativen, die nach der Verwirklichung dieser Ziele streben, besonders die Fortsetzung der Verhandlungen von Arusha, die Durchführung der Abkommen von Lusaka 2 und die Abhaltung einer Internationalen Konferenz über die Länder der Großen Seen im Hinblick auf ein harmonisches »Zusammenleben« unter unseren Völkern...."

Der Text richtet sich dann an die Christen, die Pastoralen Mitarbeiter und die anderen Kirchen. Sie sollen sich gegen Hass einsetzen, für Versöhnung und Brüderlichkeit wirken. Damit leisten sie vor allem ihren Beitrag zum Frieden. Es werden aber die Politiker, die Regierungen und die Internationalen Organisationen besonders angesprochen. Auch die Kirchen untereinander und gemeinsam müssen zur Versöhnung beitragen.

"...An die politischen Führer

8. Wir sind uns der schweren Verantwortung bewußt, die in dieser schwierigen Zeit der Geschichte unseres Landes auf euren Schultern lastet. Das Schicksal unserer Völker liegt zu einem großen Teil in euren Händen. Die Autorität macht nur in dem Maße Sinn, in dem sie für das Gemeinwohl und als Sachwalter des Volkes ausgeübt wird. Nehmt also vor Gott eure Verantwortung auf euch und nehmt euch das Los eurer Landsleute zu Herzen. Hütet euch davor, in der nationalen Gemeinschaft jeglichen Keim der Spaltung, des Hasses und der Gewalt zu säen ebenso wie ethnische Unterschiede zu politischen Zwecken zu mißbrauchen: »Ihr alle aber seid Brüder« (Mt 23,8): Beendet die Kriege! (2 Die Abkommen von Lusaka - Friedensverträge zwischen den verschiedenen Konfliktparteien im Kongo, die am 10.7. und 31.8.99 in der sambischen Hauptstadt unterzeichnet wurden)

An die internationale Gemeinschaft

9. Die in jeder Hinsicht bereichernden internationalen Beziehungen sind nur in einer Atmosphäre der Gerechtigkeit und des Friedens möglich. Unsere Völker haben auch ein Recht darauf, im Frieden zu leben. Wir fordern euch zu einer bilateralen und multilateralen Zusammenarbeit auf, die die Souveränität jedes Volkes und sein Recht auf Selbstbestimmung achtet. Unsere Völker brauchen keine Kampfwagen und andere Kriegswaffen, sondern Maschinen für die Entwicklung. Waffenherstellung und -handel sind für unsere Völker nur Instrumente der Verneinung ihrer Würde, der Verarmung und des Todes.

10. Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, ihre Rolle in Gerechtigkeit und Wahrheit wirksam zu spielen und die baldmöglichste Abhaltung der Konferenz der Länder der Großen Seen zu unterstützen. Die Kirche ihrerseits, Expertin auf dem Gebiet der Menschlichkeit, ist bereit, ihren vollen Beitrag dazu zu leisten..."

"...Abschließende Ermahnung

14. Die Kriege, die wir erleben, sind eine grobe Beleidigung des Planes Gottes und eine Herausforderung, das Evangelium treu zu leben und die Sendungsaufgabe für das Heil unserer Brüder und Schwestern zu erfüllen. Die Entstehung und Gestaltung der Kirche Familie Gottes in Afrika sind ein passendes und dynamisches Pastoralprogramm an der Schwelle zum dritten Jahrtausend. Wir, alle Söhne und Töchter ebenso wie alle Völker Zentralafrikas, bilden eine einzige Familie Gottes. Erlöst im Blut Christi, haben wir nur einen einzigen Gott und Vater und sind von einem einzigen Geist beseelt. Die Wiedergeburt in der Taufe ruft zu einer täglichen Umkehr aller auf, damit jeder einzelne das Bewusstsein der universellen Brüderlichkeit entdecke und dem Bösen entsage.

3.2.3.2.0. SAMBIA - ein Land im wirtschaftlichen Niedergang

Beispielland Sambia

Eines der Länder, in denen die Bevölkerung massiv unter den Folgen der Schuldenkrise leidet, ist beispielsweise Sambia. Das Land hatte Ende 1995 langfristige Auslandsschulden in Höhe von 5,091 Mrd. US-Dollar. Dabei unterwarf sich Sambia bereits Anfang der achtziger Jahre den vom Internationalen Währungsfonds (IWF) verordneten Strukturanpassungsprogrammen. Der sambische Bischof De Jong beschrieb bei einem Vortrag anläßlich der Gründungsveranstaltung der deutschen Erlaßjahrkampagne begrenzte Erfolge dieser Programme. So sei die Inflation von 200% im Jahr 1991 auf rund 23% für 1997 gesunken. Erreicht worden sei auch ein ausgeglichener Staatshaushalt, eine schärfere Kontrolle der Geldmenge sowie die Freigabe der Wechselkurse.

"Die gesamtwirtschaftlichen Verbesserungen wurden jedoch um einen hohen menschlichen Preis erkauft. Von 1990 bis 1993 gab die sambische Regierung 37 Mio. US-$ für Grundschulbildung aus - gleichzeitig zahlte sie 1,3 Milliarden Dollar an Schuldendienst. Zwischen 1985 und 1995 sank die Lebenserwartung bei Geburt von 52 Jahren auf 48 Jahre. Im gleichen Zeitraum stieg die Sterblichkeitsrate von Kindern unter 5 Jahren von 13,5% auf 20,3 % und die chronische Unterernährung bei unter 5-jährigen von 40% auf 53%. Nach Angaben der Weltbank leben bis zu 80% der Sambier in absoluter Armut." Unterdessen stieg der Schuldenstand dennoch weiter an: Bei allen Anstrengungen reichten die Rückzahlungen nicht einmal zur Bedienung der fälligen Tilgungsraten und Zinsen.

Hinzu kommt eine hohe Infektionsrate HIV (AIDS) von über 20% im ganzen Land. Die Zahl der Waisenkinder bei etwas über 8 Millionen Einwohnern liegt schon bei 400.000. Die Eltern sterben weg und viele Kinder sind von Geburt an infiziert.

Etwa zwei Drittel der Sambier sind Christen, hauptsächlich römisch-katholische oder Anhänger einer protestantischen Konfession. Es gibt auch eine beddeutsame Anzahl von Muslimen und Hindus. Den herkömmlichen Glaubensrichtungen gehören etwa 20 Prozent der Einwohner an.

Solidarität angesichts der sozialen Krise des Landes

Pastorale Erklärung der Bischofskonferenz

Die Bischöfe Sambias haben kürzlich deutlich Kritik an der Politik der Regierung ihres Landes geübt. In einer Erklärung vom 16. Juni 2000 weisen sie insbesondere auf gravierende Defizite im Gesundheits- und Bildungswesen hin. Dabei liege das Problem nicht in den Ressourcen, sondern in den Prioritäten. Verantwortlich für diese Situation ist nach Ansicht der Bischöfe allein die Regierung und ihre fehlgeleitete Politik. Hier der Text der Erklärung.

»Nein, das ist ein Fasten, wie ich es liebe: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, die Versklavten freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen, an die Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deinen Verwandten nicht zu entziehen« (Jes 58,6-7).

Im Zusammenhang mit einem Tag des Gebets und des Fastens, um angesichts des Leidens unseres Volikes Solidarität zu zeigen, teilen wir einige Überlegungen mit euch und bitten euch, darüber nachzudenken, wie wir auf die schwere soziale Krise antworten können, die wir gegenwärtig in Sambia erfahren. Wenngleich wir Gott aufrichtig danken, dass unser geliebtes Land nicht die Situation von Kriegen und sozialen Konflikten unserer unmittelbaren Nachbarn durchmacht, wissen wirauch, dass im Leben der Mehrheit unseres Volkes nicht alles zum Besten steht.

Unsere Erklärung heute ist eine Fortsetzung des Kommuniques, das die Mitglieder der Bischofskonferenz von Sambia am 29. Januar 2000 veröffentlicht haben1. Wir möchten nachdrücklich abermals unsere großen Bedenken über die Situation in unserem Land heute zum Ausdruck bringen und unsere tiefe Besorgnis darüber hinzufügen, dass nichts Wichtiges geschehen ist, um die Situation zu verbessern. Wie ihr alle gut wisst, ist die größere Mehrheit unserer Schwestern und Brüder im ganzen Land mit gravierendsten Schwierigkeiten konfrontiert, den Grundbedürfnissen des täglichen Überlebens unter akzeptablen Bedingungen für die Menschenwürde gerecht zu werden.

Aus diesem Grund haben wir diesen Gebets- und Fasttag gefordert, um demütig von unserem liebenden Schöpfer die Weisheit und den Mut für uns alle zu erbitten, energischer und effektiver auf die großen Probleme zu antworten, die unser Land in dieser Zeit quälen.

1. Das Gesundheitssystem befindet sich weiterhin in einem Krisenzustand. Jeder, der ein von der Regierung geführtes Krankenhaus oder eine Klinik betritt, kann nur entsetzt sein über den völligen Mangel an den Grunderfordernissen. Der Streik der Assistenzärzte geht ungelöst in den fünften Monat, ein Streik, dessen erstes Ziel es war, die Aufmerksamkeit auf diese schockierende Situation zu lenken. Ganz sicher fällt es nicht nur uns allein äußerst schwer zu verstehen, dass die Regierung auf diese Situation eine zweifache Hauptantwort zu haben scheint: mit großem Kostenaufwand ausländische Ärzte in das Land zu bringen und hohe Beamte zu ebenfalls hohen Kosten für medizinische Versorgung ins Ausland zu schicken.

z. Unser Erziehungssystem befindet sich gleichermaßen in einem Krisenzustand. Jüngste Beurteilungen von Grund- und weiterführenden Schulsystemen der Regierung, Beurteilungen, die von der Regierung selbst erstellt wurden, enthüllen den äußerst enttäuschenden Qualitätsstandard und den überaus beunruhigenden Qualitätsverlust der Erziehung, die den sambischen Kindern angeboten wird. Darüber hinaus schweben beide unserer größeren Universitäten im Hinblick auf ihre Zukunft tagtäglich im Ungewissen. Fachschulen sehen der Schließung oder der Beschränkung von notwendigen Mitteln für Lehrpersonal und Studenten ins Auge.

1 Kommunique der Vollversammlung der Bischofskonferenz von Sambia, Lusaka, 25.-28.1.2000; Text (engt.) siehe AMECEA Documentation Service, Nairobi, Nr. 513, 1.3.2000.

Wir wissen, dass es keine künftige Entwicklung gibt ohne gesunde und gebildete Bürger. Phantastische Einkaufszentren, teuere Autos, extravagante gesellschaftliche Ereignisse und hohe Konsumstandards unter einer kleinen Anzahl Menschen sind keinesfalls Zeichen von wirtschaftlichem oder sozialem Fortschritt in Sambia. Angesichts der zunehmenden Verarmung kann niemand die Tatsache ignorieren, dass das Land in einer schweren sozialen Krise steckt.

Was können wir Christen und Staatsbürger tun? Unsere Ordensschwestern haben es vorgemacht, die Aufmerksamkeit auf die Leidenden zu lenken, die sie jeden Tag im ganzen Land sehen und versorgen. Die Bischöfe haben sich mit dem Präsidenten und hohen Regierungsbeamten getroffen, um über diese Probleme zu sprechen. Ärzte und andere Bürger haben friedlich demonstriert und sind dann verhaftet worden.

Aber nichts scheint zu geschehen, das der Schwere der Krise begegnen würde. Es ist sicher eine ernsthafte Reaktion von allen Sambiern gefordert, ungeachtet ihrer Positionen oder ihrer politischen Überzeugung.

Wir wissen, dass wir nicht friedlich und hoffnungsvoll in die kommenden Wahlen von 2001 gehen können, wenn sich das Land in einer sozialen Krise befindet.

Oft hören wir, dass es keine ausreichenden Mittel gibt, um den dringenden Bedürfnissen der Menschen zu entsprechen. Aber wir erwähnen nochmals die Feststellung, die von unserer Katholischen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden und vielen anderen Gruppen gemacht wurde und nach der die wichtigste Herausforderung, mit der Sambia heute konfrontiert ist, nicht die Mittel, sondern die Prioritäten sind. Ist die Auffassung der einfachen Sambier falsch, wenn wir immer wieder fragen, warum kein Geld bereit steht für Medikamente in Krankenhäusern und Bücher in Schulen, für Zubringerstraßen auf dem Land und Versorgung mit sauberem

Wasser und sanitären Einrichtungen, aber ohne weiteres verfügbar ist für ausgedehnt Auslandsreisen hoher Regierungsbeamter. für den Import von Luxusautos, für die Verbesserung von Straßen in nicht dicht bewohnten Stadtrandgebieten, für den Ankauf nicht notwendiger Materialien und für viele andere Ausgaben, die nicht den dringenden sozialen Bedürfnissen der Menschen gerecht werden.

Es ist bedauerlich, dass selbst die kargen Mittel, die für das allgemeine Wohl und zum Nutzen der verletzlichsten Mitglieder unserer Gesellschaft verfügbar sind, nicht auf die Prioritäten gelenkt werden, die wesentlichen Bedürfnissen entsprechen, mit anderen Worten, für wesentliche Bedürfnisse werden keine Vorkehrungen getroffen.

Was können wir also tun, um friedlich und kreativ vorwärts zu gehen? Genau deshalb haben wir diesen Gebets- und Fasttag gefordert. Wir müssen Gott um die Weisheit bitten zu erkennen, was unternommen werden muss, um der sozialen Krise die Stirn zu bieten, herauszufinden, wie die Prioritäten am besten gesetzt werden, und zu verstehen, wie wir alle zusammenarbeiten können. Und wir müssen Gott um den Mut bitten, auch angesichts von Kritik, Verleumdung und Drohungen zu handeln.

Um angesichts der Leiden unseres Volkes solidarisch zu sein, stellen wir die folgenden Forderungen:

1. Wir fordern unsere Kirche auf, fortzufahren in einem echten Geist des Gebetes und des Fastens, was von den Worten Jesaja 58 geleitet wird, wo verlangt wird, dass wir deutlich für Nächstenliebe und Gerechtigkeit agieren sollen. Die Prioritäten der Kirche müssen im Licht des Leidens der Menschen geprüft werden, und um der Gerechtigkeit willen muss starker Druck ausgeübt werden.

2. Wir fordern unseren Präsidenten auf, öffentlich die extreme soziale Krise einzugestehen, mit der die Nation konfrontiert ist. Wir glauben nämlich, dass die Gefahr, die von dieser sozialen Krise auf unser nationales Wohlergehen ausgeht, ebenso groß ist wie die Bedrohungen aus den Situationen in der Demokratischen Republik Kongo oder in Angola. Der hohe Grad der Verpflichtung durch das Staatsoberhaupt, auf diese Bedrohungen von außen zu reagieren, muss einen noch höheren Grad der Verpflichtung gegenüber diesen Bedrohungen im Land selbst entsprechen.

3. Wir fordern die Regierung auf, die Verpflichtung und das Engagement der von der Kirche geführten Büros, die in unserem Erziehungs- und Gesundheitsbereich arbeiten, anzuerkennen und zu würdigen. Das könnte konkret zum Ausdruck gebracht werden durch die Garantie dafür, dass kirchliche Sozialeinrichtungen einen gerechten Anteil aller Mittel erhalten, die für ihre Arbeit notwendig sind.

4. Wir fordern alle unsere politischen Parteien, die Regierungspartei und die Oppositionsparteien auf, Reife und gesunden Menschenverstand walten zu lassen, das Gezanke untereinander zu beenden und kooperativ dem extremen Leiden des Volkes die Stirn zu bieten. Wie kann man von Staatsbürgern erwarten, dass sie Politiker respektieren, die einen größeren Teil ihrer Zeit damit verbringen, einander zu bekämpfen, als sich mit den wirklichen Problemen der Nation aufeinanderzusetzen?

5. Wir fordern alle Sambier auf, sich an einem politischen Prozess zu beteiligen, der dem Präsidenten und den Parlamentsmitgliedern ihre äußerst großen Sorgen wegen der derzeitigen sozialen Situation zur Kenntnis bringt. Wir sollten Versammlungen fordern, Briefe schreiben und öffentlich unsere Forderungen nach sozialer Verantwortung von der Regierungsseite äußern. Unsere Demokratie in Sambia verlangt, dass die Bürger nicht nur ihr Recht, sondern auch ihre Pflicht, sich zu beteiligen, ausüben.

6. Wir fordern alle Nichtregierungs- und Volksorganisationen auf, ihre Anstrengungen zu steigern, um Dienste für die Bedürftigen bereit zu stellen und für Gerechtigkeit einzutreten. Wir achten und würdigen jene Organisationen, die selbstlos den Armen dienen, besonders den Frauen und Kindern. Aber zusammen mit der Kirche müssen alle Organisationen die Prioritäten prüfen.

7. Wir fordern alle jene auf, die unmittelbar damit befasst sind, den Menschen in Einrichtungen im Gesundheits- und Erziehungsbereich zu dienen, damit sie erkennen, dass wir uns ihrer Probleme bewusst sind und dass wir uns verpflichten, über Worte, Worte in Gebeten oder Erklärungen wie dieser, hinauszugehen, hin zu Handlungen in Solidarität mit ihren Bemühungen.

B. Schließlich fordern wir alle unsere Schwestern und Brüder auf, die ja die große Last der sozialen Krise tragen, die leiden wegen der Verletzung ihrer Rechte auf gute medizinische Versorgung und auf Bildung, sich klar zu machen, dass wir für ihre Bedürfnisse offen und entschlossen sind, unser Land zu Würde und Entwicklung für alle zu führen.

Worüber wir in dieser Erklärung gesprochen haben, mag für einige Menschen nicht wie wahre religiöse Anliegen klingen. Aber wir bitten jeden, der solches empfindet, noch einmal Jesaja 58 zu lesen und herauszufinden, welche Bedeutung die starken Worte des Propheten für uns heute haben. Und jeden, der das Gefühl hat, dass wir unrealistisch sind in der Erwartung eines echten Wandels mitten in dieser sozialen Krise, bitten wir, über die Worte Jesu im Matthäusevangelium (19,26) nachzudenken: »Für Menschen ist das unmöglich, für Gott aber ist alles möglich.«

Wir wollen an diesem Gebets- und Fasttag um die Weisheit bitten, erkennen zu können, wie Gott uns ruft, und um den Mut, bei unserer Antwort auf Gottes Macht zu vertrauen.

Der allmächtige Gott segne jeden einzelnen und euch alle überreichlich.

Für die Bischofskonferenz von Sambia

Erzbischof M. Mazombwe

Präsident der Bischofskonferenz

P 1. Mwebe Generalsekretär

Lusaka, 16. Juni 2000

Quelle: Kopie des Originals. Übersetzung aus dem Englischen.

3.2.4 Asien - ein Riesenkontinent

3.2.4.0 Übersicht

Asien ist der größte Kontinent der Erde. Er umfasst einschließlich der vorgelagerten Inseln etwa 44,4 Millionen Quadratkilometer. Das sind etwa 33 Prozent der gesamten Landfläche der Erde. In Asien leben mehr als 3,4 (98) Milliarden Menschen ungefähr 60 Prozent der Weltbevölkerung.

Asien umfasst den asiatischen Teil von Russland, die kaukasischen und die zentralasiatischen Staaten, Ostasien mit China, Tibet, der Mongolei, Nord- und Südkorea sowie Japan; Südostasien mit Myanmar, Thailand, Kambodscha, Laos, Vietnam, Malaysia, Singapur, Indonesien, Brunei und den Philippinen; Südasien mit Indien, Bangladesh, Pakistan, Sri Lanka, Nepal und Bhutan, sowie Südwestasien mit Afghanistan, Iran, Irak, der Türkei, Syrien, Libanon, Israel, Jordanien und den Staaten der Arabischen Halbinsel (Saudi-Arabien, Jemen, Oman, Vereinigte Arabische Emirate, Katar, Bahrain und Kuwait). Dadurch werden schon die unterschiedlichen Probleme und Herausforderungen dieses Kontinents deutlich.

Die Wirtschaft in den einzelnen Ländern Asiens ist sehr unterschiedlich. Neben hoch industrialisierten Ländern wie Japan und reichen Rohstoffländern wie Kuwait oder Katar gibt es wirtschaftlich nur schwach entwickelte Ländern wie z. B. Laos. Die meisten Menschen arbeiten in der Landwirtschaft. Im produzierenden Gewerbe und im Dienstleistungsbereich sind wesentlich weniger Arbeitskräfte tätig. Ein schwieriges Problem für die wirtschaftliche Entwicklung ist in vielen Ländern die mangelhaft ausgebaute Infrastruktur. Naturkatastrophen und kriege haben einige Länder sehr geschädigt. Den höchsten Entwicklungsstand aller asiatischen Länder hat Japan, gefolgt von Taiwan, Südkorea, Singapur und Hongkong. In den reichen Erdöl fördernden Staaten ist das hohe Einkommen auf wenige konzentriert. Mit Hilfe ausländischer Investoren hat China zurzeit das höchste Wirtschaftswachstum. Die in manchen Länder stark aufstrebende Industrie hat in den letzten Jahren erhebliche Rückschläge hinnehmen müssen. Sehr unterschiedlich ist auch in industrialisierten Staaten die Entlohnung der Arbeiterinnen und Arbeiter. Insgesamt gibt es in Asien nahezu alle Chancen und Probleme der Welt.

Die Christen und die Katholiken stellen in Asien ein Minderheit dar, abgesehen von den Philippinen, so haben insgesamt 4,5% Mitglieder, das sind etwa 150 Millionen. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil wurde in Asien eine Vereinigte Asiatische Bischofskonferenz gebildet (FABC). Diese nimmt auch zu gesellschaftlichen Herausforderungen Stellung. Dabei setzen die Bischöfe auf die modernen Kommunikationsmittel, die Gedanken der Kirche verbreiten können.

3.2.4.1 Megatrends in Asien: Tendenzen der Kommunikation für die Kirche

3.2.4.1.0 Ein Treffen der Bischöfe

Betrachtungen eines Treffens von Bischöfen der FABC

Die Hauptlinien der Entwicklung der asiatischen Länder und Gesellschaften - so genannte Megatrends - zu erkennen und zu formulieren, hatte sich ein Seminar zum Ziel gesetzt, das vom 22. bis 27. November 1999 in Bangkok stattgefunden hat. Es war vom Büro für soziale Kommunikation der Föderation Asiatischer Bischofskonferenzen (FABC-OSC) organisiert worden. Mehr als 20 Bischöfe, Priester und Medienexperten aus 13 Ländern nahmen daran teil. Ihre Erkenntnisse und Schlussfolgerungen, welche Herausforderungen für die Kirche daraus entstünden und wie sie darauf antworten könne, fassten die Teilnehmer in den folgenden »Schlussbetrachtungen« zusammen.

3.2.4.1 Moderne Kommunikation und Kirche

Präambel

Während Asien in das dritte Millennium eintritt, scheinen ethnische, linguistische, wirtschaftliche und kulturelle Verschiedenheiten konzentrierter zum Vorschein zu kommen und das Leben und die Mentalität einer sich stark vermehrenden Bevölkerung zu beeinträchtigen. Der asiatische Kontinent zieht Nutzen aus den Fortschritten in Wissenschaft und Technologie und wird zu einem Hauptteilnehmer in der Welt von Handel und Gewerbe. Die Medien sind ein Hauptelement in dieser Entwicklung.

Es kommen Tendenzen auf, die man nicht ignorieren darf. Sie beeinflussen in unterschiedlichem Maße die gegenwärtige Situation und die Zukunft des asiatischen Kontinents. Diese »Megatrends« fordern Kirchenführer und christliche Kommunikatoren in besonderer Weise heraus.

1. Von Nationen zu Netzwerken

Heute gibt es keine einzelnen Länder mehr, die miteinander um politische oder wirtschaftliche Vorherrschaft kämpfen. Viele haben sich aus häufig mehr wirtschaftlichen als politischen Gründen anderen angeschlossen, Netzwerke entstehen eher auf der Grundlage ethnischer Zugehörigkeit und/oder gemeinsamer wirtschaftlicher Interessen

Herausforderungen

1. Wegen der Bedeutung des öffentlichen Bildes der Kirche in einer vorwiegend nichtchristlichen Umgebung ist es notwendig, Kommunikationsstellen/Public Relations Büros auf nationaler und diözesaner Ebene mit Informationssystemen wie Telefax, e-mail, Internet, Intranet, Websites etc. zu entwickeln, damit Information leitet zugänglich wird und Netzwerkarbeit geleistet werden kann.2

2. Gemeinsame Bemühungen sollten auf Pfarrei-, Diözesan-, Regional- und Nationalebene erfolgen, um Zeitschriften und andere kirchliche Publikationen für Christen aus verschiedenen Kulturen und Nationen zugänglich zu machen, um einander besser kennenzulernen und sich zusammenzutun.....

4. Christliche Kommunikation muss dazu beitragen, den Menschen verschiedene Handelsabkommen (NAFTA, APEC etc.) bewusst zu machen, um ihnen zu helfen, ihre Rechte zu schützen und Ausbeutung zu verhindern.

2. Vom Export zu »Verbraucher«-Kulturen

Es gab eine Zeit, in der Asien vorwiegend billige Verbrauchsprodukte für den Export herstellte. Jetzt haben sich Japan und die anderen asiatischen Wirtschafts-»Tiger« in die Bereiche Telekommunikation, Computer und andere moderne Industrien hineingewagt. Das führt zu größerem wirtschaftlichen Reichtum, aber auch zum Entstehen starker »Verbraucher«-Kulturen.3

Herausforderungen

1. Konsumbezogene und westliche Einflüsse neigen dazu, Kulturen ohne Gott und ohne tiefere Werte zu entwickeln. Eine christliche Kommunikation muss helfen, Gott zu behalten und ihn in den Mittelpunkt des menschlichen Lebens zurückzuholen, was stark den asiatischen Werten entspricht.4

2. Die christliche Medienerziehung sollte den Menschen helfen, ihre wirklichen Bedürfnisse zu erkennen und sich nicht von Manipulation verleiten zu lassen. Diese Programme müssen in jeden christlichen Dienst integriert werden.5

3. Christliche Kommunikatoren sollten mithelfen, gegenüber der Herrschaft einer »Verbraucher-Kultur« alternative Kulturen zu schaffen, die auf eine tiefe und mitteilende Spiritualität gegründet sind.

4. Fragen zu Gerechtigkeit, Frieden und sozialer Gleichheit sind wesentliche Inhalte jeder christlichen Kommunikation.

5. Den Verbrauchern sollten die wahren Tatsachen hinter Werbeanzeigen und Verkaufsstrategien bewusst gemacht werden. Gute Werbung andererseits kann mithelfen, asiatische und christliche Wege zu fördern.6

3. Vom westlichen zum asiatischen Weg

In Asien werden wir uns immer stärker der Traditionen und Werte in unseren eigenen Kulturen sowie unserer politischen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Identitäten bewusst. Die »asiatische Art« wird auch in anderen Kontinenten und Ländern der Welt immer beliebter.

Herausforderungen

1. Der Dreifach-Dialog der FABC mit den Armen, den Religionen und verschiedenen asiatischen Kulturen muss weiterentwickelt und durch entsprechende Kommunikationsprogramme unterstützt werden.7

2. Wir werden in unseren religiösen Gewohnheiten noch immer für sehr westlich gehalten. Die christliche Kommunikation sollte auf eine stärker inkulturierte Kirche hinarbeiten, indem sie mehr asiatische Symbole und kommunikative Äußerungen gebraucht. Innerhalb der Kirche sollten liturgische Feiern, besonders Predigten, kommunikativ sein und auf die wahren Bedürfnisse und Gefühle der Menschen antworten.8

3. Das Christentum wird oft als eine Religion der sozialen Aktion, der Bildung und Führung angesehen. Die Wirkung von Gebet und Spiritualität jedoch sollte sich in unserer Kommunikation widerspiegeln, denn ein christlicher Kommunikator ist ein »Kontemplativer in Aktion«.9 Unser Gebet und unsere Spiritualität haben schließlich den Menschen zum Mittelpunkt, weil wir die volle Wahrheit über den Menschen mitteilen, dessen Würde darauf gründet, dass er »ein Bild und Gleichnis Gottes ist«, gestärkt vom Geist Jesu in der Fülle der Liebe des Vaters...

4. Von Regierungskontrolle zu Steuerung durch den Markt

Während die Rolle der Regierungen auf die Unterstützung von Gesetzen und die Rechnungsprüfung beschränkt ist, wird die Leitung von Unternehmen und öffentlichen Versorgungsbetrieben dem Privatsektor überlassen. Die zunehmende Privatisierung auch von Medienunternehmen schafft zusätzliche Kommunikationsmöglichkeiten ebenso wie Verantwortungen.

Herausforderungen

1. In einer immer stärker marktorientierten Umgebung sollte die christliche Kommunikation fortfahren, die Not der Armen, der Ausgegrenzten, der Minderheiten, der indigenen Kulturen, der Wanderarbeiter etc. hervorzuheben. Sie sollte auch die Werte erlöschender Kulturen in Ehren halten und ihnen überleben helfen.z. Die christlichen Medien müssen die »Stimme der Stimmlosen« sein. Da privatisierte Kommunikationsunternehmen sehr oft die Ausgegrenzten außer acht lassen, sollten wir den Mut haben, deren Situationen und Bedürfnisse hervorzuheben.

3. Die christliche Kommunikation sollte sich mit der Erziehung zur Umwelt und Fragen der Ökologie auseinandersetzen.

4. Christliche Kommunikatoren sollten beitragen zum Schutz von kulturellen und religiösen Stätten und sollten sie vor übertriebenem kommerzialisierten Tourismus bewahren.

5. Von Dörfern zu Superstädten

Die Städte werden größer auf Grund der Landflucht. Die meisten »Superstädte« der Welt im 21. Jahrhundert werden in Asien sein.

Herausforderungen

1. Städtische Dienste brauchen eine spezielle Kommunikationsmethode. Die christliche Kommunikation sollte den Menschen helfen, von der Anonymität zur Gemeinschaft heranzuwachsen.

2. Den Menschen im Dorf sollte bewusst gemacht werden, das sie nicht machtlos sind. Kommunikationsprojekte auf Graswurzelebene helfen mit, ein solches Bewusstsein zu entwickeln und sollten zu einer positiven Akzeptanz ländlicher Werte beitragen.

3. »Medien-Zellen« in jeder Pfarrei können helfen, eine Methode zu entwickeln, die in besonderer Weise den örtlichen Bedürfnissen dient.

6. Von arbeitsintensiv zu hochtechnologisch

Fortschritte in Wissenschaft und Technologie haben Asien auch dazu gebracht, einer Revolution in der Hochtechnologie den Weg zu ebnen. Ein »umgekehrter Brain-drain« beginnt stattzufinden.

Herausforderungen

1. Christliche Kommunikation sollte helfen, Ausbildung im Hightech-Bereich zu fördern, um zur Entwicklung unserer Länder beizutragen.

2. Junge Menschen, besonders in den Städten, wachsen mit der neuesten Kommunikationsausrüstung auf. Kirchenführer sollten sich der Bedeutung und der Möglichkeiten moderner Technologien für ihre Gemeinschaften, besonders ihre jungen Mitglieder, bewusst sein und diese Herausforderungen annehmen.12

7. Von Reich zu Arm

Trotz scheinbarer Blüte und Entwicklung kann eine wachsende Unausgewogenheit in mehreren asiatischen Ländern und ein Abstand zwischen den Reichen und den Armen nicht bestritten werden.

Herausforderungen

1. Kirchliche Kommunikatoren sollten helfen, den Armen ihre Situation bewusst zu machen, und Programme fördern, die für ihre Entwicklung geplant wurden. 13

2. Sie sollten die Reichen herausfordern und den »Multis« ihre Verantwortung gegenüber der menschlichen Familie bewusst machen, damit die Ressourcen der Welt unter allen geteilt werden.

3. Kirchliche Kommunikatoren sollten helfen, die Globalisierung sowohl positiv als auch negativ zu sehen. Die Globalisierung sollte Menschen und Nationen in ihrer Würde keinen Schaden zufügen, sondern zu ihrer Entwicklung beitragen...

9. Das Aufstreben von Frauen

Immer mehr Frauen haben wichtige Positionen inne, die traditionell Männern vorbehalten waren. Die Ausbildung von Frauen auf verschiedenen Ebenen trug zu solch einer Entwicklung bei.

Herausforderungen

1. Die Situation der Frauen, besonders wenn sie durch Kindestötung, Mitgiftmorde, Sex-Handel etc. entwürdigt werden, sollte wirksam durch christliche Kommunikatoren angesprochen werden.

2. In kirchlichen Medienzentren sollten die Frauen als Leiter, Lehrer gefördert werden und nicht nur als Sekretärinnen oder Hilfskräfte arbeiten.

3. Christliche Kommunikatoren sollten Programme erstellen, mit denen der Dialog zwischen traditionellen und neu entstehenden Frauengruppen erleichtert werden kann.

10. Vom Glauben zum Fundamentalismus

Das Aufkommen des Fundamentalismus und Säkularismus hat Unsicherheit und Konfrontationen unter verschiedenen Gruppen von Nationen und Gemeinschaften entstehen lassen.

Herausforderungen

1. Die Kirche und ihre Führer sollten alles vermeiden, was die Menschen zum Fanatismus treibt. Christliche Kommunikation muss Kooperation sowie Einheit fördern und die in den Gemeinschaften und Gesellschaften entstehenden Extreme ausgleichen.is

2. Die christliche Kommunikation sollte Ähnlichkeiten und Werte groß herausstellen, die allen asiatischen Religionen gemeinsam sind, und den Menschen helfen, einander zu respektieren, besonders in ihren religiösen Überzeugungen.17

1 Vgl. John Naisbitt, Megatrends Asia, New York 1997; Asiaweek, Special Edition, Vol. 25, No. 23, 20.-27.8.1999

2 Vgl. BISCOM I (1997); BISCOM L 1 (1999); Bishops' Meet 98, 4; die FABC-OSC-Dokumente siehe FABC Paper No. 85, August 1999; Revised Edition, Oktober 1999.

3 Vgl. Ecclesia in Asia, Nrn. 77, 39.

4 Vgl. ebenda, Ni 29.

5 Vgl. Bishops' Meet 96; Bishops' Meet 97, 5 d.

6 Vgl. Päpstlicher Rat für die Sozialen Kommunikationsmittel, Ethik in der Werbung, Rom 1997.

7 Vgl. Bishops' Meet 97, 3.

8 Vgl. Ecclesia in Asia, Nr. 22.

9 Vgl. Bishops' Meet 98, 1.

10 Vgl. FABC-Konsultation über Evangelisierung und Kommunikation, 1999, Orientierungen und Empfehlungen I, z.

11 Vgl. Bishops' Meet 97, 1.

12 Vgl. Redemptoris Missio, Nr. 37 c.

13 Vgl. Paulo Freire: »conscientization«.

14 Vgl. Ecclesia in Asia, Nrn. 7, 39.

15 Vgl. Eishops' Meet 97, 4.

16 Vgl. ebenda 97.

17 Vgl. ebenda 97 und 98.

Quelle: UCA NEWS, Bangkok, Dispatch Nr. 1057/A, 6.12.1999. Übersetzung aus dem Englischen. WELTKIRCHE 6/2000

3.3.4.2 Stärkung der Teilnahme der Kirche beim Aufbau einer Kultur der Gerechtigkeit und des Friedens

3.3.4.2.0 Indonesien ein Land in Auseinandersetzungen

Das Land besteht aus mehr als 13 600 Inseln. Das Land hat 217 Millionen Einwohner in unterschiedlichsten Ethnien. Die Hauptstadt Djkarta hat über 8 Millionen Einwohner. Mehr als 85 Prozent der Bevölkerung gehören verschiedenen Richtungen des Islam an. Zu den anderen religiösen Gruppierungen zählen über 17 Millionen Christen, größtenteils Protestanten, und über 1,5 Millionen Buddhisten, meist chinesischer Abstammung. Der Hinduismus, der einst großen Einfluss hatte, beschränkt sich heute in erster Linie auf Bali. Die Katholische Kirche macht mit etwa über 5 Millionen Mitgliedern 2,9% der Bevölkerung aus. Die Katholische Kirche in Osttimor mit dem Nobelpreisträger Bischof Beli und etwa 500.000 Katholiken ist exempt (direkt Rom unterstellt).

Überfüllte Wohnungen, fehlende sanitäre Einrichtungen und verunreinigtes Wasser sind die Ursachen für die gravierenden Probleme im indonesischen Gesundheitswesen. Korruption, Drogensucht und Prostitution sind große Probleme vorzugehen. Hinzu kommt die Ausbeutung der Wälder, die westliche Industrie mit schlechter Bezahlung, eine Doppelherrschaft im Land Regierung und Militär und die Probleme mit Bürgerkrieg und ihren Folgen in widerrechtlich besetzten Osttimor, um nur einiges zu nennen. Die Lebenserwartung liegt für Männer bei 59 Jahren und für Frauen bei 62 Jahren; die Kindersterblichkeit liegt bei 83 Kindern je 1000 Lebendgeburten.

3.3.4.2.1 Erklärung der 3. Nationalen Konferenz der Kommission Justitia et Pax der Indonesischen Bischofskonferenz 19. Februar 2000

Einleitung

»Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung: Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden. Aber das alles kommt von Gott, der uns durch Christus mit sich versöhnt hat und uns den Dienst der Versöhnung aufgetragen hat« (2 Kor 5, 17-18).

Drei Jahre sind vergangen seit der Zweiten Nationalen Konferenz 1996 in Yogyakarta, bei der wir die Situation von Gerechtigkeit und Frieden in unserer Nation betrachtet haben. All diese Jahre hindurch beobachteten wir zunehmende Probleme im Hinblick auf Ungerechtigkeit und Menschenrechtsverletzungen im wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Bereich des gesellschaftlichen Lebens. Diese Probleme zeigen sich im verschärften und gewaltsamen Grad der Vorfälle, die zahllose Menschenleben und ungeheuren Verlust an Eigentum forderten.

Gleichzeitig mit der Spirale der Probleme und ihren vermehrten Symptomen sind sich die Menschen der Probleme von Gerechtigkeit und Frieden stärker bewusst geworden und machen sich zunehmend Sorgen.

Dieses Bewusstsein erlebt man auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Bereichen des kirchlichen Lebens, bei Einzelpersonen und Solidaritätsgruppen für Gerechtigkeit, in Ordensgemeinschaften und in den verschiedenen Justitia et PaxKommissionen auf diözesaner und nationaler Ebene. ...

Auf der Grundlage der oben angeführten Studien und Überlegungen erkennt die Konferenz einige Herausforderungen und formuliert einige Strategien und Empfehlungen.

I. Herausforderung, den Kampf für Gerechtigkeit und Frieden fortzusetzen

»Von allen Seiten werden wir in die Enge getrieben und finden doch noch Raum; wir wissen weder ein noch aus und verzweifeln dennoch nicht« (2 Kor 4,8).

Die Kirche erkennt, dass die derzeitigen vielschichtigen Probleme von ungerechten Strukturen im sozialen Leben hervorgerufen werden. Das hat soziale Unruhe verursacht und ließ die Menschen eine leichte Beute für Interessengruppen werden, die diese Unruhe schüren. Ein Beispiel ist die Verschärfung der Konflikte, die in Aceh, Ambon, Osttimor und Papua zu mehr Gewalt führen.

Die Teilnehmer der 3. Nationalen Konferenz erkennen, dass man im Kampf für Gerechtigkeit und Frieden als Bürger und als Kirche im besonderen immer noch mit fundamentalen Problemen konfrontiert ist. Dazu gehören:

1.1 Moralische Herabsetzung

Moralische Herabsetzung ist in vielen Fällen offensichtlich. Auf politischem Gebiet sind der politische Übergriff auf die Indonesische Demokratische Partei (PDI) durch die Herrschaft der Neuen Ordnung am 27. Juli 1996, Massenmorde in Osttimor und die Konflikte in Ambon allgemein bekannte Beispiele - nur um einige Fälle von Menschenrechtsverletzungen in der politischen Arena zu erwähnen. All das bedeutet Politik ohne Gewissen.

Auf wirtschaftlichem Gebiet haben Konsumismus und Hedonismus die Menschen dazu geführt, sich in Korruption, Verdunkelung, Vetternwirtschaft und Kumpanei hineinziehen zu lassen. Diese haben Berufsethos und Verantwortlichkeit im öffentlichen Sektor zerstört. Die Ausbeutung der Arbeitskraft und einseitige und unmenschliche Entlassungen von Arbeitern sind in Indonesien nichts Fremdes.

Es gibt keine Rechtsstaatlichkeit, sondern es wird nach dem Gesetz regiert, das auf der Seite derer steht, die an der Macht sind. Moral, die der religiösen Überzeugung entspringt und Einfluss auf die Haltung eines Menschen und seine Lebensweise haben sollte, beeinflusst Gesetzesvollstrecker keinesfalls. Heutzutage soll das reformiert werden, obwohl die Ergebnisse an Geld und Macht gebunden zu sein scheinen.

1.2 Globalisierung der Wirtschaft und grundlegende Landgesetze

In Indonesien gibt es ernstzunehmende Probleme im Hinblick auf das Besitzrecht und die Kontrolle von Land und Wald. Unter dem Regime der Neuen Ordnung wird das Land der Ureinwohner, wenn ihnen nicht das Besitzrecht abgesprochen wird, zerstört und ausgebeutet, wozu man sich der Rhetorik von Fortschritt und Gemeinwohl bedient. Versuche, ihre Ressourcen zurückzufordern, bringen gewöhnlich kein positives Ergebnis, da die Landgesetze zum Vorteil der Machthalter gestaltet wurden.

Die Einheimischen werden in die Entwicklung nicht einbezogen und Nutzen haben sie davon überhaupt nicht. Sie werden Fremde auf ihrem eigenen Grund und Boden und werden so schließlich stärker ausgegrenzt und verarmen.

Die Präsenz von riesigen Industrien, die im Besitz multinationaler Gesellschaften sind, wie FREEPORT in Papua und Holz- und Bergwerke in Kalimontan etc., haben zu der extremen Verschlechterung von Leben und Umwelt geführt. Dieses Problem, obwohl von der globalen kapitalistischen Wirtschaft ausgelöst, wird ermöglicht durch das Gesetzessystem hier in Indonesien, das eher die Investoren schützt als seine Bürger.

1.3 Militarismus

Politische Analysten behaupten, dass der indonesische Staat seit 33 Jahren ein doppeltes Regierungssystem hat, gleich einer Münze mit zwei Seiten. Auf der einen Seite ist die zivile Regierung und auf der anderen das Militär, das viel stärker und einflussreicher ist auf Grund der Doppelrolle, deren es sich erfreut - eine Beteiligung sowohl am politischen Bereich als auch am Sicherheitsaspekt beim Aufbau der Nation.

Diese Doppelfunktion hat die Demokratie erstickt, was zu einer zentralistischen, autoritären und repressiven Regierungsform führte. Sie verursachte gleichermaßen Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen in Form von Gewalt, Entführungen, Morden, Vergewaltigungen, Raubüberfällen, Plünderungen, Brandstiftungen und Zerstörungen der Gebetsstätten wie in Sambar, Aceh, Ambon, Papua, Osttimor und Kupang.

Ein großes Problem, dem man sich zuwenden sollte, ist die Notlage der Vertriebenen und der Flüchtlinge. Sie verloren ihre Existenz und ihren Besitz; ihre Würde und ihre Rechte werden mit Füßen getreten.

Besondere Aufmerksamkeit sollte man jenen schenken, die gewaltsam von Osttimor an die Westgrenze evakuiert wurden. Ihre Sicherheitslage ist überaus beunruhigend, da es dort bewaffnete Gruppen gibt, die die Flüchtlinge nicht nur unaufhörlich terrorisieren und einschüchtern, sondern sie zugleich auch entführen und umbringen. Zur Zeit hat die Zentralregierung anscheinend keine Mittel, den Verbrechern Einhalt zu gebieten.

1.4 Fehlender Zugang zu richtiger Information

Man spürt stark, dass die zentralistische Regierung Indonesiens ihren Einfluss auch auf

Nicht selten wird die Information von der Regierung monopolisiert und manipuliert und nicht selten sind alle anderen Regierungsteilen die einzigen, die Zugang zur Wahrheit haben. Die Staatsbürgerwerden mit irreführenden Informationen vollgestopft und man bringt sie durch verzerrte Tatsachen dazu, die Dinge so zu sehen, wie die Politiker das wünschen. Die Menschen sind gleichgültig geworden, weil es schwierig ist für sie, sich ein richtiges Urteil zu bilden, wie im Fall von G30S und von Marsinah (eine ermordete Arbeiterführerin), von Massakern in Osttimor und im Fall der Militäreinheiten, die aus Osttimor abgezogen und in Flores Island stationiert wurden etc.

In diesem Zeitalter der Offenheit, in derjeder Zugang zu allen Arten von Information haben kann, sind die Rechte und der Zugriff zur Wahrheit all dessen, was das ganze Leben der Person einschließt, nicht mehr das Monopol der Mächtigen und ihrer Kumpanen. Die Staatsbürger sind kritisch geworden und lassen sich nicht so leicht täuschen. Wenn wir uns auch darüber klar sein sollten, dass die Entwicklung der Informationstechnologie und der elektronischen Medien nicht nur Positives bringt, kann sie auch ein Werkzeug sein, um ein gewisses politisches Interesse aufrecht zu halten.

1.5 Geschlechtsbedingte Ungleichheit

Die auf dem Geschlecht basierende Ungleichheit der Arbeitsaufteilung (öffentliche Angelegenheiten für Männer und häusliche Dinge für Frauen) ist immer noch weit verbreitet, wird es auch noch lange in der Zukunft sein. Deshalb ist die Rolle der Frauen in der Öffentlichkeit und im Geschäftsleben immer noch eingeschränkt.

Obwohl die Beteiligung der Frauen im Arbeitsleben zunimmt, ist damit keine Gleichheit bei der Entlohnung verbunden. Es ist ein gängiger Sachverhalt, dass der Lohn für Männer höher ist als der für Frauen. Die patriarchalische Kultur in der Gesellschaft scheint die Wurzel des Problems zu sein.

II. »Da ich also von niemand abhängig bin, habe ich mich für alle zum Sklaven gemacht, um möglichst viele zu gewinnen« (1 Kor 9,19).

Die Kirche begegnet diesen Herausforderungen hoffnungsvoll und möchte ihre Verpflichtung im Licht der Worte Gottes und der katholischen Soziallehre erneuern. Die Bibel und die Soziallehre sind die soliden Grundlagen, aus denen der Kampf für Gerechtigkeit und Frieden seine Energie schöpfen kann. Der Heilige Geist hat die Konferenz zu folgender Strategie geführt:

2.1 Zielsetzungen

2.1.1 Die Katholiken sollen selbstsicher und kompetenter bei der Arbeit und im Kampf für Gerechtigkeit werden, auch in schwierigen Situationen.

2.1.2 Mehr Diözesen sollen sich vom Ruf nach Gerechtigkeit betreffen lassen und ähnliche Insitutionen wie etwa Kommissionen als Dienstzentren bilden.

Interne und externe kirchliche Netzwerke sollen effektiver werden und eine größere Reichweite bekommen...

Die Diözesen sollen vor allem Maßnahmen ergreifen, die die Katholiken befähigen, ihre Stimme in diesen Auseinandersetzungen besser einzubringen. Es soll ein Apostolat der Gerechtigkeit und des Friedens geschaffen werden.

III. Vereinbarung und Empfehlungen

»Zur Zeit der Gnade erhöre ich dich, am Tag der Rettung helfe ich dir« (2 Kor 6,2)

3.1 Da die Situation der Ungerechtigkeit kein Ende nimmt, schlägt die dritte Nationale Konferenz, geleitet vom Sekretariat, den Bischöfen vor, ein Apostolat für Gerechtigkeit und Frieden zu schaffen.

3.2 Um den Status des Sekretariats zu einer Justitia et Pax-Kommission aufzuwerten hatte die Bischofskonferenz

3.3 eine vollständigere Struktur geschaffen, indem sie Vertreter jeder Region aussuchte und einige Stammbeauftragte auswählte.

3.4 Das Sekretariat sollte den Diözesen Besuche zu Animation und Konsultation abstatten, vor allem den Diözesen, die keine speziellen Stellen für Probleme von Gerechtigkeit und Frieden haben.

3.5 Eine engere und effektivere Zusammenarbeit zwischen dem Sekretariat und den Diözesen bei der Auseinandersetzung mit den aktuellen Problemen der Flüchtlinge ist nötig...

IV Schluss

Die Konferenz ging zu Ende mit der Identifizierung der Probleme, der Abfassung einer Strategie und verschiedenen Empfehlungen wie oben angegeben. Man hofft, dass die Konferenz selbst und ihre Ergebnisse außerdem ein qualifizierteres Gespräch und Vorgehen auf dem Gebiet in Schwung bringen kann.

Damit möchte diese Konferenz selbst in einem langen Prozess der Wandlung des Aufbaus einer Kultur der Gerechtigkeit und des Friedens einen Platz finden. Unser aufrichtiger Dank geht an alle Experten und an jeden, der zum Gelingen der Konferenz beigetragen hat.

Vor allem danken wir Gott, dem allgerechten, für seinen Segen und für den Geist der Zusammengehörigkeit, der von der ganzen Konferenz ausging.

Prigen - Diözese Malang

19. Februar 2000

Unterzeichnet:

Die Teilnehmer der Dritten Nationalen Konferenz
Sekretariat für Gerechtigkeit und Frieden
Indonesische Bischofskonferenz

Quelle: Kopie des Originals, WELTKIRCHE 5/2000

3.4 Ein weltweiter Prozess

Die Chronologie

1934 Dietrich Bonhoeffer fordert bei einer oekumenischen Konferenz in Fanö ein „Konzil des Friedens"

1985 Der Deutsche Evangelische Kirchentag in Düsseldorf ruft zu einem "Konzil des Friedens" auf.
Damit beginnt der Kornziliare Prozess. Viele Menschen wenden sich an die Kirchenleitungen, um sich dieser Forderung anzuschließen. Nach den Gesprächen mit der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirche wird der Begriff "Konzil" durch Weltversammlung ersetzt. Dem inhaltlichen Schwerpunkt "Frieden" werden die Bereiche "Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung" an die Seite gestellt, da diese drei Themen in ihrer Verknüpfung als die Überlebensfragen unserer Zeit angesehen werden.

1988 Foren in Dresden, Königstein, Magdeburg und Stuttgart

1989 Erste Europäische Oekumenische Versammlung in Basel

1990 Weltversammlung in Seoul/Südkorea

Die Beschlüsse dieser Versammlungen und Foren fanden in verschiedensten Arbeitsfeldern der Kirchen ihre Aufnahme. Ihre langfristig Umsetzung ist ein andauernder Prozess.

1996 Deutsche Ökumenische Versammlung in Erfurt

1997 Zweite Europäische Ökumenische Versammlung in Graz

In Vancouver war die Frage eines gesamt christlichen Friedenskonzils diskutiert worden. Kirchenrechtliche und andere Probleme führten jedoch dazu, dass in Vancouver auf den Begriff "Konzil" verzichtet wurde. Stattdessen kam es zur Einladung an die Mitgliedskirchen des Ökumenischen Rates der Kirchen, in einem "konziliaren Prozeß" gegenseitiger Verpflichtung (Bund) auf Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung" zusammenzukommen. Rom nahm zunächst Abstand von einer offiziellen "Mitgliedschaft" zur Weltkonvokation, erklärte sich jedoch bereit, an den theologischen Konvergenzpapieren mitzuarbeiten. Auf regionaler Ebene beschloss der Rat der römisch-katholischen Bischofskonferenzen in Europa (CCEE), gleichberechtigt mit der Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) zu der kontinentalen Konvokation "Frieden in Gerechtigkeit" 1989 in Basel einzuladen. Das gleiche galt für die Bundesrepublik Deutschland. Das Nationale Forum 1988 in Königstein und Stuttgart wurde durch die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) getragen, in der die römisch-katholische Kirche Vollmitglied ist. Auch nach Graz luden KEK und CCEE 1997 gemeinsam ein.

Der konziliare Prozess verbindet in Überlebensfragen die globale und die lokale Perspektive in beispielhafter Weise mit gesellschaftlichen, ekklesialen und individuellen Lebensstilantworten". An diesem Prozeß beteiligten sich seit über einem Jahrzehnt alle christlichen Konfessionen und Traditionen in zusammenhängender Weise in allen Teilen der Welt. Dies ist bisher ein einmaliges Ereignis. Auch die Kirchen der DDR konnten sich eigens vorbereiten und an dem Prozess teilnehmen. Zwei Schlüsselsätze sind:

"Wir bekennen, dass Gott der Schöpfer und Gott der Befreier gleichzeitig der Gott der Gerechtigkeit ist. Wir werden vom gnädigen Gott in Jesus Christus gerechtfertigt und aufgerufen, für seine Gerechtigkeit zu wirken." (Basel 31)

"Wir empfehlen den Kirchen, die Entwicklung eines Lebensstils zu fördern, der an den Kriterien der Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit ausgerichtet ist, und alle Bestrebungen zu unterstützen, die auf eine Wirtschaft abzielen, die den gleichen Maßstäben genügen." (Graz 5.2)

Zu den drei Themen sollen im folgenden Texte aufgeführt werden:

Evangelium des Friedens

28. Aufgrund dieses Glaubens verkündigen wir das Evangelium des Friedens. Im Neuen Testament wird die frohe Botschaft von der Offenbarung Gottes an die Menschheit und ihre Erlösung durch Jesus Christus der «Friede mit Gott» genannt (Eph. 6,15). Friede mit Gott ist die Quelle wahren und echten Friedens unter den Menschen. Jesus Christus ist das Fundament für die Wiederherstellung der Gemeinschaft unter den Menschen. Was er den Jüngern sagte, gilt auch uns: "Frieden hinterlasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch; nicht einen Frieden, wie die Welt ihn gibt, gebe ich euch" (Joh.14,27).

29. Im Alten Testament steht das Verständnis von Frieden (Schalom) zentral. Es geht aber weit über unser heutiges Verständnis von Frieden hinaus. Harmonie und Ganzheit, Gesundheit und die Entfaltung der Persönlichkeit sind ebenso gemeint wie alle Bereiche des Lebens - des einzelnen, der Familie und der gesellschaftlichen Beziehungen in einem Land sowie zwischen den Ländern. Schalom ist mehr als die begrenzte politische Sicherheit, die heute häufig mit dem Begriff Frieden gleichgesetzt wird. Zur göttlichen Realität des Schalom gehören Gottes Gaben der Gerechtigkeit, des Friedens und der Bewahrung der Schöpfung in ihrem gegenseitigen Bedingt sein. Für den Propheten Jesaja bedeutet echter Friede auch Gerechtigkeit und Recht (Jes. 9, 7); und der zukünftige Friedenszustand der Menschen wird begleitet werden vom Frohlocken und Blühen des dürren Landes und der Wüste (vgl. Jes. 35,1-2). So verstanden beschreibt der Schalom-Begriff wie kein anderer die messianischen Verheissungen.

30. Diese messianischen Hoffnungen wurden durch unseren Heiland und Erlöser Jesus Christus erfüllt, der den neuen und ewigen Bund mit der Menschheit geschlossen hat. Er ist unser Friede. Der Bundesschluss ist Initiative Gottes, und das setzt zwei Schritte voraus: Gott lädt die Menschen zur Gemeinschaft mit ihm selbst und miteinander ein. In seiner Barmherzigkeit lässt er uns seine Partner und Mitarbeiter sein.

31. Der Gott der Gerechtigkeit: Wir glauben, dass Gott der Schöpfer und Gott der Befreier gleichzeitig der Gott der Gerechtigkeit ist. Wir werden von dem gnädigen Gott in Jesus Christus gerechtfertigt und aufgerufen, für seine Gerechtigkeit zu wirken. Im Alten Testament wird immer wieder die Forderung nach Gerechtigkeit erhoben. Ihr herausragendes Kennzeichen ist dort Sorge und Fürsorge für die Armen und die Fremdlinge, Verteidigung und Förderung ihrer Menschenrechte und das Miteinander teilen als Grundsatz und praktisches Handeln. Die prophetische Botschaft der Gerechtigkeit ist der Auftrag, alle ungerechten Strukturen und Verhaltensformen von Grund auf zu verändern. Wir müssen auch bedenken, dass in der Tradition des alttestamentlichen Glaubens Jesus selbst seine messianische Berufung als Verpflichtung zur Befreiung aller Armen, Leidenden und Unterdrückten verstanden und gelebt hat. "Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe; damit ich Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht, damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe" (Lk. 4,18-19 nach Jes. 61,1-2). Diese Befreiung bricht bereits hier in der Geschichte an und findet in der Auferstehung ihre Vollendung (1. Kor 15,42-57). Die prophetische Botschaft von der Gerechtigkeit wird im neuen Testament aufgegriffen und in den bei den Seligpreisungen, die auf Gerechtigkeit bezogen sind (Mt. 5, 6 und 5.1(11 ,und in der Rede von der besseren Gerechtigkeit (Mt. 5, 20) in der Bergpredigt weitergeführt.

Der Gott des Friedens und der Versöhnung: Versöhnung mit Gott gehört wesentlich zum Evangelium des Friedens (Röm. 5,1). Die Kirche ist berufen, Zeugnis von Gottes Versöhnung zu geben. Weil Christus uns Versöhnung gebracht hat, sollen wir Botschafter der Versöhnung in der Welt sein. "Denn er ist unser Friede. Er vereinigte die beiden Teile -Juden und Heiden - und riss durch sein Sterben die trennende Wand der Feindschaft nieder" (Eph. 2,14). Die gnädige Liebe Gottes, auf Grund welcher er sündigen Menschen vergibt, ist die Grundlage unserer Liebe zu Freund und Feind. Nach dem Evangelium schliesst das Streben nach Frieden Kampf, Leiden und aktiven Widerstand ein. Wirklichen Frieden gibt es nicht ohne Gerechtigkeit. Frieden und Gerechtigkeit müssen in ihrem Verhältnis zueinander verstanden und beurteilt werden. Wenn uns die Propheten so eindringlich zur Gerechtigkeit mahnen, dann wollen sie uns davor warnen, Ungerechtigkeit zu tolerieren oder Kompromisse mit ihr einzugehen, passiv und feige zu werden, uns mitschuldig zu machen oder unseren eigenen Frieden auf Kosten anderer erhalten zu wollen, besonders der Schwachen, die keine Macht haben und kein Gehör finden, um ihre Würde und Rechte zu verteidigen. Als Christen glauben wir, dass wahrer Friede gewährt wird, wenn wir den Weg mit Christus gehen, auch wenn wir oft davor zurückscheuen, ihm bis ans Ende zu folgen. Seine Absage an Gewalt fliesst aus der Liebe, die sogar den Feind sucht, um ihn zu verwandeln und sowohl Feindschaft als auch Gewalt zu überwinden. Diese Liebe ist bereit, in aktiver Weise zu leiden. Sie entlarvt den ungerechten Charakter des Gewaltaktes, zieht jene zur Rechenschaft, die Gewalt anwenden, und zieht den Feind in eine Beziehung des Friedens hinein (Mt. 5, 38-48; Joh.18, 23). Jesus stellt den Weg der Gewaltlosigkeit unter die Verheißung einer friedlichen Erde (Mt. 5,5). Auch wenn wir das Problem der Selbstverteidigung und der Verpflichtung des Staates zum Schutz seiner Bürger erkennen, sind wir immer noch konfrontiert mit Leben, Lehre und Vorbild Jesu Christi.

33. Der Gott der Schöpfung: Wir glauben, dass Gott der Schöpfer alle seine Geschöpfe erhält und liebt. Deswegen haben sie alle ein fundamentales Recht auf Leben. Gott der Schöpfer hat dem Menschen eine besondere Stellung in der Schöpfung zugedacht. "Gott, der Herr, nahm ... den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte" (Gen. 2,15 und 1, 28). In Gottes Welt sollen wir Haushalter, nicht Eigentümer sein. Gott allein bleibt -im vollsten Sinne des Wortes Eigentümer der ganzen Schöpfung. Im Psalm heißt es: "Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und seine Bewohner. Denn er hat ihn auf Meere gegründet, ihn über Strömen befestigt" (Ps. 24,1-2). Wenn wir die besondere Stellung des Menschen unter allen Geschöpfen richtig verstehen wollen, dürfen wir nicht vergessen, dass die ganze Schöpfung zur Ehre Gottes da ist. Hierin liegt auch die grundsätzliche Bedeutung des Sabbats (Gen. 2,3). Nicht der Mensch, sondern Gott ist Anfang, Mitte und Höhepunkt der ganzen Schöpfung und aller Geschichte: "Ich bin das Alpha und das Omega, der ist und der war und der kommt, der Herrscher über die ganze Schöpfung" (Off. 1,8).

34. Damit muss die in den letzten Jahrhunderten vorherrschende Ethik neu bedacht werden, die es im Gegensatz zur wahren Bedeutung des Wortes Gottes - der Menschheit gestattete, sich die Schöpfung für ihre eigenen Zwecke «untertan» zu machen. Stattdessen sollten die Menschen Haushalter im Dienste Gottes und der Schöpfung sein. Deshalb sind wir im Gehorsam gegenüber Gott zur Erhaltung und Förderung der Schöpfung zum Wohle zukünftiger Generationen verpflichtet. Als wahrhaftiges Bild Gottes und Herr der Schöpfung zeigt Christus uns den Weg zur Erfüllung unseres Auftrags im Gehorsam gegenüber Gottes Schöpfungsplan.

3.5 Zusammenfassung

Die Textzusammenstellung macht an wenigen Beispielen klar, welche Bedeutung die Soziallehre inzwischen in der Weltkirche gewonnen hat. Die Kirchen mischen sich ein in die Probleme ihrer Länder, das ist gerade in Ländern der Dritten Welt nicht ungefährlich. Aber sie nehmen ihren Dienst wahr. Dabei sind die Themenstellungen natürlich je nach Situation unterschiedlich. Gewalt gegen Frauen in Deutschland, Armut in den USA, Krieg in Afrika, Beteiligung an einer Kultur der Gerechtigkeit in Asien, Indonesien ein Land in Auseinadersetzung, um nur einige zu nennen. Die Kirche seit politischer geworden.

 

3.6 Fragen zu Kapitel 3

3.6.1 Fragen zu 3.1 Äußerungen der Kirche in Deutschland?

1. Aus welchen Gründen verbietet sich die Keimbahntherapie?

 

 

 

 

 

 

2. Was versteht die EKD darunter dass „die Kirche ein sicherer Ort" sein muss?

 

 

 

 

 

 

3. Was ist das Besondere an der Herausgeberschaft des Wortes ".… und der Fremdling, der in deinen Toren ist"

 

 

 

 

 

 

4. Welches ist seine Thematik? Geben Sie kurze Hinweise auf die wichtigsten Aussagen?

 

 

 

 

 

 

5. Wie schätzen Sie die Bedeutung gemeinsamer Aussagen auf ihre Wirkung hin ein?

 

 

3.6.2 Fragen zu 3.2 (3.2.1 USA und 3.2.1 Südamerika)

1. Was ist das Hauptthema des Briefes der USA-Bischöfe und wie stellt sich dies dar?

 

 

 

 

 

 

2. Was verstehen die Bischöfe unter „Anwälte eines erneuerten Gesellschaftsvertrags"?

 

 

 

 

 

3. Wie bewerten die Bischöfe den Umgang mit den indigenen und Menschen aus Schwarzafrika und den Anteil der Kirche?

 

 

 

 

 

 

4. Was ist die erste Verpflichtung aller und jedes Einzelnen gegenüber der Gesamtgesellschaft?

 

 

 

 

 

 

5. Haben Ihrer Meinung nach die Bischöfe in den beiden Ländern die richtigen Worte gefunden, begründen Sie Ihre Meinung.

 

3.6.2 Fragen zu 3.2 (3.2.3 Afrika und 3.2.4 Asien)

1. Was bezeichnen die Bischöfe Zentralafrikas als das größte Drama ihrer Ländern und warum?

 

 

 

 

 

 

2. Was ist ihrer Meinung nach notwendig für einen dauerhaften Frieden?

 

 

 

 

 

 

3. Worauf begründet vor allem die soziale Krise von Sambia?

 

 

 

 

 

4. Welche Forderungen stellen die Bischöfe von Sambia an den Präsidenten?

 

 

 

 

 

 

5. Was könnten wir tun?

 

 

4. Christen melden sich zu Wort

4.0 Hinführung und Fragen zum Überlegen

4.0.1 Hinführung

Soziallehre besteht nicht nur aus kirchenamtlichen Äußerungen. Sie besteht aus zusätzlich aus Wissenschaftlern, aus Personen, die sich dafür einsetzen und Verbände, die sie in ihrem Programm haben. Die alles kann nicht umfassend dargestellt werden, sondern es werden exemplarische (beispielhafte) Hinweise gegeben. Sie können vermitteln, was Soziallehre über kirchenamtliche Äußerungen bis in die Alltagswirklichkeit hinein bedeutet. Eine Mutter Teresa vermittelte z.B. mehr Verständnis über katholische Soziallehre praktisch als mancher Bischof oder Professor. Soziallehre hat also immer etwas mit denkenden und handelnden Personen zu tun, die sich von der Botschaft des Evangeliums aufgerufen fühlen, an ihrem Ort etwas für die Veränderung der Welt im Sinne der Botschaft von angekommenen Reich Gottes zu tun.

Verschiedene Bereiche von Verbänden über Gewerkschaften und Parteien bis hin zu Orden werden vorgestellt. Manches nur bis zum Ende der Weimarer Zeit (1993), weil der Ansatz nach 1945 dann ein anderer war, anderes wie die Sozialverbände bis auf heute.

4.0.2 Frage zum Überlegen

 

Wo werden heute Gläubige aktiv für eine gerechtere Welt?

 

 

 

 

4.1 Katholischen Verbände

4.1.0 Hinführung

Seit dem 19. Jahrhundert spielten die Katholischen Verbände eine große Rolle in der Entwicklung und praktischen Umsetzung, vor allem letztere, der Katholischen Soziallehre. Da müssten viele Verbände genannt werden, von der Jugendarbeit, über die Frauenverbände bis hin zu den Zusammenschlüssen katholischer Unternehmer (BKU) oder Kaufleute (KKV). Einige seien besonders hier herausgegriffen. Um den Zusammenhang zu verstehen wird noch einmal auf das 1. Kapitel "Die Industrialisierung und erste Antworten" aber auch auf das 2. Kapitel "Die Lehre der Päpste" vor allem die erste Enzyklika "Rerum novarum" zurückverwiesen.

4.1.1 Die Entstehung der Kolpingfamilien

4.1.1.1 Die Person Adolf Kolping

Adolph Kolping wurde 8.12.1813 in Kerpen bei Köln geboren. ). Als Sohn einer kinderreichen Tagelöhnerfamilie lernte er Schuhmacher. Er ging wie üblich auf Wanderschaft und sah so umfassende Not der Handwerksgesellen. Das bewog ihn vor allem Priester zu werden. kennen. Er besuchte als 24-jähriger das Marzellengymnasium in Köln und studierte ab 1841 Theologie in München, Bonn u. Köln. 1845 wurde er zum Priester geweiht.. Er wurde Kaplan in Elberfeld lernte dort den vom Lehrer Johannes Gregor Breuer gegründeten katholischen Gesellenverein kennen, dessen Präses er wurde. Als Domvikar an den Dom zu Köln berufen gründete er am 1846 in Köln einen Gesellenverein. Durch seine Arbeit mit päpstlichem Segen verbreiteten sich die Gesellenvereine in Europa u. in den USA. 1862 wurde er Päpstlicher . Geheimkämmerer u. Rektor der Minoritenkirche. Er war weniger Theoretiker als praktischer Volkserzieher. Vor allem die Familien und die Jugend hatten es ihm angetan. Seine Vereine bekamen ja auch den Namen "Kolpingfamilien", sie waren so etwa wie Ersatzfamilien für die wandernden Gesellen. Der religiösen Komponente fügte er eine soziale hinzu. Politisch wirkte er eher indirekt, wohl weil er auch nicht unter entsprechende Verbote des Staates im 19. Jahrhundert fallen wollte, was dann auch nicht geschah. Kolping wollte eine "Akademie im Volkston" gründen, die auf alle Lebensverhältnisse einzugehen weiß. Er .wollte seine Handwerksgesellen zu tüchtigen Bürgern erziehen "Ein tüchtiger Bürger muß auch ein tüchtiger Geschäftsmann sein." Kolping starb 1865 und wurde in der Minoritenkriche in Köln begraben. Seine Seligsprechung erfolgte 1991.

4.1.1.2 Das Kolpingwerk

1846 in Elberfeld wurde durch Johann Gregor Breuer der erste katholische Gesellenverein gegründete, den Kolping beginnend mit seiner Gründung in Köln 1849 weltweit ausbreitete. Die Verbandsgründung erfolgt 1850. Die Vereine sollten nach dem Willen Kolpings "Lebensschulen" für ihre Mitglieder für alle wichtigen Lebensbereiche sein. Die Kolpingfamilie heute versteht sich als katholische, familienhafte und lebensbegleitende Bildungs- und Aktionsgemeinschaft.

Vor allem nach 1945 entwickelte sich das Kolpingwerk zum weltweiten Sozialverband in mehr als 50 Ländern der Erde vertreten. Es etwa weltweit 380000 Mitgl. in mehr als 4200 örtlichen Gemeinschaften. In Deutschland gehören 270.000 (1996) Mitglieder dazu in 2800 Kolpingfamilien. Die Kolpingfamilien sind in der Regel eng mit den jeweiligen Pfarreien verbunden. Sie sind offen für Frauen u. Männer aller Altersstufen, Berufe u. Lebenssituationen.

Die Mitglieder der Kolpingfamilie sind aufgerufen, sich in Beruf, Staat und Gesellschaft zu bewähren. Sie sollen, gestärkt durch ihre Gruppen, zur Humanisierung der Gesellschaft beitragen. Dazu dienen auch vor allem Bildungsmaßnahmen und Aktionen. Kolpingfamilien haben in der Regel ein ausgeprägtes Gemeinschaftsleben und ihre Mitglieder sind oft in ihren Pfarreien engagiert.

Lit. Michael Hanke: Gemeinschaft auf dem Weg. - Das Kolpingwerk heute (Köln 1993)

4.1.2 Die Entwicklung der Arbeitervereine

4.1.2.1 Ketteler, der Vordenker

Wilhelm Emanuel Freiherr von Ketteler wurde am 25.12.1811 Münster/Westfalen als Kind einer alten westfälischen Adelsfamilie geboren. Er studierte Jura und wurde Referendar in Münster. Nachdem der Kölner Erzbischof Droste zu Vischering von Preußen wegen Auseinandersetzungen über die Kompetenz der Kirche in Ehefragen (Konfession der Kinder in Mischehen) 1837 verhaftetet worden war, verließ er 1838 den Staatsdienst und begann das theologische Studium. 1844 wurde er in Münster zum Priester geweiht und 1846 Pfarrer von Hopsten. 1848 wurde er Abgeordneter in der Nationalversammlung in Frankfurt.

Bekannt wurde er besonders durch seine Reden auf dem Ersten Deutschen Katholikentag in Mainz und seine Adventspredigten zur sozialen Frage dort im Dom zu sozialen Fragen. Danach wurde er Probst von St. Hedwig in Berlin und 1850 zum Bischofs von Mainz.

Er diskutierte bei gesellschaftlichen Fragen mehr als andere Bischöfe mit. Bekannt wurde er vor allem durch seine Stellungnahmen zur sozialen Fragen Er bewegte sich in den ökonomischen Gedankengängen von Lassalle (siehe 1.2.3.1 Die Entwicklung der sozialistischen Parteien) auch Wörter wie "Arbeiterklasse" waren für ihn kein Problem.

Er setzte sich für die Gründung von Produktionsgenossenschaften ein. Zunächst setzte er weniger auf staatliche Sozialpolitik, sondern mehr auf Selbsthilfe das karitative Wirken der Kirche. Er forderte die Solidarisierung der Arbeiter in den Gewerkschaften. Er fordert den gerechten Lohn für die Arbeiter bei seiner berühmten Rede auf der Liebfrauenheide bei Offenbach am 25. Juli 1869 fordert er den gerechten Lohn, den diese ist dazu angetan " der Menschenarbeit und dem Arbeiter (die) Menschenwürde zurückzugeben, die ihnen die Grundsätze der liberalen Volkswirtschaft geraubt haben." Er hält die Organisationssuche der Arbeiter für "berechtigt und heilsam, ja selbst notwendig." Er setzt sich auch für den Streik ein und nennt die Behauptung, dass die Ausstände den Arbeitern geschadet hätten schlicht "unwahr." Für ihn ist es notwendig, das Arbeitszeitverkürzung mit Lohnerhöhung einhergeht. Lohnerhöhung hat aber seine Grenze in der Rentabilität. Feiertage sind zu achten. Zu den Katholiken sagt er: "Ihr seht..., daß ihr auch als Katholiken euch den Bestrebungen und den Bewegungen im Arbeiterstande ohne Verletzung der Grundsätze eurer Religion in großem Umfange anschließen dürft." Hier wurde er später in der Auseinandersetzung mit den antikirchlichen Tendenzen im Sozialismus bedenklicher. Er vertritt wieder mehr naturständische Ideen, es müsse eine Ständorganisation auch der Arbeiter nach Berufstädnen, geben. Die Rolle der Gewerkschaften wird in einem unvollendeten Manuskript nicht zuende gedacht. Sie sollen sich aber auf den wirtschaftlichen Bereich begrenzen. Er machte er sich aber dann immer mehr mit der Notwendigkeit von staatlichen Arbeitsschutzmaßnahmen vertraut.

Er wandte sich einerseits intensiv gegen die staatliche Hoheit über die Kirchen, wie sie in den evangelischen Kirchen üblich war. Ebenso intensiv kämpfte er auf dem Ersten Vatikanischen Konzil (1870) gegen die Definition der päpstlichen Unfehlbarkeit u. des päpstlichen Universalepiskopates, er sah darin eine Minderung der Stellung der Bischöfe. Er gehörte zur Minderheit, die das Konzil vor der Schlussabstimmung verließ, um nicht gegen die Vorlage stimmen zu müssen. Er beugte sich aber letztlich dem Konzil. Auf den Bischofskonferenzen der deutschen Bischöfe, die seit 1867 in Fulda stattfanden war er geistiger Führer dieser Konferenz, dies besonders im Kulturkampf. Er starb am 13.7.1877 Burghausen (Oberbayern);

Die geistige Vorarbeit von Ketteler bereitete den Weg für die Gründung von Arbeitervereinen. Er hatte für die Probleme der Arbeiter im katholischen Raum und drüber hinaus ein Bewusstsein geschaffen. Daher wurde er auch mit Recht "Arbeiterbischof" genannt.

4.1.2.2 Die Vorläufervereine

Die Katholiken suchten einen neuen Standort in Staat und Gesellschaft. Im Revolutionsjahr 1848 entstanden die „Piusvereine für religiöse Freiheit". Regensburg nennt sich den ältesten Verein der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung, 1849 gegründet. Dieser Verein war ein typischer Vorläuferverein wie auch anderenorts zu den eigentlichen Arbeitervereinen. Er wurde vom Piusverein gegründet, der sich auch als Vormund des Vereines verstand. Es war ein Arbeiterunterstützungsverein, der sich erst in den 70er Jahren emanzipieren konnte und entstand fast parallel zu den Kolpingsfamilien. Katholische Knappenverein entstanden vor allem im Ruhrgebiet (Altenessen 1855, Essen 1856)

In Meiderich wurde1857 der Michaelsverein gegründet, der den zugezogenen Arbeitern eine Ort in Kirche und Gesellschaft schaffen wollte, vor allem auch durch Versicherung von Krankheitsfälle, Unfälle und Sterbefälle.

Seit den sechziger Jahren bildeten sich an Rhein u. Ruhr über die Arbeiterschaft hinaufreichende „christlich-soziale" Vereine, die 1870 etwa 200 000 Mitglieder zählten. In Elberfeld fand im März 1870 eine erste Versammlung der christlich-sozialen Vereine statt. Dort wurde auch beschlossen , fünf Herren zu bestimmen, die sich für die Gründung christlicher Arbeitervereine einsetzen sollten. Darunter war auch Dr. jur. Lieber aus Camberg, außerdem Lehrer Breuer, der den ersten Gesellenverein gegründet hatte.

4.1.2.3 Die Gründung der Arbeitervereine

Im Kulturkampf und im Zuge der Sozialistengesetze wurden viele Vereine verboten, so der christliche Arbeiterverein für Essen durch Erlass des Oberbürgermeisters vom 19. Juli 1874. Nach Kulturkampf und dem Sozialistenverbot, die christlich-soziale Bewegung wieder auf in pfarrlich organisierten Arbeitervereinen, christlichen Gewerkvereinen, Kolpingfamilien und dem Volksverein für das "katholische Deutschland".

Für die Gründung von Arbeitervereinen setzte sich der Verein Arbeiterwohl, der überwiegend aus Unternehmern bestand, unter seinem Generalpräses Franz Hitze ein, dieser rief auf dem Katholikentag 1884 zur Gründung von christlichen Arbeitervereinen auf. Die Enzyklika "Rerum novarum" regte dies 1891 auch an. danach entstanden vielerorts Arbeitervereine. 1886 bildete sich im Norden von Köln ein Arbeitervereine. Der Einfluss diese Raumes strahlte über Wanderarbeiter auch in andere Gebiete aus, so kam es 1890 zum ersten Arbeiterverein im Bistum Limburg in Elsoff, übrigens mit einem Laien als Präses, der Pfarrer war Ehrenpräses. Ähnliches geschah an vielen Orten. Auch Ordinariate riefen zur Gründung auf, so 1887 das Ordinariat Speyrer. Motoren dieser Bewegung waren oft Geistliche und vor allem Kapläne. Es kamen Vereine für Frauen und Jugendliche dazu.

Es wurden Diözesanverbände gegründet, so 1898 in Speyer und Köln. Trotzdem kämpften wenige unbelehrbare Bischöfe immer noch gegen diese Vereine, so 1910 der Regensburger Bischof im Reichstag mit Bezug auf Paulus: "Wer Knecht ist soll Knecht bleiben...".

Der Süddeutsche Verband "Vereinigung der katholischen Arbeitervereine Süddeutschlands" konstituierte sich in München 1891. 1897 wurde der "Verband Katholischer Arbeitervereine Nord- und Ostdeutschlands" gebildet, der sich 1903 "Verband Katholischer Arbeitervereine Sitz Berlin" nannte. Er hatte seine Mitglieder um Berlin aber im Gewerkschaftsstreit in ganz Deutschland. 1909 soll er als Höchststand 130 000 Mitglieder gehabt haben, dann verlor er immer mehr Mitglieder und löste sich nach dem 1. Weltkrieg auf. 1910 bildete sich in Ostdeutschland ein zweiter Verband Ostdeutschland in Absetzung zu „Sitz Berlin", der seien Sitz in Breslau und später Neiße (Schlesien) hatte. 1904 schlossen die betroffenen (Erz ) - Bistümer den "Verband Katholischer Arbeiter- und Knappenvereine Westdeutschlands". 1906 wurde der Verband katholischer Arbeiterinnenvereine gegründet.

1887 zählte der die Bewegung in Deutschland 282 Vereine und 52.239 Mitglieder. Dabei waren auch Knappen- und Männervereine mitgezählt so in Frankfurt am Main mit Gründungsjahr 1869. Der Verein in Frankfurt zählte damals 520 Mitglieder.

1890 wurde schon die Gründung eines deutschen Verbandes gehandelt, aber für verfrüht gehalten. Am 26.und 27. Mai 1903 fand in Frankfurt der erste Arbeitervereinskongress aus Süd- Nord- und Westdeutschland statt. Das Eröffnungssamt hielt Prälat Prof. Hitze. Die Sitzung war im katholischen Gesellenhaus in der Bergerstraße. Die Tagung wurde von August Pieper mit "Gott segne die christliche Arbeit" eröffnet. In der Resolution wird als Ziel der sozialen Arbeit in den katholischen Arbeitervereinen "die Eingliederung der Arbeiter als eines gleichberechtigten Standes in die Gesellschaft" formuliert. 1911 auf dem Katholikentag in Mainz gründeten die Verbände Ostdeutschland, Süddeutschland und Westdeutschland eine lose Gesamtorganisation als Kartellverband. „Sitz Berlin" war nicht zu einem Beitritt zu bewegen. 1912 war der erste Kongress wieder in Frankfurt. 1900 hatte die Vereine 170 000 Mitglieder, 1914 waren es mit Elsass-Lothringen (11 420) 513  000 Mitglieder.

Der Erste Weltkrieg mit seinen grausamen Folgen belastete auch die Arbeit der Arbeitervereine. Im Sturm der Revolutionsjahre bewährten sich die katholischen Arbeiter als Beschützer von Ordnung und Freiheit. Schon vorher hatten sie den Kampf gegen das Dreiklassenwahlrecht begonnen und damit ihr politische Abstinenz aufgegeben. Zur religiösen und karitativen kam nun die staatsbürgerliche Erziehung. Mitglieder wirkten in den politischen Gremien mit. Die Kritik der kapitalistischen Wirtschaft wurde deutlicher. Durch Untersuchungen von Götz Briefs und Gustav Gundlach wurde die Rolle des Proletariats auch für katholische Arbeiter deutlicher und Begriffe wie Klasse und Klassenkampf akzeptabel. Siedlungsgesellschaften wurden gefördert. Die Bildungsarbeit z.B. durch die 1920 gegründete „Soziale Volkshochschule im Leohaus" (Sitz der KAB Süddeutschland)Leider gelangen die Versuche nicht, die Arbeiter in die liturgische und moderne kirchliche Entwicklung mit einzubeziehen. Der Klerus entwickelte auch neue Interessen, so kam das Thema der sozialen Gerechtigkeit nicht in die Gottesdienste. Die Inflation ließ die Mitgliederzahlen auf 320 000 sinken.

Auf dem 2. Kongress des Kartellverbandes in Würzburg 1921wurde der Gedanken zu einem eigenständigen katholischen Arbeiterprogramm verwirklicht, darin wurde scharfe Kritik an der Vermögensverteilung und an der Vormachtstellung des Kapitals geübt. „Sitz Berlin" schloss sich dem Kartell an. Der Verband wuchs wieder, die Werkjugend wurde gegründet. 1927 wurde der Kartellverband in einen Reichsverband umgewandelt. Der „Sitz Berlin" machte nicht mit und löste sich bei einem Mitgliederbestand von etwa 10 000 später auf.

Schon früh war man um internationale Kontakte bemüht. Vertreter der Arbeitervereine aus Deutschland, Holland und der Schweiz hielten im Januar 1922 eine Konferenz in Konstanz ab. Das war nach dem 1. Weltkrieg gar nicht leicht. Man traf sich im Anschluss daran zu verschiedene Arbeitskonferenzen. 1928 fand der erste Kongress der Internationale in Köln statt. Die packende Festrede hielt Pfarrer Dr. Carl Sonnenschein. Es war aber leider auch für lange Zeit die letzte internationale Zusammenkunft.

Die Wirtschaftskrise von 1929-1932 legte alle Aufbrüche lahm. Das 3. Reich und der 2. Weltkrieg brachte dann das fast völlige Erliegen der Arbeit, der Westdeutsche Verband, der einmal 534 000 Mitglieder gehabt hatte schmolz auf 5000 zusammen.

4.1.2.3 KAB im Widerstand 1933-45

Die KAB leistete dem Dritten Reich Widerstand. Das betraf die einzelnen Verbände und die Diözesanverbände, so wurde z.B. der Diözesanpräses von Köln in Dachau interniert. Schon im März 1933 wurde die "Westdeutsche Arbeiterzeitung" für die Dauer von drei Wochen verboten. Am 22. Juni 1933 wurden die katholischen und evangelischen Arbeitervereine von Hitler als Staatsfeinde erklärt. Der Abschluss des Reichskonkordates vom 8. Juni 1933 brachte dann aber zeitweise einen gewissen Bestandsschutz. Aber dann wurde untersagt, das Mitglieder von kirchlichen Vereinen zugleich Mitglieder der Arbeitsfront der Nationalsozialisten sein konnten, davon hing aber oft die Arbeitsstelle ab. Die Rechtsberatungsstellen von Kolping und KAB werden 1935 aufgelöst. Vereine in einem ganzen Regierungsbezirk wurden ab 16. September 1935 aufgelöst (Regierungsbezirk Münster). Die WAZ musste sich Ketteler-Wacht nennen, um zu überleben. 1938 wurde auch sei verboten, sie hatte nie einen Artikel über Hitler gebracht.

Trotzdem heilten viele die Treue zur KAB und mussten dafür zahlen. Viel Versuche wurden unternommen, die katholische Identität durchzutragen, das erregte den Zorn der Machthaber. Ganze Diözesanverbände wurden verboten, so Limburg und Mainz. Vom süddeutschen Verband wurden Rektor Alfred Berchthold und Diözeansekrtär Hans Adlhoch verhaftet. Adlhoch kam auf dem Todesmarsch aus dem KZ Dachau um.

Die Leitung der KAB in Westdeutschland hat ihren Widerstand mit dem Leben von drei führenden Mitgliedern bezahlen müssen. Bernhard Letterhaus, der Verbandssekretär Westdeutschlands wurde am 14. November 1944 in Berlin-Plötzensee erhängt, Am 12. Oktober 1944 starb der Verbandspräses Prälat Dr. Otto Müller im Gefängnis Berlin-Tegel. Stellvertretend für den Widerstand vieler seien hier die wichtigsten Lebensdaten von Nikolaus Groß aufgeführt.

"Nun in Kürze einige Daten aus dem Leben von Nikolaus und Elisabeth Groß: Nikolaus Groß wurde am 30. September 1898 und seine Frau Elisabeth Koch am 11. März 1901 in Niederwenigern an der Ruhr, heute zu Hattingen gehörend, geboren. Sie heirateten dort am 24. Mai 1923 und in der Zeit von 1924 bis 1940 wurden ihnen sieben Kinder geboren. Während sie mit Haus und Familie voll ausgelastet war, konnte er sich wie schon vor der Ehe seinem beruflichen Werdegang und seinem Engagement in der KAB widmen. Von 1912 bis 1920 arbeitete er in einem Walzwerk und "unter Tage", ab 1920 bis 1926 im Gewerkverein Christlicher Bergleute unter anderem auch in Schlesien und Sachsen, ab 1926 hauptamtlich in der KAB als Schriftleiter der "Westdeutschen Arbeiterzeitung" (WAZ), beziehungsweise dann "Ketteler Wacht". Am 12. August 1944 wurde er wegen seiner Kontakte zu Widerstandskreisen festgenommen und am 23. Januar 1945 in Berlin-Plötzensee durch Erhängen hingerichtet. Elisabeth Groß starb am 21. Februar 1971 in Köln. Am 25. Oktober 1966 hatte sie von Bundespräsident Heinrich Lübke das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen bekommen. „ Wieviel Angst vor der Wahrheit und Gerechtigkeit haben doch die ‚Mächtigen dieser Welt’, die sich nur auf die Dinge dieser Welt - zum Beispiel Geld, Waffen, Ansehen oder Buchstaben - stützen! Und wieviel Mut und Engagement haben Menschen, die an Gott und seine Liebe und Gerechtigkeit glauben!" (Aus dem Internet www.kab.de verfasst von Verbandspräses Clemens-August Holtermann).

4.1.3.4 Von 1945 – bis heute (2001)

Nach dem verlorenen Krieg, den Kriegstoten, den Opfern der Gewalt, dem Verlust des Vermögens und den Zerstörungen war der Aufbau der KANB ungeheuer schwer. Er begann aber sofort nach 1945. Der ostdeutsche Verband fiel dabei wegen des Verlustes von Gebieten an Polen und der sowjetischen Besatzungszone völlig aus. Mit 25 000 Mitgliedern im Westdeutschen Verbands fing man wieder an. Nicht alle Bischöfe wollten wieder Verbände, die meisten unterstützten die KAB aber wegen ihres mutigen Einsatzes im 3. Reich. In Westdeutschland war es der aus dem KZ zurückgekehrte ehemalige Generalsekretär des Reichsverbandes Hermann-Josef Schmitt der sofort mit dem Wiederaufbau des Verbandes begann. 1947 war der erste Verbandstag in Oberhausen, dort wurde Josef Gockeln, der Joseph Joos nachfolgte. Dieser widmete sich nach seiner Rückkehr aus dem KZ männerseelsorgerlichen Aufgaben. Ende 1947 konnte mit Lizenz der Besatzungsmacht die Ketteler Wacht wieder erscheinen. Sehr viele Mitglieder arbeiten in der Politik mit. Auch der Süddeutsche Verband begann wieder 1947, Rottenburg konnte wegen Widerstands der Diözesankirche erst später beginnen.

Der 1950 gegründete Kartellverband konnte keine größere Einheit zwischen den Regionalverbänden herstellen, erst 1971 kam es zur Gründung eines Bundesverbandes.

Zwischenzeitlich war auf dem Verbandstag Westdeutsuchlands in Wolfsburg 1968 der Namen geändert worden in „Katholische Arbeitnehmer-Bewegung. Damit sollte der Tatsache Rechnung getragen werden, dass fasst ein Drittel der Mitglieder damals keine Arbeiter waren, alle Arbeitnehmergruppen sollten durch den Verband repräsentiert werden. 1971 auf dem Verbandstag in Würzburg wurde dann die Mitgliedschaft von Frauen im Verband geklärt.

In der Aufgabenstellung spielte die Gastarbeiterfrage eine große Rolle.

Anstelle des Werkvolkes trat die 1947 in Essen gegründete CAJ als eigenständiger Verband, der später von der Bischofskonferenz der KAB statt eines eigenen Jugendverbandes zugeordnet wurde. Auf dem Bochumer Katholikentag wurden unter maßgeblicher Mitwirkung von KAB und auch BKU (Bund katholischer Unternehmer) z.B. das Mitbestimmungsrecht gefordert. An anderer Stelle forderte der Katholikentag unter maßgeblicher Mitwirkung der KAB das Ende der Lohndiskriminierung von Frauen. Leider konnte dieser sozialreformerische Impuls angesichts des Wirtschaftwunders nur bedingt durchgesetzt werden.

Das Gelsenkirchener Programm von 1950 fordert den Familienlastenausgleich, die Sicherung des Elternrechts und die Förderung der Erwachsenenbildung. Die Impulse der KAB zu familien- und sozialpolischen Maßnahmen flossen über ihre Mandatsträger in die Politik ein. Das Kindergeld und die Familienlastenausgleichskassen hatten ihre Initiatoren in der KAB. Auch die dynamische Rente wurde von dem KABler, Winkelheide entscheidend mit forciert.

Dagegen war sein Experiment christliche Gewerkschaften wieder zu gründen nicht sehr erfolgreich und trug eher Spannungen in den Verband. Für die Bildungsarbeit, die ja nicht mehr über den Volksverein gefördert wurde, wurden eigene Sozialinstitute gegründet. Schon früh wandte sich die KAB den Problemen der Dritten Welt zu. Bildungs- und Erholungseinrichtungen entstanden an verschiedenen Orten.

Das Zweite Vatikanische Konzil bringt ab 1965 neue Impulse für die Arbeit in der Pastoralkonstitution vor allem für gesellschaftliche und wirtschaftliche Themen und im Verständnis der Kirche als Volk Gottes.

1966 wurde die Weltbewegung christlicher Arbeiter /WBCA) gegründet. 1967 wurde die Intentionale KAB (FIMOC) aufgelöst und die europäische Gruppe der WBCA gegründet.

Immer wieder setzte sich die KAB für die Beteiligung am Produktivkapital ein. Im Grundsatzprogramm von 1972 steht: „Vor allem ist die Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivkapital notwendig."

In den folgenden Jahren tritt immer mehr das Thema der Arbeitslosigkeit in den Vordergrund. Die Zukunft der Arbeit ist auch heute eines der bedeutsamen Themen des Verbandes. Auf dem Verbandstag des Westdeutschen Verbandes 198 in Bottrop wird Wandel von der Arbeits- zur Tätigkeitsgesellschaft beschreiben. Klassische Arbeit nimmt ab, neue Felder von Arbeit müssen erschlossen werden. Es gibt eine Triade der Arbeit in klassischer Erwerbsarbeit, Privatarbeit und gemeinwesenbezogene Arbeit. Alle drei Bereiche müssen zur sozialen Sicherung auf eigene Weise beitragen, das heißt Einkommen, soziale Sicherung und Altersversorgung gewährleisten.

4.1.3.5 Auf dem Weg zum einheitlichen Bundesverband

Zur Zeit (2001) hat der Bundesverband 260.000 Mitglieder in 3300 Vereinen. Er gliedert sich in den Westdeutschen Verband (162.000 Mitglieder), den Süddeutschen Verband (71.000), den Verband Rottenburg-Stuttgart (9100), der ACLI (italienische KAB) und die CAJ (12.000).

Der Bundesverband gibt die Zeitschrift Impulse heraus, die Mitgliederzeitschrift des Verbandes erscheint 10 mal im Jahr.

„Als Mitglied der Weltbewegung christlicher Arbeiter (WBCA) steht die deutsche KAB in Verbindung mit rund 50 Mitgliedsorganisationen auf allen fünf Kontinenten der Erde. Der Bundesverband der KAB ist parteipolitisch unabhängig."

Es gibt in der gespaltenen Gesellschaft neue und aktuelle Herausforderungen für die KAB:

die Überwindung der strukturellen Arbeitslosigkeit;

die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen;

die Verwirklichung der sozialen und politischen

Menschenrechte weltweit;

die Bewältigung der großen, weltweiten

Migrationsbewegungen;

die soziale Gestaltung der europäischen Einigung;

die Verwirklichung der Emanzipation von Frauen

und Männern;

ein neuer Generationenvertrag, der längerer

Ausbildungsdauer, schrumpfender Zeit der

Erwerbsarbeit und höherer Lebenserwartung und

einer neuen Solidarität aller Generationen

Rechnung trägt;

die Herstellung gleicher Lebenschancen und

gleichwertiger Lebensverhältnisse in ganz

Deutschland;

die Gestaltung einer Tätigkeitsgesellschaft, in der

neben Arbeit auch Freizeit, Muße und andere

Kulturbereiche in ein neues Verhältnis zueinander

gebracht werden.

Die KAB erkennt diese Zeichen der Zeit und stellt sich den Herausforderungen mit dem Ziel, die Ordnung der Wirtschaft mehr und mehr der Ordnung der Personen dienstbar (Gaudium et spes) zu machen.(Nach Internet www.kab.de)"

Das Weltnotwerk der KAB will den Ärmsten der Armen helfen, sich selbst zu helfen. Es will keine Almosen verteilen, sondern gibt Hilfe zur Selbsthilfe. Mit Partnerorganisationen, bei deren Aufbau auch mitgeholfen wird, sollen die Projekte verwirklicht werden.

Einem zukünftigen Bundesverband werden sich als besondere Herausforderungen stellen: Die weiter laufende Umbruch der Arbeitswelt, die Globalisierung, die Zukunft der Familie und ihres Beitrages für die Gesellschaft, aber auch die Frage der Mitgliederstruktur, denn wenn die derzeitige Alterstruktur sich weiter nach oben verschiebt, wird ein erheblicher Mitgliederschwund fast unvermeidlich sein. In besonderer Weise setzt er sich jetzt schon ein für den Schutz des Sonntags (2000).

Seit Jahren laufen die Überlegungen aus dem Bundesverband als Dachverband der Regionalverbände einen einheitlichen Bundesverband unter Wegfall der Regionalverbände zu machen. Dies soll nach dem Bundesverbandstag 1999 in Regensburg 2004 geschehen. Die Globalisierung wird konsequente weitere Schritte auf dem Weg zur Internationalisierung des Verbandes erfordern.

4.1.3 Der Volksverein für das katholische Deutschland

4.1.3.1 Die Gründung und Gründungspersönlichkeiten

Zur Entstehung des Volksvereins trugen katholische Fabrikanten, Journalisten, Politiker und Geistliche bei, die 1880 einen Verband "Arbeiterwohl" gründeten. Dabei ging es um die "religiöse, sittliche und wirtschaftliche Unterstützung des Arbeiterstandes". Es ging um eine soziale Volksbewegung der deutschen Katholiken, der sich für die Erfüllung der berechtigten Forderungen der Arbeiter einsetzte (34). Vorsitzender wurde der Fabrikant Franz Brandts, Generalsekretär der Geistliche Franz Hitze. Der Verein bekam seinen Sitz in Mönchen-Gladbach. Zehn Jahre später wurde er in den "Volksverein für das katholische Deutschland" umgewandelt. Bei dessen Gründung 1890 wirkte Ludwig Windhorst mit. Leiter der Zentralstelle (Generaldirektor) war ab 1903 August Pieper geboren 1866, Priester 1889, später Verbandspräses der KAB Westdeutschlands, gestorben 1942. Bedeutendes Mitglied war unter anderem Dr. Carl Sonnenschein auch Großstadtapostel von Berlin genannt. 1876 geboren. Studium der Theologie in Rom, 1900 Priester setzte sich vor allem für die Studentenarbeit ein und gab die sozialen Studentenblätter heraus, gründete das Sekretariat für soziale Studentenarbeit 1908 in Mönchengladbach, ein akademisches Arbeitsamt 1919 und die Katholische Volkshochschule Berlin 1922. Sonnenschein war Leiter des katholischen Kirchenblattes für Berlin und Anlaufsstelle für viele Menschen in Not. Er starb 1929.

Franz Brandts wurde am 12.11.1834 Mönchengladbach geboren. Er war Fabrikbesitzer. Und stellte 1865 mechanische Webstühle im patriarchalisch geleiteten Familienbetrieb auf Seine „Fabrikordnung" v. 1882 war vom Mitempfinden für seine Arbeiter getragen. Zu seiner Fabirk gehörten ein Arbeitsausschuß und Wohlfahrtseinrichtungen. Aus seinen Erfahrungen gingen Überlegungen in die Gründung der Arbeitervereine bis zur Gesetzgebung ein. Er wurde Verbandsvorsitzender des „Arbeiterwohls". Für Verbandsarbeit holte Franz Hitze. Er starb 5.10.1914.

Franz Hitze wurde am 16.3.1851 Hanemike (Kreis Olpe) geboren. Er studierte Philosophie und Theologie. in Würzburg u. Paderborn, Schon in seiner Studienzeit hält er Vorträge über die soziale Frage. 1878 wurde er zum Priester geweiht. , 1878-80 war er Kaplan am Kolleg Campo Santo in Rom, 1880 wird er Generalsekretär des Verbandes „Arbeiterwohl", 1890 Mitgründer des Volksvereins und 1. Generalsekretär. Von 1882-93 und 1898-1912 war er Mitglied des Preußischen Abgeordnetenhauses, 1884-1921 des Deutschen Reichstages bzw. der Deutschen Nationalversammlung nach dem Ersten Weltkrieg. Er ist beteiligt an der Gründung des Caritasverbandes. Ab 1893 ist er Professor für christliche Gesellschaftslehre an der Universität Münster. Er setzte sich für die Gründung katholischer Arbeitervereine ein. Oft war er auch sozialpolitischer Sprecher des Zentrums. Sein Ziel war die Integration der Arbeiter in der Gesamtorganismus der Gesellschaft. u. des Staates, dabei setzt er sich sehr für eine ständische Ordnung ein, es sollten zu den herkömmlichen Ständen einen Arbeiterstand geben, dem man naturnotwendig angehört. Wie dies mit seinem sonstigen Demokratieverständnis zu vereinbaren war ist fraglich. Er starb am 20.7.1921 in Bad Nauheim. Aus seinem Werken sei hingewiesen auf: Die Arbeiterfrage und die Bestrebungen zu ihrer Lösung. 4 Mönchengladbach 1891

4.1.3.2 Der Volksverein für das katholische Deutschland

Der "Volksverein für das katholische Deutschland" wurde vor allem zum Massenbildungsverein. Er lieferte die Ideologie für die ganze christlich-soziale Bewegung im katholischen Bereich. Aber auch hier wurde die Frontstellung der Arbeiter unter einander aufgegriffen. Die Frontstellung gegen die Sozialdemokratie, Äußerungen eine Tragik die mitbegründet war in den religionsfeindlichen Äußerungen führender Sozialdemokraten der Gründerzeit, die eine Tragik der Geschichte der Arbeiterbewegung ist. Innerhalb des Katholizismus stellte aber der Volksverein eine progressive Kraft dar, der auch Kritik von der Oberschicht der Kirche erhielt. Der Volksverein war in ihren Augen ein "Friedensstörer". Die positive Seite des Einsatzes des Volksvereins war der Kampf um eine Gesellschaftsordnung nach den Prinzipien der katholischen Soziallehre. Praktisch-soziale Kurse richteten sich an Interessierte. Es wurden Flugschriften bis hin zu einer Auflagenhöhe von mehr als 1 Million verteilt. Zeitschriften und Kleinbände ergänzten die Arbeit. Als gesellschaftspolitische Theorie wurde gegenüber der Klassentheorie das Bewußtsein der Stände entwickelt. Der Arbeiter sollte in seinem Stand ein gleichberechtigter Teil der Gesamtgesellschaft werden (37). Aber auch die Idee der Arbeitsgemeinschaften wurde in den 20er Jahren aufgegriffen. Abwendend von kurzatmiger Apologetik hat der Volksverein eine vorbildliche und gewaltige Bildungsarbeit geleistet.

Der Volksverein verstand sich als außerparlamentarische Kraft der politischen Öffnung. Er zog sich damit den heftigsten Widerstand von kirchlich Konservativen zu, denen die ganze christlich-soziale Bewegung verdächtig war. Im Gewerkschaftsstreit vertrat er die „Kölner Richtung"(Eigenständigkeit der christlichen Gewerkschaften). Mit über 805000 (1913) Mitgliedern, seit 1908 auch Frauen, in örtlichen Vereinen war der Verein auf dem Höhepunkt seiner Geschichte die mitgliederstärkste Organisation der deutschen. Katholiken. 1921 konnte er es noch auf den Mitgliederstand von 695.000 bringen konnte. Weltkriegsbedingt und durch Verselbständigung der kath. Standesvereine erfolgte ein Rückgang, 1928 eine finanzielle Krise, die z. Sanierung u. Reorganisation des V führte. Nun traten betont religiöse und kulturpolitische Aufgabenstellungen in der Vordergrund. Die Einbindung des Volksvereins in die Katholische Aktion wurde betrieben. Am 1.7.1933 wurde der Volksverein bei 320000 Mitgliedern durch die Nationalsozialisten aufgelöst, das Vereinsvermögen eingezogen.

Der Volksverein hat die katholische Soziallehre weitergeführt und verbreitet. Über den Einfluss auf das Zentrum und die christlichen Gewerkschaften trug er auch zur Realisierung von Soziallehre in Wirtschaft und Staat bei. Dann geriet er in Konkurrenz zum Zentralbildungsausschuß der Verbände und ging schließlich mit der Zwangsauflösung 1933 unter. Der Ruf nach einer Wiedergründung 1945 verhallte, da sich die Bildungslandschaft geändert hatte. Leider ging damit auch ein großer Einfluss verloren, der nicht aufgefangen werden konnte. Positiv wirkte die Verbreitung der katholischen Soziallehre und die Massenbildungsarbeit. Die Entwicklung einer eigenen gesellschaftlichen Konzeption der Stände erwies sich nicht als tragfähig.

 

4.2 Die Geschichte der christlichen Gewerkschaften

4.2.0 Christliche Gewerkschaften - ein Teil der christlich sozialen Bewegung

Zur Geschichte der christlich sozialen Bewegung gehören auch die christlichen Gewerkschaften. Ihre Entstehungs- und weitere Geschichte bis ins Dritte Reich, ihre Führungspersönlichkeit Stegerwald und ein Widerstandskämpfer sollen hier dargestellt werden. Die Zeit nach 1945 bedürfte einer eigenen Darstellung, weil vor allem im Dritten Reich die ursprünglichen Gedanken einer einheitlichen Arbeiterbewegung von Christen und Sozialisten wieder aufgegriffen wurden und nach 1945 zum DGB, der Einheitsgewerkschaft führten. Das war sicher nicht ohne Probleme vor allem im Marxismusverständnis und konkreten Fragen der Wirtschaftsordnung, wie die Neugründungen von christlichen Gewerkschaften belegen, die von dr KAB wie Kenner heute sagen dilletantisch und von Winkelheide ohne gewerkschaftliches Wissen betrieben wurde. Das Experiment musste scheitern. Aber spätestens seit dem Akzeptieren der sozialen Marktwirtschaft er und dem Bruch mit der marxistischen Ideologie im Godesberger Programm 1959 durch die SPD kein grundsätzliches Problem mehr. Sie Anfang der 70er Jahre besteht wieder ein gutes Verhältnis zwischen KAB und DGB. Heute gibt es z.B. in der Frage des Schutzes des Sonntags und anderen Fragen eine sehr gute Zusammenarbeit zwischen den Gewerkschaften und Kirchen.

4.2.1 Adam Stegerwald – eine Schlüsselfigur der christlichen Gewerkschaften

Adam Stegerwald wurde am 14. Dezember 1874 in Greußenheim bei Würzburg. Sinne Eltern waren Landwirte. Er wurde in einfachen Verhältnissen groß. Nach der Volksschule erlernte er das Schreinerhandwerk. 1893 wurde er Mitglied beim Kolpingverein. Dieser Verein hatte großen Einfluss auf ihn gehabt. Politisch wurde er im Zentrum aktiv und kurz danach im Münchner Verein "Arbeiterschutz". Schon 1899 wurde er Vorsitzender des "Zentralverbandes Christlicher Holzarbeiter" und 1902/03 Generalsekretär der christlichen Gewerkschaften.

Er wurde damit in kurzer Zeit zu einem der herausragenden Arbeiterführer im Kaiserreich. Seit 1903 führte er die Geschäfte des "Deutschen Arbeiterkongresses", eines Zusammenschlusses von christlichen Gewerkschaften. Ab 1908 war er noch Sekretär der Internationalen Konferenz der Christlichen Gewerkschaften.

Im Ersten Weltkrieg 1917 wurde Adam Stegerwald zum ersten Arbeitervertreter im preußischen Herrenhaus. Es gelang ihm, Partei und Gewerkschaft über den Zusammenbruch des Kaiserreiches zu retten. Am 20. November 1918 wurde er Vorsitzender des "Deutsch-Demokratischen Gewerkschaftsbundes", ab 1919 "Deutscher Gewerkschaftsbund" (DGB). Dies war der Zusammenschlusses aller nichtsozialistischen Gewerkschaften.

Von 1919 bis 1921 war er preußischer Wohlfahrtsminister, 1921 sogar preußischer Ministerpräsident, Eine Nominierung zum Reichskanzler lehnte er 1923 ab. Von 1929 bis 1930 war er Reichsverkehrs-, von 1930 bis 1932 Reichsarbeitsminister. Er scheiterte bei der Wahl zum Vorsitzenden der Zentrumspartei gegen Prälat Kaas, der letztlich das Zentrum mit in den Untergang führte.

Auf dem Kongress der christlichen Gewerkschaften am 21. November 1920 machte er deutlich, dass die Parteienzersplitterung den Staat lähme. Es gelte deshalb eine Partei zu bilden die „Deutsch, christlich, demokratisch, sozial" sei. Diese Partei solle sich eng der christlichen Arbeiterbewegung verbunden wissen. Hier wurde die konfessionsübergreifenden christlich-soziale Idee geboren. Diese Gedanken haben ihm aber weder im Zentrum noch in der christlichen Arbeiterbewegung nur Freunde gemacht. Sie hätten aber vielleicht das Desaster des Dritten Reiches verhindern können. Sie wurden aber nach dem Zweien Weltkrieg wieder aufgegriffen.

Nach der Machtübernahme Hitlers wurde Stegerwald als bekannter Gegner des Nationalsozialismus kaltgestellt. Er lebte privat in Berlin. Im August 1944 wurde er verhaftet, aber acht Wochen später wieder freigelassen.

Nach dem Krieg am 11. Mai 1945 ernannte ihn die amerikanische Militärregierung zum ersten Regierungspräsidenten von Unterfranken. Er knüpfte an seiner Essener Rede an und entwarf eine Grundlage für eine christlich-soziale Partei, die CSU. So ging sein Lebenstraum doch noch in Erfüllung. Er starb plötzlich am 3. Dezember 1945 an einer Lungenentzündung.

In ihm wird wie in kaum einem anderen deutlich, wie christliche Arbeiterbewegung sich entwickelt und in die gesellschaftliche Gestaltung eingebracht hat.

4.2.2 Die christlichen Gewerkschaften

4.2.2.1 Die Gründungsgeschichte

Es gab im 19. Jahrhundert schon lange Bestrebungen zur Gründung christlicher Gewerkschaften. Alle konkreten Gründungsversuche waren bisher fehlgeschlagen. Immer wieder wurde auch die Frage von Fachabteilugen innerhalb der Arbeitervereine, die unter der Leitung der Präsides also von Geistlichen standen und eigenständigen Gewerkschaften diskutiert und von einzelnen Personen auch unterschiedliche Position bezogen. Die Erfahrungen mit Fachabteilungen waren aber auch nicht sehr ermutigend. Bestehende Gewerkschaften standen unter der Vormundschaft der Sozialdemokratie und waren für christliche Arbeiter damit keine Heimat, zumal nach dem Tod von Lassalle die Stimmung bei den Sozialisten gegen die Kirchen kritischer wurde. Vor allem die für die Arbeitervereinsarbeit engagierten Kapläne waren ihnen ein Dorn im Auge. Hinzu kamen Ende der 70er Jahre die Probleme mit den Sozialistengesetzen, die nach Auffassung mancher auch auf die katholischen Arbeitervereine ausgelegt werden sollten. Es kam auch erheblicher Druck von den Arbeitgebern in Folge dieser Gesetze, Mitglieder von Vereinen, die ihnen nicht passten, zu entlassen, das wurde auch auf die katholischen Arbeitervereine ausgelegt, so von Krupp. Manche Vereine gerieten in die Krise und verloren ihre verunsicherten Mitglieder.

Der große Bergmannstreik von 1889 machte deutlich, dass Arbeiter eine eigenständige Organorganisation zur Durchsetzung ihrer Interessen benötigen. Auch der Versuch einer katholischen Gegengründung gegen die sozialistisch dominierten freien Gewerkschaften 1890 schlug fehl, deshalb kam immer mehr die Idee auf, Bergleute beider Konfessionen in einem Verband zusammenzufassen. Auch bei den Wahlen für die Beisitzer zu den Gewerbegerichten hatten 1892 fast an allen Orten die freien Gewerkschaften Erfolg, obwohl sie an vielen Orten weniger Mitglieder hatten als die katholischen Arbeitervereine.

1894 waren zwei christliche Gewerkschaften gegründet worden, die Eisenbahnhandwerker in Trier und die Bergleute in Essen. Gerade in Essen war ja durch die Aktivitäten des Vikars Johannes Laaf in den in den 70er Jahren der christliche Arbeiterverein zu großer Blüte gelangt. Das geschah an vielen Orten vor allem durch junge Geistliche, de oft die „roten Kapläne" genannt wurden. Von da folgten rasch weitere Gründungen in den Bereichen Textil, Metall, Holz, Leder- und Bauindustrie. Der internationale Arbeitsschutzkongress in Zürich 1897 machte deutlich, dass christliche Arbeiter in diesen Organisationsformen nicht zu Wort kamen. Auf dem vierten Delegiertentag der Arbeitervereine 1898 in der Erzdiözese Köln riefen Otto Müller und August Pieper von den christlichen Arbeitervereinen zur Gründung von christlichen Gewerkschaften auf. Pfingsten 1899 wurden in Mainz auf dem ersten allgemeinen christlichen Gewerkschaftskongress die Mainzer Leitsätze verabschiedet, sie wollten Gewerkschaften auf dem Boden des Christentums aber interkonfessionell. Dies wird allgemein als Gründungstermin angenommen. 1900 wurde der Gesamtverband der christlichen gewrkschaften gegründet und 1902/03 ein Generalsekretariat eingerichtet, das Adam Stegerwald übertragen wurde.

4. 2.2.1 Von der Gründung bis zum Ende der Weimarer Republik

Im Gründungsjahr gab es 56 400 Mitglieder, 1903 waren es 91 400. Vor allem Erfolge bei den Arbeitskämpfen im Ruhrgebiet wurden 1907 284 600 Mitglieder gezählt, 1912 waren es 350 900. Diese Mitgliederhöhe konnte dann nach den Rückschlägen durch den 1. Weltkrieg 1918 wieder erreicht werden. Die überwiegende Herkunft aus dem Rheinland, Saargebiet und Westfalen lässt darauf schließen, das es vor allem katholische Mitglieder waren.

Die Basis dieser Gewerkschaft wurde verbreitert durch den „Deutschen Arbeiterkongress" zu dem der deutschnationale Handlungsgehilfenverband und andere konfessionelle Gewerkschaften gehörten.

1908 fand in Zürich der erste internationale Kongress der christlichen Gewerkschaften statt. Die Anregung dazu ging von Deutschland aus. Deshalb kam auch das Sekretariat des „Internationalen Bundes christlicher Gewerkschaftler" nach Deutschland. Vorsitzender wurde Johannes Giesberts und Sekretär Adam Stegerwald.

Nachdem es bei den christlichen Arbeitervereinen selbstverständlich zu sein schien, dass christliche also interkonfessionelle Gewerkschaften notwendig sind, kam es im Berliner Verband zu einer Aufassungsänderung durch die Schrift Franz von Savigny’s „Arbeitervereine und Gewerkschaften im Sinne der Enzyklika Rerum novarum". Er forderte konfessionelle Gewerkschaften. Diese sollten Fachabteilungen der christlichen Arbeitervereine sein. Dies führte zu Spannungen und Spaltungen zwischen der Richtung von Berlin und Mönchengladbach. Auch die Bischöfe schalteten sich 1900 mit dem Fuldaer Pastorale ein und empfahlen Fachabteilungen. Dabei waren die Bischöfe Kopp und Korum von Breslau und Trier besondere Haardliner. Des weiteren wird dieser verheerende Konflikt unter 4.5.2.3 in einem Text der Würzburger Synode dargestellt. 1912 versuchte ihn der Papst diesen Streit zu beenden in dem er darauf hinwies, dass man diese Gewerkschaften tolerieren könne.

Währende des Weltkrieges wurden die Gewerkschaften als Berufsorganisation voll anerkannt. Die Rechte der Arbeitnehmerausschüsse und paritätisch besetzte Schlichtungsausschüsse wurden unter besonderen Schutz gestellt. In kriegswichtigen Betrieben ab 50 Mitarbeitern waren Arbeitnehmerausschüsse zu bilden. Dies war ein wichtiger Schritt zur Demokratisierung.

Streiks und politische Unruhen kennzeichnen die Zeit nach dem Krieg im Übergang von der Monarchie zur Demokratie. Erst nach der Inflation und mit der Währungsreform 1923 kam neue Sicherheit in die Wirtschaft. Die Gewerkschaften hatten nach dem Krieg einen großen Zuwachs, die freien hatten 1920 7,9 Millionen, die christlichen Gewerkschaften 1,1 Millionen Mitglieder. Der Einfluss der christlichen Gewerkschaften auf di deutsche Arbeiterschaft war größer, als es ihrem Mitgliederstand entsprach. Die christlichen Gewerkschaften legten mehr als andere Gewerkschaften Wert auf Bildung, „Unser Haus" in Königswinter wurde dazu gegründet. Die christlichen Gewerkschaften hatten in den christlichen Parteinen und Arbeiterorganisationen bis zum Volksverein erheblichen Rückhalt. Über Stegerwald beeinflussten sie unmittelbar die soziale Gesetzgebung wie z.B. das Krankenkassenwesen.

In der Weltwirtschaftskrise ab 1929 und der folgenden Arbeitslosigkeit von vor allem 1931 und 1932 mit über 30% Arbeitslosen erlitt die Gewerkschaftsbewegung generell einen erheblichen Einbruch. 1931 hatte der Gesamtverband der christlichen Gewerkschaften noch 577 512 Mitglieder. Nach dem 1. Mai 1933 wurden sie verboten und aufgelöst.

4.2.2 Im Widerstand – z.B. Franz Leuninger

Viele ehemalige Mitarbeiter der christlichen Gewerkschaften wurden von den Nazis ermordet oder starben im KZ. Stellvertretend für alle sei hier das Leben von Franz Leuninger aufgeführt, eines Sekretärs des christlichen Bauarbeiterverbandes.

Am 1. März 1945 wurde Franz Leuninger in Berlin Plötzensee durch Erhängen hingerichtet. Am 26.2. wurde er durch den Volksgerichtshof zum Tode verurteilt. Mit ihm gingen zwei ehemalige Gewerkschaftskollegen aus Breslau in den Tod. Es waren Fritz Voigt, der ehemalige Polizeipräsident von Breslau und Oswald Wiersich, ehemaliger Bezirkssekretär des ADGB (Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund) in Schlesien. Franz Leuninger war für das Amt des Oberpräsidenten in Oberschlesien vorgesehen (oder hatte Lukaschek für dieses vorgeschlagen), das führte zu seiner Verurteilung nach dem Scheitern des 20. Juli.

Wer war dieser Franz Leuninger? Er wurde am 28.12.1898 in Mengerskirchen im Westerwald als das dritte von neun Kindern geboren. Die Eltern waren Kleinlandwirte, der Vater übte im Winter das Handwerk eines Nagelschmiedes aus. Franz war schulisch sehr begabt, aber für Kinder armer Eltern gab es damals keine Chance, das Gymnasium zu besuchen. Die Familie war wie selbstverständlich in der katholischen Kirche verwurzelt. Tischgebet und Gottesdienstbesuch gehörten zu den unumstößlichen Regeln. So war er auch Ministrant. Frömmigkeit gehörte für ihn unverzichtbar zum Leben. Einmal sagte er einer Frau, die an der Bedeutung des Gebetes zweifelt, daß er als junger Mann auf dem Bau schwere Steine eine Leiter hinauf schleppen mußte. Manchmal hätten die Kräfte versagt, ein kurzes Verweilen, ein Stoßgebet, und es sei weiter gegangen. Von daher wird es auch verständlich, daß er beim Gang zur Hinrichtung nach den Aussagen des Gefängnispfarrers das Lied: „Großer Gott wir loben dich" betete, das feierliche Lob- und Danklied der katholischen Kirche, das nur bei besonders festlichen Anlässen gesungen wird.

Die Jugend war hart. Nach der Schulzeit ging er in den Feldwegebau in seiner Heimat. Da ihm der Stundenlohn mit 21 Pfennig zu gering war wurde er, noch nicht 14 Jahre alt, Bauhilfsarbeiter. Sein Bruder hatte ihn in Remscheid aufgenommen. Er sollte am Bau Kaffee kochen, den Schlauch beim Betonieren halten und Botengänge durchführen. Abends kam der Bruder in die Baubude, da saß Franz da und weinte. Er hatte Zementsäcke tragen und schaufeln müssen und dafür bekam er 20 Pfennig die Stunde. Sein Bruder sagte dem Polier, er solle Franz 5 Pfennig mehr geben und ihm diese abziehen, aber Franz setzte sich durch und bekam sein Geld ohne Abzug beim Bruder. Der Heimattradition gemäß gehörte er den Christlichen Gewerkschaften an. In der schwierigen Zeit teilte ihn der Polier zu Schwarzarbeit ein und er verletzte sich mit 13 Jahren und 11 Monaten schwer. Im Winter erholte er sich in der Heimat und schmiedete mit seinem Vater und seinen Brüdern Nägeln. Im Ersten Weltkrieg mußte er zu den Soldaten.

Er wurde Vertrauensmann des Christlichen Bauarbeiterverbandes und warb Mitglieder für den Verband in seiner gering bemessenen Freizeit. 1922 wurde er Lokalsekretär in Aachen. Mit dem Fahrrad fuhr er von Baustelle zu Baustelle und bemühte sich um seine Kollegen. Der Sekretär erhielt damals 10% Zuschlag zum Maurerlohn. Danach war er Sekretär in Euskirchen und im Verbandssekretariat in Krefeld. 1927 wurde er als Bezirkssekretär nach Breslau berufen wo er, noch nicht 30 Jahre alt, als Bezirksleiter für den ganzen schlesischen Raum wirkte. Als er einmal wegen seiner Zugehörigkeit zum Zentrum angegriffen wurde sagt er dem, der ihn angegriffen hatte: „Ich habe keine Ursache, ihm gegenüber ein politisches Glaubensbekenntnis abzulegen. Ich kann ihm aber sagen, daß ich in erster Linie Gewerkschaftler bin und im gegebenen Fall auch gegen die Parteien ins Feld ziehen werden, welchen ich politisch nahestehe ...". Er war als tüchtiger, einsatzbereiter und redegewandter Sekretär bekannt. Bei Tarifverhandlungen spielte er seine besonderen Fähigkeiten aus. Zugleich war er ein Mensch mit viel Humor.

In Breslau hatte er ein gutes Verhältnis zum Gesellenverein (heute Kolpingfamilie). Er hatte in Gesellenhäusern gewohnt. In Krefeld gehörte er dem dortigen katholischen Arbeiterverein an.

Er hatte eine spontane Art der christlichen Haltung. Einmal nahm er einen armen Mann mit nach Hause zum Essen, anschließend fehlte seine Brieftasche; das konnte seine Grundeinstellung aber nicht ändern. Einer schwangeren Frau, die in der Straßenbahn in die Wehen kam, besorgte er ein Taxi ins Krankenhaus und bezahlte es auch gleich.

Als Hitler im Januar 1933 an die Macht kam sah der das Ende der Demokratie und die Zerschlagung der Gewerkschaften voraus. So geschah es auch. Er war vor 1933 schon ehrenamtlicher Geschäftsführer einer im christlich-sozialen Bereich angesiedelten Heimstätte. Er übernahm nun hauptberuflich die Leitung. Es liegen Berichte vor, daß er einer ganzen Reihe von systemkritischen Menschen Arbeit in dieser Institution bot. Fritz Voigt betätigte sich auf Anregung von Franz Leuninger als Grundstücksmakler und es ist anzunehmen, daß der Hauptgeschäftspartner das genannte Siedlungswerk war. Ein ehemaliger Freigewerkschaftler, der 1938 bei der Siedlungsgesellschaft Arbeit als Polier fand, sagte: „Franz Leuninger war mir einer der liebsten Menschen, denen ich damals im Rahmen meiner beruflichen Tätigkeit begegnet bin."

Franz Leuninger mußte mit 40 Jahren am Polenfeldzug teilnehmen. Er schrieb später an einen seiner Brüder: „Es gibt nichts, was einen Krieg rechtfertigt, und es ist jedes Mittel erlaubt, das einen Krieg verhindert."

Nach seiner Entlassung aus dem Kriegsdienst baute er den Widerstand in Breslau und Schlesien mit auf. Die Gewerkschafter Fritz Voigt und Oswald Wiersich gehörten zu seinen Partnern. Im Herbst traf er sich in Berlin u.a. mit Carl Friedrich Goerdeler, dem ehemaligen Oberbürgermeister von Leipzig, vorgesehener Reichskanzler des Widerstandes und Jakob Kaiser. Der Bruder von Goerdeler wurde auch am 1. März hingerichtet. Es ging bei diesem Gespräch um sozial- und ernährungspolitische Fragen nach einem Umsturz. Über Goerdeler kam er auch in Kontakt mit Ludwig Beck, der als Generalstabschef des Heeres die gesamte Generalität 1938 zum Rücktritt aufforderte, um damit dem Kriegstreiben Hitlers ein Ende zu setzen. Über Fritz Voigt sind Kontakte zu Wilhelm Leuschner und Fritz-Dietlof Graf von der Schulenburg anzunehmen.

Er hat verständlicherweise über diese seine Arbeit und Kontakte nicht viel gesprochen. In seiner Heimat sprach er einmal im engsten Kreis seiner Verwandten über die Schrecken der Konzentrationslager und der Gewaltherrschaft. Er sagte: „Die Verbrechen sind so furchtbar, daß sie nur mit dem Blut der Besten gesühnt werden können."

Wenige Wochen nach dem 20. Juli 1944 wurde er verhaftet. Im Haftbefehl war u.a. zu lesen: „Leuninger hat bereits 1941/42 von dem ihm von früher gut bekannten ehemaligen sozialdemokratischen Gewerkschaftssekretär Fritz Voigt erfahren, daß gewisse Kreise des Adels und der Wirtschaft zur Herbeiführung eines Sonderfriedens mit den Westmächten eine Änderung der Regierung anstrebten. ... Auch Leuninger erklärte sich zur Mitarbeit für die neue Regierung durch Überwachung der wirtschaftlichen Organisation bereit." Während er im Gefängnis war, befand sich seine Frau auf der Flucht von Breslau in den Westen und seine drei Söhne waren beim Militär.

In einem seiner letzten Briefe aus dem Gefängnis schrieb er: „Ich habe mein Schicksal in die Hände des Herrgotts gelegt. Wie er es macht, so wird es schon richtig sein. Heute steht er im Martyrologium der katholischen Kirche in Deutschland.

4.2.3. Literatur

Bernhard Koch, 100 Jahre Christliche Gewerkschaften, Würzburg 1999

Alois Leuninger, Franz Leuninger zum Gedanken, Mengerskirchen 1970

Michael Schneider, Die christlichen Gewerkschaften 1894-1933, Bonn 1982

S. Herman Scholl, Katholische Arbeiterbewegung in Westeuropa Bonn 1966

Karl Heinz Schürmann, Zur Vorgeschichte der Christlichen Gewerkschaften, Freiburg 1958

Wolfgang Schröder, Gewerkschaftspolitik zwischen DGB, Katholizismus und CDU, 1945 bis 1960, katholische Arbeiterführer als Zeitzeugen im Gespräch, Köln 1990

4.3 Das Zentrum

4.3.1 Windhorst - der unbestrittene Führer des Zentrums

Ludwig Windthorst war der unbestrittene Führer des Zentrums, Geboren wurde er am 17.1.1812 Gut Kaldenhof bei Ostercappeln (Osnabrück), er starb am 14.3.1891 in Berlin. 1836 wurde er Rechtsanwalt in Osnabrück. Dort war er Syndicus der Ritterschaft und wurde 1848 Rat am hannoverschen Oberappellationsgericht Celle. Ab 1849 war er Mitglied der Regierungspartei in der zweiten Kammer später auch Kammerpräsident. Von 1851-53 und von 1862-65 war er als erster Katholik Justizminister im Königreich Hannover, später Kronoberanwalt in Celle. Seit 1867 war er als Abgeordneter des Wahl-Kreises Meppen Mitglied des Reichstags und des Preußischen Abgeordnetenhauses. Nach 1871 entwickelt er sich zur Führungsfigur des Zentrums und wurde zu einem scharfen Kritiker preußischer „Kulturkampf-Gesetzgebung. Er wurde Oppositionsführer. Er konnte 1891 einen preußischen Schulgesetzentwurf der Regierung Georg Leo Graf von Caprivi zu Fall bringen. Er beeinflusste und wirkte mit bei der Gründung des „Volksverein für das katholische Deutschland". Er war der bedeutendste Vorkämpfer des politischen Katholizismus in Deutschland des 19. Jahrhunderts. Trotz seines kleinen Wuchses (er wurde „kleine Exzellenz" genannt) und seiner zunehmenden Erblindung war er der wichtigste Gegenspieler Bismarcks.

4.3.2 Zentrum - die Partei des politischen Katholizismus

Katholische Gruppen in deutschen Länderparlamenten schlossen sich 1870 in einer deutschen kahtolsichen Partei zusammen und erhielten 1871 bei der Wahl 48 Abgeordnete im Deutschen Reichstag. Weil sie fort den Platz in der Mitte hatten (im Zentrum) nannten sie sich Deutsche Zentrumspartei. Das entsprach auch ihrer politischen Linie. Sie hatten bei den Katholiken ein große Wählerschaft, die ihr auch die Treue heilt. So waren sie bis 1918 zweimal die über Jahre stärkste Fraktion. Sie bekämpften die Krchen- und Bildungspolitik des Reichskanzlers Otto von Bismarcks und auch die Vorherrschaft des protestantisch geprägten Preußens im Reich und wird damit Hauptkraft der bürgerlichen Opposition. Das galt vor allem im Kulturkampf (Konflikt zwischen der katholischen Kirche und dem Deutschen Reich, vor allem Preußen zwischen 1871 und 1887), in dem Bismarck die katholische Kirche in größere Abhängigkeit vom Staat bringen wollte. Nach Beendigung dieses Kampfes 1890 bekam das Zentrum eine bedeutende Rolle im Parlament und stützte ab 1890 die Regierung. Ab 1917 im Ersten Weltkrieg wandten sie sich unter der Führung Matthias Erzbergers von expansionistischen Kriegszielen ab und forderte mit anderen statt eines „Siegfriedens" einen „Verständigungsfrieden".

In Bayern wurde nach 1918 die Bayerische Volkspartei gegründet, die das bayrische Zentrum ablöste.

Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches gestaltete das Zentrum die Politik der Weimarer Republik entscheidend mit. Sie verteidigte sie die republikanisch-demokratische Verfassung gegen die Angriffe von links und rechts und beteiligte sich von 1919 bis 1932 an den Regierungen. In neun Kabinetten stellte sie die vier Reichskanzler Konstantin Fehrenbach 1920/21, Joseph Wirth 1921/22, Wilhelm Marx 1923-1925 und 1926-1928 und Heinrich Brüning 1930-1932. Brüning förderte mit seiner Zuflucht zu autoritärer Politik in Notstandsmaßnahmen, die die schweren Wirtschaftskrise nicht meistern konnten. Sie förderten eher den Zusammenbruch der Weimarer Republik und den Aufstieg der Nationalsozialisten. Am 27. März 1933 stimmten die Abgeordneten des Zentrums und Leitung von Prälat Ludwig Kaas dem Ermächtigungsgesetz und halfen dadurch mit Adolf Hitler zum unbeschränkten Alleinherrscher zu machen. Sie hatten zwar unverbindliche Zusagen erhalten mussten sich aber im Zuge der nationalsozialistischen Gleichschaltung unter die Vorherrschaft des Nationalsozialismus aller Parteien, der Gewerkschaften und anderer gesellschaftlicher Organisationen vier Monate später auflösen.

Nach 1945 kam es vor allem durch ehemalige Zentrumspolitiker zur Gründung der CDU. Sie wollten aus den Erfahrungen des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkriege keine Neuauflage einer konfessionellen Partei. Das Zentrum, dass sich in einige Orten gründete, konnte damit nicht die Tradition des alten Zentrum in Anspruch nehmen und gewann überregional nur vorübergehend eine gewisse Bedeutung.

4.4 Engagierte Frauen und Ordensgründerinnen

4.4.0 Frauen melden sich zu Wort

In der Neuzeit, beginnend mit der Reformation hatten Frauen immer mehr an Bedeutung verloren. Luther und auch später die Aufklärung hatten ihnen die Rolle am Küchenherd und bei den Kindern zugewiesen. Vor der Reformation konnten sie sogar in Abteien zu reichsunmittelbaren Fürstinnen werden, dies hörte endgültig zu Beginn des 19. Jahrhunderts mit der Säkularisation auf. Im späteren Prozess hat sich die katholische Kirche dieser Strömung angeschlossen und heute hat man den Eindruck, als sei er ihre ureigne Sache. Dagegen meldeten sich um die Jahrhundertwende Frauen zu Wort, die sich eigenständig in die Gesellschaft einmischten, besonders dort, wo ihnen die Probleme zu sein schienen. Frauen emanzipierten sich über die gesellschaftspolitische und die karitative Linie, sowohl in der katholischen als auch in der evangelischen Kirche. Zwei seien hier aufgeführt, Hedwig Dransfeld und Maria Katharina Kaspar. Sie stehen stellvertretend für viele und sind wesentlicher Bestandteil des sozialen Engagements des Katholizismus in den Zeiten gesellschaftlichen Umbruchs.

4.4.1 Hedwig Dransfeld – eine große Frau

Hedwig Dransfeld wurde am 24.Februar1871 in Hacheney bei Dortmund geboren. Sie ergriff den Beruf der Lehrerin, ging dann in die Frauenbewegung und die Politik. 1899 wurde sie wegen Knochentuberkulose arm- und beinamputiert. Von 1904-20 war sie Schriftleiterin der „Christlichen Frau". Sie war die Führerin der kath. Frauenbewegung. Von 1912-22 wirkte sie als Vorsitzende des „Katholischen Deutschen Frauenbundes". Dazu war sie noch eine bedeutende Politikerin, als Mitglied der Deutschen Nationalversammlung in Weimar, von 1919-20 des preußischen Landtags von 1920-25 Abgeordnete des Deutschen Reichstags, stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Zentrumspartei und -fraktion im Reichstag. Ihr engagierter Einsatz trotzt aller körperlicher Belastungen galt den Fragen der Frauenbewegung, und dem Aufbau des Katholischen Deutschen Frauenbundes. Sie prägte ihn mit ihren religiösen, sozialen und politischen Vorstellungen. Schon während des 1. Weltkrieges warb sie für den Bau einer Frauenfriedenskirche. Diese wurde in Frankfurt a. M. 1929 eingeweiht. Sie starb am 13. März 1925 in Werl. Sie war eine Vorkämpferin für die emanzipierte Rolle der Frau in Kirche und Gesellschaft.

4.4.2 Maria Katharina Kaspar und ihr Werk

Katharina Kasper wurde am 26. Mai 1820 in Dernbach im Westerwald als siebtes. von acht Kindern im damaligen Bistum Trier geboren. Sie lernte die himmelschreiende Armut der Menschen auf dem Westerwald kennen. Diese wollte sie durch ihren Einsatz lindern helfen. „Beispiel, Belehrung und Gebet waren die Zwecke ihres Vereins. Aus spontanem Einsatz für Werke der Caritas in ihrem Heimatdorf wurde 1846 eine fromme Vereinigung und schließlich die Kongregation der Armen Dienstmägde, von Maria Katharina als Generalobern bis zu ihrem Tode geleitet. Ab 1849 zog sie mit vier Gefährtinnen in ein von ihr errichtetes Haus, 1851 legten sei die Gelübde vor dem Bischof von Limburg ab. Sie war überzeugt, dass Gott den Schrei der Armen hört. Ihr Ordensname war Maria. Ihre Gründung wurde vom Bischof Peter Josef Blum gefördert. Der Anerkennungsprozess lief von 1860 der Belobigung bis 1890 zur endgültigen Approbation. Als Maria Katharina am 2. Februar 1898 starb, gehörten der Kongregation 1725 Schwestern an in Deutschland, Amerika, Holland, England und Böhmen. Die Schwestern wurden zur Krankenpflege gerufen. Danach folgten Krankenhäuser und Schulen. Gerade in der Mädchenbildung spielte die Kongregation eine große Rolle.

Maria Katharina wurde 1978 selig gesprochen. Ihr Grab ist in der Mutterhauskirche in Dernbach.

4.5 Der Synodenbeschluss Kirche und Arbeiterschaft

4.5.1 Der Entwurf zum Beschluss verfasst von Oswald von Nell-Breuning

Kein anderer hat den Synodenbeschluss Kirche und Arbeiterschaft der Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland 1975 mehr beeinflusst als Oswald von Nell-Breuning.

Oswald von Nell-Breuning SJ wurde am 8.3.1890 Trier geboren.(ab 1911 Jesuit). Er starb am 22. August 1991 in Frankfurt am Main. Er studierte Theologie, Volkswirtschaftslehre und Sozialwissenschaften. 1911 schloss er sich dem Jesuitenorden an, 1921 erfolgte die Priesterweihe. Nach weiteren Studien promovierte er 1928 mit einer Arbeit über Grundzüge der Börsenmoral zum Dr. theol. Im gleichen Jahr wurde er Professor für christliche Gesellschaftslehre und auch Moraltheologie an der philosophisch-theologischen Hochschule St. Georgen in Frankfurt am Main. Von 1936 - 1945 hatte er Schreib- und Publikationsverbot durch den nationalsozialistischen Staat und wurde auch zu eine Zuchthausstrafe verurteilt, die er aber wegen des Kriegsendes nicht mehr antreten musste. Nach dem Krieg übernahm er zusätzlich eine Honorarprofessur an der Frankfurter Universität und dozierte in Frankfurter Akademie für Arbeit. 17 Jahre war er Mitglied im Beirat des Bundesministeriums für Wirtschaft. Er wirkte bei der Gestaltung des Godesberger Programms der SPD mit. Er wurde Ehrenbürger von Frankfurt und Trier. Er sagte einmal befragt zu seinem Verhältnis zu den deutschen Bischöfen, dass sich bei seinem Nachbarn (Pater Hirschmann) die Bischöfe die Klinke in die hand gegen hätten, bei ihm wäre nie einer gewesen. Das macht sein oft auch für die Kirche unbequeme Unbestechlichkeit deutlich, die Teil seiner Glaubwürdigkeit war.

Sein Konzept war von Heinrich Pesch beeinflusst. Das besonderer Interesse galt dem Zusammenhang von Wirtschaft, Arbeit und Moral. Große Verdienste erwarb er sich durch die Ausbildung der neueren katholischen Soziallehre, so stellte er auch den Entwurf für "Quadragesimo anno" her. Soziale Marktwirts, Solidarität und Subsidiarität ebenso wie soziale Gerechtigkeit wurden von ihm entscheidend geprägt. Deutlich machte er auch die Sozialbindung des Eigentums. Der Gedanke der Mitbestimmung wurde von ihm gefördert. Kontakte zu den Gewerkschaften waren selbstverständlich, auch wenn es da zu Spannungen kam, wenn seiner Meinung nach die Gewerkschaften zu links abzudriften drohten.

Von seinen Veröffentlichungen seien genannt: Grundzüge der Börsenmoral (1928) Mitbestimmung (1950), Baugesetze der Gesellschaft, Solidarität und Subsidiarität (1968; 1990) und Unsere Verantwortung für eine solidarische Gesellschaft (1987).

4.5.2 Der Synodenbeschluss

4.5.2.1 Der Beschluss „Kirche und Arbeiterschaft"

Mitte der 70er Jahre kam ein neuer Aufbruch in der Arbeiterpastoral, angeregt durch die Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland und den Beschluss "Kirche und Arbeiterschaft". So wurde in Abschnitt 1.7.1 versucht, die "Lebenslage der abhängigen Arbeit" darzustellen, in etwa in der oben schon genannten "condition ouvriere" (56). Der Beschluß begrüßt die Gründung katholischer Arbeitnehmerorganisationen als Arbeitnehmerorganisationen zur Bildung, zur solidarischen Unterstützung und zur Interessenvertretung katholischer Arbeitnehmer.

An der Entwicklung des Synodenbeschlusses "Kirche und Arbeiterschaft" hat der Nestor der katholischen Soziallehre, Oswald von Nell Breuning SJ, entscheidend mitgewirkt. Der Beschluß beschäftigt mit dem Thema "Arbeiterpastoral. In ihm wird die leidvolle Geschichte zwischen Kirche und Arbeiterschaft dargestellt und versucht diese aufzuarbeiten. Eine Überschrift lautet: "Ein fortwirkender Skandal!" (Kirche und Arbeiterschaft 1). Diese Aussage bezieht sich auf ein Wort Pius XI zu Cardijn. Sie meint den heute noch fortwirkenden Skandal, daß die Kirche im 19. Jahrhundert die Arbeiterschaft verloren habe. Soll es nicht dabei bleiben, daß die Arbeiterschaft, anstatt in die Kirche hineinzuwachsen.

4.5.2.2 Ein provozierender Text

„Ein fortwirkender Skandal

Diese beklagenswerte Tatsache findet ihren beredten Ausdruck in dem weltbekannt geworde

 

nen Wort Pius' XI. zu Cardijn, worin der Papst es als den großen Skandal des 19. Jahrhunderts beklagt, daß die Kirche die Arbeiterschaft verloren habe. Auch unser Land macht davon trotz der großen Leistungen des sozialen Katholizismus keine Ausnahme. Gewiß ist ein ansehnlicher Teil der Arbeiter im Glauben und in der Treue zur Kirche niemals auch nur wankend geworden. Aber auch bei vielen von diesen Arbeitern besteht, wenn schon nicht die Überzeugung, so doch ein unausrottbarer Verdacht, die Kirche halte es mit den Reichen und Mächtigen, mit „denen da oben", die Kirche sei „gegen den Arbeiter"; für die marxistisch beeinflußten Arbeiter ist die Kirche der „Klassenfeind". Die Klage Pius' XI. gilt dem 19. Jahrhundert; demnach müssen die Ursachen des beklagenswerten Verlustes ebenfalls ins 19. Jahrhundert zurückreichen. Selbstverständlich hat die allgemeine Entchristlichung des 19. und weiter des 20. Jahrhunderts bis tief in die Arbeiterschaft durchgeschlagen; sie allein vermag aber die in der Arbeiterschaft weit verbreitete Vorstellung von der Kirche als der Verbündeten der Reichen und Mächtigen gegen die Arbeiter nicht zu erklären.

zum sehr großen Teil ihr entwachsen ist, soll jetzt vielmehr die Kirche in die Arbeiterschaft hineinwachsen, dann gilt es, die spezifischen Ursachen ausfindig zu machen und soviel wie möglich auszuräumen, die Kirche und Arbeiterschaft in Gegensatz zueinander gebracht haben. Ausräumen können wir am ehesten Ursachen, die in von uns selbst begangenen Fehlern oder Mißgriffen bestehen. Darum stellen wir eine Gewissenserforschung an und fragen uns: Was haben wir, die wir die Kirche sind, oder unsere Vorgänger nicht richtig gemacht, daß es der Arbeiterschaft schwer gefallen ist und selbst gläubigen katholischen Arbeitern heute noch schwerfällt, ein zutreffendes Bild der Kirche zu gewinnen und sich als von ihr verstanden anzusehen und gerecht behandelt zu fühlen? Diese Gewissenserforschung zielt nicht darauf ab, persönliches Verschulden festzustellen. Vielmehr will sie nüchtern Fehlentwicklungen in der Kirche bewußt machen."

An die Stelle des Ansatzes über die Diakonie muß der Arbeiter als Subjekt pastoralen Handelns in seinem Bereich ernst genommen werden (Kirche und Arbeiterschaft 1.7.2). Die "gute Gesellschaft", die gleichzeitig die "Begüterte" ist, und die "anderen" ist ein Denkschema, das sich auch in den Gemeinden tief verwurzelt hat. Darunter leiden die Arbeiter. Hier ist Bekehrung notwendig, auch von den Gemeinden.

4.5.2.3 Der Gewerkschaftsstreit im Spiegel der Synode

Deutlich wurde in der Synode der Gewerkschaftsstreit als fehlgeschlagener Versuch der Bischofskonferenz dargestellt, betrieben vor allem von den Bischöfen von Breslau und Trier (Fuldaer Pastorale) von 1900, die Arbeiter mit Fachabteilungen von den Gewerkschaften fernzuhalten. Dieser Streit hat viel Schaden angerichtet unter der katholischen Arbeiterschaft und auch Spaltungstendenzen in die KAB getragen. Die war der Versuch einer Entmündigung, der letztlich vom Vatikan nicht mitgetragen wurde und auch nicht von allen Bischöfen akzeptiert worden war. Man wollte damit die Arbeitern völlig unter die Oberhoheit von Geistlichen stellen. Die Arbeiter sind die ersten Missionare ihrer Arbeit. Aus einem Tolerieren von eigenständigen Gewerkschaften durch Pius X wurde eine ausdrückliche Gutheißung von Pius XI. in Quadragesimo anno.

Der Gewerkschaftsstreit gehört nach dem Synodenbeschluss zu dem fortwirkenden Skandal. Zu diesem Versagen gemäß dem Synodenbeschluss gehört das Versagen der theologischen Wissenschaft über lange Zeit, die Probleme der Arbeiter wahrzunehmen, die unzulängliche Auseinandersetzung mit dem Marxismus und verschiedenen Spielarten des Sozialismus, zwischen dem politischen Engagement der Verbände und abwehrende Hierarchie, um nur einige zu nennen. Hier nun der Text zum Gewerkschaftsstreit.

„4 Gegen Selbsthilfe der Arbeiter

4.1 Gegen Selbsthilfemaßnahmen überhaupt

Daß die Arbeiter sich zum Zweck der Selbsthilfe zusammenschlossen, widersprach den paternalistischen Vorstellungen breitester kirchlicher Kreise. Auch noch nachdem Leo XIII. dem Staat gegenüber das Recht auf Zusammenschluß mit allem Nachdruck als unentziehbares Menschenrecht betont hatte, versuchten kirchliche Kreise, den katholischen Arbeitern dieses Recht praktisch vorzuenthalten.

Das "Fuldaer Pastorale" der" am Grabe des hl. Bonifatius versammelten (preußischen) Bischöfe" vom 22. 8. 1900 charakterisierte die katholischen Arbeitervereine und deren gesamte Tätigkeit als religiös und folgerecht unter kirchliche Leitung stehend. Das Bedürfnis der Arbeiter nach gewerkschaftlichem Zusammenschluß wird zwar anerkannt, aber nur in Gestalt von "Fachabteilungen" innerhalb der katholischen Vereine; die geistlichen Präsides werden aufgefordert, „tüchtige Vereinsmitglieder für die Leitung dieser Fachabteilungen auszuwählen"; schlagender kann man die katholischen Arbeiter nicht als unmündig abstempeln. Fachabteilungen im katholischen Arbeiterverein konnten und können Gewerkschaften nicht ersetzen. Demnach hätte das Pastorale bei strenger Auslegung dem katholischen Arbeiter gewerkschaftliche Organisation und damit das einzige Mittel wirksamer Selbsthilfe überhaupt versagt. Da die getroffene Anordnung - offenbar wegen der im Episkopat bestehenden Meinungsverschiedenheit - nicht durch ein förmliches Verbot der Zuwiderhandlung bewehrt war, kam es zu einem heftigen, vergiftend wirkenden Auslegungsstreit, ob und wie es möglich sei, sich der Anordnung und ihrer fatalen Konsequenz zu entwinden.

1.4.2 Der deutsche Gewerkschaftsstreit um die Jahrhundertwende

Schon einige Jahre zuvor hatten kirchentreue katholische Arbeiter begonnen, den „freien" Gewerkschaften, deren militanter Atheismus ihnen unerträglich war, in schwersten Kämpfen eine christlich-nationale Gewerkschaftsbewegung entgegenzustellen, worin die christlichen Arbeiter ohne Unterschied des Bekenntnisses sich zusammenschließen sollten. Anstatt dabei auf jede mögliche Weise unterstützt zu werden, mußten sie sich von integralistischer Seite vorwerfen lassen, durch ihren Interkonfessionalismus gefährdeten sie die Rechtgläubigkeit ihrer katholischen Mitglieder. Jetzt trat die Spaltung unter den Bischöfen offen zu Tage. Auch der Hl. Stuhl wurde in den Streit hineingezogen; nach Absicht der Gegner sollte er diese Bestrebungen verurteilen und die Mitgliedschaft in diesen Gewerkschaften verbieten. Während es allen anderen - den Bauern, Mittelständlern, Unternehmern, Freiberuflern - ohne weiteres freistand, sich zur Wahrung ihrer Interessen mit anderen ohne jeden Unterschied der religiöse oder weltanschaulichen Überzeugung zusammenzuschließen, sollte der katholische Arbeiter nicht einmal mit evangelischen Christen zusammen der gleichen Gewerkschaft angehören dürfen. Die Papst Pius X. entgegen seiner grundsätzlichen Einstellung abgerungene Duldung ("tolerari posse"; in der Enzyklil Singulari quadam, 24. 9. 1912) vermochte weder den Schmerz der im tiefsten verletzten katholischen Arbeiter zu lindern noch die Bitterkeit und Gehässigkeit des Streites zu entgiften. Der Erste Weltkrieg hat den Streit überdeckt. Daß Pius XI. in der Enzyklika Quadragesimo anno (1931) (OA 35) das "tolerari posse" in eine ausdrückliche Gutheißung umwandelte, war für diese katholischen Arbeiter eine späte, von den Hauptbetroffenen nicht mehr erlebte Genugtuung; der in der Arbeiterbewegung und für die Beziehungen zwischen Kirche und Arbeiterschaft angerichtete Schaden war nicht mehr gutzumachen.

1.4.3 Gegen kämpferische Selbsthilfe

Den Arbeitern das Recht zuzuerkennen, ihre berechtigten Forderungen notfalls im Arbeitskampf durchzusetzen, fiel und fällt heute noch vielen Priestern und Laien schwer.

Solange der Staat den Arbeitern den Streik untersagte, ihn als Nötigung oder Landfriedensbruch strafrechtlich verfolgte und äußerstenfalls mit Waffengewalt niederwarf, war es für den Arbeiter schwer, diesen Staat als den seinigen anzusehen und ggf. zu verteidigen. Die Kirche hat es ihm kaum weniger schwer macht, sie als seine Kirche und sich als deren Sohn anzusehen. In den Augen des Arbeiters stellte sie sich mit ihren Vorbehalten gegen ihn und ergriff Partei für die Begüterten. Es erregte sein Mißtrauen, wenn sie auf die Grenzen Streikrechts hinwies und auf die Innehaltung fairer Kampfweisen drängte.

Vielen Katholiken ist zuwenig bewußt gemacht worden, daß es sich beim Arbeitskampf um legitime Interessenkonflikte handelt, die nur durch eine streitbare Auseinandersetzung zu einem Kompromiß geführt werden können. Nicht die kirchenamtliche Soziallehre, wohl aber viele Geistliche und Laien neigen zu einseitig harmonistischer Sicht; Konflikte gelten ihnen schlechthin als ein Übel; tatsächlich bestehende Interessengegensätze und aus ihnen sich ergebende Konflikte werden einfach geleugnet, namentlich dann, wenn man selbst in dem Konflikt beteiligt und an der Erhaltung des bestehenden Zustandes interessiert ist. Ein Christentum, das im Bilde des Herrn nur seine Sanftmut sehen wollte, übersah völlig, daß Christus Konflikte nicht gescheut hat, ihnen nicht aus dem Weg gegangen ist, vielmehr da, wo es darauf ankam, Konflikte sogar bewußt provoziert und in rückhaltloser Schärfe ausgetragen hat. So beruft man sich auf Mahnungen der Bergpredigt zur Nachgiebigkeit, richtet sie aber nicht an sich selbst. sondern nur an die anderen, hier an die Arbeiter. Sie sollten sich mit ihrer alle als Gottes Schickung abfinden, sollten mit wenigem zufrieden sein, sollten Geduld, Genügsamkeit und Entsagung üben; selbst in älteren kirchlichen Lehrschreiben finden sich in diesem Zusammenhang Vertröstungen auf das Jenseits."

4.5.2.3 Impulse des Synodenbeschlusses

Von der Synode aus ging eine Reihe neuer Impulse an die Arbeiterbildung der Verbände, vor allem der KAB, aber auch in die allgemeine Bildungsarbeit in der Anstellung von Arbeiterbildungsreferenten aus, und auch die "CAJ-Methode" gewann wieder an Bedeutung. Die Betriebsseelsorge/Industrieseelsorge gewann neue Bedeutung.

Für die praktische Arbeit wurden 8. Empfehlungen ausgesprochen. In Kurzfassung:

1. Theologie und Verkündigung sollen sich bemühen eine Sprache zu sprechen, die die Arbeiter verstehen.

2. In Bildung und Medien der Kirche sollen die Arbeite mehr angesprochen werden.

3. Die Arbeiter sollen intensiver am Vollzug der Liturgie beteiligt werden.

4. Christliche Soziallehre muss Pflichtfach im Studium sein, ein Industriepraktikum unter Anleitung ist damit zu verbinden.

5. Arbeiterseelsorge ist Bestandteil der Pfarrseelsorge.

6. In Fortbildung der in diesem Bereich Tätigen soll nach Möglichkeit von einem speziellen Institut gefördert werden.

7. Je nach Größe des Bistums sollen Regionalstellen für diese Arbeit eingerichtet werden.

8. In allen Pfarreien sollen nach Möglichkeit katholische Arbeitnehmerorganisationen bestehen. Die Arbeitnehmerorganisationen sollen dafür die notwendige Unterstützung der Bistümer haben.

Diese Empfehlungen wurden zwar nicht alle und überall durchgeführt, sie haben aber der Arbeit einen neuen Schub gegeben und müssten für heute in Erinnerung gerufen und fortgeschrieben werden.

4.6 Die großen Werke

Dieses Kapitel darf nicht beendet werden, ohne auf die Werke MISEREOR (Für Entwicklungshilfe), Adveniat (für Südamerika) und Renovabis (für Osteuropa) hinzuweisen. Es handelt sich zwar um Bischöfliche Werke, aber sie leben von den Kirchensteuern und Spenden der Gläubigen und sind deren Hilfswerke. Das gilt auch in vielen Bereichen von der Aktivitäten des Caritasverbandes nicht nur in Deutschland, sondern auch in der internationalen Katastrophenhilfe und andere Werke und kleiner eher private Initiativen. Was hier geleistet wird ist für die Menschen in der weiten Welt ein großer Gewinn. Ihre beispielhafte Großzügigkeit kam den kirchlichen Hilfswerken zugute. Schon Ende der 60er Jahre empfingen die deutschen katholischen Hilfswerke mehr Spenden als in allen anderen Ländern. Hier ist die deutsche Kirche und ihre Mitglieder äußerst lebendig und nahe beim Evangelium. Hier folgen im wesentlichen die Selbstdarstellungen der Werke im Internet:

MISEREOR (mich erbarmt des Volkes) (http://www.misereor.de) ist das Hilfswerk der Katholikinnen und Katholiken in Deutschland für die Entwicklungszusammenarbeit mit den Armen in den Ländern des Südens. Seit der Gründung im Jahre 1958 konnte MISEREOR dank Spenden (Fastenkollekte) und öffentlicher Mittel mehr als 85.000 Entwicklungsprojekte mit über acht Milliarden Mark unterstützen. Wir vertrauen dabei auf die Kraft der Menschen in den Entwicklungsländern, an der Lösung ihrer Probleme selbst mitzuarbeiten. Deshalb orientieren wir uns an den Bedürfnissen der Armen, setzen auf die Energie und Kompetenz der Betroffenen und leisten Hilfe zur Selbsthilfe. Der Mensch steht im Mittelpunkt, unabhängig von Religion, Geschlecht und Nation.

ADVENIAT (Dein Reich kommer) (http://www.adveniat.de ) "Ein halber Erdteil vertraut auf Dich" ist das Motto der ersten Adveniat-Kollekte (Weihnachten) 1961. Mehr als 23 Millionen Mark kommen zusammen, ein Ergebnis, das alle Erwartungen übertrifft. Mit dem Spendenerlös wird der Aufbau kirchlicher Strukturen in Lateinamerika unterstützt, damit die Ortskirchen eigenständig pastoral tätig sein können. 1969 wird die jährliche Wiederkehr beschlossen und ADVENIAT für Südamerika gegründet.

RENOVABIS (http://www.renovabis.de) Auf Anregung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken war die Aktion im März 1993 von den deutschen Bischöfen gegründet worden. Renovabis pflegt den Kontakt zu Partnern aus Kirche und Gesellschaft in 27 mittel- und osteuropäischen Ländern und fördert den Austausch mit den Menschen dort. Ihr Name ist für die Hilfsaktion Programm: „Renovabis faciem terrae - Du erneuerst das Antlitz der Erde". Psalm 104 übersetzen Wohltäter, Partner und Mitarbeiter von Renovabis so: „Wir wollen an der pastoralen, sozialen und gesellschaftlichen Erneuerung Osteuropas konstruktiv mitwirken, wissen aber, daß dies nur mit der Kraft Gottes möglich ist." Das dafür notwendige Geld stammt aus der Pfingstkollekte in allen katholischen Pfarrgemeinden in Deutschland, aus Einzelspenden und aus Kirchensteuern sowie zu einem weiteren Teil aus öffentlichen Mitteln.

4.7 Zusammenfassung

Es ist ein umfassendes Engagement, das sich im gesellschaftspolitischen Bereich entwickelt hat. Viele andere Initiativen wären noch aufzuzählen. Die Gegebenheiten sprechen aber dafür, dass es doch so etwas wie eine Kirche von der Basis her in der Frage der sozialen Gerechtigkeit gegeben hat und noch gibt, wenn auch, gerade im Bereich der Verbände das Engagement schon einmal von der Mitgliederzahl her größer war. In einer nicht mehr versäulten Gesellschaft mit starken Individualisierungstendenzen kommt es mehr auf den Einzelnen an seinem Platz an, ein katholisches Milieu, wie z.B. in der Weimarer Zeit ist in einer pluralen Gesellschaft nicht mehr möglich. Es wird in Zukunft darauf ankommen, breit gefächerte Initiativen zu fördern, die Bildungs- und auch Öffentlichkeitsarbeit zu verstärken die jüngere Generation wieder für die Fragen zu interessieren. Dabei spielt auch die globale Frage in Zukunft eine wachsende Rolle. Insgesamt bedarf es eine intensive Vernetzung der Aktivitäten im Einsatz für die Fragen der Gerechtigkeit.

 

4.8 Fragen zum 4. Kapitel

4.8.1 Fragen zu 4.1(Katholische Verbände)

1. Welche besondere Notlage wurde in den Gesellenvereinen aufgegriffen?

 

 

 

 

 

 

2. Wer war der geistige Vater der katholischen Arbeitervereine?

 

 

 

 

 

 

3. Welche Aufgaben vor allem hatte sich der Volksverein für das katholische Deutschland gestellt?

 

 

 

 

 

 

4. Welche Aufgabe haben Verbände Ihrer Meinung nach heute noch?

 

 

 

 

 

 

 

4.8.2 Fragen zu 4.2 – 4.4 (Christliche Gewerkschaften, Zentrum, engagierte Frauen)

1. Warum entstanden Ende des 19. Jahrhunderts christliche Gewerkschaften?

 

 

 

 

 

 

2. Welche Persönlichkeit prägte vor allem das Zentrum?

 

 

 

 

 

 

3. Was war die besondere Leistung von Hedwig Dransfeld und Maria Katharina Kaspar?

 

 

 

 

 

 

 

4. Wie schätzen Sie die Möglichkeiten von konfessionellen und auch christlichen Parteien heute ein?

 

 

 

 

 

4.8.3 Fragen zu 4.4. – 4.5 (Synodenbeschluss und Große Werke?

1. Welche beiden großen Texte im Zusammenhang von katholischer Soziallehre hat O. von Nell-Breuning entworfen?

 

 

 

 

 

 

2. Was war der Gewerkschaftsstreit und wie sah seine Lösung aus?

 

 

 

 

 

 

3. Welche ist vor allem eine große Leistung der Katholiken Deutschlands in unserer Zeit?

 

 

 

 

 

 

4. Wo würden Sie heute im Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden (im umfassenden Sinn) Ihren Schwerpunkt setzen?

 

 

 

 

 

5 Ergebnis und Ausblick

Weit über 100 Jahre Katholische Gesellschaftslehre haben doch einen guten Ertrag gebracht. Sicher hat es auch Verspätungen und Verirrungen – so z.B. der Gewerkschaftsstreit -gegeben, aber im ganzen kann sich das Ergebnis dieser Geschichte durchaus sehen lassen. Die Kirche hat sich auf den verschiedensten Ebenen auf diese Fragen, wenn auch anfangs zögerlich eingelassen. Sie hat zu Thema der sozialen Gerechtigkeit, nicht nur den Begriff, sondern auch durchaus eingeständige Auffassungen eingebracht. Desgleichen ist Subsidiarität als Gedanken im Wesentlichen durch diese Lehre gefördert worden, auch die Solidarität hat eine große Rolle gespielt, so dass in einer Phase sogar das Konzept dieser Lehre Solidarismus (Heinrich Pesch 1854-1926, versuchte so Individualismus und Sozialismus zu vermeiden) genannt wurde. Den Namen Sozialismus musste sie ja faktisch abgeben, weil dieser mehr und mehr von den Marxisten besetzt wurde. Dieser Konflikt hat leider nicht zur Mehrung der Gerechtigkeit auf dieser Welt beigetragen.

Die Ausweitung der Soziallehre auf die ganze Welt, das Aufgreifen des Themas Frieden und Entwicklungshilfe gehört zu Pionierleistungen in diesem Bereich. Leider kann dies nicht vom Problem der Ökologie gesagt werden. Hier bedürfte es gerade was römische Texte betrifft der Nacharbeit. Neu hinzu kommen die ganzen Fragen der Bioethik in ihren sozialen Konsequenzen.

Soziallehre wurde nie und wird nie von dem kirchlichen Amt der Einheit in Rom allein getragen. Es beschäftigt die Bischofskonferenzen, das Volk Gottes in verschiedensten Initiativen, geht über die Grenzen der katholischen Kirche hinaus ins ökumenische Gespräch und ins Gespräch mit allen guten Willens. Das ist eine erfreuliche Entwicklung.

Entstanden ist die Katholische Soziallehre mit der Industrialisierung, gleichsam wie ein neue Zweig kirchlichen Arbeitens. Deshalb sollte im folgenden Lehrbrief vor allem gefragt werden, wie diese Arbeit begründet und in der kirchlichen Lehre verortet ist.

 

6 Kurze Literaturübersicht

Aretz, J. Katholische Arbeiterbewegung und Nationalsozialismus, Mainz 1978

Bundesverband der KAB, Hg. Nell-Breuning, O. von,. Schasching J, Texte zur katholischen Soziallehre Köln 1992 (Ketteler-Verlag).

Bundesverband der KAB, Hg. Texte zur katholischen Soziallehre II, 2 Halbbände, Köln 1976

Eggebrecht, A., u.a., Geschichte der Arbeit. Vom Alten Ägypten bis zur Gegenwart, Köln 1980.

Grebing H., Geschichte der sozialen Ideen in Deutschland, Sozialismus - Katholische Soziallehre - Protestantische Sozialethik, Essen 2000.

Henning, F.-W., Die Industrialisierung in Deutschland 1800 bis 1914, Paderborn 9 1995.

Joos, J. KAB in der Geschichte der Christlichen Arbeitnehmerbewegung Deutschlands, Düsseldorf 1963

KAB, Hg. Verschiedene Berichte über Verbandstage

Kerber, W., Ertl, H., Hainz, M., Katholische Gesellschaftslehre im Überblick, 100 Jahre Sozialverkündigung der Kirche, Frankfurt 1991

Leuninger, A., Franz Leuninger zum Gedanken, Mengerskirchen 1970

Leuninger, E., Bildungsarbeit und Arbeiterbildung, München 1985

Mockenhaupt, H., Zeit-Geschichte in Lebensbildern, Bd. 1. (1851-1921)Mainz 1973

Nell-Breuning. O. von, Soziallehre der Kirche, Erläuterungen lehramtlicher Dokumente, Wien, München, Zürich 3 1983

Ploetz, Deutsche Geschichte, Epochen und Daten, Würzburg 4 1988.

Präsidium der Gemeinsamen Synode, Hg. Gemeinsame Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland, Offizielle Gesamtausgabe, Freiburg 1976

Rauscher, A., Der soziale und politische Katholizismus, Entwicklungslinien in Deutschland 18ß3-1963, Bd. II München 1982

Schneider, M., Kleine Geschichte der Gewerkschaften. Ihre Entwicklung in Deutschland von den Anfängen bis heute, Bonn 1989.

Scholl, S. H., Katholische Arbeiterbewegung in Westeuropa, Bonn 1966

Schröder, W. Gewerkschaftspolitik zwischen DGB, Katholizismus und CDU, 1945 bis 1960, Köln 1990

Schürmann, K.H., Zur Vorgeschichte der Christlichen Gewerkschaften, Freiburg. i.Br. 1958

Uellenberg-van Dawen, W., Gewerkschaften in Deutschland von 1848 bis heute, München 2 1997. Ein Überblick übe die Geschichte der Gewerkschaften

Utz A.F, Galen B. von, Die katholische Sozialdoktrin, Aachen 1976 2 Bände.
Hier sind auch die lateinischen Texte abgedruckt, die sonst in AAS (Acta Apostolicae Sedis - dem Amtsblatt des Vatikan) stehen. Dieser lateinische Text allein ist verbindlich, alles andere sind Übersetzungen, von denen es leider unterschiedliche gibt, was auch hier im Lehrbrief so ist. Dies hat aber in der Regel für uns keine größere Bedeutung. Diese Unterschiede der Übersetzungen gelten auch für das Internet. Hier finden Sie ggf. nicht in bisherigen Quellen aufgeführte Texte.

© E. Leuninger 21.11.01

 

 

 

 

 
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