Luftaufnahme von Mengerskirchen
Die Luftaufnahme von Mengerskirchen zeigt deutlich den früheren Verlauf der Stadtmauer. Sie ist nur noch in Resten erhalten.

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engerskirchen war in früherer Zeit ein befestigter Ort mit einer mit sieben Türmen und drei Toren versehenen Ringmauer. Hiervon war weitgehend das Ortsbild bestimmt, denn der Raum für die Errichtung von Wohnhäusern und Wirtschaftsgebäuden war durch die Mauer äußerst begrenzt. Als die Befestigung noch militärische Bedeutung hatte, und das dürfte noch über die Zeit des Dreißigjährigen Krieges hinaus gewesen sein, war innerhalb der Ringmauer wohl ausreichend Platz für die Wohnhäuser der damaligen Bevölkerung. Dagegen reichte es nicht für die etwa 40 Scheunen, die außerhalb errichtet werden mußten. Diese Scheunen sind sehr alt, denn auf dem Querbalken einer solchen (am Friedhof) ist die Jahreszahl 1608 angebracht. Mengerskirchen war nämlich im Mittelalter zeitweilig eine Umspannstation an der Straße Frankfurt-Köln, die über den Knoten führte. Das bedingte einen verhältnismäßig großen Pferdebestand und entsprechende Vorräte an Heu und Futtergetreide, die vorwiegend in diesen Scheunen untergebracht wurden. In den nachfolgenden Zeiten teilten sich mitunter vier Kleinbauern in eine solche Scheune.

Noch lange war aber der Raum innerhalb der Ringmauern trotz der Bevölkerungsvermehrung das Wohngebiet von Mengerskirchen. In engen Straßen und Gassen mit Ausnahme der Hauptstraße und dem Gelände um Schloß und Kirche standen die Häuser in Reihen eng aneinandergeschmiegt, vereinzelt unterbrochen durch einen ,,Alen" Durchlaß. Die meisten glichen sich in der Architektur, der Größe und Raumeinteilung; sie waren zweistöckig. Im Erdgeschoß lag der lange, schmale Hausflur, ,,Ern" genannt, der sich nach hinten verbreiterte und meistens als Küche diente, mitunter aber auch noch die Nagelschmiede beherbergte. Neben dem ,,Ern" lag die große Stube, die Wohnzwecken diente und in der Regel auch Elternschlafzimmer war. Im oberen Stockwerk befanden sich noch ein oder zwei Kammern. Im Keller brachten viele Kleinbauern, wegen des Platzmangels bei den Wohnhäusern, ihre Kühe, Schweine und Hühner unter.

Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war offensichtlich die Bautätigkeit in Mengerskirchen gering. Die Errichtung von Wohnhäusern außerhalb der Ringmauer erhielt offenbar Impulse durch den Bau der sogenannten ,,Freiheitshäuschen" auf dem Damm. Diese waren einstöckig und besaßen teilweise neben dem geräumigen ,,Ern" nur eine größere Stube. Im Zusammenhang mit dem Revolutionsgeschehen im Jahre 1848 soll der Landesfürst das Bauholz dazu geliefert haben. Durch die enge Bebauung des Ortes wohnte die Bevölkerung nahe an Kirche und Schule, und der große Brunnen in der Ortsmitte erleichterte ihr die Wasserversorgung. Im Rahmen der Konsolidierung während der letzten Jahre vor dem ersten Weltkrieg kam es zu einer entscheidenden Ausdehnung des Wohngebietes infolge von elf neuen Durchlässen durch die Bereiche, die den Ortskern umschlossen.

Inwieweit eine landesherrliche Verordnung aus dem 18. Jahrhundert, die sich mit dem Wohnungsbau beschäftigte, in Mengerskirchen wirksam wurde, läßt sich nicht sagen. Sie verbot die Erbauung neuer Häuser gänzlich, ,,weil das Holz rar wird und die Leute nur bauen, um ihren Kindern, die kein Handwerk wissen und auch keinen Ackerbau haben, wenigstens Wohnungen zu hinterlassen, wodurch auch viele, die auswärts etwas lernen könnten, im Land bleiben". Im Grunde genommen hat der Landesherr damals das Problem der Übervölkerung im Westerwald richtig erkannt.

In einem Schulbuch - ,,Geographie" genannt - das noch nach der Jahrhundertwende benutzt wurde, heißt es: ,,Der Westerwald ist eine durchaus arme Gegend; aber die Bewohner sind genügsam und zufrieden mit ihrer Lage." Dieses Zitat wird der Situation nicht gerecht. Bezeichnender noch ist für den Westerwälder nämlich Fleiß und Strebsamkeit.

Trotz der beengten wirtschaftlichen Situation der Leute von Mengerskirchen war es einigen wirtschaftlich etwas besser gestellten Familien möglich, Kinder zur höheren Schule zu schicken und sie sogar vereinzelt akademischen Berufen zuzuführen. Die größere Zahl davon waren Theologen. Viele Frauen widmeten sich dem Ordensberuf. Daneben gab es eine ganze Reihe von Lehrern, Ingenieuren und Ärzten, von denen einige

Spitzenpositionen erreichten. Die Fälle sind nicht vereinzelt, in denen Volksschüler später aus eigener Kraft auf Grund ihrer Zielstrebigkeit in qualifizierte Berufe aufstiegen. Hierzu gehören insbesondere die vielen Männer, die sich vom Bauhilfsarbeiter zum Polier und Oberpolier emporarbeiteten. Außerdem verdienen genannt zu werden die sieben Männer, welche in den letzten drei Jahrzehnten vor 1933 als Gewerkschaftssekretäre tätig waren. Bezeichnenderweise gehörten sie alle dem Zentralverband christlicher Bauarbeiter Deutschlands an.

In den Jahren, über die hier berichtet wird, lag die Zeit der großen Not für Mengerskirchen. Sie dauerte mit kurzen Unterbrechungen über 30 Jahre. Ihr Beginn war der Ausbruch des ersten Weltkrieges im August 1914 und der Höhepunkt der Zusammenbruch Deutschlands im Jahre 1945. Etwa 180 Bürger aus Mengerskirchen mußten im ersten Weltkrieg Kriegsdienst leisten. Viele davon starben den Soldatentod, andere kehrten als Krüppel zurück, und diejenigen, die in Kriegsgefangenschaft geraten waren, sahen mitunter die Heimat erst lange nach Kriegsende wieder.

Fünfundfünfzig Namen verzeichnet die Tafel an der Gedächtnisstätte auf dem Friedhof von Männern, die gefallen, vermißt oder an den Folgen des Krieges gestorben sind. Doppelt so viel Namen der Toten des zweiten Weltkrieges stehen an der gleichen Stelle, worunter auch diejenigen sind, deren Angehörige in Mengerskirchen nach ihrer Vertreibung eine neue Heimat gefunden haben. Vor soviel Leid verblaßt die materielle Not, welche die Bevölkerung in beiden Kriegen vorwiegend durch den Mangel an Nahrung und Kleidung tragen mußte. Während des zweiten Weltkrieges überflogen feindliche Bomber verschiedentlich in großer Zahl Mengerskirchen. Einzelne abgeworfene Bomben fielen außerhalb des Ortes und richteten nur geringfügige Schäden an.

Doch auch während der Zeit, die zwischen den zwei großen Weltkriegen lag, herrschte zeitweilig große Not unter den Menschen von Mengerskirchen. Hier ist vor allem die Arbeitslosigkeit zu nennen, die Ende der zwanziger Jahre begann und bis in die dreißiger Jahre hinein dauerte. Davon wurden besonders die Bauarbeiter betroffen. Welche Ausmaße die Arbeitslosigkeit damals hatte, bezeugt die Tatsache, daß am 1. Mai 1931, also in der Bausaison, über 70% der Mitglieder der Verwaltungsstelle Limburg des christlichen Bauarbeiterverbandes arbeitslos waren, davon 43% ausgesteuert und somit keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung mehr hatten. In Mengerskirchen suchte man durch die Durchführung von Notstandsarbeiten dem Übel zu steuern. So erfolgten beispielsweise Meliorationsarbeiten auf der Knotenviehweide und der Ausbau der Straße über den Knoten nach Mademühlen - ehedem ein Teil der Straße Frankfurt-Köln. Fünfzehn Mark Lohn wöchentlich erhielt dabei ein verheirateter Arbeiter.

Der Höhepunkt der Notzeit begann mit der Machtübernahme im Jahre 1933 durch Hitler. Für Mengerskirchen begann sie mit leidvollen Tagen, über die aber an anderer Stelle berichtet wird.