Sozialhilfe und Würde des Menschen
(Texte zu den Grafiken)
1. Thema: Armut und Sozialhilfe
Sozialhilfe ist Teil der öffentlichen Sozialleistungen und des sozialen Netzes in der Bundesrepublik Deutschland. Sie soll Menschen helfen, die in Not geraten sind und die nicht oder nicht in vollem Umfang in der Lage sind, aus eigenen Kräften ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Auf Sozialhilfe besteht in der Bundesrepublik
ein Rechtsanspruch. Anspruch auf Sozialhilfe hat jede bedürftige
Person, die in der Bundesrepublik lebt Die Leistungen richten
sich in der Regel nach dem besonderen Bedarf und den persönlichen
Verhältnissen des Hilfeempfängers.
2. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
Hintergrund dieser Vorstellungen
ist Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.
Sie erfolgte im Dezember 1948 durch die Vollversammlung
der Vereinten Nationen.
Ziel der 30 Artikel
umfassenden Erklärung ist es, für die Menschenrechte
und fundamentalen bürgerlichen Freiheiten einzutreten und
sie zu fördern. Die Erklärung verkündet die persönlichen,
zivilen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen
Rechte der Menschen, die nur durch die Anerkennung der Rechte
und Freiheiten anderer und durch die Erfordernisse der Moral,
der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Wohlfahrt eingeschränkt
sind.
3. Grundgesetz und Menschenwürde
Die Würde des Menschen ist ein innerer und sozialer Anspruch
auf Achtung und Wertschätzung, der jedem Menschen als Träger
geistiger und sittlicher Werte zukommt. "Die Würde des
Menschen ist unantastbar", konstatiert das Grundgesetz an
zentraler Stelle (Artikel 1 GG).
Die Menschenwürde steht in engem Zusammenhang mit den laut
Grundgesetz unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten,
die die Grundlage der menschlichen Gemeinschaft darstellen. Der
Artikel 1 des Grundgesetzes ist
demzufolge unabänderlich festgeschrieben; d. h.
er ist im Gegensatz zu anderen Bestimmungen auch einer demokratisch
beschlossenen Verfassungsänderung nicht zugänglich.
4. Bundessozialhilfegesetz (BSHG)
Das Bundessozialhilfegesetz von 1961 ist der Versuch, den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes zu entsprechen, nach denen
Das Europäische Parlament hat im Rahmen seiner Resolution zur Einhaltung der Menschenrechte in Europa im Februar 1998 auch zur Armut in Europa Stellung genommen. Es
ist der Ansicht, daß Armut und Ausgrenzung
einer demokratischen und reichen Gesellschaft unwürdig sind,
und hält es für unvertretbar, daß in der Europäischen
Union über 52 Millionen Menschen in Armut leben. Rat, Kommission
und die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, die Bekämpfung
der sozialen Ausgrenzung und der Armut zu einer politischen Priorität
zu machen.
6. Sozialhilfe will Armut verhindern
Es hat nach dem Inkrafttreten des Grundgesetzes
immerhin bis 1961 gedauert, daß das Bundessozialhilfegesetz
geschaffen wurde.
Die Dynamik der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung,
wie sie sich seit dem 19. Jahrhundert in den westeuropäischen
und nordamerikanischen Industriegesellschaften durchsetzte, war
von der Inklusion gekennzeichnet, d.h. von dem Bemühen, durch
Armut bedingte Ausgrenzung zu überwinden und die Gleichheitsrechte
aller Menschen materiell abzusichern. Dabei sollte das Individuum
als Rechtssubjekt gegenüber einer bloßen Armutsverwaltung gestärkt werden.
7. Asylbewerberleistungsgesetz 1993
Im Schatten der Verfassungsänderung des Grundrechts auf Asyl beschließt der Bundestag 1993 auch das sogenannte Asylbewerberleistungsgesetz. Damit wird eine Gruppe von Menschen aus der allgemein geregelten sozialrechtlichen Versorgung ausgegrenzt und in vieler Hinsicht schlechter gestellt als die anderen Empfänger von Sozialhilfe.
Dies ist vom Ansatz her die Dehumanisierung
einer Gruppe von Menschen, die sich überwiegend in existentieller
Not befindet. Alle Asylbewerber und zwar unabhängig davon,
ob ein begründeter oder unbegründeter Asylantrag gestellt
wurde, haben einen Anspruch darauf, gemäß ihrer menschlichen
Würde be-handelt zu werden. Dieses Recht ist unteilbar. Seine
Mißachtung hat gravierende Auswirkungen auf Leben und Gesundheit
der Asylbewerber und auch auf die weitere Entwicklung unseres
sozialen Rechtsstaates.
8. Asylbewerberleistungsgesetz 1997
Im Mai 1997 wird das AsylbLG geändert und verschärft. PRO ASYL nennt dies die bislang schlimmste Entgleisung im Europäischen Jahr gegen Rassismus.
Nunmehr erhalten Asylsuchende, Kriegsflüchtlinge
und geduldete Ausländer/innen ab 1. Juni drei Jahre lang
(bisher: 1 Jahr) nur noch drastisch gekürzte Sozialleistungen.
Damit werden mehr Flüchtlinge auf noch längere Zeit
aus der existentiellen Grundsicherung ausgegrenzt. PRO ASYL-Sprecher
Kauffmann: ,,Die Einführung eines dauerhaft geringeren Existenzminimums
für eine ganz bestimmte Gruppe hier lebender Menschen ist
staatlich organisierter Rassismus. Auch wenn das Gesetz mit den
Mitteln der Rechtsstaatlichkeit auf den Weg gebracht wurde, muß
es als rassistisch geprägtes Sondergesetz bezeichnet werden."
9. Asylbewerberleistungsgesetz 1998
In der Politik gibt es kein Halten mehr. Wieder
sollen Einschränkungen in der Versorgung von Flüchtlingen
beschlossen werden. Diesmal hat der Bundesrat die Initiative ergriffen.
Die Tendenz ist, Flüchtlinge durch Aushungern und drohende
Internierung dazu zu veranlassen, die Bundesrepublik wieder zu
verlassen. Des weiteren sollen Menschen durch späteren Sozialhilfeentzug
davon abgeschreckt werden, heimlich über die Grenze nach
Deutschland zu flüchten.
10. AsylbLG will Armut von Ausländern
Mit dem AsylbLG im Rücken kann die Bundesregierung ohne den geringsten Gesichtsverlust im Februar 1998 folgende Stellungnahme abgeben. Diese steht nicht nur im Gegensatz zur Tatsache einer wachsenden Armut in unserer Gesellschaft sondern vor allem zu der untermenschlichen Behandlung von Flüchtlingen:
"Die Soziale Marktwirtschaft der Bundesrepublik
Deutschland ist
gekennzeichnet durch das Prinzip des Wettbewerbs,
das mit dem Prinzip
des sozialen Ausgleichs verbunden ist. Letztes
Auffangnetz für alle,
die über kein ausreichendes Einkommen
und Vermögen verfügen und die mit
den Leistungen der vorrangigen sozialen Sicherungssysteme
nicht
genügend abgesichert sind, bildet dabei
die Sozialhilfe. Aufgabe der
Sozialhilfe ist es, jedem eine menschenwürdige
Existenz zu garantieren."
(aus der schriftlichen Antwort auf eine Kleine
Anfrage der PDS).
11. Hitlers Diskriminierung der Juden
Im Nationalsozialismus wurde der Sozialbürger
durch den Volksgenossen ersetzt. Ihm entsprach eine Umpolung des
Leistungssystems vom Bürger zum ,,Volksgenossen". Diesem
stand der »Gemeinschaftsfremde" gegenüber der aus
den sozialen Leistungen ausgegrenzt wurde. Hierbei ging es um
die Dehumanisierung im Rahmen von Anstalts- und Lagerunterbringung,
Versorgung an der Hungergrenze, minimale medizinische Betreuung
und Zwangsarbeit und schließlich die physische Vernichtung.
Anfangs sollten die Juden durch ausgrenzende und diskriminierende
Maßnahmen zum Verlassen Deutschlands gezwungen werden.
Am Ende stand der Holocaust.
12. Asylbewerberleistungsgesetz contra Grundgesetz
Das Asylbewerberleistungsgesetz grenzt entgegen dem Sozialstaatsprinzip eine Gruppe aus der allgemeinen sozialrechtlichen Versorgung aus und zwar zum Zwecke der Kostenersparnis und der Abschreckung.
13. Asylbewerberleistungsgesetz - ein Modell?
Das Gesetz hat Modellcharakter: Es führt
vor, wie leicht Menschen durch die Anknüpfung an einer einzigen
Eigenschaft, in diesem Fall Flüchtlinge zu sein, aus unserem
Sozialsystem herausdefiniert und ausgegrenzt werden können.
So dient das Gesetz nicht nur der Abschreckung von Flüchtlingen
mit sozial-politischen Mitteln. Es schwebt zugleich als Damoklesschwert
über den Köpfen einheimischer armer, behinderter, arbeitsloser
und obdachloser Menschen, die längst erfahren haben, daß
sie ausgegrenzt werden. Vielleicht kommen bald die alte Gruppenfürsorge
oder neue Sondergesetze für bestimmte Gruppen. Im Rückblick
hat sich das Sondergesetz als gezielt eingesetztes "Begleitgesetz"
für den Abbau des Sozialstaates erwiesen.
Die Globalisierung der Wirtschaft und des
Kapitals geht einher mit der Vorstellung, die Menschenrechte seien
doch nicht im wirklichen Sinne universal. Es gäbe halt Menschen
und Gruppen, denen die Grundrechte im volleren Maße zuständen
als anderen. Eine große Rolle spielt dabei die Diskussion,
ob es in den verschiedenen Kulturen nicht auch verschiedene Vorstellungen
von den Menschenrechten gäbe. Somit sei es unstatthaft, in
China oder Asien in gleicher Weise auf der Einhaltung der Menschenrechte
zu bestehen wie vielleicht in Europa. Auch dürfe vielleicht
bei islamisch geprägten Ländern nicht in gleicher Weise
auf die Rechte der Frauen gepocht werden, wie sich das vielleicht
westlich geprägte Feministinnen wünschten. Alle diese
und ihnen verwandte Argumente gehen an der Grundidee von der einen
Menschheit vorbei, wie sie nach den Katastrophen des 2. Weltkriegs
den Kanon der Menschenrechte bestimmt hat.