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Laudator Roderich Reifenrath

Laudatio
Z
wei Menschen, die der Mut nie verlassen hat, das zu tun, was als Auftrag in ihnen verankert ist: Herbert Leuninger als Europareferent für Pro Asyl und Ernst Leuninger im weiten Feld des Sozialen, als Honorarprofessor, in Bosnien, im Bildungsbereich. Wer wagt es denn heute noch, das Soziale in den Mittelpunkt seines Lebens zu stellen?

 

Wer sich einmischt, wie es Emst und Herbert Leuninger über eine lange Distanz tun, kann nicht nur mit Beifall rechnen. Da entstehen zugleich Reibungen, Entfremdungen, womöglich sogar Verletzungen.
an Ernst und Herbert Leuninger

Laudatio
Chefredakteur Roderich Reifenrath

Wir sind zusammengekommen, um zwei Männer zu ehren: ein Brüderpaar, zwei Menschen, die - soweit ich das beurteilen darf und beurteilen kann - vieles gemeinsam haben. Dennoch sollte die Erkenntnis der Nähe nicht dazu verleiten, aus Pfarrer Herbert Leuninger und Professor Ernst Leuninger Zwillinge zu machen. "Sie sind", hat Franzwalter Nieten in seiner Einladung klargestellt, "kein Tandem".

Sie sind aber, so könnte man den Gedanken weiterführen, Teil einer Schöpfung, die - auf den Menschen bezogen - nach christlichem Verständnis in dem Begriffspaar Ebenbild-Individuum eingebettet und losgelöst zugleich ihren Ausdruck findet: Existenzen im Zeichen des Kreuzes.

Herbert und Ernst Leuninger sind gewürdigt worden, ausgezeichnet mit dem Walter Dirks-Preis 1998. Es erscheint mir angemessen, in einer kurzen Passage die geistige Brücke zu schlagen vom streitbaren Publizisten zu den priesterlichen Streitern für die gerechte Sache. "Menschenwürdiges Leben", hat Walter Dirks 1925 in einem Aufsatz mit dem Titel: "Proletarier, Bürger, Akademiker" geschrieben, "ist gottgewollt, und zum menschenwürdigen Leben gehört ein Mindestmaß von Speise und Trank, von Kleidung und Wohnraum, von Sonne und Anteil an Bildung und Kultur".

Womit wir beim Thema wären, bei Parallelen in den Biographien und den Einmischungen ins gesellschaftliche Geschehen - redend, schreibend, handelnd. Was den unabhängigen, unbequemen, radikalen Pazifisten und Publizisten Dirks um- und angetrieben hat, füllt auch die Tage von Herbert und Ernst Leuninger, nicht selten sogar die Nächte.

Beginnen wir von vorne: 1932 und 1933, schicksalsgesättigte Jahre für Deutschland, kommen Herbert und Ernst Leuninger in Köln auf die Welt. Das ist eine Stadt, die sicher zu den katholischsten Plätzen im Lande gehört - und nicht zuletzt (so möchte ich als ehemaliger Student in Colonia mit einem kleinen Schuß Ironie dazu fügen) durch die Art, wie dort der Karneval gefeiert wird. Der Vater ist christlicher Gewerkschafter, nach dem Kriege Mitbegründer der hessischen CDU, geprägt von den sozialen Spannungen in der Weimarer Republik und - natürlich -von dem, was die Nazis den Menschen antun. Am 1. März 1945, kurz vor dem Ende der Barbareien, ermorden sie seinen Bruder Franz, einen, der den Widerstand gegen das Dritte Reich gewagt hatte. Das Urteil sprechen die Schlächter des Volksgerichtshofes. Vollstreckt wird in Plötzensee. Wen schaudert es nicht bei diesem Namen!

Wer die Generation derer beurteilen will, die sich heute so um die Ruhestandsmarke 65 gruppiert, die im Kindesalter das Bombardement gegen Hitler-Deutschland erlebt und in der Nachkriegsära politisch zu denken begonnen hat, wird das Gewicht dieser Jahre nicht aus den Augen verlieren.

Herbert und Ernst Leuninger entschließen sich, Priester zu werden. Sie tun es - zwangsläufig - mit den nachwirkenden familiären Erfahrungen, die sich in größere historische Zusammenhänge einbinden lassen - eine Kombination von nahezu pädagogischer Qualität. Lernen vom Naheliegenden. Und wie sich die Viten dann ähneln: Priesterweihe in Limburg, Jugendpfarrer, Referent im Bischöflichen Ordinariat zu Limburg - unter dem Dach eines schmucken Domes an der Lahn, der jedem visuell empfänglichen Benutzer der A3 stets von neuem einen ungewöhnlichen optischen Genuß bereitet.

Ernst Leuninger legt in der Folge den Akzent seiner Tätigkeiten auf Kirche und Arbeiterschaft, weniger auf Ausländer und Asyl, wie sein Bruder Herbert. Dieser wird 1986 ehrenamtlicher Sprecher von Pro Asyl, einer entscheidend auch von ihm ins Leben gerufenen Organisation, deren Mitglieder unverdrossen ihre Sache verfechten und auch jetzt die Flinte nicht ins Korn werfen, weil nach jahrelangem, vergeblichem Kampf um den Erhalt des Artikels 16 GG in seiner klassischen Form nur noch die Besichtigung politischer Trümmer übrigbleibt.

Ernst Leuninger, der unter anderem bei dem Jesuiten Oswald von Nell-Breuning studierte, dem Motor und Mentor der katholischen Soziallehre, widmet sich dem großen Thema Bildung und Arbeit. Er hilft beim Aufbau der Kontakte zu den Gewerkschaften und tritt aktiv am 1. Mai auch schon mal dort an, wo meist in härterem Tonfall gepredigt wird: unter freiem Himmel. Er ist intensiv am 1997 veröffentlichten Sozial- und Wirtschaftspapier der katholischen und evangelischen Kirche beteiligt und jahrelang als Referent für Grundseelsorge oder Erwachsenenarbeit im Einsatz. Die Breite der Aufgaben entspricht der Verdichtung seiner Studien und Interessen. Kein Wunder, wenn er sich heute zusammen mit dem Bischof von Limburg, Franz Kamphaus, beim Wiederaufbau in Bosnien zur Verfügung stellt.

Herbert Leuninger, in anderer, schärferer Methodik dem Humanen verpflichtet, begibt sich in Grenzbereiche, verläßt ein Stück weit die schützenden Räume der Institutionen, handelt auf eigene Faust. Wenn es der Sache dient, tritt er auch unbotmäßig an, zivil ungehorsam, immer da, wo es längst besonders schmerzhaft zugeht. Er ist gewappnet mit dem ungebeugten Willen, in Kärrnerarbeit jenen beizustehen, die ans Ufer eines als gelobt gedachten Landes gespült werden, und die erkennen müssen, daß ihre Wünsche und Hoffnungen, ihre gar euphorischen Erwartungen, der Wirklichkeit oft nicht standhalten.

Als Zeuge vor Ort der Asylbewerberlager, 1986 sogar als Hungerstreikender in der von und für Hessen eingerichteten Schwalbacher "Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge" sowie in den Abschiebetrakten des Frankfurter Flughafens reifen Bilder heran, die Ihn nicht mehr loslassen und Ihn in seinem Beharrungsvermögen bei den Auseinandersetzungen mit schwerfälliger Bürokratie und dickfelliger Politik stärken und leiten. Gewiß nicht zur Freude seiner politischen Gegner. Und vermutlich auch nicht stets im Sinne der Obrigkeit, den Vatikan eingeschlossen.

Die, warum auch immer, nach Deutschland verschlagenen Menschen anderer Nationalitäten - das ist sein Acker. "Das Wort Ausländer muß weg", betont er im Gespräch, "wir sollten stattdessen 'Bürger anderer Muttersprache' sagen ." Will man etwas über die Kraftquellen für seine Auftritte erfahren, begegnen einem Sätze wie dieser: "Auch als Pfarrer habe ich kaum etwas Eindrucksvolleres erlebt als diese Solidarität mit den Flüchtlingen, diese Kontakte zu den helfenden Gruppen."

Die Hoffnung von Pfarrer Leuninger, so sagte es vor einiger Zeit in einem Interview mit dem Hessischen Rundfunk eine Mitarbeiterin von Pro Asyl, sei - so wörtlich - "sehr inspirierend". Und er selbst urteilte auf der gleichen Welle über seinen Zustand so: "Die Hoffnung ist stärker als die Frustration, die ich erleben muß. Ich erlebe die Hoffnung."

Herbert Leuninger, 1991 mit der "Wilhelm Leuschner-Medaille" ausgezeichnet, steht in der Nachfolge des 2. Vatikanischen Konzils, dem religiös-theologischen Quantensprung zu neuer Offenheit, Demokratisierung und Partizipation. Rom erscheint ihm in jenen Tagen progressiver als die Kirche im eigenen Land. Und wenn er den damals herrschenden Geist am jetzigen politischen Alltag in der Bundesrepublik mißt, spürt er schmerzhaft die Diskrepanz. Dann leidet er, wenn es Rückschläge gibt. Und es ficht ihn geradezu an, wenn es in Bonn möglich ist, einem einfachen, klaren Satz wie diesem, das Kreuz zu brechen: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht."

Meine Damen und Herren! Wer sich einmischt, wie es Ernst und Herbert Leuninger über eine lange Distanz tun, kann nicht nur mit Beifall rechnen. Da entstehen zugleich Reibungen, Entfremdungen, womöglich sogar Verletzungen. Im öffentlichen Raum, dort also, wo wahrlich nicht zuletzt über die Medien, um Positionen und Macht gerungen wird, muß es sich dann ein Mann wie Herbert Leuninger schon einmal gefallen lassen, als "Amok-Redner' tituliert zu werden. Und in einer rundum nun wirklich nicht gerade ausländerfreundlichen Gesellschaft mutet es fast wie ein Akt beängstigender Normalität an, wenn ihn finstere Absender wie die "Aktionsgemeinschaft Novembersturm" brieflich bedrohen oder andere anonyme Täter Pflastersteine gegen die Rolläden seiner Fenster schleudern.

Vor solch extremen Bekundungen der Intoleranz ist Ernst Leuninger, soweit erkennbar, verschont geblieben. Ganz sanfte Gemüter mögen dies als gerechten Lohn für Distanz und Zurückhaltung mißdeuten. Dabei ist jeder wertende Vergleich in diesem Zusammenhang ziemlich sinnlos. Die Brüder, wir haben es schon einmal gehört, sind kein Tandem. Lehrend und erklärend kämpft Ernst Leuninger in ähnlich hohen Umdrehungen wie der andere auf die ihm gemäße Weise um Lösungen - aus der Kirche heraus in die Gesellschaft hinein. Gerechtigkeit wollend, immer auch geleitet von Kernaussagen der Bibel. Daß ihn Begriffe wie Freiheit, Solidarität oder Nächstenliebe ebenso antreiben wie seinen Bruder Herbert, mag ein Fünfzeiler aus einem Protestsong von Kurt Marti dokumentieren, den er in der Diözese durchsetzen konnte. Eben wurde es hier gesungen - aufgenommen in das "Gotteslob". So steht es in einer Festgabe für ihn zum 60. Geburtstag unter dem Titel: "Sich einmischen." Da heißt es:

"Das könnte den Herren der Welt ja so passen,
wenn hier auf der Erde stets alles so bliebe,
wenn hier die Herrschaft der Herren,
wenn hier die Knechtschaft der Knechte
kso weiterginge wie immer."

Zum Schluß möchte ich eine kleine Geschichte erzählen:

Als Herbert Leuninger sich 1986 in Schwalbach im Hungerstreik befand, war Ernst Leuninger als Vertreter des zuständigen, aber abwesenden Dezernenten etwa vier Wochen lang der Dienstvorgesetzte seines Bruders. Eine psychologisch komplizierte Befehlslage, die sich aber nicht nach den gewohnten Regeln der Hierarchie auflöste. Befohlen wurde dem nach Aktenlage Schwächeren vom formal Stärkeren daher rein gar nichts. In der Sorge jedoch um die Gesundheit und letzten Endes das Leben des Älteren, machte der Jüngere Auflagen und entschloß sich, das Entscheidungsmonopol in fachgerechtere Hände zu legen. Ein Arzt sollte um Rat gefragt werden. Er kam und entpuppte sich als jemand, der für kurze Zeit ebenfalls Theologie in St. Georgen studiert hatte. Wahrscheinlich aus nachhallendem Respekt vor dem Durchhaltevermögen eines auf Theologie spezialisierten Studiosus reduzierte sich die medizinische Intervention deshalb auf die Empfehlung, Mineraltabletten einzunehmen. So geschah es.

Der radikale Pazifist im Hungerstreik und der treu sorgende, ein Leben lang auch von der Predigt vom Reich Gottes geprägte Bruder als milder Vollstrecker bischöflicher Amtsgewalt - ich bin mir absolut sicher, Walter Dirks würde es gefallen, daß Ernst und Herbert Leuninger in dieser Kirche in seinem Namen ausgezeichnet werden.


Zwei Menschen, die der Mut nie verlassen hat, das zu tun, was als Auftrag in ihnen verankert ist: Herbert Leuninger als Europareferent für Pro Asyl und Ernst Leuninger im weiten Feld des Sozialen, als Honorarprofessor, in Bosnien, im Bildungsbereich. Wer wagt es denn heute noch, das Soziale in den Mittelpunkt seines Lebens zu stellen?